Informationsveranstaltung zur Situation der Uiguren in China
Antrag Stadtrats-Mitglieder Christian Müller, Cumali Naz, Marian Offman, Dr. Constanze Söllner-Schaar und Christian Vorländer (SPD-Fraktion) vom 13.12.2019
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Sie beantragen, dass die Landeshauptstadt München eine Informationsveranstaltung zur Situation der Uiguren in China ausrichtet und hierzu Interessierte, Expert*innen und Betroffene einlädt. Außerdem sollen Möglichkeiten für die Hilfestellung für Betroffene durch die Landeshauptstadt München aufgezeigt werden.
Zur Antragsbegründung haben Sie Folgendes ausgeführt:
„Dokumente aus dem Inneren des chinesischen Staatsapparates sollen die systematische Überwachung und Unterdrückung der Uiguren belegen. So soll mindestens eine Million der muslimischen Minderheit der Uiguren in Erziehungslagern interniert sein. Aus den Dokumenten geht auch hervor, dass seitens der chinesischen Staatsführung ein hartes Vorgehen gegen die muslimische Minderheit angeordnet worden sei. Die Menschen in den Lagern sollen zu Lerninhalten gezwungen werden und bei Ablehnung drohe Folter und Repression.
Da in München der Verein Uigurische Gemeinde in Europa e.V. seinen Sitz hat und in München die größte Uigurische Gemeinde Europas lebt, ist ein Diskurs über die geschilderte Situation auch mit Beteiligung der Öffentlichkeit, mit Fachleuten und Betroffenen zu führen.“
Für die von Ihnen gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich. Mit Ihrem Einverständnis beantworte ich Ihren Antrag per Brief.
Die Situation der Uigur*innen in China fällt als diplomatische Thematik in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amts. Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist gemäß Art. 32 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Sache des Bundes. Er hat für die auswärtigen Angelegenheiten die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). Hinzu kommt das Handeln der Europäischen Union auf internationaler Ebene nach Maßgabe der Art. 23 ff. des EU-Vertrages (EUV). Zudem ist die Lage der Menschenrechte im autonomen Gebiet Xinjiang/China auch eine Angelegenheit der internationalen Staatengemeinschaft. Die Landeshauptstadt München ist folglich hier nicht zuständig.
Auf EU- und Bundesebene wird die problematische Situation der Uigur*innen in China sehr ernst genommen und in den zuständigen Gremien immer wieder behandelt.
Die Bundesregierung mit Bundeskanzlerin und Auswärtigem Amt als federführendem Ministerium sowie der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, die Präsidentin der EU-Kommission und der Präsident des Europäischen Rates als Exekutivorgane bemühen sich in ihren jeweiligen Funktionen und Zuständigkeiten auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen in bilateralen und multilateralen Gremien, die chinesische Regierung an die Einhaltung ihrer international zugesagten Verpflichtungen zu erinnern und diese einzufordern.
Der Bundestag, die zuständigen Ausschüsse – hier sind vor allem der Auswärtige Ausschuss und der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu nennen – sowie das Europäische Parlament und die auch hier insbesondere zuständigen Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten sowie für Menschenrechte behandeln das Thema regelmäßig und fordern von den Exekutivorganen Informationen über die Entwicklung der Situation, über die unternommenen Anstrengungen und bringen Vorschläge ein. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe führte am 18.11.2020 eine Anhörung zur Lage der Menschenrechte in China durch. Die Lage der uigurischen Volksgruppe in der Volksrepublik China war ein Schwerpunktthema. Abgeordnete und Ausschüsse beider Parlamente setzten sich darüber hinaus im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Verbesserung der Situation der Uigur*innen ein.
