Wie nutzt die Stadt die Forschungsergebnisse der SEEWOLF-Studie?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 12.11.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 12.11.2020 führen Sie Folgendes aus:
„Die Landeshauptstadt München unterstützte die 2014 vorgestellte SEE- WOLF-Studie (Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Großraum München). Mit Beschluss vom 22.11.2018 erfolgte eine Beauftragung des Sozialreferates zur Umsetzung dreier Punkte, die die Situation psychisch kranker wohnungsloser Menschen betreffen.“
Die Anfrage konnte nicht innerhalb der geschäftsordnungsmäßigen Frist erledigt werden, da sie eine umfangreiche Fragestellung beinhaltet. Aufgrund interner Abstimmungen sowie Recherchearbeiten und der derzeitigen Arbeitsbelastung war die Beantwortung im vorgegeben Zeitrahmen nicht möglich.
Zu Ihrer Anfrage vom 12.11.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Hat sich das Sozialreferat mit der Situation und den Bedarfen von psychisch kranken wohnungslosen Menschen mit Migrationshintergrund im Sofortunterbringungssystem der Landeshauptstadt München näher befasst? Welche Maßnahmen wurden diesbezüglich veranlasst? Welche Erkenntnisse gibt es bereits?
Antwort:
Wie im Beschluss des Sozialausschusses vom 22.11.2018 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13106) dargestellt, ist aufgrund der Zunahme von Menschen mit Migrationshintergrund im Wohnungslosenhilfebereich eine Vernetzung der Wohnungslosenhilfe mit migrationsrelevanten Diensten und Organisationen dringend erforderlich.
In der Wohnungslosenhilfe vollzieht sich die Soziale Arbeit mit und für Zuwanderer*innen und Menschen mit Migrationshintergrund als Querschnittsaufgabe im Regelangebot der Einrichtungen und Dienste und erfordert daher verstärkt eine interkulturelle Öffnung dieser Dienste und ihrer Angebote. Um dem Bedarf dieser wachsenden Zielgruppe gerecht werden zu können, ist eine entsprechende Qualifizierung der Mitarbeiter*innennotwendig. Das städtische Angebot der Interkulturellen Qualitätsentwicklung (IQE) wurde speziell für die Schulung der Einrichtungen der akuten Wohnungslosenhilfe für drei Jahre, von 2018 – 2020 aufgestockt. Siehe Beschlussvorlage Nr. 14–20/V 08927 vom 23.11.2017. Eine weitere Aufstockung des IQE-Schulungsangebotes ganz speziell für die Wohnungslosenhilfe wurde aber mit Beschlussvorlage Nr. 20–26/V 00313 vom 10.12.2020 aufgrund der derzeit schwierigen Haushaltslage abgelehnt.
In allen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe besteht die Möglichkeit, Dolmetscherdienste hinzuzuziehen. Die Fachsteuerung kann hierfür ein Zuschussbudget zur Verfügung stellen. Zudem stehen dem Gesundheitsreferat über einen Stadtratsbeschluss („München gegen Armut“ – Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 16433 vom 27.11.2019) Mittel zur Verfügung, um Dolmetschereinsätze in niedergelassenen Praxen und in Kliniken zu finanzieren. Diese Einsätze sind auch in allen ärztlichen Anlaufstellen für wohnungslose Menschen (Arztpraxis im Haus an der Pilgersheimerstraße, Arztpraxis im Haneberghaus von St. Bonifaz, Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung) möglich.
Nach wie vor ist die Untersuchungslage im Hinblick auf die Situation und die Bedarfe von psychisch kranken wohnungslosen Menschen mit Migrationshintergrund auf wissenschaftlicher Basis niedrig. Dies trifft auf die gesamte Bundesrepublik und nicht nur auf die Landeshauptstadt München zu. Spezifische Besonderheiten der Zielgruppe gestalten die Durchführung von Untersuchungen als methodisch schwierig1.
