Oberbürgermeister Dieter Reiter hat sich heute in einem Schreiben an den möglichen künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie an die Parteivorsitzenden von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP gewandt und eine überzeugende neue Idee für langfristig stabile Mieten unter Mietspiegelniveau vorgeschlagen. Der Vorschlag ist so einfach wie bestechend: Vermieterinnen und Vermieter sollen steuerliche Anreize erhalten, um ihre Wohnungen möglichst günstig zu vermieten. Wörtlich heißt es in dem Schreiben von Oberbürgermeister Reiter: „Wichtig und wesentlich für den Stopp des Anstiegs der Mieten ist es, auch bei den Bestandswohnungen Möglichkeiten einzuführen, die die Situation für die Mieterinnen und Mieter erleichtern und gleichzeitig nicht die Vermieterinnen und Vermieter durch zu starke Reglementierungen oder Verbote einschränken. Hierzu empfehle ich dringend auf Bundesebene über die Einführung des Tatbestands der sogenannten ,Gemeinwohlwohnung´ nachzudenken. Diese Idee wurde von Katharina Enders, Arnt von Bodelschwingh, Dr. Jochen Lang und Professor Dr. Dirk Löhr entwickelt und aktuell als Debattenbeitrag im September 2021 in FES diskurs veröffentlicht. Kurz gesagt geht es darum, dass privaten Vermieterinnen und Vermietern bei ihren Bestandswohnungen auf freiwilliger Basis die Möglichkeit eingeräumt werden soll, ihre Mieteinnahmen steuerfrei zu erhalten, wenn Sie sich im Gegenzug bereiterklären, den Mietzins mindestens 15 Prozent unter dem nach dem örtlichen Mietspiegel berechneten Mietzins zu halten, Ihre Wohnung also gegenüber dem Finanzamt als ,Gemeinwohlwohnung´ deklarieren. Die Autorinnen und Autoren haben mir vor kurzem in München Ihre Ideen vorgestellt, die mich als zusätzliche Möglichkeit, gerade in Großstädten wie München bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, überzeugt haben.
Auch in München wird ein großer Teil der Bestandswohnungen von privaten Vermieterinnen und Vermietern gehalten (zirka 50 Prozent der vermieteten Wohnungen). Die Schaffung des Tatbestandes der ,Gemeinwohlwohnung´ könnte also einen erheblichen Effekt auf die Wohnungssituation in München haben. Ich bitte Sie deshalb das Konzept der Autorin und der Autoren im Rahmen Ihrer Koalitionsverhandlungen zu prüfen und beim Thema Bauen und Wohnen als zusätzliche Maßnahme zum Thema bezahlbarer Wohnraum in die Gespräche mit aufzunehmen.“
Der Wohnungsmarktforscher Arnt von Bodelschwingh hierzu: „Besonders die vielen privaten Vermieterinnen und Vermieter, die dauerhaft unterhalb des Mietspiegels vermieten, sollten steuerlich gefördert werden.“ Professor Dr. Dirk Löhr (Hochschule Trier) ergänzt: „Mit Gemeinwohlwohnungen wird nicht nur der soziale Gebrauch des Eigentums gewürdigt, sondern es lässt sich auch das Angebot an bezahlbaren Mietwohnungen schnell ausweiten.“
Im Rahmen seines Münchner Zukunftsdialogs hatte sich Oberbürgermeister Reiter mit den renommierten Wissenschaftlern getroffen und sich den von ihnen erarbeiteten Vorschlag vorstellen lassen. Neben dem Thema der „Gemeinwohlwohnungen“ hat Oberbürgermeister Reiter in seinem Schreiben an die mögliche neue Koalitionsregierung unter anderem auch die Auswirkungen der Schenkungs- und Erbschaftssteuer auf den Münchner Wohnungsmarkt dargestellt. Auch hier wird durch die derzeitige Gesetzeslage oft verhindert, dass soziale Mieten erhalten bleiben können, weil sich bei der Übertragung von Mieteigentum an die nächste Generation im Wege der Schenkung oder Vererbung die Schenkungs- und Erbschaftssteuer grundsätzlich am möglichen Ertragswert (Bodenwert und Gebäudeertragswert) bemisst. Ob eine Vermieterin oder ein Vermieter nach sozialen Kriterien vermietet und die Miete deutlich niedriger hält als möglich, spielt dabei keine Rolle.
Dazu schreibt Oberbürgermeister Reiter: „Dies führt in manchen Fällen dazu, dass solche Vermieterinnen und Vermieter aufgrund der Höhe der Schenkungs- oder Erbschaftssteuer gezwungen sind, an Investoren zu verkaufen, die sich dann an sozialen Kriterien bei der Miethöhe nicht mehr orientieren. Dies kann auch vom Bundesgesetzgeber nicht gewollt sein, sich durch die geltende Rechtslage quasi aktiv an der Verdrängung zu beteiligen.“
Den Debattenbeitrag „Bezahlbare Wohnungen sichern“ von Arnt von Bodelschwingh, Katharina Enders, Jochen Lang, Dirk Löhr, veröffentlicht in FES diskurs, September 2021, kann mit freundlicher Genehmigung der Autorin und Autoren unter https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/18345.pdf abgerufen werden.