Weitere Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) – Famulaturen und PJ Abschnitte im Gesundheitsreferat ermöglichen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 20.12.2021
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie beantragen, dass sich das Gesundheitsreferat unter der Beteiligung des Personal- und Organisationsreferates an die beiden Medizinischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Technischen Universität München mit dem Ziel wendet, dass mindestens eine der beiden Universitäten eine Kooperationsvereinbarung bzw. Anerkennung mit dem Gesundheitsreferat abschließt, damit ab dem Wintersemester 22/23 Famulaturen und PJ-Abschnitte auch im Gesundheitsreferat München möglich sind.
Zu Ihrem Antrag können wir Ihnen mitteilen, dass entsprechende Initiativen bereits stattgefunden haben und die notwendigen Vorbereitungen getroffen wurden, die Ihrem Antrag zugrunde liegen.
Zu Ihrem Antrag vom 20.12.2021 teilen wir Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Folgendes mit:
In der Coronapandemie wurde die große Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) in der Allgemeinbevölkerung und in Fachkreisen bewusst wahrgenommen. Die ärztliche Arbeit in diesem Bereich beschränkt sich jedoch bei weitem nicht nur auf Contact Tracing im Rahmen des Pandemiemanagements, sondern umfasst alle Belange der öffentlichen Gesundheitspflege. Seit Jahren ist die Stellensituation im ÖGD bundesweit und auch in München äußerst angespannt, zudem gestaltet sich eine adäquate Personalgewinnung äußerst herausfordernd und häufig langwierig.
Der ÖGD konkurriert mit den anderen medizinischen Tätigkeitsfeldern um gut ausgebildetes Personal. Dabei sind vor allem zwei Gründe zu nennen, warum eine ärztliche Tätigkeit im ÖGD von vielen nicht in Betracht gezogen wird. Zum einen verdienen Berufsanfänger*innen im ÖGD rund 1.000 Euro monatlich weniger als Berufsanfänger*innen in Kliniken. Zum anderen ist das sehr umfangreiche und interessante Tätigkeitsspektrum des ÖGD selbst in Ärzt*innenkreisen bislang weitgehend unbekannt. Ebenso wenig ist bekannt, dass man ab 2022 in ausgewählten Gesundheitsämtern Famulaturen und das Wahltertial des Praktischen Jahres absolvieren kann. Fürdie im ÖGD tätigen Ärzt*innen besteht auch die Möglichkeit des Erwerbs der Facharztbezeichnung „Öffentliches Gesundheitswesen.“ Ein wichtiger Ansatz für die mittel- und langfristige strukturelle Weiterentwicklung und gezielte Nachwuchsgewinnung des ÖGD wäre deshalb, Medizinstudierende bereits frühzeitig auf diese Tätigkeit aufmerksam zu machen und sie für dieses Aufgabenspektrum zu interessieren. Daher sieht der zwischen Bund und Ländern abgeschlossene „Pakt ÖGD“ neben einer Finanzierung neuer Stellen auch eine Änderung der Approbationsordnung für Ärzte (ÄapprO) vor. In der aktuellen Veränderung, die am 17.9.2021 vom Bundesrat beschlossen worden ist, und die seit dem 1.10.2021 gilt, wurde nun die Möglichkeit eröffnet, dass Famulaturen und PJ-Abschnitte in den Gesundheitsämtern ab Mai 2022 grundsätzlich möglich sind.
Das Gesundheitsreferat (GSR) beabsichtigt als größtes Gesundheitsamt in Deutschland nicht nur, in der Ausbildung von Medizinstudierenden als Lehrgesundheitsamt eine Vorreiterrolle zu übernehmen, sondern auch als Forschungsgesundheitsamt in Kooperation mit den Münchner Exzellenzuniversitäten tätig zu werden. Damit kann es einen wichtigen Beitrag für die strukturelle und zukunftsorientierte Weiterentwicklung des ÖGD und dessen Akzeptanz in Fachkreisen und der Allgemeinbevölkerung leisten.
