Wie steht es um die Schuleingangsuntersuchungen in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 22.9.2021
Antwort Gesundheitsreferat:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Flächendeckende Schuleingangsuntersuchungen haben eine wichtige Bedeutung. Denn über die Untersuchungen werden nicht nur der Gesundheits- und der Entwicklungsstand der einzuschulenden Kinder bewertet, es werden auf diese Weise auch Förder- und Unterstützungsmaßnahmen initiiert und vermittelt. Schuleingangsuntersuchungen schaffen also die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht.
Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Entsendung und Belastung des Personals in andere Abteilungen des Gesundheitsreferats fragen wir vor diesem Hintergrund den Oberbürgermeister:“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Um die einzelnen Punkte Ihrer Anfrage umfassend beantworten zu können, möchte ich Ihnen einleitend die grundlegenden Entwicklungen der Schuleingangsuntersuchungen in München darlegen.
Im Februar 2014 beauftragte der Stadtrat das damalige Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU), sich an dem bayerischen Pilotprojekt zur Vorverlegung und Neukonzeption der Gesundheitsuntersuchung zur Einschulung zu beteiligen (Sitzungsvorlage Nr. 08-14/V 13922 „Einschulungsuntersuchung vorziehen“). Ab Herbst 2015 wurde die Reform der Schuleingangsuntersuchung (SEU) über vier Jahre mit dem Pilotprojekt „Gesundheits- und Entwicklungsscreening im Kindergartenalter“ (GESiK) vorbereitet. Über die Durchführung des Pilotprojektes im RGU wurde dem Stadtrat im September 2015 berichtet (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 03980).
Die gesetzlichen Änderungen für die Einführung der reformierten Schuleingangsuntersuchung (rSEU) wurden mit Wirkung zum 1.8.2019 verabschiedet (Art. 80 BayEUG, SchulgespflV). Im September 2019 wurde in der Landeshauptstadt München mit der Umstellung auf die reformierte Schuleingangsuntersuchung (rSEU) begonnen.
Aufgrund der Corona-Pandemie wurden vielfältige Anpassungen in den Verfahren der Gesundheitsuntersuchung zur Einschulung notwendig. Zu-nächst musste die Durchführung aller Untersuchungen mit dem ersten Lockdown im März 2020 unterbrochen werden. Später wurde ein modifiziertes Verfahren eingeführt, um zumindest die Kinder mit besonderen Bedarfen sicher zu identifizieren und prioritär zu untersuchen. Im weiteren Verlauf ergab sich die Notwendigkeit der Terminentzerrung, um allen infektionshygienischen Vorgaben im medizinischen Untersuchungsbereich gerecht zu werden.
In dieser schwierigen Situation mit erschwerten Rahmenbedingungen wurden in Absprache mit dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) und mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) im Gesundheitsreferat (GSR) ab Herbst 2020 zwei Jahrgänge mit unterschiedlichen Verfahren untersucht. Ziel war es, den Gesundheits- und Entwicklungsstand aller Kinder des aktuellen Einschuljahrgangs zu beurteilen und gleichzeitig die gesetzlich vorgeschriebene Umsetzung der reformierten Gesundheitsuntersuchung zur Einschulung bestmöglich sicherzustellen.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde für die Kinder des Einschuljahrgangs 2021 ein modifiziertes Verfahren durchgeführt (modifizierte Schuleingangsuntersuchung, mSEU). Dazu erfolgte bei allen Kindern des Einschuljahrgangs 2021 die flächendeckende Erfassung des Impfstatus und der Vorsorgeuntersuchungen durch Vorlage der entsprechenden Unterlagen beim GSR mit anschließender medizinisch-fachlicher Beurteilung. Kinder mit Untersuchungsbedarf, insbesondere Kinder mit fehlender altersentsprechender Vorsorgeuntersuchung, Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen oder vorhandenem Beratungswunsch der Eltern, konnten identifiziert und zur persönlichen Untersuchung eingeladen werden. Die Eltern von Kindern ohne dringenden Untersuchungs- oder Beratungsbedarf erhielten den erforderlichen Mitteilungsbogen zur Vorlage bei der Grundschule per Post.
