Wie wichtig ist der LH München der Arten- und Biotopschutz wirklich? Der Fall Ganzenmüllerstraße in Allach
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Herbert Danner, Katrin Habenschaden und Sabine Krieger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 8.8.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 8.8.2019 haben Sie gemäß § 68 GeschO die nachfolgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt. Zunächst muss sich das Referat für Stadtplanung und Bauordnung entschuldigen, dass die Beantwortung nicht schon längst erfolgt ist. Durch ein Büroversehen ist eine bereits im letzten Jahr vorbereitete Stellungnahme hier liegengeblieben. Wegen einer Nachbarklage ist der Baufall dann zu Gericht gegangen, so dass wir Ihre Anfrage aus dem Blick verloren haben und erst durch Ihre Monierung wieder darauf gestoßen sind. Wegen coronabedingter Ausfälle hat sich die Fertigstellung dann nochmals verzögert.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Nach uns vorliegenden Informationen wurde im Zuge der Arten- und Biotopschutzkartierung 1998 ein übergeordnetes Biotop, Nr. 257-07, zwischen Ganzenmüller- und Allacherstraße kartiert. Zum Zeitpunkt der Erfassung (24.8.1998) waren flächige Altgrasfluren mit Arten der Halbtrockenrasen und Säume vorhanden (60%), aber auch Gebüsche (19%), Hecken (10%) und Ruderalfluren (10%). Im Zuge der Nutzung des Grundstücks als Baustelleneinrichtung der Deutschen Bahn für die ICE-Strecke München-Ingolstadt (Planfeststellung 2001) wurde das Grundstück degradiert, ebenso das Biotop-Grundstück 257-06 östlich der Bahngleise. Anscheinend wurden bei der Genehmigung keine Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und eine entsprechend sachgemäße Wiederherstellung gefordert. Im Gegenteil: die Deutsche Bahn brachte nach der Nutzung nährstoffreichen Humus auf, der das Biotop entwertete. Die Grundstücke waren jedoch weiterhin als übergeordnete Biotope bei der Münchner Unteren Naturschutzbehörde registriert und dementsprechend nicht für anderweitige Nutzungen oder gar als Bauland freigegeben. Pläne der Nachbarschaft in Bezug auf das Privatgrundstück mit der Flurnr. 250/103 in dem Biotop Nr. 257-07 zwischen Ganzenmüller- und Allacherstraße wurden nach Aussagen der AnwohnerInnen der angrenzenden Grundstücke von Seiten der Lokalbaukommission dementsprechend folgerichtig abgelehnt.
2014 erhielten die AnwohnerInnen der angrenzenden Grundstücke jedoch eine Nachbarausfertigung eines genehmigten Vorbescheids für einen Neubau einer Wohnanlage mit Tiefgarage sowie Kindertagesstätte mit einem Genehmigungsdatum vom 23.12.2014 gemäß einem Antrag vom 30. September 2014. Dieser Bescheid wurde durch die Klage der AnwohnerInnen der angrenzenden Grundstücke durch ein Gerichtsurteil am 14. März 2016 aufgehoben. Fünf Wochen vor dem Ortstermin des Gerichts im Jahr 2016 wurden nach Aussagen der AnwohnerInnen vom Eigentümer sämtliche Bäume und Sträucher gerodet und gehäckselt und anschließend das gesamte Grundstück mit schwerem Ackergerät umgepflügt. Am 12. Juli 2019 haben die AnwohnerInnen der angrenzenden Grundstü- cke nun die Nachbarausfertigung für eine Baugenehmigung auf genau diesem Biotopgrundstück erhalten. Die Genehmigung wurde am 5. Juli 2019 erteilt. Sie gilt für 27 Reihenhäuser und eine Kindertagesstätte mit Tiefgarage. Dabei wurden die beiden Biotope mit ähnlicher Geschichte unterschiedlich bewertet. Das Biotop in der Ganzenmüllerstraße wurde als unwiederherstellbar beurteilt, bei dem anderen Biotop wird die Wiederher- stellung detailliert vorgegeben und konsequent gefordert, ebenso wie ein 10m breiter Trockenrasenstreifen entlang der Bahn.“
Zunächst stellt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hierzu fest:
Die Aufnahme einer Fläche in die amtliche Stadtbiotopkartierung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt bedeutet, dass diese Fläche bestimmte naturschutzfachlich relevante Werte aufweist. Dies sind zunächst tatsächliche Erhebungen. Gesetzlichen Schutz besitzt aber nur der Teil der kartierten Lebensräume, der in § 30 Bundesnaturschutzgesetz oder Art. 23 Bayerisches Naturschutzgesetz aufgeführt ist. Die Biotopkartierung dient somit als Arbeitsgrundlage für Eingriffsplanungen, naturschutzfachliche Planungen und andere Planungen und Vorhaben. Die Biotopkartierung allein kann die Inanspruchnahme von Bauland nicht hindern. Dies gilt selbst bei gesetzlich geschützten Biotopen, wenn der Eingriff durch Maßnahmen ausgeglichen werden kann oder aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist.