In verschiedenen Antworten auf Anfragen von Bundestagsfraktionen und Abgeordneten sowie bei der Behandlung von Anträgen informiert die Bundesregierung über ihre kontinuierlichen, vielfältigen und umfangreichen Bemühungen im bilateralen Austausch mit der chinesischen Regierung, mit Bündnispartner*innen sowie in multilateralen Organisationen auf allen Ebenen, die zur Verfügung stehen. Auch die Exekutivorgane der EU informieren das EU-Parlament und dessen Ausschüsse.
Aktuell haben am 22.3.2021 die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten im Rat der EU nach 30 Jahren erstmals wieder Sanktionen gegen China beschlossen (Beschluss (GASP) 2021/481). Die Maßnahmen richten sich gegen Personen und Organisationen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen und -verstöße verantwortlich sind. Ins Visier genommen wurden Verantwortliche für die Menschenrechtsverletzungen in der Region Xinjiang.Die EU-Verordnung 2020/1998 und der Beschluss (GASP) 2020/1999 vom 7.12.2020 sehen als globale Sanktionsregelungen der EU im Bereich der Menschenrechte das Einfrieren der Vermögenswerte der in den Sanktionslisten aufgeführten Personen und Organisationen vor. Außerdem dürfen ihnen keine Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist ihnen die Einreise in die EU verboten.
Auch auf Landesebene wurden in Bayern Anfragen und Anträge zur Situation der Uiguren eingebracht, die in den entsprechenden Ausschüssen und im Plenum behandelt wurden. Am 7.11.2019 beschloss der Landtag auf Antrag der SPD: „Der Landtag betrachtet mit Sorge, dass sich in den vergangenen zehn Jahren die Menschenrechtssituation der Uiguren in der Volksrepublik China dramatisch verschlechtert hat. Der Landtag fordert die Staatsregierung auf, sich in geeigneter Art und Weise für eine Verbesserung der Situation der Uiguren einzusetzen.“
Zu den Bemühungen der zuständigen Organe auf EU-, Bundes- und Landesebene habe ich Ihnen nachfolgend einige Aktivitäten der letzten Zeit zusammengestellt:
- B9-0248/2019-Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments zur Lage der Uiguren in China vom 17.12.2019
- EU-Kommission und EU-Ratspräsidentschaft fordern anlässlich des Digitalgipfels von Leipzig vom 14.9.2020 den Zugang von unabhängigen Beobachtern nach Xinjiang
- EU-China-Investitionsschutzabkommen in der Fassung der vorläufigen Einigung vom 22.1.2021 (Internet https://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=2237 mit Abrufsstand 15.3.2021): Die Präambel nimmt Bezug auf die Menschenrechtserklärung der UN von 1948
- EU-ABl. L 99I vom 22.3.2021, S. 25
- Deutscher Bundestag Drs. 19/18014, 19/18890; Drs. 19/19883,
19/20411; Drs. 19/17687, 19/20346
- Bayerischer Landtag Drs. 18/3384, Drs. 18/4434, Drs. 18/4663
Was die kommunale Ebene betrifft, so hat diese für das Wohl und die Sicherheit der Stadtgesellschaft vor Ort zu sorgen. Dies gilt auch für die in München lebenden Uigur*innen. Dies sind laut Landtagsdrucksache 18/3384 in München knapp 800 Menschen. Die Stadt ist hier insbesondere zuständig für die Regelung der ausländerrechtlichen Belange, sie bietet bei Bedarf direkte, individuelle Hilfestellungen und fördert bzw. unterstützt Maßnahmen zur Erhaltung der kulturellen Identität. Anlässlich Ihres Antra-ges habe ich mich mit den städtischen Referaten abgestimmt, die bei ihrer Tätigkeit mit Aspekten der Thematik in Berührung kommen:
-Mit der Prüfung der humanitären Aufenthalte befasst sich das Kreisverwaltungsreferat. Im Vollzug des Ausländerrechts folgt es bei Asylverfahren den Vorgaben der Länderempfehlung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die auf den Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes und dessen Empfehlung verweist. Demnach ist bis auf weiteres von Rückführungen von Uigur*innen nach China abzusehen. Uigurische Asylbewerber*innen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die eine veränderte Verfolgungssituation vorbringen wollen, können einen Asylfolgeantrag stellen (vgl. Bundestag Drs. 19/4421 Antwort auf Frage Ziffer 21).
