Kommunaler Umgang mit Spielhallen, Wettbüros und anderen gewerblichen Orten der suchtfördernden Glücksspielindustrie
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 21.3.2022
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Ihre Anfrage vom 21.3.2022 wurde im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter in Federführung dem Kreisverwaltungsreferat zur Beantwortung zugeleitet.
Zu den gestellten Fragen teile ich Ihnen Folgendes mit:
Frage 1:
Wie viele legale Spielhallen, Wettbüros und Casinos gibt es aktuell in München?
Antwort:
In München gibt es aktuell 175 genehmigte Spielhallen und 122 gemeldete Sportwettbüros. Die Erlaubnisbehörde für Wettvermittlungsstellen (worunter auch Sportwettbüros fallen) ist die Regierung von Oberbayern. Diese duldete diese Form der Sportwettvermittlung bis zum Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags zum 1.7.2021 per Bescheid. Mittlerweile befinden sich die Wettvermittlungsstellen in der Genehmigungsphase. Casinos (Spielbanken) dagegen sind staatliche Einrichtungen. In München befindet sich kein Casino.
Frage 2:
Wird der an diesen Orten generierte Umsatz von der Landeshauptstadt statistisch erfasst? Wenn ja, wie hoch ist er?
Antwort:
Der generierte Umsatz wird von der Landeshauptstadt München nicht erfasst. Eine gesetzliche Grundlage zur Erhebung dieser Daten existiert in den von der Landeshauptstadt München vollzogenen rechtlichen Bereichen nicht.
Frage 3:
Wieviel Personal ist für die Umsetzung der Vollzugsleitlinien des Bayerischen Innenministeriums im Bereich Sportwetten eingesetzt?
Antwort:
Aktuell verteilt sich der Vollzug des GlüStV (neben Sportwetten auch Spielhallen und Tombolen) auf drei Stellen, die gleichzeitig aber auch weitere Rechtsgebiete (z.B. Gaststättenrecht, Prostituiertenschutz) betreuen. Zudem gibt es Stellenkontingente in der Rechtsabteilung und der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferates.
Frage 4:
Welche Auswirkungen auf die kommunalen Aufgaben hat der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens (Glücksspielvertrag 2021 – GlüStV 2021)?
Antwort:
Aufgrund des aktuellen Glücksspielstaatsvertrags aus dem Jahr 2021 müssen für alle Spielhallenbetriebe neue Erlaubnisse gem. § 24 Abs. 1 GlüStV ausgereicht werden. Hierbei erfolgt jeweils eine Prüfung der notwendigen Antragsunterlagen und der Erfüllung der technischen Anforderungen (Anschluss an die OASIS-Sperrdatei durch die Betriebe). Da die Erlaubnisse zu befristen sind (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 2 GlüStV), erfolgt nach Fristablauf (fünf Jahre) eine weitere, befristete Erlaubniserteilung.
Sportwettbetriebe werden durch die Regierung von Oberbayern befristet genehmigt. Hier erfolgt im Vorfeld der Einzelgenehmigung auf Anfrage der Regierung eine Prüfung durch das Kreisverwaltungsreferat bezüglich der Einhaltung von Mindestabständen und sonstiger räumlicher Vorgaben (vgl. Art 7 Abs. 2 AGGlüStV).
Frage 5:
Wie häufig kontrolliert die Stadt Mindestabstandsgebote zwischen Wettbüros, Spielhallen und Automatenaufstellorten?
Antwort:
Die Einhaltung des Mindestabstands ist grundsätzlich Genehmigungsvoraussetzung für die Neuerteilung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse bei Spielhallen und wird nur einmalig bei Antragstellung einer neuen Spielhalle geprüft (siehe hierzu auch Antwort zu Frage 4).
Bei bereits bestehenden Spielhallen gibt es gemäß Art.10 Abs.3 AGGlüStV Sonderregelungen und Ausnahmen von der Abstandsregelung. Auch bei Sportwettbetrieben wird das Abstandsgebot im Rahmen der Erlaubniserteilung von der zuständigen Behörde, der Regierung von Oberbayern, geprüft. Sofern mit Automatenaufstellorten z.B. Gaststätten gemeint sind, wird angemerkt, dass insoweit kein Abstandsgebot gilt.
Frage 6:
Wie häufig kontrolliert die Stadt Aufenthaltsverbote in Spielhallen und Wettbüros für bereits verschuldete Spieler*innen?
Antwort:
Der Stadt München ist nicht bekannt, wie viel verschuldete Spieler*innen es in München gibt. Über Aufenthaltsverbote in solchen Einrichtungen liegen keine konkreten Erkenntnisse vor.
