Wie schöpft die Stadt die Mittel des Baugesetzbuches aus? Leerstand bekämpfen durch Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 BauGB.
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 16.11.2020
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 16.11.2020 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird. Mit Schreiben des Referates für Stadtplanung und Bauordnung vom 4.1.2021 wurde um Fristverlängerung bis 9.2.2021 gebeten, welche gewährt wurde.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Über diverse Anfragen haben wir auf viele Leerstände in unserer Stadt aufmerksam gemacht. Dabei wurde von Seiten der Verwaltung immer wieder darauf hingewiesen, dass der Stadt in den meisten Fällen die Hände gebunden seien. Drei aktuelle Beispiele in der Abendzeitung vom 3.11.2020 zeigen weitere unzumutbare Leerstände in München auf. Dabei gibt das Baugesetzbuch (BauGB) den Kommunen mit § 177 ein ‚Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot‘ ein Instrument in die Hand, mit dem sie gegen die Verwahrlosung von Häusern vorgehen kann, schon lange bevor der Zustand eines Hauses für Leib und Leben gefährlich werden kann. Die Verwaltung hat offensichtlich jedoch Vorbehalte, diesen Para- graphen des Baugesetzbuchs anzuwenden. Im § 177 Baugesetzbuch heißt es:
‚(1) Weist eine bauliche Anlage nach ihrer inneren oder äußeren Beschaffenheit Missstände oder Mängel auf, deren Beseitigung oder Behebung durch Modernisierung oder Instandsetzung möglich ist, kann die Gemeinde die Beseitigung der Missstände durch ein Modernisierungsgebot und die Behebung der Mängel durch ein Instandsetzungsgebot anordnen. Zur Beseitigung der Missstände und zur Behebung der Mängel ist der Eigentümer der baulichen Anlage verpflichtet. In dem Bescheid, durch den die Modernisierung oder Instandsetzung angeordnet wird, sind die zu beseitigenden Missstände oder zu behebenden Mängel zu bezeichnen und eine angemessene Frist für die Durchführung der erforderlichen Maßnah- men zu bestimmen.
(2) Missstände liegen insbesondere vor, wenn die bauliche Anlage nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht. (3) Mängel liegen insbesondere vor, wenn durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkungen Dritter
-die bestimmungsgemäße Nutzung der baulichen Anlage nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird,
-die bauliche Anlage nach ihrer äußeren Beschaffenheit das Straßen- oder Ortsbild nicht nur unerheblich beeinträchtigt oder
-die bauliche Anlage erneuerungsbedürftig ist und wegen ihrer städtebaulichen, insbesondere geschichtlichen oder künstlerischen Bedeutung erhalten bleiben soll. ….‘“
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung nimmt inhaltlich zur schriftlichen Stadtratsanfrage Nr. 20-26/F 00135 von der Stadtratsfraktion DIE LINKE / Die PARTEI vom 16.11.2020 wie folgt Stellung:
Im Bereich des Referates für Stadtplanung und Bauordnung sind folgende Erfahrungswerte vorhanden:
In § 177 des Baugesetzbuches (BauGB) sind zwei unterschiedliche Fälle baulicher Gebote enthalten. Während das Modernisierungsgebot die Modernisierung baulicher Anlagen durch die Beseitigung von Missständen in den Blick nimmt, zielt das Instandsetzungsgebot auf die Durchsetzung der Instandsetzung baulicher Anlagen durch Behebung baulicher Mängel ab. Bauliche Anlagen können aus den verschiedensten Gründen nicht ordnungsgemäß instandgehalten werden. Dabei werden mehrere bauliche Missstände außerhalb von § 177 BauGB bereits bauordnungsrechtlich erfasst, wenn sie sich als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erweisen. Dagegen stehen bei den Modernisierungs- und Instandsetzungsgeboten vor allem die städtebaulichen Belange im Vordergrund. Bei jeglicher Anwendung des § 177 BauGB sind darüber hinaus die persönlichen und wirtschaftlichen Belange der Eigentümer*innen im Rahmen einer Abwägung zu beachten. Als solche kommen zusätzliche Belange wie beispielsweise Alter, Krankheit, Überschuldung und Kreditfähigkeit in Betracht.
Vorrangig kamen in der Landeshauptstadt München in der Vergangenheit Objekte in Betracht, die in den Bereichen der festgesetzten Sanierungsgebiete lagen. Betreffende Gebäude im Bereich der klassischen Sanierungsgebiete Haidhausen und Westend wurden jedoch nicht über das Verfahren nach § 177 BauGB abgewickelt. Aufgrund der dort gesetzten Sanierungsziele konnten für die Sanierung oder auch Abbruch und Neubau sowohl Städtebau- als auch Wohnungsbaufördermittel eingesetzt und entsprechende Anreize geschaffen werden. Damit beschritt man einen konsensua-len Weg mit den Eigentümer*innen. So konnten die Ziele des BauGB erfolgreich umgesetzt werden.
