162% Preisexplosion: Zahlen die Verbraucher*innen die Zeche für die verkorkste Energiewende?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 22.4.2022
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 22.4.2022 führten Sie als Begründung aus: „Die dramatische Preisexplosion bei der Fernwärme der Stadtwerke München (SWM) macht deutlich, dass die Wärmeversorgung Münchens noch immer zu wesentlichen Teilen durch die Verbrennung fossiler Energieträger gedeckt wird. Eine 162% Steigerung der Verbrauchspreise in nur einem Jahr macht dies deutlich. In vielen Umlandgemeinden, die seit Jahren auf Geothermie setzen, sind die Preise aktuell nur halb so hoch wie in München.
Die SWM selbst haben noch im Jahr 2016 geplant, bis 2025 fünf Geothermieanlagen zu errichten. Nachdem aktuell die Geothermieanlage an der Schäftlarnstraße ans Netz geht und somit mit Freiham zwei Anlagen an das Fernwärmenetz angeschlossen sind, wird sich nach aktuellen Aussagen der SWM bis 2028 keine Veränderungen mehr ergeben. Trotz Klimakrise und trotz der großen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, sind die SWM meilenweit hinter ihren eigenen Plänen zurück. Im Zuge des Mietrechtsänderungsgesetz 2013 wurde festgelegt, dass sich durch einen Wechsel der Wärmeversorgung durch den Vermieter Ausgaben für Heizung und Warmwasser nicht erhöhen dürfen1. Klar ist, dass der Wechsel zur Fernwärme, der von der Politik gewünscht ist, nur gelingen wird, wenn die Fernwärme auch zu günstigen Preisen angeboten werden kann. Die aktuelle Preispolitik der SWM ist dabei absolut kontraproduktiv.“
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können anhand einer Stellungnahme der SWM wie folgt beantwortet werden:
Vorbemerkung der SWM:
Seit Monaten erreichen die Preise für Öl, Erdgas und Kohle immer neue Rekordhöhen. Der Energiepreisanstieg, verursacht zunächst durch die nach Corona wieder anlaufende Wirtschaft und später durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, fällt so dramatisch aus, dass inzwischen die Bundesregierung ein umfassendes Entlastungspaket für Verbraucher*innen und Unternehmen auf den Weg gebracht hat. Die
Stadtwerke München können sich von den Entwicklungen an den Energiemärkten nicht abkoppeln. Die drastisch gestiegenen Energiepreise führenzu höheren Kosten für die Einsatzstoffe in den Kraftwerken der SWM und schlagen sich dadurch letztlich auch in den Fernwärmepreisen nieder.
Die SWM verfolgen ihre Fernwärmevision bereits seit 2012 und haben damit ein europaweit beispielloses Programm gestartet. Die EU-Kommission hat bei der Vorstellung des Fit-for-55 Paketes Ende letzten Jahres die Fernwärmewende der SWM als gutes Beispiel für langfristige Planung bei der Umsetzung der Klimaziele ausdrücklich hervorgehoben. Die SWM liegen hinsichtlich der Fernwärmewende keineswegs zurück. Im Gegenteil: in den letzten Jahren haben die SWM beim Ausbau der Geothermie stetig hinzugelernt und die Strategie entsprechend angepasst und verbessert. D.h. für die aktualisierte Planung wurden Standorte im Süden, mit höheren Thermalwassertemperaturen, in die Planungen aufgenommen und es sollen weniger Standorte effizienter genutzt werden (bis zu vier Dubletten an einem Standort). Bei Vorstellung der Fernwärmevision waren die SWM noch von einem geothermischen Potenzial von 200MWth (Megawatt
thermisch) ausgegangen. Inzwischen wird ein Ausbau von mindestens 400MWth angestrebt.
Frage 1:
Wie hoch war der Anteil der Primärenergieträger in der Fernwärmeerzeugung seit der Ausbauoffensive Erneuerbare Energien jeweils jährlich (2008 bis heute)?
Antwort der SWM:
M/Fernwärme – Energieträgermix der letzten 10 Jahre (Zeitraum der aktuell gültigen FW Preisänderungsklausel)
Frage 2:
Wie hoch waren die Kosten für CO2-Emissionsrechte für alle Heizkraftwerke und Heizwerke Münchens seit der Ausbauoffensive „Erneuerbare Energien“ jeweils jährlich (2008-heute)? Zu welchem Anteil werden diese Kosten auf die Verbraucher der Fernwärme umgelegt?
