Der Kulturausschuss des Stadtrats und der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e. V. haben beschlossen, den mit 10.000 Euro dotierten Geschwister-Scholl-Preis 2021 an Joe Sacco für sein Buch „Wir gehören dem Land“ (Edition Moderne) zu vergeben. Erstmals wird damit in der Geschichte des Geschwister-Scholl-Preises ein Werk der Graphic Non-Fiction ausgezeichnet. Mit dem in diesem Jahr zum 42. Mal vergebenen Geschwister-Scholl-Preis wird jährlich ein Buch ausgezeichnet, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben.
Jurybegründung (Auszug):
„Joe Sacco ist ein Pionier. Er hat eine literarische Gattung erfunden und ihr auch selbst einen Namen gegeben: ,Comic-Journalismus´. Von Portland aus reist er in Kriegs- und Krisengebiete. Er hält sich dort lange auf und nimmt sich nach der Rückkehr noch mehr Zeit, um in eine Form zu bringen, was er erfahren hat. Sein Journalismus arbeitet sozusagen zeitversetzt, nimmt von vornherein eine historische Perspektive ein. Er ist ein Bildbe- richterstatter neuen Typs: Indem er zeichnet, kann er mehr aufzeichnen als Fotografen, aber auch als Reporter, die nur Text produzieren. Zeugenberichte sind seine wichtigste Quelle, die er durch historische Recherchen und durch den Augenschein ergänzt. Auch die Zeugenschaft selbst ist ein Thema, und Joe Sacco, der Autor, kommt als Zeuge der Zeugnisse in seinen Bildberichten vor.
Bekannt wurde Sacco mit ,Palestine´ (1993/95, deutsch 2004). Dem Bosnienkrieg widmete er zwei Bände (,Safe Area Gorazde´, 2000, deutsch 2010; ,The Fixer: A Story from Sarajevo´, 2003, deutsch 2015). Mit ,Wir gehören dem Land´ erweitert er seinen Berichtsradius sowohl geographisch als auch thematisch. In den Siedlungsgebieten der kanadischen First Nations studiert er die Verheerungen zweier Kriege anderer Art, die schon lange andauern und allein durch den guten Willen der Parteien nicht beizulegen sind. Dort erreicht der Kampf gegen die Natur noch einmal epische Dimensionen, den der Mensch zur Gewinnung fossiler Brennstoffe führt. Und die Behandlung der einheimischen Völkerschaften durch den kanadischen Staat, der in zivilisatorischer Mission Besitz am Land und an den Menschen ergriff, ist von amtlichen Stellen inzwischen selbst als eine Art von Völkermord eingestuft worden, als kultureller Genozid. Sacco klagt nicht an. Er dokumentiert, lässt die Menschen sprechen und das Land. Bei den Dene wird darüber beraten und gestritten, wie sie mit den Gefahren und Chancen umgehen sollen, welche die Eingliederung ihrer Heimat in den Verwertungskreislauf des globalen Kapitalismus erzeugt. Die Folgen der Umweltzerstörung und des Kolonialismus sind zwei der großen Themen unserer Zeit. Das Buch von Sacco regt zu grundsätzlichen Gedanken an, indem es eine Fülle präziser, in emphatischem Sinne lokaler Informationen bereitstellt.
Mit dem Vorschlag, erstmals in der Geschichte des Geschwister-Scholl-Preises ein Werk der Graphic Non-Fiction auszuzeichnen, möchte die Jury auch der Bedeutung Rechnung tragen, die der gezeichneten Zeitgeschichte in der historisch-politischen Aufklärung und Vermittlung zugewachsen ist, insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen.“
Die ausführliche Jurybegründung, die Besetzung der Jury und weitere Informationen sind abrufbar unter www.geschwister-scholl-preis.de.
Achtung Redaktionen: Die Verleihung ist mit geladenen Gästen für Montag, 29. November, geplant.