Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschulkinder: Was bedeutet das für die Landeshauptstadt München
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Rathaus Umschau 143 / 2022, veröffentlicht am 28.07.2022
Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschulkinder: Was bedeutet das für die Landeshauptstadt München
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Barbara Likus, Cumali Naz, Lena Odell, Julia Schönfeld-Knor und Felix Sproll (SPD/Volt-Fraktion) vom 8.12.2021
Antwort Stadtschulrat Florian Kraus:
Auf Ihre Anfrage vom 8.12.2021 nehme ich Bezug.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Sie haben Ihrer Anfrage folgenden Text vorausgeschickt:
Das Referat für Bildung und Sport wird gebeten darzustellen, wie der bundesweite Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Kindertageseinrichtungen in München stufenweise umgesetzt wird.
Zu den von Ihnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie viele zusätzliche (Betreuungs-)Plätze müssen in München geschaffen werden, um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem Jahr 2026 einführen zu können?
Antwort:
Mit Blick auf das Schuljahr 2026/27 sind zusätzlich ca. 5.900 Plätze prognostiziert und geplant.
Das operative Versorgungsziel erhöht sich dadurch von derzeit rund 81% auf 90%.
Mit Blick auf das Schuljahr 2029/30 werden weitere 1.300 Plätze prognostiziert.
Insgesamt werden rund 7.200 neue Plätzen bis zum Schuljahr 2029/30 prognostiziert. 25% sollten hiervon über schulische Ganztagsklassen abgebildet werden. Die Prognosen werden jährlich fortgeschrieben Die aktuell hohe Zahl an geflüchteten Mädchen* und Jungen* wird somit auch in den Prognosen 2022 berücksichtigt.
Frage 2:
Auf welche Summe belaufen sich hierfür die Investitionskosten?
Antwort:
Grundsätzlich erfolgt der Ausbau über die Kooperative Ganztagsbildung. Die Kooperative Ganztagsbildung wird in der Regel immer an Schulneubau-ten, die nach dem „Münchner-Lernhaus-Konzept“ gebaut werden, umgesetzt. Aktuell sind derzeit durchschnittliche Investitionskosten in Höhe von 30.000 Euro pro Platz zu veranschlagen (= 55% Summenraumprogramm Hort). Für die benannten rund 7.200 zu schaffenden Plätze belaufen sich die Investitionskosten auf rund 216 Millionen Euro abzüglich einer staatlichen Förderquote von ca. 22 Prozent. Es wird angemerkt, dass die Prognosen jährlich modifiziert und die Planungen jeweils darauf abgestimmt werden. Für die Zukunft ist mit Baupreissteigerungen zu rechnen.
Das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter (Ganztagsfinanzhilfegesetz – GaFinHG) ermöglicht es dem Freistaat Bayern darüber hinaus, Sonderinvestitionskostenprogramme über Bundesmittel aufzustellen, die den Kommunen und so auch der Landeshauptstadt München zugute kommen. Zuletzt konnte die Landeshauptstadt München über eine erste Sonderförderung mit dem Titel „Richtlinie zum beschleunigten Infrastrukturausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder 2020-21“ knapp 10 Millionen Euro abrufen.
Weitere Sonderinvestitionskostenprogramme über Bundesmittel sind in Planung.
Frage 3:
Wie viele Grundschulen in München haben bereits ein Ganztagsbetreuungs-Angebot?
Antwort:
An allen Münchner Grundschulen gibt es Ganztagsbetreuungsangebote unterschiedlicher Art. Diese gilt es bis zum Schuljahr 2026/27 und folgende rechtsanspruchskonform auszubauen.
Frage 4:
In welchen Jahren und in welcher Höhe sollen Mittel bereitgestellt werden?
Antwort:
Die Mittel werden grundsätzlich über die bestehenden Schulbauprogramme und Kita-Bauprogramme bereitgestellt. Bedarfsänderungen wurden dem Stadtrat im Rahmen des Berichtsbeschlusses in der Vollversammlung am 18.5.2022 dargelegt. Es ist weiter geplant eigene Ganztagsmaßnahmen bis zum Jahr 2026 und darüber hinaus umzusetzen.
Frage 5:
Wie viele zusätzlichen Lehrkräfte, Erzieher*innen und weiteres pädagogisches Personal sind in München hierfür erforderlich?
Antwort:
Bis 2029 sind ca. 400 Vollzeitäquivalente (VZÄ) Fachkräfte (FK) und ca. 280 VZÄ Ergänzungskräfte (EK) zusätzlich trägerübergreifend für München zu gewinnen. Die rund 10.000 Plätze der Mittagsbetreuungen müssen zudem rechtsanspruchserfüllend weiterentwickelt werden. Für diese Weiterentwicklung der Mittagsbetreuungen (MiBe) wird ein Stufenkonzept entwickelt. In Summe sind für die MiBe-Weiterentwicklung hin zum rechtsanspruchserfüllenden BayKiBiG-Standard weitere rund 700 VZÄ Fach- und Ergänzungskräfte notwendig.