Gemäß § 8 i.V.m § 23 GlüStV muss in den genannten Spielstätten das Spielersperrsystem OASIS („Onlineabfrage Spielerstatus“) vorhanden sein. Personen können sich entweder selbst auf Antrag in diesem System sperren lassen (Selbstsperre) oder von anderen, z.B. aufgrund einschlägiger Wahrnehmungen gesperrt werden (Fremdsperre). Für die Betreiber*innen der genannten Spielstätten besteht gemäß § 8 Abs.3 GlüStV die Verpflichtung, spielwillige Personen durch Kontrolle eines amtlichen Ausweises oder eine vergleichbare Identitätskontrolle vor Ort zu identifizieren und einen Abgleich mit der Sperrdatei durchzuführen sowie sicherzustellen, dass gesperrte Spieler nicht an Glücksspielen teilnehmen. Ob die Betreiber*innen dieser Verpflichtung nachkommen, wird im Rahmen der ohnehin mindestens zweimal jährlich stattfindenden unangekündigten Betriebskontrollen überprüft.
Frage 7:
Wie häufig begegnet den Berater*innen in Schuldnerberatungsstellen die Problematik der pathologischen Spielsucht in Verbindung mit Überschuldung?
Antwort: Beantwortung durch das Sozialreferat
Grundsätzlich können die Berater*innen der Schuldnerberatungsstellen nur eigene Einschätzungen abgeben, da das Thema pathologische Glücksspielsucht nicht statistisch erfasst wird bzw. erfasst werden kann.
Die Spielsucht gehört zu den stoffungebundenen Süchten. Diese Suchterkrankungen lösen grundsätzlich weniger Ängste aus und sind auch weniger präsent in der Öffentlichkeit, den Medien und der Forschung als die stoffgebundenen Abhängigkeiten.
Bundesweit gibt es laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen ca. 330.000 Personen mit einem problematischen Suchtverhalten und ca. 180.000 Personen mit einem pathologischen Suchtverhalten.Aus der Deutschen Suchthilfestatistik geht hervor, dass nur ca. 8% der Spielsüchtigen professionelle, therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Legen wir diese Zahlen auf München um, so ergäben sich folgende Annahmen:
0,2% der Bevölkerung sind pathologisch Spielsüchtige, d.h. ca. 3.000 Personen.
Von den 3.000 Personen nehmen 8% professionelle, therapeutische Hilfen in Anspruch; daraus folgt, dass ca. 240 pathologisch Spielsüchtige diese Hilfen in Anspruch nehmen.
Insgesamt gab es 2021 in München nur ca. 10 Personen in der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatung, bei welchen eine Suchtproblematik als Verschuldungsursache angegeben wurde.
Aber: Die pathologische Spielsucht ist eine substanzungebundene Sucht, welche sich im Verborgenen abspielt. Viele Spielsüchtige zeigen nach Au-ßen ein normales Verhalten, auch ist es eine Sucht, welche gesellschaftlich zum Teil sogar Ansehen genießt; gemeint ist hier vor allem das „Zocken auf dem Aktienmarkt“, das Wetten bei Pferderennen, usw.
Für die Beratungsfachkräfte in den Schuldnerberatungsstellen ist es damit schwierig, eine pathologische Spielsucht zu erkennen. Bei akutem und bekanntem Suchtproblem ist eine Entschuldung in der Regel erst nach erfolgreicher Therapie sinnvoll und möglich.
Die städtische Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle führt seit ca. zehn Jahren monatlich eine anonyme Sprechstunde für suchtkranke Menschen im Beratungshaus an der Paul-Heyse-Straße durch. Diese wird auch von pathologisch Spielsüchtigen wahrgenommen.
Frage 8:
Welche Schutzkonzepte, Maßnahmen und/oder Kampagnen plant die Landeshauptstadt, um Spieler*innen und hier vor allem jungen Menschen die Gefahren pathologischer Spielsucht nahezubringen?
Antwort: Beantwortung durch das Gesundheitsreferat und das Sozialreferat
Textbeitrag des Gesundheitsreferats:
In Bayern gibt es seit 2008 die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern (LSG), die fachlich unabhängig ist und das Ziel verfolgt, die Öffentlichkeit zu Glücksspielsucht aufzuklären sowie die Prävention, Suchthilfe und Suchtforschung zu verbessern. Alle im Folgenden beschriebenen Angebote stehen auch in München zur Verfügung.
Unter anderem hat die LSG folgende Maßnahmen ergriffen und Kampagnen initiiert:
-Kampagne mit Radio-, TV-Spots, Social Media, Webseite und zahlreichen Informationen („Verspiel nicht dein Leben“)
-Facebook-Auftritte für unterschiedliche Zielgruppen (Fachpublikum, Betroffene, Angehörige) und Instagram-Kampagne „Zockerheld“ -Youtube-Channel
-mehrere Internetseiten für unterschiedliche Zielgruppen (z.B. http://www.verspiel-nicht-dein-leben.de)
-Vorträge, z.B. im Rahmen des Programms der vhs
-Online-Beratung mit Chat-, Mail-, Messenger- und Video-Beratung („Play-Change“)
-Selbsthilfe-Smartphone-App („PlayOff“)
-Für Angehörige: Online-Angebot und Online-Tutorial („Verspiel nicht mein Leben – Entlastungstraining für Angehörige“, „LOSgelöst“)
Darüber hinaus ist eine große Social-Media-Kampagne in diesem Jahr geplant.