Ihre Fragen beantwortet das Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt:
Frage 1:
Warum wurden die kartierten Biotope 257-06 und 257-07 ohne Auflagen zu ihrem Schutz oder entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen als Baustelleneinrichtung 2001 freigegeben?
Antwort:
Die Inanspruchnahme als Baustelleneinrichtungsfläche musste der Deutschen Bahn im Rahmen des Ausbaus der ICE-Strecke München – Ingol-stadt genehmigt werden. Die erforderlichen Vermeidungs-, Wiederherstellungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind Bestandteil der Unterlagen des Planfeststellungsbeschlusses für diesen Ausbau aus dem Jahr 2001. Seitens des Vorhabenträgers wurde die Baustelleneinrichtungsfläche jedoch nicht in die Bilanz des naturschutzrechtlichen Eingriffs und Ausgleichs eingestellt, so dass an dieser Stelle keine Festsetzungen für Wiederherstellungs- und Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden konnten. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Untere Naturschutzbehörde, hatte im Planfeststellungsverfahren einen entsprechenden Einwand erhoben, der in einer Planänderung berücksichtigt werden sollte. Diese Änderung kam nach langjährigen Verhandlungen dann erst 2014 zustande. Der Kompromiss sah vor, lediglich einen relativ schmalen Streifen entlang der Lärmschutzwand als Wiederherstellungsmaßnahme anzulegen. Dieser Streifen wurde schließlich im März 2017 hergestellt.
Frage 2:
Warum werden kartierte Biotope nicht mindestens einmal im Jahr kontrolliert, damit bei Qualitätsverlust rechtzeitig eingegriffen werden kann?
Antwort:
Die Biotopkartierung stellt eine Arbeitsgrundlage für die Naturschutzbehörden und für Planungen dar. Die Biotopfläche Nr. M-0257-007 genießt keinen gesetzlichen Schutz. In Bayern besteht weder eine allgemeine Genehmigungspflicht für Eingriffe in Natur und Landschaft noch eine allgemeine rechtliche Verpflichtung für Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer, kartierte Biotope in ihrem Zustand zu erhalten. Damit besteht auch keine Rechtsgrundlage für entsprechende Überwachungsmaßnahmen, zumal hier die Pflichten aus dem Planfeststellungsverfahren im Jahr 2017 abgearbeitet waren.
Frage 3:
Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde das Biotop 257-07 bei Nachfragen der AnwohnerInnen der angrenzenden Grundstücke nach ihren Aussagen nie als Bauland freigegeben, im Jahr 2014 aber ein Vorbescheid für eine Bebauung des Biotops vom städtischen Planungsreferat genehmigt?
Antwort:
Historisch betrachtet war zum Zeitpunkt des Vorbescheides das ursprüngliche, 1998 kartierte Biotop durch die Inanspruchnahme als Baustelleneinrichtungsfläche für die Bahn bereits nicht mehr vorhanden, so dass dieser Gesichtspunkt dem Bauvorhaben nicht mehr entgegengehalten werden konnte. Auch die Ziele im Arten- und Biotopschutzprogramm der Landes-hauptstadt München als Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind den Vorhaben nicht entgegengestanden. Das Bauvorhaben wurde nach Beteiligung der Unteren Naturschutzbehörde so gestaltet, dass diese naturschutzfachlichen Ziele im Zusammenhang mit dem im Vorfeld der Lärmschutzwand geschaffenen Vernetzungsstreifen und durch Ausgleichsmaßnahmen auf den Baugrundstücken selbst erreicht werden können. Das Grundstück ist im Flächennutzungsplan als Reines Wohngebiet dargestellt. Andere Gesichtspunkte, die dem Vorhaben entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere war, nachdem sich die Bebauung strukturell an der Umgebungsbebauung orientiert, auch kein Planerfordernis gegeben. Entsprechend dem Flächennutzungsplan konnte das Vorhaben daher nach § 35 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) als „sonstiges Vorhaben im Außenbereich“ genehmigt werden.