Die Gewinnung zusätzlicher Lehrkräfte für den wichtigen Ausbau der offenen und gebundenen Ganztagsangebote an Grundschulen obliegt dem Freistaat Bayern. Prognosen hierzu liegen dem Referat für Bildung und Sport nicht vor.
Frage 6:
Wie gewinnt man erfolgreich ausreichend Personal für diese Arbeit?
Antwort:
Das Referat für Bildung und Sport verfolgt insbesondere nachfolgend aufgeführte Strategien um die notwendigen Personalkapazitäten im Erziehungsdienst sicherzustellen.
Eine passgenaue Bedarfsanalyse ist etabliert und wird laufend fortgeschrieben.
Darauf aufbauend findet eine regionale und europaweite Akquise von Personal statt. Trägerübergreifende Ausbildungskampagnen und eine Ausweitung der Ausbildungskapazitäten sind geplant. Eine mögliche Bereitstellung von Wohnung und Kitaplatz soll ebenso Beachtung finden. Ein wichtiger Eckpfeiler sind Qualifizierungsmaßnahmen und übergreifende Kooperationen von Erziehungs- und Lehrkräften im Ganztag in enger Zusammenarbeit mit den Ministerien, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Weiter sind passgenaue Studiengänge/Seminare in München geplant, um dem Mangel an Lehrkräften für die Ausbildung der Erzieher*innen zu begegnen. Eine berufsbegleitende Ausbildung zur Ergänzungskraft für Grundschulkindbetreuung ist bereits etabliert. Wichtig ist darüber hinaus die Konzipierung einer berufsbegleitenden Fachkraftausbildung für die Grundschulkindbetreuung. Hier stehen wir bereits im Austausch mit den Ministerien. Nicht zuletzt gilt es, die Rechtsansprüche im Kinderkrippen- und Kindergartenbereich gemeinsam mit dem neuen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich bedarfsgerecht für alle Kinder in München sicherzustellen.
Frage 7:
Wie kann die Infrastruktur vor Ort schnell umgebaut werden, um den Ganztag einzurichten?
Antwort:
Über die bestehenden Schulbauprogramme und Kita-Bauprogramme werden geplante Baumaßnahmen für die ganztägige Betreuung abgebildet. Darüber hinaus ist angedacht ergänzend ein Stufenkonzept für die räumliche Umgestaltung der Mittagsbetreuungsräume (BayKiBiG-Standard) zu konzipieren. Zusammenführend ist geplant eigene Ganztagsmaßnahmen bis zum Jahr 2026 und darüber hinaus umzusetzen, mögliche Baurechtsausschöpfungen zur Gewinnung von zusätzlichen Raumkapazitäten für den Ganztag abzubilden und sich daraus ergebende Bedarfsänderungen dem Stadtrat in regelmäßigen Berichtsbeschlüssen zur Entscheidung vorzulegen. Es ist geplant, dem Stadtrat im Herbst diesen Jahres hierüber eine erste Übersicht zu geben.
Frage 8:
Gibt es bereits Einschätzungen darüber, wie viele Eltern das Angebot ab 2026 in Anspruch nehmen werden?
Antwort:
Für das Schuljahr 2026/27 werden laut Prognose rund 47.000 Schüler*innen erwartet.
Das Referat für Bildung und Sport setzt sich zur Abdeckung des Rechtsanspruchs ein operatives Versorgungsziel von 90%.
Frage 9:
Wie wird sich die Einführung des Rechtsanspruchs auf die Hort- und Mittagsbetreuungsangebote auswirken?
Antwort:
Aufgrund der quantitativen Bedarfe in München wird das umfangreiche Hortangebot in München sowie das schulische Angebot der Mittagsbetreuungen mit all der Vielfalt weiterhin ein wichtiger strategischer Bereich bleiben. Hierbei ist angedacht, ein Stufenkonzept für die räumliche Umgestaltung der Mittagsbetreuungsräume (BayKiBiG-Standard) berücksichtigend in die Überlegungen aufzunehmen.
