Finanzierung der Verkehrswende – werden alle öffentlichen Gelder genutzt?
Anfrage Stadträtin Sonja Haider (Fraktion ÖDP/FW) vom 12.1.2021
Antwort Stadtkämmerer Christoph Frey:
Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
„Krisenzeiten sind immer auch Förderzeiten. Aufgrund der Klima- und Covid-19-Krise werden derzeit hohe Förderungen oder Finanzierungen für die Städte aufgelegt, um einerseits den Wirtschaftseinbruch der Corona-Krise zu bewältigen und andererseits die Transformation zu klimaresilienteren Städten zu bezahlen.
Durch das neue Wiederaufbau-Instrument Next Generation EU stehen Deutschland in den nächsten Jahren 25 Mrd. Euro zur Verfügung. Ein Großteil dieser Fördermittel wird in den Klimaschutz (30% der EU-Mittel, so viel wie noch nie) investiert und in den ersten Jahren der kommenden siebenjährigen Periode vergeben werden.
Darum frage ich den Oberbürgermeister:
- Welche öffentlichen Förderungen oder andere Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes, der EU oder anderen Finanzgebern stehen für die Verkehrswende zur Verfügung?
- Ist die Stadt München gerüstet, diese Gelder auch abzurufen?
- Die Kämmerei wird gebeten, in der geplanten Beschlussvorlage zu öffentlichen Fördermöglichkeiten auch explizit auf folgende Fonds und Förderungen einzugehen:
- Bundesförderung von 1,46 Milliarden Euro für Radinfrastruktur bis 2023
- EU Wiederaufbaufonds – Nationaler Wiederaufbaufonds NRRRP (National Recovery and Resilience Plans)
- MFR – Mehrjähriger Finanzrahmen - City Climate Finance Gap Fund der Europäischen Investitionsbank EIB und der Weltbank“
Ihre Anfrage hat das Direktorium zunächst zur federführenden Bearbeitung an das Mobilitätsreferat geleitet. Die Stadtkämmerei hat darauf hingewirkt, die Zuständigkeit zu ändern und hat in der Folge Ihre Anfrage zur alleinigen Beantwortung vom Direktorium am 8.2.2021 erhalten. Da sich die von Ihnen erwähnte Beschlussvorlage bzw. Bekanntgabe zu öffentlichen Fördermöglichkeiten zu diesem Zeitpunkt bereits im Druck befunden hat, nehmen wir Ihr Einverständnis vorausgesetzt nun ausführlich in diesem Schreiben zu Ihren Fragen Stellung.Zu Ihrer Anfrage vom 12.1.2021 teile ich Ihnen im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter Folgendes mit:
Im Kontext der jährlichen Berichterstattung zum Kommunalen Finanzausgleich hat der Oberbürgermeister die Stadtkämmerei beauftragt, den Stadtrat im Finanzausschuss am 2.3.2021 umfassend über alle Zuwendungen des Freistaats Bayern, der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zu informieren, die der Städtische Bürger*innen-Konzern München – einschließlich der städtischen Eigenbetriebe und Beteiligungsgesellschaften – im investiven Bereich in der Vergangenheit erhalten hat und in Zukunft voraussichtlich erwarten kann. Die Stadtkämmerei kommt diesem Auftrag mit einer Bekanntgabe nach und gibt dem Stadtrat einen Überblick über die staatlichen Investitionszuwendungen, die aus den jeweiligen Förderprogrammen in den Jahren 2015 bis 2020 tatsächlich ausbezahlt worden sind und in den Jahren 2021 bis 2025 voraussichtlich erwartet werden können.
Die Angaben umfassen selbstverständlich auch staatliche Investitionszuwendungen im Bereich des Klimaschutzes und der damit verbundenen Verkehrswende sowie in diesen Bereichen evtl. zu erwartende Zuwendungen aus dem Krisen- und Konjunkturpaket des Bundes (KJP), das zur Milderung der Auswirkungen der Corona-Pandemie beschlossen wurde.