Langfristig müssen in den Betreuungskonzepten sowie im Betreuungsansatz notwendige Korrekturen vorgenommen werden, um den Bedarfen der Zielgruppe gerecht zu werden. Hierbei ist es Ziel, die Vernetzung und Kooperation der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe mit den Migrationsdiensten auszubauen und die Vermittlung an bestehende Regelangebote (wie z.B. Psychologischer Dienst für Ausländer (Caritas), Psychologischer Dienst Migration (AWO), Migrationsambulanz LMU Nussbaumstraße) zu fördern.
Frage 2:
Wurde das Untersuchungsdesign der geplanten Studie zur Lebenswelt von minderjährigen Kindern und jungen Volljährigen im Sofortunterbringungssystem erarbeitet?
Antwort:
Aufgrund der derzeitigen Haushaltssituation ist die geplante Umsetzung für die Jahre 2021/2022 leider nicht möglich. Von Seiten der Fachsteuerungist eine Durchführung nach wie vor geplant und wird inhaltlich als prioritär gesehen. Eine vertiefte Konzeption und Umsetzung erfolgt, sobald es die Haushaltssituation zu lässt.
Frage 3:
Wurde die Studie bereits in Auftrag gegeben?
Antwort:
Siehe Frage 2.
Frage 4:
Bis wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?
Antwort:
Siehe Frage 2.
Frage 5:
Welche Vorschläge erarbeitete das Sozialreferat gemeinsam mit den Akteuren der Wohnungslosenhilfe und dem Referat für Gesundheit und Umwelt zu den Problemlagen, die sich in der Versorgung psychisch kranker wohnungsloser Menschen ergeben?
Antwort:
Im Beschluss des Sozialausschusses SEEWOLF-Studie (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13106 vom 22.11.2018) wurde das Sozialreferat beauftragt, gemeinsam mit den o.g. Akteuren eine geeignete Diskussionsform sowie die Problemlagen, die sich in der Versorgung psychisch kranker wohnungsloser Menschen ergeben, zu diskutieren und Vorschläge zu erarbeiten. Hierzu haben sich vor der Corona-Pandemie einige Vertreter*innen der o.g. Gruppen getroffen. Eine Weiterarbeit bzw. eine Umsetzung der Erkenntnisse der SEEWOLF-Studie wurde von den Beteiligten als schwierig erachtet, da -die Studienergebnisse nicht mehr aktuell sein könnten, denn die Untersuchung fand bereits vor ca. 10 Jahren statt
-kaum Einrichtungen aus dem Sofortunterbringungssystem der Landeshauptstadt München in die Studie eingebunden waren
-vor allem Bewohner*innen von Mittel- und Langzeiteinrichtungen der freien Träger, die der Bezirk Oberbayern finanziert, untersucht wurden -eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Studienergebnissen z.B. in Form eines Fachtages für sozialpädagogische Fachkräfte nicht als zielführend angesehen wurde, da sich die Fachkräfte in der Vergangenheit bereits inhaltlich mit der Studie ausreichend befasst hätten.Einen möglichen Ansatzpunkt für eine Weiterarbeit sah die Gruppe im Bereich der Prävention.
Denn eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist die Feststellung, dass Menschen, die wohnungslos werden, bereits 6,5 Jahre vor einem Wohnungsverlust psychische Probleme haben. Als Möglichkeit für eine verstärkte Präventionsarbeit wurde die Erstellung von Informationsmaterial über Unterstützungsangebote bei drohendem Wohnungsverlust gesehen, z.B. Informationsmaterial an Arztpraxen oder anderen relevanten Stellen zu verteilen. Derzeit gibt es Planungen zwischen der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe München und Oberbayern und der Landeshauptstadt München für die Erstellung eines Flyers, um das Angebot der Mietprävention der Stadt München breiter zu streuen.
Frage 6:
Was macht die Stadt mit den Forschungsergebnissen aus der SEEWOLF- Studie zur Situation wohnungsloser Menschen?
