Verkehrsreduzierung um 30% durch gefördertes Homeoffice
Antrag Stadtrat Hans Hammer (CSU-Fraktion) vom 27.10.2020
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
Da es sich im vorliegenden Fall um eine laufende Angelegenheit der Verwaltung (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO, § 22 GeschO) handelt, die nicht gemäß § 60 Abs. 9 GeschO im Stadtrat zu behandeln ist, erlaube ich mir, Ihren Antrag anstelle einer Stadtratsvorlage als Brief zu beantworten.
Die Corona-Pandemie dominiert nun seit fast zwei Jahren das Wirtschafts- und Arbeitsleben in Deutschland und weltweit. Auch die Entwicklungen im Bereich Homeoffice und Mobilitätsverhalten sind von der Krise substantiell geprägt und können nur vor deren Hintergrund betrachtet werden. Zur Zeit lassen sich dabei zwei Trends beobachten:
1. Der Ausbau des Homeoffices schreitet pandemiegetrieben stetig
voran
Aktuell gelten gerade in Bayern angesichts der 4. Welle wieder strenge Corona-Regeln, die die Unternehmen und damit die Arbeitnehmer*innen dazu aufrufen, wo es betrieblich möglich und praktisch umsetzbar ist, vom Homeoffice aus zu arbeiten und nicht täglich zu ihren jeweiligen Arbeitsstätten zu pendeln. Laut den Regeln des Infektionsschutzgesetzes gilt diese Homeoffice-Pflicht ab dem 24.11.2021.
Gleichzeitig bescheinigen neuere Studien, dass viele Beschäftigte und zahlreiche Unternehmen mit dem Arbeitskonzept Homeoffice durchaus zufrieden sind und sich auch ohne staatliche Vorschriften künftig ein Hybridmodell aus Präsenz im Büro und Homeoffice wünschen. Die Akzeptanz von Homeoffice hat sich also infolge der Pandemie deutlich erhöht.
Laut einer Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation sind 85 Prozent der Beschäftigten, die Homeoffice nutzen, mit ihrer Situation zufrieden. Die Nutzung der im Homeoffice eingesetzten Technik macht der Mehrheit keine Schwierigkeiten. Nur etwa jeder Zehnte gibt an, Probleme damit zu haben. Sieben von zehn Arbeitnehmer*innen, die Homeoffice bei ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich halten, wünschen sich auch nach der Corona-Krise mehr Homeoffice als vor der Krise.
Auch auf Seiten der Arbeitgeber wird das Homeoffice positiv gewertet. Forscher des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft undOrganisation (IAO) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung haben für ein Lagebild die Stimmung in rund 500 Unternehmen abgefragt. Ergebnis: Fast die Hälfte (42 Prozent) hat schon beschlossen, die Möglichkeiten, von zu Hause aus zu arbeiten, nach der Corona-Krise noch auszuweiten. Ein ebenso großer Anteil ist zwar noch unentschlossen, zurück zu weniger Homeoffice will aber kaum ein Unternehmen, heißt es in der im Juli 2021 veröffentlichten Studie.
Viele Unternehmen in München reagieren auf die geänderten Arbeitswelten mit diversen hybriden Arbeitsplatzmodellen und insbesondere mit damit verbundenen innovativen Büroflächenkonzepten. Sie sehen dabei insbesondere eine Chance, ihre zur Verfügung gestellten Büroflächen vor Ort zu verkleinern und damit in deutlichem Maße Kosten einzusparen. Ein Beispiel hierfür ist die Landeshauptstadt München selber, die aktuell im Rahmen der Beschlussvorlage des Direktoriums am 13.10.2021 im Verwaltungs- und Personalausschuss „Konzept für die zukünftige Arbeitsgestaltung im Verwaltungsbereich der Landeshauptstadt München – öffentlicher Teil – Verwaltung fit für die Zukunft machen“ neue Wege der Arbeitsgestaltung einschlägt und dabei gleichzeitig das Büroflächenangebot um 15 Prozent verringern will.
Eine finanzielle Förderung der Unternehmen bzw. letztlich der Beschäftigen als Anreiz, die Homeofficearbeit weiter auszubauen, erscheint vor dieser Entwicklung entbehrlich und ist im übrigen angesichts der nach wie vor pandemiebedingten hohen Ausgaben im Münchner Haushalt auch nicht darstellbar.
2. Die Pandemie und die damit verbundene Ausweitung des Homeoffices führt zu einem gesunkenen Verkehrsaufkommen, aber auch zu einer ungewünschten Veränderung des Modalsplits zugunsten des individuellen Straßenverkehrs
Zu den Veränderungen im Verkehrsaufkommen bzw. beim Mobilitätsverhalten im Rahmen der Pandemie bzw. des Lockdowns und des damit
verbundenen vermehrten Homeoffices gibt es schon erste Studien. Zum Beispiel hat der Planungsverband äußerer Wirtschaftsraum München entsprechende Daten zum Corona-Jahr 2020 veröffentlicht:
Demnach ist die Mobilität der Bevölkerung seit März 2020 insgesamt vor allem während der Lockdown-Phasen, die ja jeweils auch mit dem Ausbau des Homeoffices verbunden waren, deutlich zurückgegangen. An einigen Tagen während der härtesten Phasen des Lockdowns handelt es sich um einen Rückgang von bis zu über 60 Prozent der Mobilität in Bayern. VonJuli bis Oktober 2020 entsprach die Mobilität allerdings wieder etwa dem Vorjahresniveau.