Für die Maßnahmen, die der Stadtrat trotz der äußerst schwierigen Haushaltslage der Landeshauptstadt München zur Umsetzung beschlossen hat bzw. noch beschließen wird und hierfür die bei Fördervorhaben erforderlichen städt. Eigenmittel bereitstellt, ist die Stadtverwaltung dafür gerüstet, die jeweils zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel auch zu sichern.
Ihrem Wunsch entsprechend gehe ich nachfolgend auf die von Ihnen aufgelisteten Förderthemen ein.
Die Europäische Union, der Bund und die Länder haben sich entschlossen, mit zum Teil beträchtlichen Summen das Vorantreiben der Verkehrs- und Klimawende deutlich stärker als bisher zu fördern. Mit der unter deutscher Ratspräsidentschaft am 10. und 11. Dezember 2020 erfolgten Einigung zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Förderperiode 2021-2027 sowie zum Aufbauprogramm Next Generation EU für 2021-2024 ist der Weg für die Beibehaltung bereits bewährter und die Schaffung neuer EU-Förderprogramme geebnet. In der Vergangenheit konnten bereits z.B. aus dem EU-Forschungsprogramm „Horizont 2020“, EFRE-Srukturfonds vereinzeltauf direktem Wege Mittel für besonders innovative Investitionsprojekte akquiriert werden, wie etwa rd. 2 Mio. Euro für das Münchner Fernkältenetz.
Im Rahmen der nunmehr gestarteten neuen EU-Förderperiode 2021-2027 stehen mit dem Nachfolge-Forschungsprogramm „Horizont Europa“ europaweit 95,5 Mrd. Euro für Zukunftsinvestitionen zur Verfügung, wobei explizit Städte bei Maßnahmen zur Verwirklichung der Verkehrs- und Klimawende in den Genuss von Zuwendungen aus dem EU-Haushalt kommen
sollen. Das Programm „Horizont Europa“ beinhaltet fünf Missionen, darunter die für die Kommunen direkt relevante Mission „Climate-neutral and Smart cities“, die auch den „European Green Deal“ beinhaltet. Die Fördergegenstände werden derzeit allerdings erst in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten – insbesondere nach den Bedarfen aller europäischen Städte – im Rahmen der nationalstaatlichen Strukturen ausgearbeitet. Unabhängig von konkreten EU-Aktionsprogrammen, wie etwa das Programm „LIFE“, ist eine konkrete Antragstellung bei Strukturfonds in der Regel ohnehin erst möglich, wenn – nach erfolgtem Budgettransfer über den Bund – der Freistaat Bayern seine operationellen Programme definiert hat.
Für Bundesförderprogramme, die gesamtstaatlich verfügbar sind und zum Teil mit EU-Fördermitteln bedient werden, bestehen Erleichterungen nach den Art. 104b ff. des Grundgesetzes, wonach dem Bund die anteilige Direktfinanzierung von definierten Aufgaben der Länder gestattet ist. Von Kommunen können Bundesprogramme dann direkt beantragt werden, wenn entsprechende Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern geschlossen wurden oder Institutionen mit der Förderung bestimmter Zwecke direkt betraut sind, wie z.B. das Forschungszentrum Jülich.
Bei der Landeshauptstadt München erfolgt die Beantragung fast aller infrage kommender investiver Fördermittel zur Refinanzierung des städtischen Haushalts koordiniert durch die Stadtkämmerei. Sämtliche Fördermöglichkeiten werden für alle durch den Stadtrat beauftragten Investitionsprojekte im Rahmen der Finanzierung ausgelotet und nach entsprechender Antragstellung vereinnahmt.
