Stadtratsexkursion zum Klimaquartier in Esslingen
Antrag Stadträtin Nicola Holtmann (Fraktion ÖDP/FW) vom 13.7.2021
Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz:
Wir nehmen Bezug auf Ihren Antrag vom 13.7.2021 und möchten uns für Ihre Bereitschaft, die Aktivitäten der Landeshauptstadt München im Zusammenhang mit der Erreichung des Klimaschutzziels zu unterstützen, bedanken.
Das Direktorium hat das Referat für Klima- und Umweltschutz mit der Bearbeitung des von Ihnen gestellten Antrags Nr. 20-26/A 01662 beauftragt. Sie beantragen eine Stadtratsexkursion zum Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in Esslingen, um ein nachhaltiges Quartier mit einer in Deutschland einzigartigen Technologie zu besichtigen. Sie führen in Ihrem Antrag aus, dass München sobald als möglich Kontakt zur Stadt Esslingen aufnehmen soll, um von den Projektergebnissen zu profitieren.
Die Stadtverwaltung beschäftigt sich im Rahmen ihres täglichen Handelns für den Klimaschutz mit effizienten und zukunftsweisenden Methoden, die Dekarbonisierung des Energieverbrauchs auf Stadtebene voranzutreiben um die Klimaschutzziele der Landeshauptstadt München zu erreichen. Hierzu ist sie nicht nur in ständigem Austausch mit Kolleg*innen aus anderen Häusern und Gesellschaften, sondern auch mit Verantwortlichen anderer Städte und Gemeinden. Es ist zur Beurteilung der vielfältigen und komplexen Systeme zweckvoll, von den gegenseitigen Erfahrungen und Lösungsansätzen der Experten*innen zu profitieren.
Das Projekt wurde bereits im Rahmen einer Veranstaltung des Referats für Klima- und Umweltschutz im Bauzentrum München am 29.11.2021 vom Stadtplanungsamt Esslingen Neckar vorgestellt (Web-Forum „Klimaneutrale und klimaresiliente Quartiere“: Projektbericht: Klimaneutrales Stadtquartier – neue Weststadt Esslingen: Städtebauliche Schwerpunkte und Klimaschutzaspekte vorgestellt, Unterlagen im Nachgang unter download. bauzentrum-muenchen.de/index.php/category/314-2021 abrufbar).
Der Inhalt des Antrages betrifft damit eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Sie beantragen eine Stadtratsexkursion zum Neubaugebiet des vormaligen Güterbahnhofs in Esslingen, auf dem das neue, innovative Stadtquartier„Neue Weststadt“ entstanden ist, welches sich als zukunftsweisendes, ressourcenschonendes, emissionsfreies und energiebewusstes Viertel bezeichnet. In dem urbanen Vorzeigequartier mit ca. 480 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie neuer Hochschule wird ein Energiekonzept umgesetzt, das die Versorgung auf Quartiersebene löst und mit hoher ökologischer Qualität sichert. Sie erwähnen die in diesem Quartier angestrebte CO2-Emission i.H.v. einer Tonne pro Bewohner*in und Jahr für Wohnen und Mobilität. Ebenso bedeutend erscheint Ihnen die Technologie, einen Stromüberschuss mittels Wasserstoff zu speichern und bedarfsgerecht wieder zu verstromen. In zahlreichen deutschen Städten wird zunehmend die lokale Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Kälte erprobt, um effiziente und klimaresiliente Quartiere zu schaffen.
In Ihrem Antrag führen Sie aus, die Landeshauptstadt München solle sich mit der Stadt Esslingen in Verbindung setzen und von den bisherigen Erfahrungen profitieren und eine Übertragbarkeit prüfen. Des Weiteren bitten Sie das Referat für Klima- und Umweltschutz, für interessierte Stadtratsmitglieder eine Exkursion zur „Neuen Weststadt“ zu organisieren.
Wir können Ihren Wunsch nach einer gemeinsamen Besichtigung dieses neuen Projekts gut verstehen, bitten jedoch um Verständnis, dass wir aus unterschiedlichen Gründen dieser Bitte nicht nachkommen können. Dies möchten wir Ihnen im Weiteren näher erläutern.