Für die folgenden Jahre ist angedacht, dass pro Jahr bis zu 10 neue Standorte – insbesondere Schulneubauten, Ersatzneubauten, Standorte mit Erweiterungsbauten sowie Bestandsschulen mit dem erforderlichen Raumpotential – in die Kooperative Ganztagsbildung eintreten.Die Münchner Eltern haben die Wahlmöglichkeit, ob Sie ihr Kind in einem bestehenden Hort in Schulnähe oder direkt in der Kooperativen Ganztagsbildung am Schulstandort anmelden wollen. Wenn es baulich möglich ist, die Kooperative Ganztagsbildung an bestehenden Schulstandorten einzurichten, werden die dort bestehenden Plätze der Mittagsbetreuungen in der Regel stufenweise in die Kooperative Ganztagsbildung integriert. Es wird davon ausgegangen, dass allgemein mit Einführung des Rechtsanspruchs die Nachfrage nach MiBe-Plätzen zurückgeht, da die Eltern zukünftig einen Anspruch auf einen rechtsanspruchskonformen Platz in einem Hort, oder in der Kooperativen Ganztagsbildung geltend machen können. Es ist zu erwarten, dass dadurch die Nachfrage nach Hortplätzen, die diesen jeweiligen Sprengelschulen angegliedert sind, zurückgehen wird. Geplant ist, dass diese dann freiwerdenden Raumkapazitäten je nach Bedarfslage und KoGa-Trägerschaft dem Flächenangebot für KoGa zugeschlagen oder zur Deckung anderer Bedarfe wie Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen verwendet werden können.
Frage 9a:
Welche Möglichkeiten existieren, bestehendes Personal bei Mittagsbetreuungen in den Ganztag zu integrieren?
Antwort:
Eine Berufsbegleitende Ausbildung zur Ergänzungskraft für Grundschulkindbetreuung ist bereits in enger Kooperation mit dem Kleinkindertagesstätten e.V. (KKT) etabliert. Diese berufsbegleitende Ausbildung wird auch direkt durch den KKT angeboten. Aktuell ist die Konzipierung einer berufsbegleitenden Fachkraftausbildung für Grundschulkindbetreuung in Kooperation mit dem Freistaat Bayern angedacht. Ziel ist es, durch umfangreiche Weiterqualifizierungsmöglichkeiten das Personal der MiBe in BayKiBiG-Einrichtungen zu übernehmen. Dies stellt nicht nur einen wesentlichen Baustein in der Strategie zur Bewältigung des Fachkräftemangels dar, sondern soll den Mitarbeiter*innen der Mittagsbetreuungen eine Perspektive eröffnen, ihr Engagement für die Münchner Kinder weiter einbringen zu können.
Frage 10:
Wie viele Schulen sollen bis 2026 bereits in den Kooperativen Ganztag überführt werden?
Antwort:
Für die Landeshauptstadt München ist die Kooperative Ganztagsbildung, insbesondere bei Neubauten von Grundschulen in München, perspektivisch die zentrale Strategie, die Ganztagsversorgung für Grundschulkinderweiter auszubauen und umfassend sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist ein jährlicher Ausbau von bis zu 10 Standorten angedacht. Aktuell sind in München bereits 20 Standorte der Kooperativen Ganztagsbildung etabliert. Im kommenden Schuljahr 2022/23 werden insgesamt sechs weitere KoGa-Standorte in München an den Start gehen. Die Kooperative Ganztagsbildung ist derzeit als Modell angelegt und war bayernweit auf 50 Standorte gedeckelt. In der Kabinettssitzung vom 26. April 2022 wurde dieser Deckel aufgehoben. Kombieinrichtungen können nun überall in Bayern unter Verzicht auf eine Mindestbesuchszeit eingerichtet werden. Eltern soll so ein Höchstmaß an Flexibilität eingeräumt werden und die Kommunen können die Ressourcen bedarfsgerecht einsetzen.
Die kindbezogene Förderung erfolgt – wie im Hortbereich sonst auch – entsprechend des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes. Somit kann in München der Ausbau der Kooperativen Ganztagsbildung vorangetrieben werden.
Frage 11:
Welche Bedeutung kommt den offenen und den gebundenen Ganztagsangeboten an den Grundschulen zu?
Antwort:
Offene und gebundene Ganztagsangebote, also schulische Ganztagsangebote an Münchner Grundschulen sind wesentlicher Teil der Ausbaustrategie. Insbesondere ist die Situierung schulischer Ganztagsangebote mit Anschlussbetreuung und Ferienbetreuung ein fester Bestandteil im Rahmen der Kooperativen Ganztagsbildung. Die Kooperative Ganztagsbildung beinhaltet eine flexible Variante, für die Betreuung der Schüler*innen im Anschluss an den Vormittag sowie eine rhythmisierte Variante für die Schüler*innen die im schulischen Ganztag betreut werden. Es ist erklärtes Ziel, pro Grundschule einen schulischen Ganztagszug zu etablieren.
Schulleitung und Ganztagskooperationspartner verantworten gemeinsam die Erarbeitung und Umsetzung des pädagogischen Konzepts für die Kooperative Ganztagsbildung. Besonderer Wert wird insbesondere auf geschlechtersensible Pädagogik, Inklusion, Integration und Partizipationskultur gelegt. Hiermit ist die öffentliche Erziehung in der Lage, auf zukünftige soziale Gerechtigkeit erheblichen Einfluss zu nehmen. Die Einbeziehung des sozialräumlichen Umfelds sowie weiterer Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe ist ausdrücklich vorgesehen.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.