Agro-PV: Solaranlagen auf Agrarflächen – Städtische Güter starten Pilotprojekt
Antrag Stadtrats-Mitglieder Nicola Holtmann und Hans-Peter Mehling (Fraktion ÖDP/FW) vom 10.8.2020
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Mit Ihrem Antrag fordern Sie die Landeshauptstadt München, Kommunalreferat (KR), auf, möglichst im Jahr 2020 ein Pilotprojekt mit dem Ziel zu starten, auf einer Freifläche der Stadtgüter München (SgM) landwirtschaftliche Produktion und Erzeugung von Strom aus Solarenergie zu kombinieren.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch ein „laufendes“ Geschäft, dessen Besorgung nach Art. 88 Abs. 3 Satz 1 GO i.V.m. der Betriebssatzung des Eigenbetriebes dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 10.8.2020 teile ich Ihnen Folgendes mit:
1. Erneuerbare Energien im Betriebsbereich der SgM
Die SgM sind als Eigenbetrieb des KR sehr um den Ausbau und die Förderung der erneuerbaren Energien bemüht. Zu ihrer Versorgung nutzen die SgM bereits seit vielen Jahren die vorhandenen Ressourcen auf den Betrieben. So wurden auf fast allen Betrieben Photovoltaik-Einheiten auf Dächern der Gutsgebäude installiert. Die Anlagen der SgM produzierten im Jahr 2019 knapp 270.000 kWh Strom. Zudem wurde Solarstrom über zwei Mitarbeiter-, eine Fremdfirmen- und eine Bürgeranlage erzeugt.
Auf Gut Karlshof wird aus den Exkrementen der Ochsenhaltung zusammen mit Mais, Getreide und Gras, aber auch alternativen Kulturen, wie Durchwachsene Silphie und mehrjährigen Wildkrautmischungen, Biogas gewonnen. Dieses wird über Blockheizkraftwerke verstromt und ist Teil des virtuellen Kraftwerks der Stadtwerke München (SWM). Im Jahr 2019 wurden so knapp 5 Mio. kWh Strom ins Netz eingespeist. Teile der Abwärme aus der Biogasproduktion werden zum Heizen der Gebäude am Gut Karlshof und zur Trocknung landwirtschaftlicher Produkte verwendet. Erneuerbare Energien werden zudem zum Heizen von Gebäuden auf Gut Delling, Gut Buchhof, Gut Großlappen und Gut Schorn verwendet.
2. Pilotprojekt Agro-Photovoltaikanlage (APV) in Kooperation mit den
SWM
Die SWM arbeiten bereits gemeinsam mit den SgM an einem Pilotprojekt zur Realisierung einer APV. Deren Anlagenarchitektur ermöglicht auf einer Fläche gleichzeitig die Produktion von Solarstrom und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Bei der angestrebten Variante einer vertikalen bifazialen Anlage mit Nord-Süd Reihenverlauf und Ost-West-Ausrichtung würden durch die Installation der Solarmodule und die Ansaat von Blühstreifen zur Förderung der Biodiversität im Wendewinkel der Module nur etwa 20% der Fläche für die landwirtschaftliche Nutzung verloren gehen. Damit können 80% der Fläche bewirtschaftet werden und stehen weiterhin für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung.
Die vorteilhafte prozentuale Verteilung der Flächennutzung zeigt die besondere Multifunktionalität dieser Art der Energieerzeugung: zum einen können unter geringem Flächenverlust für die Landwirtschaft Solarstrom und landwirtschaftliche Produkte erzeugt werden. In einer Veröffentlichung des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme konnte dementsprechend eine Steigerung der Landnutzungsrate auf bis zu 186% festgestellt werden. Sie geht davon aus, dass auf einer jeweils 1ha großen Fläche 100% Ertrag aus der landwirtschaftlichen Produktion bzw. Solarstromerzeugung gewonnen wird. Bei einer Kombination auf einem Hektar sinkt der Ertrag der Energieerzeugung. Der Ertrag der Kultur kann aber steigen. Zusammen ergibt sich die errechnete Landnutzungsrate > 100%. Mit Blick auf die zunehmende Flächenkonkurrenz im Ballungsraum München ist dies ein besonders attraktiver Aspekt des Ansatzes. Zum anderen strukturieren die in relativ kurzen Abständen von 21-30m eingesäten Blühstreifen die Anbaufläche kleinteilig und bieten den Wildtieren Nahrung und Schutz. Damit können APVs durch die Aufwertung von Agrarlebensräumen einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Biodiversität leisten.
Wie sich diese Produktionsbedingungen auf den Ertrag auswirken, ist noch nicht ausreichend untersucht. Erste Ergebnisse des Fraunhofer Instituts zeigen, dass unterschiedliche Feldfrüchte verschieden auf die Bedingungen reagieren. In einem Versuch ergab sich für das Anbaujahr 2017 eine Steigerung des Ertrags bei Kartoffeln und Leguminosen, keine Änderung bei verschiedenen Getreidesorten und Raps und eine Abnahme bei Weizen und Mais. Die Aufnahme der Ertragsentwicklung wird Teil des Projekts sein.