In der aktuellen Corona-Situation ergibt sich bei dieser wünschenswerten Senkung des Verkehrsaufkommens durch vermehrtes Homeoffice jedoch eine Sondersituation hinsichtlich des Verkehrsverhaltens der Berufspendler:
Wie Zahlen der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und Informationen der Deutschen Bahn (DB) belegen, ist insbesondere die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) stark zurückgegangen. Setzt man für die Fahrgäste der MVG den Durchschnitt der Monate Januar und Februar 2020 vor dem ersten Lockdown gleich 100, so zeigt sich, dass insbesondere im Frühling ein starker Nutzungseinbruch zu verzeichnen war: Im April 2020 erreichten die Fahrgastzahlen nur 27 Prozent vom Winterwert. Von diesem Lockdown-Effekt hat sich der ÖPNV dann nicht mehr erholt: Seit dem Sommer 2020 erreichte das Nachfrage-Niveau nach Fahrten in Münchner Bussen, Tram- und U-Bahnen etwa zwei Drittel des Normalverkehrs. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich im MVV: Mit Beginn der zunehmenden Einschränkung des öffentlichen Lebens in Deutschland im März 2020 sind auch die Fahrgastzahlen der S-Bahn München mit bis zu 90 Prozent drastisch zurückgegangen. Mit Wiederaufnahme des Schulbetriebs und der Wiedereröffnung des Handels im Mai lagen die Fahrgastzahlen über die Sommermonate hinweg bei ca. 60 bis 70 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau.
Auch im Straßenverkehr sank 2020 bundesweit vor allem während des Lockdowns von März bis Mai das Verkehrsvolumen im Vergleich zum Vorjahr. Daten von Dauerzählstellen entlang von Bundesstraßen und -autobahnen zeigen insgesamt eine Reduktion um bis zu 25 Prozent – vor allem „Leichtfahrzeuge“ bis 3,5t Gewicht wurden weniger gezählt. Außerhalb des Lockdowns entsprach der Straßenverkehr jedoch in etwa dem Vorjahresniveau.
Diese Ergebnisse, die eine deutliche Verschiebung des Modalsplits zeitigen, werden durch die vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) konzipierte Panel-Studie „Mobilität in Krisenzeiten“ bestätigt. In der Studie werden dieselben Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt, um die Pandemie-bedingten Veränderungen des Mobilitätsverhaltens zu messen.
Die ersten drei Erhebungen haben im Jahr 2020 stattgefunden. Die aktuellste vierte Erhebung wurde vom 28.4. bis 10.5.2021 durchgeführt. Ausgewählte Ergebnisse aus der vierten Befragung:- Der öffentliche Verkehr ist der Verlierer der Pandemie. Die Zahl derer, die ihn seltener als vor Beginn der Pandemie nutzen, ist unvermindert hoch.
- Die Menschen gehen längerfristig von einer geringeren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus. Diese Erwartung hat insbesondere bei den Personen deutlich zugenommen, die vor der Pandemie zumindest gelegentlich, das heißt mindestens einmal pro Monat, mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren.
- Die Routinen der Autonutzung verfestigen sich auf einem Niveau, das deutlich höher liegt als vor der Pandemie. Ein großer Anteil der vormals Multimodalen ist nunmehr ausschließlich mit dem Pkw unterwegs.
Die DLR-Verkehrsforscher*innen kommen zum Schluss: „Im Lauf der Pandemie haben sich Veränderungen im Mobilitätsverhalten gefestigt und stabilisiert. Neue Routinen sind entstanden. Die Auto-Nutzung ist konstant auf einem hohen Niveau. Die öffentlichen Verkehrsmittel bleiben geschwächt. Es braucht einen sehr klaren Anstoß, diese neuen Routinen wieder zu ändern. Denn sonst hat es die Verkehrswende noch schwerer.“
Fazit:
- Mit dem Ausbau des Homeoffices lässt sich nachweislich eine Reduktion der Pendlerverkehre in München erreichen.
- Die Entwicklung zu sogenannten „new work“ wird dabei sowohl von den Unternehmen als auch von den Beschäftigten aktiv vorangetrieben und braucht keine öffentliche, finanzielle Förderung.
-Vor dem Hintergrund der Pandemie ist die erreichte Senkung des Verkehrsaufkommens mit einer verkehrspolitisch unerwünschten Verlagerung auf den motorisierten Individualverkehr einhergegangen.
-Um die angestrebte Verkehrswende langfristig zu erreichen, müssen deshalb nach der Pandemie verstärkt Anreize geschaffen werden, dass die Münchner Pendlerinnen und Pendler wieder regelmäßig und zuverlässig den öffentlichen Personennahverkehr benutzen.
Ich bitte Sie, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis zu nehmen, und hoffe, dass Ihr Antrag zufriedenstellend beantwortet ist und als erledigt gelten darf.