Die unabhängige Expertenkommission zur Aufarbeitung der Geschehnisse in den Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien hat eine Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet, über die ab sofort Anträge auf Soforthilfen und zu einem späteren Zeitpunkt auch auf Anerkennungsleistungen gestellt werden können. Außerdem will die Exptertenkommission einen Betroffenenbeirat einrichten und ruft Betroffene auf, sich bei der Kommission zu melden und bei der Aufarbeitung mitzuwirken. Oberbürgermeister Dieter Reiter, der Kommissionsvorsitzende Ignaz Raab und die stellvertretende Vorsitzende, Carola Baumgartner, haben jetzt die neue Anlaufstelle vorgestellt und über den aktuellen Stand des Aufarbeitungsprozesses berichtet.
OB Reiter: „Mir ist es als Oberbürgermeister ein persönliches Anliegen, die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen. Erstmals haben wir dafür eine unabhängige Expertenkommission, die sich allein der Aufarbeitung dieser schrecklichen Taten widmet. Deshalb gilt mein Dank vor allem den Mitgliedern der Kommission für ihr großes Engagement.
Wir können nicht ungeschehen machen, was geschehen ist, aber wir können versuchen, das Leid der Betroffenen so gut es geht zu lindern, indem wir Missstände offen benennen und als Stadtgesellschaft anerkennen. Und zur Ehrlichkeit gehört, dass die Betroffenen viel zu lange genau darauf warten mussten. Dafür entschuldige ich mich im Namen der Stadt München und bin sicher, dass wir jetzt endlich auf einem guten Weg sind. Der Stadtrat hat im Mai erste finanzielle Mittel für den Aufarbeitungsprozess genehmigt. Betroffene, die sich in besonders schwierigen Lebenssituationen befinden, sollen entsprechende Soforthilfen erhalten. Im ersten Schritt wurden insgesamt 800.000 Euro zur Verfügung gestellt. Da die Arbeit der Kommission öffentlich nachvollziehbar ist und sich Betroffene jederzeit an die Kommission wenden können, haben sich bereits einige Personen bei der Kommission gemeldet. In einem Fall, der besonders dringlich war und somit ein akuter Handlungsbedarf bestand, wurde auch schon eine erste Auszahlung durchgeführt. Das zeigt, wie schnell hier gehandelt werden kann und das begrüße ich ausdrücklich.“ München hat sich als erste große Kommune entschieden, die Missstände und Gewalterfahrungen ehemaliger Heim-, Pflege- und Adoptivkinder auf kommunaler Ebene umfassend aufzuarbeiten. Die Kommission hat in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutz München nun ein Konzept für eine Anlaufstelle erarbeitet, die die Betroffenen bestmöglich bei der Antragstellung unterstützen und sie auch in dem Prozess begleiten soll. Kommissionsvorsitzender Ignaz Raab: „Für die Kommission ist die Landeshauptstadt nur der formale Auftraggeber der Aufarbeitung. In unseren Augen sind die wirklichen Auftraggeber die Betroffenen, in deren Interessen wir versuchen zu agieren. Uns war ein zügiger Start der Anlaufstelle mit Blick auf die Betroffenen sehr wichtig. Es kann daher sein, dass die Anlaufstelle zu Beginn noch nicht alle Fragen sofort beantworten kann, weil bestimmte Themen noch im laufenden Prozess unserer Aufarbeitungsarbeit geklärt werden. Aber es ist uns ein großes Anliegen schnell zu helfen. Die Anlaufstelle ist beim Kinderschutz München e.V. eingerichtet, einem Träger der bereits über weitreichende Erfahrung auf dem Gebiet der Beratung von Betroffenen von sexualisierter Gewalt verfügt.“
Die Anlaufstelle ist der erste Kontakt für die Belange der Betroffenen. In der Regel findet ein Gespräch statt, in dem die Betroffenen ihre Geschichte erzählen und gemeinsam mit den Fachkräften und deren Unterstützung den Antrag auf Soforthilfen ausfüllen können. Alternativ kann der Antrag selbst ausgefüllt und in der Anlaufstelle eingereicht werden. Die Anlaufstelle gibt den Antrag dann an die Kommission weiter, welche bereits im nächsten Schritt zügig über den Antrag entscheidet. Die Soforthilfen werden dann über die Stadtkämmerei an die Antragsteller*innen ausbezahlt.
Bei der Anlaufstelle können ab sofort Anträge auf Soforthilfen und zu einem späteren Zeitpunkt auch auf Anerkennungsleistungen gestellt werden.
Die Anlaufstelle ist erreichbar per E-Mail an anlaufstelle@kinderschutz.de, Telefon 231716-9170 oder online unter www.kinderschutz.de/anlaufstelle. Darüber hinaus will die Kommission einen Betroffenenbeirat einrichten, über den Betroffene sich und ihre Perspektive aktiv in den Aufarbeitungsprozess einbringen können.
Der Betroffenenbeirat soll als zweites unabhängiges Gremium den Aufarbeitungsprozess begleiten und befindet sich als gleichwertiges Gremium auf Augenhöhe mit der Expertenkommission. Der Betroffenenbeirat entsendet zudem zwei Mitglieder in die Expertenkommission, so dass auch in diesem Gremium aktiv die Perspektive der Betroffenen eingebracht wird. Der Betroffenenbeirat soll einerseits als Impulsgeber auftreten und damit die Aufarbeitung auch maßgeblich steuern, andererseits ist er als Vertreter der Zeugenschaft zu sehen und soll dabei aktiv bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen unterstützen.
Die stellvertretende Kommissionsvorsitzende Carola Baumgartner: „Ich bitte deshalb alle Betroffenen zu prüfen, ob für sie eine Mitwirkung am Aufarbeitungsprozess in Form einer Mitgliedschaft im Betroffenenbeirat möglich ist. Bitte helfen Sie uns, indem Sie uns Ihre Perspektive aufzeigen und Ihre Belange vermitteln. Falls Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an die Geschäftsführung unserer Kommission. Nachdem Sie Ihr Interesse an einer Mitgliedschaft im Beirat bekundet haben, würde die Kommission Sie gerne in einer verkleinerten Gesprächsrunde kennenlernen. Dieses Gespräch dient dazu, dass wir gegenseitig unsere Vorstellungen über eine Zusammenarbeit austauschen können.“
Betroffene, die Interesse an einer Mitgliedschaft im Betroffenenbeirat haben, können sich an die Geschäftsführung der Expertenkommission wenden: Cornelia Abeltshauser, Telefon 233-47181 oder per E-Mail an kommission@muenchen.de.
Die Soforthilfen, die über die Anlaufstelle beantragt werden können, sind nur ein Vorgriff auf die Anerkennungsleistungen, welche aktuell von der Kommission erarbeitet werden. Im nächsten Schritt wird die Kommission dem Stadtrat im ersten Quartal 2023 eine Empfehlung über die Höhe und die Verteilung der Mittel dafür vorgelegen.