3. Relevante Nutzungskonflikte und Chancen der APV
Die Nutzung von Agrarflächen zur Solarstomerzeugung hat in der Vergangenheit zu verschiedenen Konflikten und damit zu einem verzögerten Ausbau der PV geführt, die der Ansatz der APV möglicherweise zu schlichten vermag. Zum einen empfinden viele Landwirte die Nutzung bester landwirtschaftlicher Böden zur Errichtung von vollflächigen Freiflächenfotovoltaikanlagen (FFV) als Abwertung der Landwirtschaft. Falls das Projekt eine gleichbleibend gute Bewirtschaftbarkeit der APV-Flächen mit keinen oder nur geringen Ertragsverlusten belegt, könnte das die Landwirte für den Ansatz gewinnen. Bei guter Bewährung gibt er den Betrieben der Metropolregion zudem eine Möglichkeit zur Diversifikation, die sie in Zeiten der Klimaerwärmung wirtschaftlich resilienter gegen Extremereignisse macht.
Zum anderen stehen Teile der weiteren Bevölkerung FFV kritisch gegen-über und werfen ihr durch die großflächige Überbauung von Agrarflächen eine Verschandlung der Landschaft vor. Beweist sich die Multifunktionalität der APV und ihr wichtiger Beitrag zur Strukturierung der Agrarlandschaft und Förderung der Biodiversität als wirkungsvoll, können sie Argumente zur Lösung dieses Konflikts sein und das Ansehen und die Bedeutung der Landwirtschaft in der Gesellschaft stärken.
4. Projektrealisierung
Das Projekt soll auf einer ca. 20ha großen Fläche in der Gemeinde Ismaning realisiert werden, die im Eigentum der SWM ist. Die Fläche befindet sich im Betriebsbereich des Gutes Karlshof und wird bereits von den SgM verwaltet und bewirtschaftet. Der Projektplan sieht vor, dass die APV-Anlage von den SWM geplant, gebaut und betrieben wird. Aufgabe der SgM bleibt weiterhin die landwirtschaftliche Nutzung der Fläche.
Ob die anvisierte Fläche zur Errichtung einer APV genutzt werden darf, entscheidet der Gemeinderat Ismaning voraussichtlich im ersten Quartal 2021. Sollte die Entscheidung gegen die Errichtung fallen, muss ein neuer Standort gesucht werden.
5. Nutzung von Flächen aus dem Grundstücksvorrat
Die SgM wurden vor über 100 Jahren zum Zweck der Grundstücksvorratshaltung gegründet. Die Stadt München bewirtschaftet ihre landwirtschaftlichen Flächen dabei so lange selbst, bis sie für andere Zwecke, wie z.B. die Errichtung kommunaler Einrichtungen, als Tauschflächen für Landwirte oder Ausgleichsflächen, benötigt werden und dann unmittelbar dafür zur Verfügung stehen. Bis zu diesem Zeitpunkt werden sie von den SgM nach hohen ökologischen Standards landwirtschaftlich genutzt. Damit leisten sieeinen unschätzbaren Beitrag zu einem ausgeglichenen städtischen Klima und Wasserhaushalt sowie zum Erhalt der Lebensräume der heimischen Flora und Fauna und der Bodenqualität.
Aus diesem Grund stellt die Nutzung einer Fläche aus dem Verwaltungsbereich der SgM zur Errichtung einer APV zunächst einen Konflikt mit ihrem eigentlichen Verwendungszweck dar. Denn ein solcher Anlagenbau bindet eine Fläche in ihrer Nutzung langfristig und macht sie nicht mehr abrufbar für andere Projekte. Allerdings kann dadurch von rein landwirtschaftlichen Flächen die Attraktivität als Tauschfläche für Landwirte gesteigert werden. Die unter Ziff. 2. beschriebene besondere Multifunktionalität des Ansatzes bietet zudem gewichtige Argumente, eine solche Fläche einmalig und unter beschriebenen Projektvoraussetzungen zur Errichtung einer APV zu verwenden. Die Nutzung weiterer Flächen aus dem Verwaltungsbereich der SgM für APV ist nur dann möglich, wenn sich das Projekt als positiv und echter Mehrwert gegenüber anderen Nutzungen erweist. In diesem Fall könnte APV auf Basis eines Stadtratsbeschlusses Bestandteil der Energiewendestrategie der Stadt München werden.
6. Ausblick
Die Stadt München hat sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu sein. Die dafür notwendige Energiewende kann nur unter Einbezug verschiedenster Methoden der regenerativen Stromerzeugung gelingen. Die SgM sind sich ihrer Vorreiterrolle bewusst und möchten gemeinsam mit den SWM im Rahmen dieses Pilotprojekts eine im Raum München noch kaum implementierte Möglichkeit der erneuerbaren Energiegewinnung erproben. Das Projekt soll zeigen, ob die Doppelnutzung einer landwirtschaftlichen Fläche zur Nahrungsmittel- und Stromerzeugung in der vorliegenden Gebietskulisse zielführend und richtungsweisend ist und Teil einer umfassenden Strategie für die Energiewende der Stadt München sein kann. Erweist sich das Projekt als zielführend, kann diese Form der Bewirtschaftung den Landwirten der Metropolregion eine weitere Möglichkeit zur Diversifikation ihrer Betriebe geben. Zudem könnte die Akzeptanz von PV-Anlagen auf Agrarflächen in der Bevölkerung gesteigert und so der Ausbau der Solarenergie beschleunigt werden. In diesem Sinne hoffe ich auf ein richtungsweisendes Gelingen des Projekts.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.