Das GSR hat seit Bekanntwerden der oben dargestellten geänderten Voraussetzungen bereits die erforderlichen Schritte zur Ermöglichung einer Famulatur bzw. eines Tertials des Praktischen Jahres (PJ) im GSR eingeleitet.
Die unmittelbare Verantwortung für die studentische Ausbildung liegt bei den Universitäten. Diese können nach Maßgabe der Approbationsordnung für Ärzte aufgrund einer Vereinbarung außeruniversitäre Krankenhäuser, Praxen und andere Einrichtungen der Patientenversorgung darunter auch die Gesundheitsämter in die Ausbildung einbeziehen.
Für die akademische Anbindung des GSR an die Münchner Exzellenzuni- versitäten ist es vorteilhaft, dass dort bereits drei habilitierte Ärztinnen arbeiten. Eine davon hat einen Lehrauftrag an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).
Die Dauer einer Famulatur beträgt 30 Tage. Die Ableistung einer Famulatur bei einer außeruniversitären Einrichtung ist bei der Regierung von Oberbayern (ROB) anzeige-, jedoch nicht genehmigungspflichtig.
Die Dauer eines PJ-Tertials beträgt vier Monate und kann im selben Fach auch in kürzeren Abschnitten bei verschiedenen Einrichtungen absolviert werden. Die Ableistung eines PJ-Tertials bei einer außeruniversitären Ein-richtung ist bei der ROB vorab genehmigungspflichtig, es bedarf einer sog. „Billigung“.
Das Landesprüfungsamt für die Münchner Studierenden ist bei der ROB angesiedelt, bei bereits eingeschriebenen Student*innen ist das medizinische Prüfungsamt bei der jeweiligen Universität angesiedelt.
Ein offizieller Ausbildungskatalog existiert bislang nicht. Für die zu vermittelnden Ausbildungsinhalte ist vom Fachbereich ein PJ-Logbuch auf Grundlage des „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges Medizin (NKLM)“ zu erstellen.
Eine verpflichtende Vergütung Studierender ist bislang nicht gesetzlich geregelt. Es gibt jedoch gemäß § 3 (4) der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) in Verbindung mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz die Möglichkeit, Studierenden eine maximale Aufwandsentschädigung von aktuell bis zu monatlich 597 Euro zu gewähren.
Der 80. Bayerische Ärztetag forderte im Oktober 2021 die verbindliche Festschreibung einer nicht gedeckelten Aufwandsentschädigung mindestens in Höhe des BAföG-Höchstsatzes für Studierende im Praktischen Jahr.
Studierende anderer Fachdisziplinen, die im Rahmen ihres Studiums beim GSR ein Praktikum absolvieren, bekamen eine Vergütung von 600 Euro pro Monat.
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) wurde im Januar über die geplante Einführung der studentischen Ausbildung im GSR informiert.
Von Seiten des StMGP waren zu diesem Zeitpunkt zwar noch keine konkreten Maßnahmen veranlasst worden, es war jedoch angedacht, bei den kleineren staatlichen Gesundheitsämtern eine Famulatur zu ermöglichen, ein PJ dagegen nur bei den größeren Ämtern. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung im Bereich der staatlichen Gesundheitsämter wurden pandemiebedingt noch nicht durchgeführt. Es wurde jedoch grundsätzlich Einverständnis signalisiert, dass die kommunalen Gesundheitsämter hier schon tätig werden können.
Der zudem seitens des GSR vorgeschlagene Austausch auf Fachebene wurde vom StMGP sehr begrüßt.
Ebenfalls im Januar wurde das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) über die geplante Einführung der studentischen Ausbildung im GSR informiert.Zielvorstellung des LGL wäre, in Bayern sog. „Forschungsgesundheits-ämter“ zu etablieren, um eine größere Akzeptanz des ÖGD auch an den Universitäten zu erreichen. Forschung und Lehre sollten auch im ÖGD, zusammen mit den Universitäten erfolgen. Sobald konkrete Vereinbarungen zwischen GSR und LMU getroffen werden, solle auch die Akademie für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (AGL) des LGL für ein bayernweites Angebot an die Studierenden mit einbezogen werden.