Antwort:
Im Beschluss des Sozialausschusses vom 22.11.2018 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13106) wird erläutert, dass die Erkenntnisse der SEEWOLF-Studie nur ansatzweise auf das Sofortunterbringungssystem übertragen werden können. Denn die Studie beschäftigte sich überwiegend mit der Befragung von Bewohner*innen von Mittel- und Langzeiteinrichtungen der freien Träger. Zudem wurden wohnungslose Menschen in einer Pension aus dem städtischen Sofortunterbringungssystem untersucht. Hierbei zeigte sich, dass innerhalb dieses Systems die Strukturen hinsichtlich der Betreuungsleistungen und der Zusammensetzung der Klient*innen deutlich differieren, so dass klar wurde, „dass eine systematische empirische Studie in diesem Bereich anders gestaltet werden und sich zum Teil auf andere Fragestellungen beziehen muss“ (Bäuml, Die SEEWOLF-Studie, 2017:52).
Weitere Untersuchungen sind notwendig, um konkrete Umsetzungs-
schritte für das Sofortunterbringungssystem zu finden. Derzeit werden weitere Erhebungen durchgeführt bzw. befinden sich in der Vorbereitungsphase. Dazu zählt die Studie, „Obdachlose Menschen auf der Straße“. Die Beauftragung durch den Stadtrat zur Durchführung einer aktuellen Studie über obdachlose Personen, die dauerhaft auf der Straße in München leben, erfolgte bereits mit dem Beschluss „Gesamtplan III München und Region“ (Vollversammlung am 26.7.2017, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 07276). Mit den Beschlüssen des Sozialausschusses vom 9.5.2019 sowie der Vollversammlung vom 15.5.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 14445) wurde die Ausschreibung der Studie beschlossen und im Anschluss der Auftrag andas „sine-Institut“ vergeben. Der Studienstart sollte im Frühjahr 2020 erfolgen. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Start auf Frühjahr 2021 verschoben. Im Rahmen der Studie soll neben der Zählung der obdachlo- sen Menschen die Erfassung von umfassenden Strukturdaten (u.a. die gesundheitliche Situation) erfolgen.
Aktuell wird die „Clearingeinrichtung im Notquartier Implerstraße für wohnungslose psychisch kranke Frauen und Männer“ evaluiert. Mit Beschluss des Sozialausschusses (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 11557) vom 19.6.2018 wurde entschieden, die Neuausrichtung des städtischen Notquartiers von Prof. Dr. med. Bäuml (Klinikum rechts der Isar der TU München) und dem Institut „zweiplus“ evaluieren zu lassen. Die Ergebnisse der Evaluation können Handlungsbedarfe, die die Qualität der psychiatrischen Versorgung sowie adäquaten Wohnraum für psychisch kranke Menschen betreffen, verdeutlichen. Derzeit wird der Abschlussbericht erarbeitet und die Erkenntnisse werden 2021 dem Stadtrat bekannt gegeben.
Frage 7:
Wie reagierten das Gesundheitsreferat und das Sozialreferat auf die Ergebnisse der Studie?
Antwort:
Das Gesundheitsreferat hat zur Anfrage DIE LINKE. / DIE PARTEI wie folgt Stellung genommen:
„Das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) hat die Ergebnisse der SEEWOLF-Studie in den einschlägigen Gremien vorgestellt und so zu ihrer Verbreitung und Diskussion unter den Fachkräften der Psychiatrie und Suchthilfe beigetragen. Die Koordination für Psychiatrie und Suchthilfe des RGU beteiligt sich darüber hinaus an den Gremien der Wohnungslosenhilfe, um die Belange der psychisch erkrankten Wohnungslosen zu vertreten und in Planungen einzubringen.
Auch mit Blick auf den von der SEEWOLF-Studie aufgezeigten Bedarf hat der Stadtrat das RGU im Juni 20172 beauftragt, das Angebot für Suchtkranke und psychisch Erkrankte um ein aufsuchendes Angebot für Menschen in Unterkünften zu erweitern.