Antwort der SWM:
Gesamtkosten für die CO2-Emissionsrechte
Eine Aufteilung zwischen Strom und Fernwärme liegt nicht vor; die CO2-Kosten werden nicht 1:1 auf die Fernwärmekunden umgelegt.
Frage 3:
Wie hoch war der Fernwärmepreis (Arbeitspreis und Grundpreis) seit der Ausbauoffensive „Erneuerbare Energien“ jeweils jährlich (2008-heute)?
Antwort der SWM:
Frage 4:
Wie entwickelte sich der Preisvor- bzw. Nachteil gegenüber anderen Wärmeversorgungsarten (vor allem M-Erdgas) in den letzten Jahren? Welche Auswirkungen hatte das Mietrechtsänderungsgesetz 2013 auf den Anschluss an das Fernwärmenetz?
Antwort der SWM:
Bitte beachten Sie bei der Grafik, dass Erdgas eine Primärenergie ist, welche noch mit Wirkungsgradverlusten in Wärme umgewandelt werden muss.
Als Folge des Mietrechtsänderungsgesetzes nahm die Anschlussleistung von Neuanschlüssen in Bestandsgebäuden (Umsteller) zunächst kontinuierlich ab. Seit 2019 erkennen wir eine Trendwende und die Anschlussleistung steigt wieder (siehe Antwort 7).
Frage 5:
Sind die Preise für gewerbliche Kunden ebenfalls um 162% in einem Jahr gestiegen? Sind diese Verbrauchspreise für gewerbliche Kunden günstiger als für normale Wohnblocks?
Antwort der SWM:
Die SWM unterscheiden bei der Versorgung mit Fernwärme nicht zwischen gewerblichen und anderen Kunden. Die SWM führen die Versorgung mit Fernwärme zu den Bedingungen der AVBFernwärmeV und den darauf beruhenden Ergänzenden Bedingungen durch. Diese öffentlich zugänglichen Bedingungen enthalten Preisänderungsklauseln, nach denen die Preise regelmäßig transparent angepasst werden.
Frage 6:
Die aktuelle CO2-Steuer für den Gebäudesektor (2022: 30 Euro/tCO2), die Verbraucher*innen mit dezentraler Wärmeversorgung trifft, ist aktuell wesentlich geringer als die CO2-Emissionsrechte (Stand 15. März: 77,61 Euro/ tCO2), die Betreiber von Großkraftwerken über 20 MW zahlen müssen und die somit im Wesentlichen die Fernwärmeversorgung betrifft. Wie bewerten die SWM diesen Umstand?
Antwort der SWM:
Mit dem nationalen Emissionshandelssystem (nEHS) wird auch in den Sektoren Verkehr (Treibstoff) und Gebäudeheizung (Öl und Erdgas), die vom europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) aktuell nicht erfasst sind, ein finanzieller Anreiz zur Emissionsminderung geschaffen. Im Zuge der Einführungsphase des nEHS sind die CO2-Preise bis 2025 fixiert (jährlich steigend) und gehen ab 2026 in einen Preiskorridor über. Im Jahr 2025 erfolgt eine Evaluierung zur künftigen Art der Preisbildung. Das EU-ETS ist von Anfang an als reines Mengensteuerungsinstrument ausgestaltet. Die Preissetzung erfolgt am Markt. Damit sollen die kostengünstigen Vermeidungsoptionen zuerst umgesetzt werden.
Frage 7:
Wie hoch ist die Zahl der jährlich neu angeschlossenen Haushalte (inkl. Gesamt-Anschlussleistung) ans Fernwärmenetz seit der Ausbauoffensive „Erneuerbare Energien“ jeweils jährlich (2008-heute)? Wie hoch ist dabei jeweils der Anteil an Neubau und Bestandswohnraum?
Antwort der SWM:
Die SWM schließen die Wärmeversorgungsverträge mit dem jeweiligen Eigentümer des zu versorgenden Gebäudes ab, nicht mit einzelnen Haushalten. Die Anzahl der neuangeschlossenen Haushalte liegt daher nicht vor.
Frage 8:
Wie hoch beziffern die SWM die Verluste im Fernwärmenetz?
Antwort der SWM:
Die SWM beziffern die Netzverluste auf ca. 13%, dies liegt etwa im Branchen-Mittel.