Zur Funktionsweise
Die Schlüsseltechnologie für das Quartier besteht darin, überschüssigen erneuerbaren Strom aus den lokalen Photovoltaik-Anlagen und aus überregionaler Erzeugung (Fremdstrom) mittels Elektrolyse umzuwandeln. Es entsteht grüner Wasserstoff, der gespeichert, an Dritte verkauft und zur Deckung des eigenen Wärmebedarfs im Quartier umgewandelt wird. Die Wärme, die beim Vorgang der Elektrolyse entsteht, wird ebenfalls zur Versorgung des Quartiers beitragen.
Der beispielhafte Ansatz besteht darin, eine effiziente und energiewendedienliche Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität auf lokaler Ebene zu realisieren. Die 480 Wohnungen, Büro- und Gewerbeeinheiten und die neue Hochschule Esslingen wurden mit entsprechenden Versorgungsinfrastrukturen und einer Energiezentrale ausgestattet, die jährlich 85 Tonnen grünen Wasserstoff für den Power-to-Gas Prozess herstellt. Das öffentliche Strom- und Gasnetz wird als weitere Quelle sowie als Back-up für das System genutzt.Zur Initiative
Bei der „Neue(n) Weststadt“ handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das zu den sechs städteplanerischen Leuchtturmprojekten gehört, die mit Mitteln des BMWi und BMBF gefördert wurden. Maßgeblich beteiligt an dem Projekt waren das Steinbeis-Innovationszentrum energieplus, der Bürgermeister von Esslingen, die Firma POLARSTERN sowie die Stadtwerke Esslingen (SWE). Die Einweihung fand am 22.6.2021 statt; das dazugehörige Video ist zu finden unter neue-weststadt.de.
Zur Übertragbarkeit
Das Projekt hat ‚Testcharakter‘ und wurde mit viel Anstrengung und hohen Fördersummen des Bundes realisiert. Die meisten der Weststadt-Wohnungen sind bezogen, die Fertigstellung der Wohnanlage wird allerdings erst 2022 erfolgen, damit befindet sich neue Technologie erst in der Startphase. Deshalb liegen weder erste Erfahrungen (Funktionssicherheit, Bewohner*innen-Zufriedenheit, Kosten, Wartungsanfälligkeit etc.) noch verwertbare Daten zur Energieeffizienz und der angestrebten Zielwerterreichung vor, auf deren Basis fundierte Schlussfolgerungen zur Übertragbarkeit auf München gezogen werden könnten. Hinzu kommt, dass für dieses Pilotprojekt systembedingt Fremdstrom und Erdgas hinzugekauft werden muss, sodass aus Sicht des Referats für Klima- und Umweltschutz die tatsächliche Bilanz der Treibhausgasemissionen des Quartiers abzuwarten und von uns zu bewerten wäre.
Zur Erreichung der Klimaneutralität in München werden fossile Energieträger, wie z. B. Erdgas, sukzessive reduziert und der vorhandene Bedarf substituiert. Der Einsatz von Wasserstoff wird eine Handlungsoption unter mehreren sein (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 04126 „Klimaschutz in München – Bericht zur Studie Klimaneutrale Wärme München 2035“ sowie Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 05040 „Grundsatzbeschluss II, Klimaneutrales München 2035: Von der Vision zur Aktion“), die die gesamte Energiewende vorantreiben sollen.
Die Stadt München sieht aufgrund ihrer Lage in Bayern und den damit verbundenen geologischen Gegebenheiten eine zentrale Säule der zukünftigen Wärmeversorgung in der tiefen- und der oberflächennahen Geothermie. Hervorzuheben ist hier die Nutzung des Grundwassers als stabile und umweltfreundliche Quelle zur direkten Wärmeentnahme.
In der Wärmeplanung der Stadt steht der kontinuierliche Zubau der Geothermie, die Intensivierung der Solarenergienutzung und der Einsatz von dezentralen Systemen mit umweltfreundlichen Technologien (z.B. Wärme-pumpen) im Vordergrund. Somit wird eine Übertragbarkeit der Technologie, die in Esslingen zum Einsatz kommt, auf München zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesehen.
Derzeit liegen meiner Fachabteilung keine Quartiere mit innovativen und zukunftsweisenden Energiekonzepten vor, die aufgrund ihrer guten Übertragbarkeit auf München Vorbildcharakter haben und einen Besuch sinnvoll erscheinen lassen. Sobald wir im Zuge der Quartiersentwicklung Kenntnis über eine geeignete Kommune erhalten, werde ich Sie gerne informieren und weitere Schritte für eine Exkursion einleiten.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.