Frage 1:
Wie viele Kinder in München hätten bis dato untersucht werden müssen? Bitte Soll-Zahl für das Untersuchungsjahr 2020/2021 pro Stadtbezirk angeben.
Antwort:
Die Daten der Kinder, die an der Schuleingangsuntersuchung teilnehmen, werden dem GSR von der AKDB (Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern) als Datenexport zur Verfügung gestellt. Am Anfang eines Untersuchungsjahres erfolgt der erste Datenabzug, der die Grundlage derUntersuchungszahl des Jahrgangs bildet. Jeden Monat erfolgt ein weiterer Datenexport, der aktualisierte Zahlen enthält (Veränderungen ergeben sich zum Beispiel durch Zu- und Wegzüge, Todesfälle). Die Gesamtzahl der zu untersuchenden Kinder entspricht am Ende des Untersuchungsjahres also nicht der Anzahl der am Anfang des Untersuchungsjahres gemeldeten Kinder.
Modifizierte Schuleingangsuntersuchung (mSEU), Einschulung 2021:
Von der AKDB wurden für die mSEU (Geburtskohorte 1.10.2014 bis 30.9.2015) zu Beginn des Untersuchungsjahres 2020/2021 Daten von 14.276 Kindern an das GSR übermittelt.
Von diesen Kindern waren bereits 1.066 Kinder im Vorjahr (Untersuchungsjahr 2019/2020) im Rahmen der rSEU untersucht worden.
Reformierte Schuleingangsuntersuchung (rSEU), Einschulung 2022:
Von der AKDB wurden für die rSEU (Geburtskohorte 1.10.2015 – 30.9.2016) zu Beginn des Untersuchungsjahres 2020/2021 Daten von 14.801 Kindern an das GSR übermittelt.
Leider können Angaben zu Soll-Zahlen pro Stadtbezirk mit dem Datensatz der Schuleingangsuntersuchung nicht erfolgen, da die vorliegenden Daten keine Zuordnung zu den Stadtbezirken ermöglichen.
Frage 2:
Wie viele Kinder wurden bis dato untersucht? Bitte Ist-Zahl für das Untersuchungsjahr 2020/2021 pro Stadtbezirk in absoluten Zahlen und Anteil an der Soll-Zahl in Prozent angeben.
Antwort:
Modifizierte Schuleingangsuntersuchung (mSEU), Einschulung 2021:
Am Ende des Untersuchungsjahres 2020/2021 ergab sich für die SEU (Geburtskohorte 1.10.2014 bis 30.9.2015) eine Gesamtzahl von 14.141 zu untersuchenden Kindern.
-1.066 Kinder waren bereits im Vorjahr im Rahmen der rSEU untersucht worden.
-Alle anderen Kinder des Jahrgangs wurden angeschrieben.
-1.750 Kinder konnten nicht erreicht werden, die Daten dieser Kinder werden dem Jugendamt entsprechend der gesetzlichen Vorgabe (Art. 14 GDVG) gemeldet.
Im Untersuchungsjahr 2020/2021 wurde die SEU bei 12.391 Kindern
durchgeführt, das entspricht 88% der von der AKDB zum Ende des Untersuchungsjahres gemeldeten Kinder.Reformierte Schuleingangsuntersuchung (rSEU), Einschulung 2022:
Am Ende des Untersuchungsjahres 2020/2021 ergab sich für die rSEU (Geburtskohorte 1.10.2015 bis 30.9.2016) eine Gesamtzahl von 14.382 zu untersuchenden Kindern.
Im Untersuchungsjahr 2020/2021 wurden 9.689 Kinder im Rahmen der rSEU im GSR untersucht. Das entspricht 67% der von der AKDB zum
Ende des Untersuchungsjahres gemeldeten Kinder. 780 Kinder konnten bisher nicht erreicht werden, die Daten dieser Kinder werden dem Jugendamt entsprechend den gesetzlichen Vorgabe (Art. 14 GDVG) gemeldet. Für die 3.913 Kinder, die bisher noch nicht berücksichtigt werden konnten, wird seit September 2021 das modifizierte Untersuchungsverfahren durchgeführt (siehe Frage 3).