Der Ansatz der Landeshauptstadt München war immer, das Gespräch mit den Eigentümer*innen zu suchen, und gemeinsame Lösungen wie auch Fördermöglichkeiten zu finden. In etlichen Fällen wurden diese Gebäude von den Eigentümer*innen auch an Bauträger*innen veräußert, bei denen die rasche Umsetzung entsprechender Maßnahmen gewährleistet war.
Diese Vorgehensweise korrespondiert auch mit den allgemeinen gesetzlichen Regelungen, die hinsichtlich der Anwendung eines Gebots gelten. Nach § 175 Abs. 1 BauGB soll die Stadt Maßnahmen zuvor mit den Betroffenen erörtern und die Eigentümer-, Mieter-, Pächterschaft und sonstigen Nutzungsberechtigten im Rahmen ihrer Möglichkeiten beraten, wie die Maßnahme durchgeführt werden kann und welche Finanzierungsmöglichkeiten aus öffentlichen Kassen bestehen. Dabei ist auch grundsätzlich zu beachten, dass nach § 175 Abs. 2 BauGB Gebote immer aus städtebaulichen Gründen geboten sein müssen.
Im Übrigen kommt dem § 177 BauGB generell seit seiner Einführung in der Praxis eher eine untergeordnete Rolle zu. Einerseits erfordert die Anwendung einen hohen Verwaltungsaufwand (Prüfung der Missstände und Mängel sowie deren Beseitigung und Behebung, ggf. Außendienst- überprüfungen, Anhörung und Erörterung mit Betroffenen, Eruierung Finanzierungsmöglichkeiten, umfangreiche Kostenfestlegung, Erlass der Anordnung, Fristen, ggf. Ersatzvornahme, ggf. Verhandlung städtebaulicher Verträge, Risiko Klageverfahren) und andererseits obliegt es letztlich den Kommunen, die nicht rentierlichen Kosten zu tragen (zur Kostentragung siehe § 177 Abs. 4 BauGB). Die bloße Möglichkeit der Anordnung eines Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots schafft allerdings auch ggf. eine größere Bereitschaft, mit den Betroffenen andere Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Damit trägt das reine Bestehen der Vorschrift schon zu konsensualen Lösungen bei. Im Einzelfall wird § 177 BauGB häufig in Kommunen angewandt, die – anders als die Landeshauptstadt München, die einen hohen Baudruck aufweist – durch einen Wohnungsüberhang und entsprechende Leerstände bzw. Sanierungsrückstände wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit in größerem Umfang geprägt sind.
Frage 1:
In wie vielen Fällen hat die Verwaltung Verfahren nach § 177 BauGB in den vergangenen zehn Jahren geprüft? Bitte nach Stadtbezirken aufschlüsseln.
Antwort:
In den vergangenen zehn Jahren wurden keine Verfahren nach § 177 Bau- GB geprüft.
Frage 2:
In wie vielen Fällen hat die Verwaltung Verfahren nach § 177 BauGB in den vergangenen zehn Jahren eingeleitet? Bitte nach Stadtbezirken aufschlüsseln.
Antwort:
In den vergangenen zehn Jahren wurden keine Verfahren nach § 177 Bau- GB eingeleitet.
Frage 3:
Welche Voraussetzungen bzw. Bedingungen müssen nach Auffassung der Verwaltung erfüllt sein, um den § 177 BauGB restriktiver anzuwenden?
Antwort:
In Bezug auf eine restriktivere Anwendung wäre Voraussetzung, konsen- sualen Lösungen regelmäßig den Vorrang einzuräumen. Sollte aber mit der Frage vielmehr eine Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten gemeint sein, müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen bezüglich der Anwendung durch die Kommunen optimiert werden. Dabei ist insbesondere an die angesprochene Kostentragung zu denken. Letztlich bliebe aus Sicht der Landeshauptstadt München aber auch dann die konsensuale Vorgehensweise vorzugswürdig, da diese einfacher zum jeweiligen Ziel führt. Gerade ggf. notwendige Ersatzvornahmen sind für die Verwaltung mit einem gro-ßen Aufwand und höheren Risiken verbunden.
Frage 4:
Wie bewertet die Verwaltung die praktische Handhabbarkeit der Regelung für die Landeshauptstadt München?
Antwort:
Hinsichtlich einer inhaltlichen Bewertung wird auf die Ausführungen in der Vorbemerkung verwiesen. Vorzugswürdig aus Sicht der Landeshauptstadt München ist ein konsensuales Vorgehen sowie die Ergreifung von anderen Maßnahmen, z.B. im Rahmen der Stadtsanierung.
Frage 5:
Welche Rechtsfolgen sieht die Verwaltung, wenn die Modernisierung und Instandhaltung angeordnet werden würde und der Investor die Frist nicht einhält?
Antwort:
In diesem Fall würden die allgemeinen Bestimmungen des Vollstreckungsrechts Anwendung finden, z.B. Zwangsgeld und Ersatzvornahme.