Frage 4:
Trifft es zu, dass 2016 auf dem Biotop sämtliche Gehölze gerodet wurden? Wenn ja, welche Konsequenzen hatte dies?
Antwort:
Auf der Fläche des Biotops Nr. M-0257-007 wurden zwischen 2015 und 2017 auf Teilflächen Gehölze abgeschnitten. Fachlich gesehen hatte dies keine erheblichen Beeinträchtigungen zur Folge. So sind noch Gehölze vor Ort verblieben. Insbesondere aber enthält das Arten- und Biotopschutzprogramm der Landeshauptstadt München hier das Ziel, Trockenstandorte als lineare Vernetzungsachsen zu erhalten und zu optimieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es fachlich nicht zu beanstanden, die offenen Trocken- standorte gehölzfrei zu halten.
Frage 5:
Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde im Jahr 2019 die Genehmigung für einen erneuten Bauantrag auf dieser Fläche erteilt?
Antwort:
Die Darstellung Reines Wohngebiet des Flächennutzungsplans eröffnete die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB, zumal so insgesamt 27 Wohneinheiten und eine Kindertageseinrichtung, für die der Bedarf gegeben ist, geschaffen werden können. Die Erschließung war durch die Ganzenmüllerstraße, die bislang in diesem Bereich nur einseitig angebaut war, gegeben. Naturschutzrechtliche Belange konnten dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, s.o. Frage 1 und 3.
Frage 6:
Was ist der Unterschied zwischen den Biotopflächen 257-06 und 257-07 von ihrer ökologischen Wertigkeit und vor allem in Hinsicht ihrer ökologischen Wiederherstellbarkeit?
Antwort:
Auf beiden Biotopflächen Nr. M-0257-006 und Nr. M-0257-007 wurden magere Altgrasbestände/Grünlandbrache, naturnahe Hecken, wärmeliebende Ruderalfluren, naturnahe, mesophile Gebüsche und wärmeliebende Säume als Bestand kartiert, in etwas unterschiedlichen Flächenanteilen. Die flächigen Altgrasfluren entlang der Bahn wiesen auf beiden Teilflächen als Besonderheit Arten der Halbtrockenrasen und Säume auf. Insofern gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied in der ökologischen Wertigkeit dieser Flächen.
Eine Wiederherstellbarkeit der Bestände in einem planerisch überschaubaren Zeitraum (25 Jahre) ist für beide Flächen gleichermaßen gegeben, soweit nicht Gehölze vorhanden sind, deren ökologische Funktionen altersbedingt erst nach längeren Zeiträumen wiederhergestellt sind. Ein Unterschied zwischen den beiden Flächen besteht insbesondere darin, dass die Biotopfläche Nr. M-0257-006 im Flächennutzungsplan als „Allgemeine Grünfläche“ dargestellt ist, die Fläche Nr. M-0257-007 hingegen als „Reines Wohngebiet“.
Frage 7:
Wenn das Biotop 257-07 nicht wiederherstellbar ist – wie ist es dann möglich einen 10m breiten Streifen zu den Bahngleisen hin als Trockenvernetzungsstreifen wiederherzustellen?
Antwort:
Siehe die Antwort zu Frage 6: Die Wiederherstellbarkeit für den Trockenvernetzungsstreifen als Saum- oder Magerrasenfläche ist aus fachlicher Sicht gegeben und stellt vor allem im Vergleich zu einem Altgrasstreifen einen höheren naturschutzfachlichen Wert im Hinblick auf den Artenreichtum und die ökologische Vernetzung dar.
Frage 8:
Wo und wann wird ein Ausgleich für das nicht wiederhergestellte Biotop in gleicher Größe und Qualität geschaffen und auf welchen Zustand des Biotops beziehen sich die Ausgleichsmaßnahmen – auf das kartierte Biotop von 1998 oder eine andere Wertigkeit?
Antwort:
Wie in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, erfolgte der Ausgleich im Rahmen des Ausbaus der ICE-Strecke München – Ingolstadt. Alle naturschutzrechtlichen Anforderungen sind im Rahmen des zugehörigen Planfeststellungsbeschlusses abgedeckt. Der erforderliche Ausgleich bezieht sich auf den Ausgangszustand zum Zeitpunkt der Planung.
Ergänzend zu Ihrer Anfrage, für deren verzögerte Beantwortung wir Sie nochmals um Nachsicht bitten, teilt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung zum Verfahrensstand mit, dass gegen den Baugenehmigungs-
bescheid vom 5.7.2019 von einem der Nachbarn am 9. August 2019 Klage eingereicht wurde, zu der allerdings noch keine Klagebegründung vorliegt.