Auch die für das Landesprüfungsamt zuständige Referatsleitung bei der ROB wurde über die geplante Einführung der studentischen Ausbildung im GSR informiert.
Diese unterstrich die Verantwortlichkeit der Hochschulen für die praktische Umsetzung der Famulatur/des PJ im ÖGD, die insbesondere für das PJ geeignete Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens in die Ausbildung einbeziehen können. Das erfolgt durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Universität und der Einrichtung. Die ROB erteile erst dann ihre Billigung, wenn die erforderlichen Regularien nachvollziehbar erfüllt sind.
Im Februar 2022 erfolgte auch ein Austausch mit dem Studiendekan Klinik, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin an der LMU. Dieser muss der Aufnahme eines Faches zustimmen, abschließend entscheidet der Fakultätsrat darüber. Dieses Gremium entscheidet einmal jährlich über die PJ-Zulassung. Der Studiendekan der LMU befürwortet die Einführung des PJ am GSR.
Kurz darauf wurde die PJ-Beauftragte für medizinische Inhalte an der medizinischen Fakultät der LMU über die geplante Einführung der studentischen Ausbildung im GSR informiert. Der zentralen PJ Koordination muss das Logbuch des GSR zur Abstimmung vorgelegt und nachfolgend auch mit dem Dekan konsentiert werden, erst dann können weitere Schritte erfolgen. Die Einführung des PJ am GSR wird auch hier unterstützt. Ein Muster PJ-Logbuch der LMU wird dem GSR als Arbeitsgrundlage für das eigene Logbuch zur Verfügung gestellt.
Am 11.2.2022 fand ein Treffen des GSR mit Vertreter*innen der medizinischen Fakultät der LMU und deren Dekan statt. Die Einführung des PJ am GSR wird hier ebenfalls ausdrücklich befürwortet.
Das Interesse der Studierenden am Wahltertial im Öffentlichen Gesundheitsdienst und den zugehörigen Tätigkeitsbereichen soll vor allem unter einem Aspekt geweckt werden: Was können Studierende der Humanmedizin speziell in ÖGD und Public Health für den Arztberuf lernen, was in denklinischen Fächern nicht vermittelt wird? Zu nennen sind z.B. Aspekte wie der ÖGD als Public Health Partner vor Ort oder Unterschiede zwischen Individualmedizin und bevölkerungsbezogener Medizin.
Zwischenzeitlich wurden bereits vielfältige Themenbereiche, die den Studierenden im Rahmen ihrer Ausbildung im GSR praktisch vermittelt werden sollen, im GSR abgestimmt.
Auch mit der Technischen Universität (TUM) werden Gespräche geführt; hier fand im April ein Treffen mit zwei Mitarbeiterinnen des TUM Medical Education Center (TUM MEC), Lehrstuhl für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung, statt. Eine künftige Kooperation im Rahmen der studentischen Ausbildung wurde thematisiert.
Der Leiter des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth, zugleich Leiter des Projektes Landarzt- und Amtsarztquote, Mitglied der AG zur Reform der Approbationsordnung/ Erarbeitung des Lernzielkatalogs und verantwortlich für die Durchführung der Auswahlgespräche für die Studierenden, wurde ebenfalls kontaktiert und über die geplante Einführung der studentischen Ausbildung im GSR informiert. Er signalisierte großes Interesse an einer Kooperation mit dem GSR. Ferner wurde besprochen, dass das GSR eingeladen werden soll zu einem für den Sommer 2022 geplanten Begleitprogramm für die Studierenden der Amtsarztquote.
Ebenfalls informiert wurde der Fachausschusssprecher des ÖGD, Landesverband für Grundsatzfragen und Zukunft des ÖGD.