Förderung und Finanzierung der Radinfrastruktur bis 2023
Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung sollen zusätzliche Mittel in Höhe von 900 Mio. Euro allein für die Förderung des Radverkehrs und den Ausbau der Radinfrastruktur bis zum Jahr 2023 bereitgestellt werden. Zusammen mit den bisherigen Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten in Höhe von rd. 560 Mio. Euro ergeben sich insgesamt rd. 1,46 Mrd. Euro. Hiervon entfallen 657,23 Mio. Euro auf Finanzhilfen andie Länder für das Sonderprogramm „Stadt und Land“. Der Anteil für Bayern beläuft sich auf rd. 95 Mio. Euro.
Bisher werden investive Radverkehrsprojekte grundsätzlich nach BayG-VFG-RZStra gefördert. Mögliche Förderanträge hierzu werden vom Baureferat-Tiefbau beim Freistaat Bayern eingereicht. Absprachegemäß lotet die SKA 2.22 für Radverkehrsprojekte, die nicht nach BayGVFG-RZStra förderfähig sind, Fördermöglichkeiten des Bundes nach der Kommunalrichtlinie aus und beantragt ggf. die Zuwendungen beim Forschungszentrum Jülich. Die dort zur Verfügung stehenden Zuwendungen wurden zwischenzeitlich mit KJP-Mitteln aufgestockt und werden im Einzelfall über einen höheren Fördersatz den Kommunen für förderfähige Projekte gewährt. Nachdem das BayGVFG-RZStra-Kontingent überzeichnet ist und deshalb die Fördersätze von 50% auf 30% reduziert wurden, werden stattdessen Förderanträge von der Stadtkämmerei beim Bund eingereicht und damit Fördersätze von 50% bzw. 80% gesichert.
Das nunmehr aufgelegte Sonderprogramm „Stadt und Land“ sieht Fördersätze von grundsätzlich bis zu 80% vor. Das Baureferat-Tiefbau hat zur Klärung der fachtechnischen Rahmenbedingungen bereits Kontakt mit der Regierung von Oberbayern (ROB) aufgenommen. Auf Nachfrage des Baureferats, weist die ROB auf die grundsätzliche Auflage des Bundes hin, dass die Länder darauf zu achten haben, die Fördermittel gleichmäßig auf urbane und ländliche Bereiche zu verteilen, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Innerhalb Bayerns wird vom zuständigen Fachministerium auch darauf geachtet werden, dass die Kommunen in allen Regierungsbezirken so weit als möglich gerecht bedient werden. Zwischenzeitlich zeichnet sich ein hohes Interesse der bayerischen Kommunen am Förderprogramm „Stadt und Land“ ab. Bei einer zu erwartenden Überzeichnung des Programms wird voraussichtlich vom BayStMWBV eine Aussortierung von Projekten bzw. eine Kontingentierung für die einzelnen Regierungsbezirke stattfinden.
Die im Vorfeld zwischen Bund und den Ländern geschlossene Verwaltungsvereinbarung birgt mit der darin vorgegebenen Zeitschiene die größte Hürde für die Inanspruchnahme des Programms, da demnach die Projekte bis 2023 abgeschlossen sein müssen, aber zum Zeitpunkt der Beantragung noch nicht ausgeschrieben sein dürfen. Abgesehen von den zeitlichen Vorgaben einer Antragstellung, an denen sich der Projektablauf orientieren muss, gibt es weitere Aspekte, wie die erforderliche Durchführung eines Sicherheitsaudits der jeweiligen Planung und die Einreichung einer Wirtschaftlichkeitsberechnung, die vor einer Beantragung zu klären sind.Das Baureferat sondiert unter Beachtung der Vorgaben im Sonderprogramm „Stadt und Land“ mögliche Radverkehrsprojekte, die dem Grunde nach für eine Beantragung nach dem neuen Sonderprogramm in Frage kommen könnten. Dennoch kann sich der Projektablauf aufgrund verschiedener Projektschritte verschieben, so dass eine Umsetzung bis 2023 nicht mehr gehalten werden kann.
