162% Preisexplosion: Schonungslose Aufklärung beim Fernwärmepreis der SWM
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 22.4.2022
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
Sie beantragen, dass das RAW in Abstimmung mit den SWM die Punkte Ihres Fragenkatalogs zur „Preisexplosion, die die Verbraucher*innen von Fernwärme in München trifft“, im Stadtrat darlegt.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
Die in Ihrem Antrag gestellten Fragen können anhand von Stellungnahmen der SWM sowie des Sozialreferats wie folgt beantwortet werden.
Frage 1:
Wie erklärt sich die Stadt die Explosion der Verbrauchspreise bei Fernwärme im Stadtgebiet von 162% innerhalb von nur einem Jahr?
Antwort der SWM:
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auf dem internationalen Energiemarkt zu massiven Verwerfungen geführt. Dies traf auf einen Markt, auf dem die Preise zuvor bereits erheblich gestiegen waren, nachdem die Weltwirtschaft sich zunehmend von den Corona-Einbrüchen erholte. Der Krieg hat nun zu weiteren, dramatischen Preiserhöhungen geführt, insbesondere bei Gas, Öl und Kohle. Die Energiepreise sind so stark angestiegen, dass die Bundesregierung sich veranlasst sah, ein Entlastungspaket für Verbraucher*innen und die Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Natürlich wirken sich solch massive Energiepreissteigerungen auch auf die Fernwärmepreise aus. Waren diese von Mitte 2019 bis Ende 2020 kontinuierlich gesunken, so stiegen sie danach in Reaktion auf die höheren Kosten an den Energiemärkten stark an.
Der Fernwärmepreis setzt sich aus Arbeits- und Grundpreis zusammen. Der Grundpreis mildert derzeit die Gesamterhöhung ab, so dass sich eine Steigerung des Wärmepreises von 116% ergibt, nicht um 162% wie oben behauptet.Preisänderungen bei der Fernwärme erfolgen nach transparenten Regeln und vereinbarten Verträgen: Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) ist die Grundlage für die Ausgestaltung von Preisänderungsklauseln und der darauf beruhenden Ergänzenden Bedingungen (Dokumente als PDF auf http://www.swm.de/kundenservice/downloadcenter à Fernwärme), nach denen die Preise regelmä-ßig transparent angepasst werden.
Die Preisänderungsklauseln sind nach den oben genannten gesetzlichen Vorgaben so ausgestaltet, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme (Kostenelement) als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt (Marktelement) angemessen berücksichtigen.
Die in den Preisänderungsklauseln der SWM verwendeten Indizes orientieren sich an den Kosten der SWM für Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme sowie an den derzeitigen Verhältnissen am Wärmemarkt in München, der noch wesentlich durch den Einsatz von Erdgas und Heizöl geprägt ist. Entsprechend den Veränderungen der verwendeten Indizes, d.h. der aktuellen Preise für Gas, Kohle und Öl, ändern sich somit auch die Fernwärmepreise. Damit wird der Marktentwicklung möglichst eng gefolgt. Sowohl sinkende Preise als auch steigende, wie man sie derzeit im Markt sieht, werden zeitnah widergespiegelt.
Über die Änderungen informieren die SWM ihre Kund*innen quartalsweise.
Hier die aktuelle Preisänderungsklausel für den Arbeitspreis für das Versorgungsgebiet München, Unterföhring und Martinsried:
(Der Arbeitspreis ändert sich zu 17% wie der Preis für den Steinkohle-Index, zu 33% wie der Preis für EEX Gas, zu 33% wie der Erdgas-Index und zu 17% wie der Preis für Heizöl Extra Leicht; Erläuterung siehe Ergänzende Bedingungen der SWM Versorgungs GmbH (SWM) für die Versorgung mit Fernwärme im Versorgungsgebiet München Stadt, Martinsried, Un-terföhring (https://www.swm.de/dam/doc/geschaeftskunden/fernwaerme/ergaenzende-bedingungen-muenchen-stadt.pdf)
Hier ein Vergleich der einzelnen Bestandteile und deren Entwicklung vom Quartal 2/2021 zum Quartal 2/2022, die die oben erwähnten dramatischen Preiserhöhungen auf den Energiemärkten belegen :
Grundpreis und Arbeitspreis ergeben zusammen den Wärmepreis.
Frage 2:
Wie ist es möglich, dass die Verbrauchspreise für Fernwärme im Stadtgebiet München mittlerweile mehr als doppelt so hoch sind wie in der Ge- meinde Unterföhring oder in der Gemeinde Unterhaching, die ihre Wärme zu einem großen Teil mit Geothermie decken?