Auf der Grundlage von § 24 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns müssen die mit den Münchner Universitäten abgeschlossenen Kooperationsverträge auch der bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) vorgelegt werden, damit diese überprüfen kann „… ob die beruflichen Belange gewahrt sind.“ (vgl. Berufsordnung für die Ärzte Bayerns, Bekanntmachung vom 9. Januar 2012 i.d.F. der Änderungsbeschlüsse vom 25. Oktober 2015). Ebenso ist beabsichtigt, dass zu gegebener Zeit ein Beitrag im Bayerischen Ärzteblatt erscheint, dass Famulaturen und PJ im GSR möglich sind.
Darüber hinaus wurden vom GSR folgende weitere Schritte zur Etablierung der studentischen Ausbildung im GSR verfolgt:
Zum Wintersemester 2022/2023 können vom GSR in Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin der Universität München Seminare zu verschiedenen Themen (z.B. Strukturen und Aufgaben des ÖGD, Management meldepflichtiger Erkrankungen, Tuberkulosemanagement, Beratungsstellefür sexuell übertragbare Krankheiten, Schuleingangsuntersuchungen, Psychiatrie und Sucht) angeboten werden als sogenanntes Pflichtwahlseminar ÖGD. Das Pflichtwahlseminar bietet sich besonders für alle Studierenden an, die an dieser Thematik grundsätzlich interessiert sind und evtl. auch Interesse an einer künftigen Arbeit im ÖGD haben, und soll einen für diese Seminare üblichen Umfang von 8x2 Semesterwochenstunden haben. Darüber hinaus übernimmt das GSR seit 2022 an der Universität Bayreuth eine Jurorentätigkeit bei den Auswahlgesprächen im Rahmen der ÖGD-Quote nach dem bayerischen Land- und Amtsarztgesetz (BayLArztG).
Mit den bisher eingeholten Informationen und Aktivitäten sind folgende Zeithorizonte zur Etablierung der studentischen Ausbildung im GSR aufgrund der notwendigen Anerkennungsverfahren umsetzbar:
-Pflichtwahlseminar ÖGD, Start Wintersemester 2022/2023
-Famulatur ÖGD, Start voraussichtlich Wintersemester 2022/2023 -PJ für Studierende der LMU, Start Wintersemester 2023/2024 – vorbehaltlich der Zustimmung des Landesprüfungsamtes
Um die Aufgaben in erforderlichem Umfang und erforderlicher Qualität wahrnehmen können, bittet das GSR den Stadtrat hierfür im Rahmen des Eckdatenbeschlusses um nachfolgend benannte zusätzliche Personalzuschaltungen:
-Eine Facharztstelle E15 für die Funktion „Lehr- bzw. PJ-Beauftragte*r“ am GSR
-Eine Verwaltungskraftstelle E9 für die Schaffung eines Studentensekretariates am GSR zur Erledigung anfallender Verwaltungstätigkeiten
Ferner wird um die Einrichtung von fünf Praktikumsstellen für Studierende mit einer Vergütung von 500 Euro/Monat gebeten.
Zusammenfassend bietet die Etablierung der studentischen Ausbildung in den bayerischen Gesundheitsämtern und im GSR eine sehr gute Möglichkeit, den angehenden Ärzt*innen die wichtige Rolle des ÖGD auch in der Praxis näherzubringen. Damit eröffnet sie mittel- und langfristig auch die Perspektive, qualifiziertes und engagiertes ärztliches Personal für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu gewinnen.
Es ist aus den dargestellten Gründen in diesem Zeitrahmen zwar nicht vollumfänglich möglich, bereits ab dem Wintersemester 2022/2023 PJ-Abschnitte im GSR anzubieten.
Dennoch wurden die im Einflussbereich des GSR liegenden Punkte umgehend aufgegriffen und die konkreten weiteren Schritte zügig eingeleitet. Möglich wurde dies aufgrund der bereits bestehenden guten Vernetzungmit den weiteren involvierten Behörden und der LMU. Das GSR wird als voraussichtlich erstes bayerisches Gesundheitsamt die Ausbildung der Medizinstudierenden in Form von Famulaturen und PJ anbieten können.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.