-Für die verschiedensten und sehr individuellen Lebenslagen bietet die Landeshauptstadt München vielfältige Unterstützungsleistungen an, sowohl direkt durch ihre eigenen Dienst- und Beratungsstellen als auch über Projekte von städtisch geförderten freien Träger*innen. Im Sozialreferat betrifft dies v.a. die Themenbereiche Leistungen für Geflüchtete, Förderung der Selbsthilfe und Vernetzung von Migrant*innenselbsthilfeorgansationen.
Zu nennen ist hier insbesondere der Förderverein Refugio München e.V., dessen Hilfsangebot auch den in München lebenden Uigur*innen zur Verfügung steht.
Refugio ist ein Beratungs- und Behandlungszentrum für Geflüchtete, das nahezu hälftig durch Fördermittel der Landeshauptstadt München (Sozialreferat und Gesundheitsreferat) finanziert wird. Es bietet Menschen Hilfe, die aus ihren Herkunftsländern vor Krieg, Verfolgung und Folter geflohen sind und auf der Flucht Schreckliches erleben mussten.
-Bereits seit 2015 fördert das Kulturreferat Kulturveranstaltungen der uigurischen Community in München. Zu nennen sind hier der Kulturverein ARZU e.V. und der Weltkongress der Uiguren e.V. Im Wesentlichen geht es den Vereinen um die Pflege und die Präsentation von Kulturtechniken in der Diaspora in Form von Märchenerzählungen, Liedern und Tänzen.
Durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen bemüht sich der Weltkongress der Uiguren e.V. zusammen mit anderen in München ansässigen uigurischen Vereinen, auf die schwierige und menschenrechtlich sehr bedenkliche Situation der Uigur*innen in China aufmerksam zu machen und den Facettenreichtum der uigurischen Kultur zu präsentieren. Das Kulturreferat unterstützt Veranstaltungen dieser Art in der Regeldurch die Übernahme von Honoraren für Künstler*innen und Kurator*innen.
Zudem ist das Kulturreferat seit dem Jahr 2000 Kooperationspartner des P.E.N. (Poets, Essayists, Novelists) Zentrums Deutschland beim Writers-in-Exile-Programm. Bei diesem Programm können sich auch uigurische Autor*innen, die politisch verfolgt sind, bewerben und vorschlagen lassen. Das Kulturreferat stellt zwei städtische Wohnungen mietfrei zur Verfügung, in denen ausgewählte Autor*innen zwischen ein und drei Jahren wohnen können. Die Belegung erfolgt durch das P.E.N. Zentrum; die bzw. der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien vergibt ein Stipendium.
Zusammenfassend darf ich festhalten, dass durch die zuständigen Stellen auf nationaler und internationaler Ebene Aktivitäten und Initiativen erfolgen, die unmittelbar auf die Situation der Uigur*innen in China abzielen. Menschenrechtsverletzungen vor Ort müssen aufgeklärt und Verantwortliche müssen mit individuellen Sanktionen belegt werden. Auf kommunaler Ebene unterstützt und fördert die Landeshauptstadt München primär das Leben und Wirken der in unserer Stadt lebenden uigurischen Gemeinde. Ich bitte deshalb um Verständnis, dass ich eine Informationsveranstaltung und einen Diskurs über die geschilderte Situation der Uigur*innen in China unter Beteiligung der Öffentlichkeit, mit Fachleuten und Betroffenen, wie Ihrerseits beantragt, mangels kommunaler Zuständigkeit nicht durchführen kann. Für Anliegen auf kommunaler Ebene stehen die Fachreferate jedoch stets gerne beratend und unterstützend zur Verfügung.
Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit hiermit abgeschlossen ist.