Antwort der SWM:
Ein Vergleich mit anderen Fernwärmeunternehmen ist zu einem isolierten Zeitpunkt kaum aussagekräftig. Jedes Unternehmen hat eigene Abnahme- und Erzeugungsstrukturen, die in den jeweiligen Preisänderungsklauseln abgebildet werden. Zudem unterscheiden sich die Preisänderungsregelungen, wie etwa die Anpassungszeitpunkte oder die Zeiträume, für die die Indizes bei Anwendung der Preisänderungsklausel berücksichtigt werden. Teilweise werden zudem für CO2-Kosten separate Preisbestandteile verwendet.
Letztlich ist davon auszugehen, dass die Verteuerung der Energie an den Rohstoffmärkten überall zu Preiserhöhungen für die Fernwärme führt: Bei einigen anderen Anbietern in Deutschland haben sich die hohen Energiepreise ebenfalls schon niedergeschlagen, viele andere werden nach und nach folgen.
Frage 3:
Rächt sich nun, dass die SWM ihren eigenen Zielen beim Ausbau der Geothermie Jahre hinterherhinken?
Antwort der SWM:
Ihre Aussage können wir nicht bestätigen:
Bei derFormulierungder Fernwärme-Vision gingen die SWM noch von einem geothermischen Potenzial für München von ca. 200MWth (Megawatt thermisch) aus. Seither wurde die Strategie weiterentwickelt undauch Anlagen im Umland einbezogen, so dass wir inzwischen mit konkreten Vorhaben bis zu 400MWth anstreben. Bei der Weiterentwicklung der Geothermiestrategie haben die SWM kontinuierlich dazu gelernt. Inzwischen werden weniger Standorte geplant, die dafür effizienter genutzt werden (drei bis vier Dubletten an einem Standort an Stelle von einer Dublette). Nicht ohne Grund hat im vergangenen Jahr die EU-Kommission bei der Vorstellung des Fit-for-55-Pakets die Fernwärmewende der SWM als gutes Beispiel für langfristige Planung bei der Umsetzung der Klimaziele hervorgehoben.
Derzeit betreiben die SWM in München und der Region sechs Geothermie-Anlagen, darunter die bislang größte Anlage Deutschlands in Sendling am HKW Süd, die im Laufe des Jahres 2022 in den Regelbetrieb gehen wird. 2021 haben wir mit der erfolgreichen Wärmeauskopplung in Kirchstockach einen weiteren Meilenstein für die Wärmewende erreicht: Zusätzlich zu Ökostrom produziert die Anlage nun auch umweltfreundliche Wärme. Konkret in Planung sind die Erweiterung des Standorts Kirchstockach, eine Anlage in München (SWM Gelände Michaelibad) und in Zusammenarbeit mit der IEP GmbH in Pullach und der EWG GmbH in Grünwald die Erschließung weiterer Potentiale in der Region.
Diese von SWM konkret kommunizierten Vorhaben wurden im Fachgut-
achten „Klimaneutrales München 2035“ von den Gutachtern als ambitioniert beurteilt und in das Szenario A des Gutachtens aufgenommen.
Weitere, zusätzliche Vorhaben in München und der Region werden sondiert, auchmit Partnern.
Der Ausbau der Geothermie reduziert zwar die Abhängigkeit von fossilen Energien, aber er erfordert auch sehr hohe Investitionen. Zudem wird die Geothermie derzeit unzureichend gefördert. Perspektivisch könnte der Ausbau der Geothermie zu einer Stabilisierung, aber nicht zwingend zu einer Reduzierung der Fernwärmepreise beitragen.
Frage 4:
Wieso werden die Fernwärmepreise der SWM nicht im Stadtrat behandelt, wie in anderen Gemeinden?
Antwort der SWM:
Siehe erste Frage.
Preisänderungen bei der Fernwärme erfolgen nach transparenten Regeln und vereinbarten Verträgen:
Die Bedingungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV), die unter anderem auch die Ausgestaltung von Preisänderungsklauseln regelt und der darauf beruhenden Ergänzenden Bedingungen (Dokumente als PDF auf http://www.swm.de/kundenservice/downloadcenter à Fernwärme) enthalten Preisänderungsklauseln, nach denen die Preise regelmäßig transparent angepasst werden.
Die Preisänderungsklauseln sind entsprechend den gesetzlichen Vorgaben so ausgestaltet, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme (Kostenelement) als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt (Marktelement) angemessen berücksichtigen. Das bedeutet, es handelt sich um Preise, die sich letztlich am Markt bilden bzw. am Markt orientieren. Ein Eingriff in die Preisbildung entspricht nicht den Grundsätzen unseres Wirtschaftssystems. Schließlich setzen hohe Preise auch ein sinnvolles Signal in Richtung Energieeinsparung und Effizienzverbesserung. Eine dauerhafte Subventionierung würde dem entgegenstehen.