Frage 9:
Wie hoch ist der Anteil der an das Fernwärmenetz angeschlossenen Haushalte, jeweils in den 25 Stadtbezirken Münchens, und wie hoch ist jeweils die Gesamt-Anschlussleistung?
Antwort der SWM:
Die Stadtbezirke bzw. deren Grenzen sind eine historische, mehr oder weniger zufällige Festlegung, die keine energietechnische Relevanz haben. Daher liegen diese Daten in der gewünschten Zuordnung nicht vor.
Frage 10:
Wie hoch ist der Anteil der Geothermie an der gesamten Wärmeversorgung des Netzes in Riem? Wird die Geothermie hier auch im Mittellastbereich genutzt? Wird für die Verbraucher*innen in Riem der gleiche Verbrauchspreis für Fernwärme verlangt wie im Stadtgebiet, obwohl die Preisentwicklung lediglich Indizes fossiler Primärenergieträger berücksichtigt?
Antwort der SWM:
In unserem Programm Fernwärmewende, welches wesentlich den Ausbau der Geothermie im Münchner Stadtgebiet vorantreibt, findet eine Differenzierung nach Stadtteilen derzeit nicht statt. Eine solche Differenzierung wäre aus unserer Sicht nicht sachgerecht, da sie ganz wesentlich von netztopologischen Zufälligkeiten abhängt. Unser Ziel ist es, alle Münchner Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen an der Fernwärmewende zu beteiligen, unabhängig in welchem Münchner Stadtteil sie leben.
Frage 11:
Die Umstellung des Dampfnetzes in der Innenstadt auf ein Heizwassernetz ist eine der wesentlichen Voraussetzung für die Einbindung von Geothermie in das Fernwärmenetz. Wieso wurde die Umstellung über 10 Jahre lang ausgesetzt? Haben die SWM vor, die aktuelle Umstellung zu beschleunigen?
Antwort der SWM:
Bereits die Hälfte des innerstädtischen Netzes wurde modernisiert und bis 2011 von Dampf auf Heizwasser umgestellt. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das noch verbliebene Dampfnetz in einem weitaus besseren Zustand befand und somit kein dringlicher Sanierungsbedarf bestand. Gleichzeitig stieg vor allem im Münchner Westen aufgrund reger Bautätigkeit die Nachfrage nach Fernwärme-Neuanschlüssen massiv an. Deshalb haben sich die SWM entschlossen, die Umstellung vorübergehend auszusetzen und den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf den Fernwärme-Ausbauzu verlegen. Im Jahre 2018 wurde das Projekt zur Umstellung des Fernwärmenetzes mit den notwendigen, vorbereitenden baulichen Maßnahmen wieder aufgenommen. Bereits 2021 erfolgten erste Umstellungen
Frage 12:
Gibt es Pläne, die aktuellen Ausbaupläne der Geothermie wieder zu beschleunigen?
Antwort der SWM:
Bei der Formulierung unserer Fernwärme-Vision gingen die SWM noch von einem geothermischen Potenzial für München von ca. 200MWth (Megawatt thermisch) aus. Seither haben wir unsere Strategie weiterentwickelt und auch Anlagen im Umland einbezogen, so dass inzwischen mit konkreten Vorhaben bis zu 400MWth angestrebt werden.
Derzeit betreiben die SWM in München und in der Region sechs Geothermie-Anlagen, darunter die bislang größte Anlage Deutschlands in Sendling am HKW Süd, die im Lauf des Jahres 2022 in den Regelbetrieb genommen werden wird. 2021 haben die SWM mit der erfolgreichen Wärmeauskopplung in Kirchstockach einen weiteren Meilenstein für die Wärmewende erreicht: Zusätzlich zu Ökostrom produziert die Anlage nun auch umweltfreundliche Wärme.
Konkret in Planung sind die Erweiterung des Standorts Kirchstockach, eine Anlage in München (SWM Gelände Michaelibad) und in Zusammenarbeit mit der IEP GmbH in Pullach und der EWG GmbH in Grünwald die Erschließung weiterer Potentiale in der Region.
Diese von SWM konkret kommunizierten Vorhaben wurden im Fachgutachten „Klimaneutrales München 2035“ von den Gutachtern als ambitioniert beurteilt und in das Szenario A des Gutachtens aufgenommen.
Weitere, zusätzliche Vorhaben in München und der Region werden sondiert, auch mit Partnern.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.
1 https://www.energieverbraucher.de/de/waermecontracting-fuer-mieter_1258/
2 Aus Abfallverbrennung
3 HEL und strambasiert