Alle vom Stadtrat der Landeshauptstadt München auf den Weg gebrachten Projekte, die die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur zum Inhalt haben, werden dahingehend überprüft, ob die Kriterien für ein Förderprogramm erfüllt sind oder ggf. die Maßnahmen so ergänzt werden können, damit eine Förderfähigkeit hergestellt werden kann. Die Beantragung und Vereinnahmung der Mittel erfolgt in jedem Fall, in dem die Voraussetzungen gegeben sind.
EU Wiederaufbaufonds und Nationaler Wiederaufbaufonds NRRRP
Zur Bekämpfung der Folgen der durch das Corona-Virus entstandenen wirtschaftlichen Krise hat die EU-Kommission den langfristigen EU-Haushalt im Umfang von 1.074 Mrd. Euro mit dem zeitlich befristeten Aufbaufonds „Next Generation EU“ mit 750 Mrd. Euro flankiert. Damit sollen die prioritären Handlungsfelder nach der Coronakrise zukunftsfähig gemacht werden und der Wiederaufbau im Sinne einer Umgestaltung der Wirtschaft langfristig klimagerecht, ökologisch, resilient durch intensive Forschung und nach europäischem Verständnis sozial gestaltet werden (Aufbauplan). Mit dem Fonds „Next Generation EU“ werden bestehende Programme aufgestockt und zusätzliche Forschungsprogramme ermöglicht. Entsprechend dem Beschluss des EU-Parlaments am 9.2.2021 werden die Mittel ab Juli 2021 schrittweise den 27 Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt. Zu beachten ist, dass von den zusätzlichen insgesamt 750 Mrd. Euro allein 360 Mrd. Euro lediglich als Kredite ausgereicht werden und damit keine Zuwendungen, sondern rückzahlungspflichtige Darlehen darstellen. Von den nicht rückzahlbaren Zuwendungen, die mit rd. 312,5 Mrd. Euro in die Verteilungsmasse fließen, kann die Bundesrepublik mit rd. 22,7 Mrd. Euro rechnen, wovon rd. 8.4 Mrd. Euro für den Klimaschutz und rd. 4,5 Mrd. Euro für den Digitalisierungsbereich verwendet werden sollen.
Damit diese zusätzlichen Mittel an die Mitgliedsstaaten ausgereicht werden können, legen diese nationale Aufbaupläne vor, die den Erfordernissen des europäischen Aufbauplans (s.o.) Rechnung tragen und die Verwendung der zusätzlichen Mittel für die vorgesehenen Handlungsfelder darlegen. Ob, wie und unter welchen Voraussetzungen Kommunen von diesen
zusätzlichen Mitteln profitieren können, wird derzeit ausgearbeitet undanschließend über die bewährten Strukturen der Kommunalen Spitzenverbände kommuniziert und für alle vorhandenen Investitionsprojekte geprüft. Unabhängig davon ist geplant, einen Teil der vom Bund mit dem Konjunktur- und Krisenpaket bereitgestellten Mittel, wie etwa dem Flottenerneuerungsprogramm für schwere Nutzfahrzeuge sowie der Ausstattung finanziell benachteiligter Schüler*innen mit Laptops und der Beschaffung von Laptops für Lehrkräfte mit den EU-Mitteln rezufinanzieren. Für die Laptopbeschaffung wurden der LHM bereits Zuwendungen in Höhe von rd. 10 Mio. Euro überwiesen.
MFR – Mehrjähriger Finanzrahmen
Der mehrjährige Finanzrahmen ist die Grundlage der EU-Finanzen für die Jahre 2021-2027 und die Finanzierungsquelle für die gemeinsamen Aufgaben in der EU. Eine direkte Förderung von Kommunen ist damit nicht verbunden, diese erfolgt über die im EU-Haushalt enthaltenen Förderprogramme (s.o.).
City Climate Finance Gap Fund
Der City Climate Finance Gap Fund ist ein multinationales Projekt zur Transformation von Städten in Entwicklungs- und Schwellenländern. Für die Landeshauptstadt München bieten sich daher keine Refinanzierungsmöglichkeiten an.
Wir gehen davon aus, dass damit Ihre Anfrage vom 12.1.2021 beantwortet ist.