Frage 3:
Wie werden ausstehende Untersuchungen der jeweiligen Kinder nachgeholt?
Antwort:
Modifizierte Schuleingangsuntersuchung (mSEU), Einschulung 2021:
Alle Kinder, die im September 2021 schulpflichtig geworden sind, sind vom GSR zur Teilnahme an der Gesundheitsuntersuchung (reformiert im Untersuchungsjahr 2019/2020 oder modifiziert im Untersuchungsjahr 2020/2021) eingeladen worden. Einzelne Untersuchungen fanden aus Termingründen noch bis Mitte Oktober diesen Jahres statt.
Mithilfe des modifizierten Verfahrens wurde der komplette Jahrgang erreicht. Kinder, deren Sorgeberechtigte sich trotz dreifachem Anschreiben nicht meldeten, wurden an das Jugendamt gemeldet.
Reformierte Schuleingangsuntersuchung (rSEU), Einschulung 2022:
Für Kinder, die im Untersuchungsjahr 2020/2021 noch nicht zur rSEU eingeladen werden konnten, wird die modifizierte Schuleingangsuntersuchung durchgeführt. Die Familien erhalten ein Schreiben, in dem sie gebeten werden, die erforderlichen Dokumente (Impfpass, Nachweis über die altersentsprechende Vorsorgeuntersuchung U8 oder U9) beim GSR vorzulegen. Nach der Vorlage werden die eingereichten Dokumente medizinisch-fachlich beurteilt und der Bedarf einer anschließenden Untersuchung im GSR geprüft. Ergibt sich kein Bedarf für eine persönliche Vorstellung im GSR kann die notwendige Bescheinigung zur Vorlage bei der Grundschule per Post verschickt werden.Es ist das erklärte Ziel, die Schuleingangsuntersuchungen für diesen Einschuljahrgang bis Ende 2021 abzuschließen, um zukünftig allen Kindern ausschließlich die reformierte Schuleingangsuntersuchung anbieten zu können.
Frage 4:
Wie hat sich die Anzahl der Schuleingangsuntersuchungen im Vergleich zum Untersuchungsvorjahr 2018/2019 und 2019/2020 entwickelt?
Antwort:
Im Durchschnitt rechnet das GSR jährlich mit einer Zunahme der schulpflichtigen Kinder von ca. 3% (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06764 „Schulgesundheit“). Die u.g. Angaben beziehen sich jeweils auf den Erstabzug der AKDB-Daten des jeweiligen Jahrgangs am 1. September. Zur Verdeutlichung der Zunahme wurden im Folgenden auch die Zahlen des Untersuchungsjahrganges 2010/2011 aufgeführt.
Untersuchungsjahr 2010/11 (Einschuljahrgang ES 11):11.100
usw. bis:
Untersuchungsjahr 2018/19 (Einschuljahrgang ES 19):14.375
Untersuchungsjahr 2019/20 (Einschuljahrgang ES 20):14.360
Untersuchungsjahr 2020/21 (Einschuljahrgang ES 21):14.276
Untersuchungsjahr 2021/22 (Einschuljahrgang ES 22):14.801
Untersuchungsjahr 2022/23 (Einschuljahrgang ES 23):14.810
Frage 5:
Welche Entwicklungsdefizite oder gesundheitsbezogenen Auffälligkeiten wurden in den Jahren 2020 und 2021 in welcher Zahl festgestellt und welche Handlungsbedarfe leitet das Gesundheitsreferat daraus ab?