Frage 5:
Wieso werden die Preise für Fernwärme der SWM nicht auf deren Homepage öffentlich dargestellt? Missachten die SWM damit die Veröffentlichungspflichten nach der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV)?
Antwort der SWM:
Die Preise wurden in der Vergangenheit den Kunden direkt mitgeteilt und öffentlich bekanntgegeben. Zwischenzeitlich sind diese sowie die zugrundliegenden preisbestimmenden Parameter zusätzlich auf der Homepage dargestellt.
Frage 6:
Aus welchen Gründen wird in der Berechnungsformel der SWM für den Preis der Fernwärme lediglich Indizes für Kohle, Gas und Öl verwendet, während das Fernwärmenetz mittlerweile auch durch Geothermie und die Verbrennung von Müll gespeist wird?
Antwort der SWM:
Die beiden wesentlichen Primärenergieträger der Münchner Fernwärme sind derzeit noch Erdgas und Steinkohle. Der Anteil erneuerbarer Energien (Geothermie und thermische Verwertung) an der Münchner Fernwärme lag 2021 bei rund 15%. Dieser Anteil soll bis in die 2030er Jahre auf bis zu 70% steigen.
Der zunehmende Anteil regenerativer Energien und der schrittweise Abbau des konventionellen Anteils spiegelt sich zukünftig in den Preisänderungsklauseln wider. Unter anderem aus diesem Grund haben Fernwärmekund*innen der SWM bereits Ende März neue Verträge erhalten. In diesen Verträgen, die ab 1.1.2023 gelten, ist das Gewicht fossiler Energieträger entsprechend deutlich reduziert. Dafür werden mit Stromindex, Investitionsgüterindex und Lohn u. a. auch die Einsatzstoffe Geothermie, Müll und Klärschlamm berücksichtigt.
Frage 7:
Wie will die Stadt München die Kostenexplosion für die Fernwärmeverbraucher*innen und die dadurch erfolgenden finanziellen Härten abfedern?
Antwort der SWM:
Vor dem Hintergrund der steigenden Energiepriese hat die Bundesregierung ein Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Die Landeshauptstadt München hat mit Beschluss vom 19.1.2022 „Energiearmut – Gegenmaßnahmen in München“ Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht.
Antwort des Sozialreferats:
Die Sozialbürgerhäuser und das Amt für Wohnen und Migration unterstützten durch freiwillige Leistungen Bürger*innen, die aufgrund der Energiekosten in wirtschaftliche Probleme geraten sind.
Das Sozialreferat und die Wohlfahrtsverbände haben mit dem Münchner Grundversorger für Energie nach § 36 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), den SWM, eine Kooperationsvereinbarung zur Vermeidung und Behebung von Sperrungen von Energie für Härtefälle geschlossen. Münchner Haushalte mit geringem Einkommen können sich bei Androhung einer Sperrungdes Haushaltsstroms oder Heizenergie an ihr zuständiges Sozialbürgerhaus bzw. Jobcenter oder die städtische Schuldner- und Insolvenzberatung bzw. eine Schuldner- und Insolvenzberatung der Wohlfahrtspflege wenden. Dort wird geprüft, ob es sich um einen sogenannten Härtefall handelt, für den der Fonds zur Verfügung steht.
Zu den Härtefallgruppen gehören Familien mit minderjährigen Kindern, Personen mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit wie zum Beispiel chronisch Kranke, behinderte und alte Menschen sowie sonstige Personen, die sich in einer besonderen Notlage befinden.
Weiterhin ist derzeit ein Unterstützungsfonds der SWM für Wärmeenergieabrechnungen in Planung. Die SWM legen einen Unterstützungsfonds mit 20 Millionen Euro auf, um Geringverdiener*innen dabei zu unterstützen, die steigenden Energiepreise zu bewältigen. Die Rahmenbedingungen für die Ausreichung der Fondsmittel werden derzeit gemeinsam von den Stadtwerken und dem Sozialreferat erarbeitet.
Weitestgehend sicher sind jedoch schon folgende Eckpunkte:
-Der Unterstützungsfonds soll dazu dienen, die zu erwartenden hohen Heizkostenabrechnungen bei Geringverdiener*innen abzufedern.
-In Anspruch genommen werden kann der Unterstützungsfonds von allen Geringverdiener*innen, deren Heizkosten-/Warmwasserabrechnung nicht im Rahmen der gesetzlichen Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII übernommen werden kann.
-Beantragt und ausbezahlt werden sollen die Mittel aus diesem Unterstützungsfonds grundsätzlich in den Sozialbürgerhäusern.
Ich bitte Sie, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis zu nehmen, und hoffe, dass Ihr Antrag zufriedenstellend beantwortet ist und als erledigt gelten darf.