„Ärztin/Arzt an der Schule“ während der Corona Pandemie
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 23.9.2021
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Präventive Maßnahmen und die Stärkung von Gesundheitskompetenzen von Schüler*innen werden immer wichtiger. Die Schulgesundheitspflege hat das Ziel, ‚(…) gesundheitliche Störungen vorzubeugen, sie frühzeitig zu erkennen und Wege für deren Behebung aufzuzeigen.‘ (Art. 14 Abs. 5 GDVG). Sie besitzt eine Screening-Funktion, hilft vulnerable Personengruppen zu identifizieren, beteiligt sich an der Konzeption von passenden sozialmedizinischen Angeboten und trägt damit zu mehr gesundheitlicher Chancengleichheit bei¹. Bisher ist der Stand der Umsetzung, Einsatzfelder, Konzepte und mögliche Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie unklar.“
1 Beschlussvorlage Vorlagen Nr.: 14-20/V 06764“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Zunächst bedanke ich mich für die Fristverlängerung und kann jetzt die einzelnen Punkte Ihrer Anfrage unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Referates für Bildung und Sport und des Sozialreferates wie folgt beantworten:
Frage 1:
Wie viele Ärzt*innen sind im Rahmen der kommunalen Gesundheitsvorsorge in Schulen derzeit im Einsatz?
Antwort:
Das Team des Sachgebietes Schulgesundheit besteht aus Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*innen (22,06 VZÄ) und Fachärzt*innen für Kinder- und Jugendmedizin (17,08 VZÄ).
Das Sachgebiet Schulgesundheit des Gesundheitsreferates ist für die gesetzlichen Aufgaben der Schulgesundheitspflege zuständig. Diese sind vor allem die Schuleingangsuntersuchung und das Angebot der schulärztlichen Sprechstunde. Aktuell werden ca. 15.000 Kinder jährlich zur reformierten Schuleingangsuntersuchung in das Gesundheitsreferat eingeladen. Die schulärztliche Sprechstunde steht allen ca. 175.000 Schüler*innen von allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in München täglich im Gesundheitsreferat in der Bayerstraße zur Verfügung. In der schulärztlichenSprechstunde finden Beratungen und Untersuchungen im Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen und Schulversäumnissen statt, in enger Kooperation mit den Schulen und mit der Jugendhilfe. Bei Bedarf werden die behandelnden Ärzt*innen und Therapeut*innen einbezogen und die Suche nach geeigneten Hilfsangeboten unterstützt. Darüber hinaus werden im Rahmen der Schulärztlichen Sprechstunde Fachkräfte an den Schulen hinsichtlich gesundheitlicher Themen beraten. Die schulärztliche Sprechstunde leistet einen wesentlichen Beitrag zur kommunalen Gesundheitsvorsorge in den Schulen.
Neben diesen großen schulgesundheitlichen Aufgaben führt das Gesundheitsreferat seit dem Schuljahr 2012/13 ein intensiviertes schulärztliches Angebot an einigen Mittelschulen durch. Im Rahmen des Konzeptes „Ärztin / Arzt an der Schule“ sind sieben Ärzt*innen einen Tag/Woche in der ihnen zugeteilten Mittelschule vor Ort tätig. Das Konzept wurde im Juni 2012 (SV 08-14/V 09354) vom Stadtrat beschlossen.
Frage 2:
An welchen und wie vielen Schulen kommen die Ärzt*innen derzeit zum Einsatz?
Antwort:
Im Konzept „Ärztin/Arzt an der Schule“ werden aktuell sieben Mittelschulen schulärztlich betreut. Diese sind:
-Mittelschule an der Rockefellerstraße
-Mittelschule an der Ridlerstraße
-Mittelschule an der Elisabeth-Kohn-Straße
-Mittelschule an der Schleißheimerstraße
-Mittelschule an der Perlacher Straße
-Mittelschule an der Blumenaustraße
-Mittelschule an der Lehrer-Wirth-Straße
Frage 3:
Inwiefern änderte die Corona-Pandemie das Konzept „Ärzt*innen an der Schule“ bzw. die kommunale Gesundheitsvorsorge an Schulen konkret?