Antwort:
Die vom GSR in der Schuleingangsuntersuchung erfassten Daten werden am Ende eines jeden Untersuchungsjahres an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) übermittelt. Im Rahmen der Aufgaben der landesweiten Gesundheitsberichterstattung (nach Art. 10 GDVG) werden die Daten geprüft, analysiert und in Berichtsform veröffentlicht. Erst nach Veröffentlichung des Berichts wird der bereinigte Datensatz an das GSR zurück übermittelt. In der Regel erhält das GSR die bereinigten Daten des LGL zwei bis drei Jahre nach Abschluss des Untersuchungsjahres zurück und kann die Daten im Anschluss für andere Zwecke verwenden. Leider liegen uns die bereinigten Daten aus dem Untersuchungsjahr 2020/2021 noch nicht vor.Vorläufige Daten aus dem internen Qualitätsmanagement sowie die fachliche Einschätzung der bei der Gesundheitsuntersuchung tätigen Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräfte und der Fachärzt*innen für Kinder- und Jugendmedizin zeigen Hinweise auf eine Zunahme der Häufigkeiten in den Bereichen mangelnde Deutschkenntnisse, fehlende häusliche Förderung, psychosoziale Belastungsfaktoren, mangelnde soziale Teilhabe, Verdacht auf psychische Erkrankungen, Adipositas und fehlende kinderärztliche Anbindung.
Durch die Corona-Pandemie hat sich die sozial bedingte Ungleichheit bei Kindern verstärkt. Mehr Kinder als in den Vorjahren zeigen insbesondere Defizite bei den Deutschkenntnissen und Entwicklungsrückstände sowie Folgen des Bewegungsmangels. Andere Familien waren auch während der Corona-Pandemie in der Lage, die Gesundheit und Entwicklung ihrer Kinder trotz Lockdown und Wegfall der Kindertagesbetreuung sicherzustellen. Im Rahmen der konsequenten Umsetzung der gesetzlich verpflichtenden Schuleingangsuntersuchung konnten einige besonders schwere Kinderschutzfälle erkannt, geeignete Maßnahmen etabliert und Kindeswohlgefährdungen abgewendet werden. In den hier betrachteten Fällen handelte es sich überwiegend um Familien, deren Kinder aufgrund der pandemischen Situation aus dem institutionellen Blick verschwunden waren.
Die Einführung und Umsetzung der reformierten Gesundheitsuntersuchung zur Einschulung mit dem früheren Untersuchungszeitpunkt bereits im vorletzten Kindergartenjahr ist eine große Chance, um Kinder mit Förder- und Therapiebedarfen noch vor dem Schuleintritt ausreichend unterstützen zu können. Ihre fortgesetzte zeitnahe Umsetzung ist wichtiger denn je. Sie wirkt im Sinne der gesundheitlichen Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.
Weitere Handlungsbedarfe bestehen im Auf- und Ausbau der Unterstützungsangebote für Familien mit jüngeren Kindern mit Übergewicht und Adipositas, für Angebote der frühen Sprachförderung und deren konsequente Durchführung, für mehr Plätze in Heilpädagogischen Tagesstätten (HPT) und schulvorbereitenden Einrichtungen (SVE) sowie für kinder- und jugendpsychiatrische Therapieangebote.
Frage 6:
Inwieweit wird im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung auch das Thema Corona-Schutzimpfung thematisiert und Eltern eine Schutzimpfung gegen COVID-19 angeboten?
Antwort:
Im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung zur Einschulung erfolgt regelhaft die Überprüfung des Impfstatus der Kinder. Die darauf aufbauende individuelle Beratung und ggf. Impfempfehlung orientiert sich für sämtliche Impfungen im Kindesalter an den aktuellen Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO).
Zum aktuellen Zeitpunkt sind Corona-Schutzimpfungen in der Altersgruppe unter 12 Jahren noch nicht zugelassen. Bei Beratungsbedarf und ggf. Impfwunsch der Eltern wird auf die vielfältigen Impfmöglichkeiten der Landeshauptstadt München hingewiesen.
Frage 7:
Laut einer Antwort aus dem Gesundheitsreferat: „Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)1“ gab es zum Stichtag 1.6.2021 im Gesundheitsdienst 30 unbesetzte Stellen. Wie viele personelle Vakanzen fallen hiervon auf den Schulärztlichen Dienst?
Antwort:
Zum Stichtag 1.6.2021 waren beim Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) 30 Stellen unbesetzt. Hiervon fallen auf den Schulärztlichen Dienst 3,25 vollzeitäquivalente Stellen.