Von den zwei befristet bewilligten Stellen ist zwischenzeitlich eine Vollzeitstelle auf Dauer eingerichtet, diese ist derzeit leider vakant und aufgrund der aktuellen Haushaltssituation auch nicht nachzubesetzen.“
Die SEEWOLF-Studie wurde in verschiedenen Gremien des Sozialreferates vorgestellt und diskutiert. Die Studienergebnisse wurden im Beschluss des Sozialausschusses (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13106) dem Stadtratder Landeshauptstadt München dargelegt. Zur Sitzung des Sozialausschusses am 22.11.2018 wurde Herr Prof. Dr. Bäuml eingeladen und gebeten, die SEEWOLF-Studie in diesem Rahmen vorzustellen. Die Mitglieder des Ausschusses hatten danach die Möglichkeit, ihre Fragen direkt an den Leiter der Studie zu stellen und über die Studienergebnisse zu diskutieren.
Wie bereits weiter oben beschrieben, wurde das Sozialreferat im Beschluss des Sozialausschusses SEEWOLF-Studie vom 22.11.2018 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13106) beauftragt, gemeinsam mit den o.g. Akteuren eine geeignete Diskussionsform sowie die Problemlagen, die sich in der Versorgung psychisch kranker wohnungsloser Menschen ergeben, zu diskutieren und Vorschläge zu erarbeiten. Hierzu haben sich vor der Corona-Pandemie einige Vertreter*innen der o.g. Gruppen getroffen.
Im Beschluss zur SEEWOLF-Studie wurden die bereits bestehenden Angebote der Landeshauptstadt München für die Versorgung psychisch kranker wohnungsloser Menschen beschrieben. Diese Angebote bestehen seit einigen Jahren, die Erkenntnisse der Studie haben die Notwendigkeit und den Ausbau dieser Unterstützungsangebote untermauert. Zu diesen Angeboten zählen u.a.: bessere personelle Ausstattung für die sozialpädagogische Betreuung in den Unterkünften, Streetwork, Sonderberatungsdienst, Clearingeinrichtung Implerstraße für psychisch kranke wohnungslose Menschen, Aufstockung der Facharztstelle, „Brückenteam Wohnungslos“. Zudem sind weitere Angebote in der Planung: niederschwellige Einrichtungen für psychisch kranke Menschen, Ausbau der „Lebensplätze“ und Ausbau der Frauenhäuser.
Frage 8:
Welche konkreten Maßnahmen wurden aus den Ergebnissen der Studie bereits abgeleitet und umgesetzt?
Antwort:
Aus den Ergebnissen der Studie können keine konkreten Maßnahmen abgeleitet werden, es bedarf, wie bereits ausgeführt, weiterer Erhebungen, um für das kommunale Versorgungssystem passende Maßnahmen zu entwickeln.
Frage 9:
Welche Maßnahmen wurden seitens der beteiligten Referate gemeinsam mit den Akteuren der Wohnungslosenhilfe geplant, sind in Planung oder sollen durchgeführt werden?
Antwort:
Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie konnten bislang keine weiteren Treffen der temporären Arbeitsgruppe mit den Akteuren der Wohnungslosenhilfe stattfinden. Derzeit steht die Bewältigung der Corona-Pandemie mit infizierten Personen, Quarantäneplätzen, Testmöglichkeiten, FFP2-Masken und Impfungen im Vordergrund, andere Themen rücken aufgrund der Arbeitsbelastung in den Hintergrund. Sobald sich die aktuelle Situation wieder entspannt, wird die Zusammenarbeit mit den Akteuren der Wohnungslosenhilfe und dem Gesundheitsreferat wieder intensiviert und an den geplanten Maßnahmen weitergearbeitet.
1 Prävalenzen psychischer Erkrankungen bei wohnungslosen Menschen in Deutschland – Deutsches Ärzteblatt Jg. 114 Heft 40 6.Oktober 2017
2 SV 14-20/A08514: Gesundheitsvorsorge für psychisch erkrankte und suchtkranke Menschen in Unterkünften und im öffentlichen Raum, VV am 22.6.2017