Antwort:
Die Tätigkeit vor Ort an den Schulen wurde mit dem ersten „Lockdown“ im März 2020 unterbrochen. Das ärztliche Personal des Gesundheitsreferates wurde zunächst vollständig und bis ins Schuljahr 2020/21 überwiegend in der Pandemiebekämpfung eingesetzt. Während der Schulschließungen war keine kontinuierliche schulärztliche Arbeit in den Schulen möglich.Konkret konnten die im Konzept vorgesehene wöchentliche schulärztliche Sprechstunde in der Schule, das Angebot von Klassenuntersuchungen in den Schulen, Beratung von Fachkräften vor Ort in der Schule und die Beteiligung am Gesundheitsunterricht während dieser Zeiten nicht stattfinden. Die zuständigen Schulärzt*innen blieben während des „Lockdowns“ und den Schulschließungen im regelmäßigen Kontakt mit den Schulen, schul-ärztliche Beratungen fanden telefonisch statt, erforderliche Untersuchungen wurden in der zentralen Schulärztlichen Sprechstunde ermöglicht. Die Wiederaufnahme der schulgesundheitlichen Aufgaben findet seither unter Berücksichtigung der notwendigen Schutz- und Hygienemaßnahmen und entsprechend den personellen Ressourcen statt.
Frage 4:
Konnten die „vor Ort“ Angebote in den Schulen während der Corona-Pandemie aufrechterhalten werden?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 3.
Frage 5:
Wie bewertet das Gesundheitsreferat die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die evtl. fehlende Prävention auf die jeweiligen Schüler*innen von Grund-, Mittel-, Realschule und Gymnasium?
Antwort:
Die negativen Folgen der Corona-Pandemie für die Kinder- und Jugendgesundheit wurden u.a. mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der COPSY-Studie (erste deutschlandweite Längsschnittstudie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise) eindrücklich bekannt gemacht. 85% der Kinder und Jugendlichen fühlten sich bei der zweiten Befragung im Dezember 2020 bis Januar 2021 psychisch belastet, bei fast einem Drittel ergaben sich Hinweise für psychische Auffälligkeiten. Betroffen waren dabei vor allem Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen. Die Auswertung der Daten von 800.000 Kindern und Jugendlichen durch die Krankenkasse DAK-Gesundheit ergab einen Anstieg von psychischen Erkrankungen und Adipositas als Ursachen für eine stationäre Behandlung während der „Shutdowns“.
Die gesundheitlichen Folgen der mangelnden sozialen Teilhabe, der mangelnden altersentsprechenden Förderung und der verzögerten Einleitung von erforderlichen ärztlich-therapeutischen Maßnahmen betreffen Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringen Ressourcen ungleich schwerer.Das Gesundheitsreferat kann diese Beobachtungen durch die aktuellen Erfahrungen in allen kinder- und jugendgesundheitlichen Aufgabenbereichen bestätigen. Neben der hohen Dringlichkeit für den Ausbau von entsprechenden Versorgungsangeboten für Kinder und Jugendliche besteht damit selbstverständlich auch ein gestiegener Bedarf für gesundheitliche Präventionsarbeit. Die zügige Wiederaufnahme der schulärztlichen Angebote kann neben anderen Präventionsprogrammen und Interventionen vor Ort in den Schulen einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung von negativen Folgen der Pandemie und für die gesundheitliche Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen leisten.
Frage 6:
Welche Rolle und Auswirkungen hat das Urteil vom Bundessozialgericht, auf die kommunale Gesundheitsvorsorge in Schulen in München, vom 18. Mai 2021, laut dem Krankenkassen die Präventionsarbeit an Kitas und Schulen nicht mitfinanzieren müssen (Aktenzeichen B 1 A 2/20 R)?
Antwort:
In diesem Urteil hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass der GKV-Spitzenverband die vom Gesetzgeber angeordneten Zahlungen an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) verweigern durfte, weil die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften in § 20 a Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB V verfassungswidrig sind.
Die Regelungen über die Beauftragung und Vergütung der BZgA versto-ßen demnach gegen Art. 87 Abs. 2 Grundgesetz. Der Bundesgesetzgeber müsse die Selbstständigkeit der Sozialversicherungsträger wahren und dürfe seinen eigenen Behörden keine Aufgaben der Sozialversicherung übertragen. Die Beitragsmittel der Versicherten dürften allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung und nicht zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfes eingesetzt werden.
Das Urteil hat keine Auswirkungen auf die kommunale Gesundheitsvorsorge in Schulen in der Landeshauptstadt München.