Im Auftrag der LSG bietet die Aktion Jugendschutz in Bayern (AJ) im Rahmen des erzieherischen Jugendschutzes Materialien, Konzepte, Schulungen und Fachberatung an.
Hier werden einerseits Multiplikator*innen aus Prävention, Jugendhilfe, Schule, Gesundheitsförderung und Sport für die Gefahren von Glücksspielen für Heranwachsende sensibilisiert und befähigt, mit jungen Menschen zum Thema Glücksspielsucht zu arbeiten (z.B. schulspezifisches Programm „Hans im Glück“, Jugendschuldenprävention „Geld & Glück“). Andererseits sprechen die Maßnahmen auch Jugendliche und junge Erwachsene direkt an (z.B. Kampagne „Glücksspiel zum Thema machen“ oder Computerspiel und Smartphone-App „Spielfieber“).
Von der Landeshauptstadt München selbst gibt es das durch das Referat für Bildung und Sport, das Jugendamt und das Gesundheitsreferat initiierte Münchner Programm zur Suchtprävention. Die primäre Zielgruppe Kinder und Jugendliche wird hier über mehrere Projekte dabei unterstützt Lebenskompetenzen zu entwickeln, die präventiv einer möglichen Suchtentwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter entgegenwirken.Das Münchner Programm ist mit allen Akteur*innen der Suchtprävention in München und Bayern vernetzt. Die Verantwortlichen des Münchner Programms und der Aktion Jugendschutz planen eine Intensivierung ihrer Zusammenarbeit in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Multiplikator*innenschulungen zum Thema „Glücksspielsucht“.
Die städtische Suchtberatung bietet darüber hinaus für Erwachsene mit einer Glücksspielproblematik Beratung und Vermittlung in weiterführende Behandlungsmöglichkeiten an.
Textbeitrag des Sozialreferats:
Im Bereich der Schuldenprävention wird das Thema Glücksspielsucht verschiedentlich in der Erstellung von Konzepten als thematisch angrenzendes Thema berücksichtigt und je nach Auftragsschwerpunkten sowohl im schulischen Bereich als auch in Einrichtungen der Jugendhilfe in den Unterrichtseinheiten oder gebuchten Workshops mit einbezogen.
Spiel für Jugendliche ab 14 Jahren zum Thema Glücksspielsucht: Das Schuldenpräventionsprojekt CASHLESS-MUENCHEN hat zum Thema Glücksspielsucht in Kooperation mit der Aktion Jugendschutz, Referat für Glücksspielsucht ein Spiel entwickelt, das das Thema Spielsucht aufgreift. Das Spiel „Geld und Glück“ ist für Jugendliche und junge Erwachsene ab 14 Jahren konzipiert. Es kann gut in Gruppen bis zu neun Personen eingesetzt werden und ist sehr gut geeignet, um eine Auseinandersetzung zu dem Thema anzuregen.
Zu beziehen unter www.cashless-muenchen.de.
Schulischer Bereich:
In Mittelschulen wird punktuell ein Stationenlauf mit dem Titel „Spielgeld“ durchgeführt.
Der Stationenlauf “Spielgeld“ ist ein Angebot für Schüler*innen in Deutschlern- und Regelklassen der 8. und 9. Klasse an Mittelschulen. Er rückt die Auseinandersetzung mit Glück, Spiel und Geld in den Mittelpunkt und unterstützt Teilnehmer*innen dabei, ihre Finanzkompetenz zu entwickeln. Die Schüler*innen setzen sich dabei mit verschiedenen Aspekten rund um das Geld und Spiele auseinander. Die Schüler*innen erhalten Informationen über Möglichkeiten und Gefahren bei (Glücks-) Spielen und reflektieren ihre Einstellung dazu.
Kindertagesstätten:
Im Bereich der Kindertagesstätten wird im Rahmen der Präventionsveranstaltungen zur Konsumerziehung zum Thema Suchtprävention auf die Kon-zepte der Aktion Jugendschutz, spielzeugfreier Kindergarten hingewiesen. http://www.spielzeugfreierkindergarten.de.
Des Weiteren weisen wir auf die bestehenden Suchtberatungsstellen in der Landeshauptstadt München hin.
Frage 9:
Sind eventuell vorhandene Schutzkonzepte, Maßnahmen und /oder Kampagnen mehrsprachig verfügbar, so dass auch Betroffene in den verschiedenen migrantischen Communities erreicht und informiert werden können?
Antwort: Beantwortung durch das Gesundheitsreferat
Von der LSG und der AJ gibt es für Betroffene aus migrantischen Communities:
-Kampagne und Webseite „Verspiel nicht dein Leben“ in 14 verschiedenen Sprachen
-Online-Beratung in türkischer Sprache voraussichtlich ab Sommer 2022 -türkischsprachige Telefon-Hotline
-Selbsthilfe-Smartphone-App in türkischer Sprache („PlayOff“) -kostenfreie Broschüre in deutscher, englischer, französischer, russischer und türkischer Sprache für Eltern („Spielen – Wetten – Zocken. Glücksspiele bei Kindern und Jugendlichen“).
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten.