Das Münchner Stadtmuseum restituiert eine Nymphenburger Porzellandose an die Erben der Familie des Wiener Textilhändlers Heinrich Rothberger. Proaktive Recherchen des Münchner Stadtmuseums kamen zu dem Ergebnis, dass das Objekt Heinrich Rothberger 1938 entzogen worden war. Die Landeshauptstadt München hat sich zu den „Washington Principles“ bekannt und damit verpflichtet, die eigenen Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu prüfen und an die rechtmäßigen Eigentümer beziehungsweise deren Nachfahren zurückzugeben und eine „faire und gerechte Lösung“ zu finden.
Das Münchner Stadtmuseum hatte die Porzellandose am 18. November 1938 auf einer Auktion des Auktionshauses Hans W. Lange in Berlin erworben. Es handelt sich um eine Dose für Tabak mit dem Reliefkopf des bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph. Sie wurde von Dominikus Auliczek d. Ä. für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur hergestellt und stammte aus der bedeutenden Porzellansammlung von Heinrich Rothberger, einem jüdischen Textilfabrikanten aus Wien. Heinrich Rothberger wurde 1868 in Wien geboren und übernahm 1899 zusammen mit seinen Brüdern Moritz und Alfred die Leitung des Textilunternehmens Jacob Rothberger. Gemeinsam führten sie ein Warenhaus direkt gegenüber dem Stephansdom im Zentrum von Wien. Heinrich Rothberger besaß eine bedeutende Kunstsammlung, darunter über 300 Stücke aus Porzellan. Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 begann auch dort die Verfolgung jüdischer Mitbürger. Im Frühjahr 1938 wurde Heinrich und Ella Rothbergers ältester Sohn Johann ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, um die Familie zur Abgabe ihres Geschäftes zu zwingen. Im November 1938 kam es zur Übernahme der Firma Jacob Rothberger durch einen nicht-jüdischen Besitzer. In der Folge wurden die Firmenanteile der Familie direkt an die Finanzbehörden ausgezahlt, gleichzeitig mussten sie hohe Schulden übernehmen.
Um diese Zwangsabgaben begleichen zu können, war Heinrich Rothberger gezwungen, einen Teil seiner Porzellansammlung zu verkaufen. Am 18. und 19. November 1938 wurden insgesamt 80 Lose im Auktionshaus Hans W. Lange versteigert, darunter auch die Tabakdose. Über die dort erzielte Summe konnte Heinrich Rothberger jedoch nicht frei verfügen. Auf alle noch folgenden Verkäufe von Kunstgegenständen und Liegenschaften wurden Schulden, Reichsfluchtsteuer und fingierte Abgaben auferlegt. Im Februar 1939 wurde Heinrichs Sohn, Johann Rothberger aus dem Konzentrationslager entlassen und bereitete sofort seine Emigration vor. Am 2. November 1941 verließen Heinrich und seine Frau Ella Rothberger Wien und gelangten über Barcelona nach Kuba.
Mit der Unterstützung von Kolleg*innen aus der Provenienzforschung in Wien konnte der verfolgungsbedingte Entzug der Porzellandose zweifelsfrei nachgewiesen werden. Das Münchner Stadtmuseum gibt das Objekt an die Nachfahren der Familie Rothberger, die heute in Amerika leben, zurück.