In München gibt es mittlerweile über 110 Erinnerungszeichen für Todesopfer des Nationalsozialismus. Ab Donnerstag, 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, führt eine neue kartenbasierte Webapp unter https://map.erinnerungszeichen.de Interessierte zu den Standorten der Erinnerungszeichen und ermöglicht einen einfachen Zugang zu den Biographien jener Menschen, derer dort gedacht wird.
Bürgermeisterin Katrin Habenschaden: „Die Erinnerungszeichen machen uns im Stadtraum aufmerksam auf Menschen, die im Nationalsozialismus aus ihrem Leben gerissen wurden. Auf den Zeichen sind ihre Namen und Lebensdaten ablesbar. Vertiefende biographische Informationen sind in der neuen Webapp Erinnerungszeichen abrufbar. Sie ist ein wichtiger Baustein des individuellen Gedenkens. Anhand der vielen Einzelschicksale wird deutlich, wie unvermittelt aus Mitbürger*innen Verfolgte wurden. Alles begann mit der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Gruppen. Wehren wir uns also, wenn heute wieder solche menschenfeindlichen Ansätze ihren Weg in die Mehrheitsgesellschaft suchen.“
Kulturreferent Anton Biebl: „Die Lebensgeschichten, die in der Webapp erzählt werden, haben eines gemeinsam: ein verbrecherisches Ende im Nationalsozialismus. Wir möchten denjenigen, die willkürlich in den Tod getrieben wurden, wieder einen Platz in unserer Mitte geben. Denn sie waren Nachbar*innen, Kolleg*innen, Freund*innen, Familie, Kinder – und mitten in der Stadtgesellschaft verwurzelt bis zu ihrer Verschleppung und Ermordung. Mit den Erinnerungszeichen und der Webapp erinnern wir an sie und daran, dass die Menschenwürde unantastbar ist.“ Die Webapp ist mit einer Routenfunktion ausgestattet, die User zu den Standorten der Erinnerungszeichen in der ganzen Stadt führt. Nutzer*innen können gezielt nach Personen und Standorten suchen und sich über spezielle Filterfunktionen Erinnerungszeichen von Personen aus einzelnen Opfergruppen oder in bestimmten Stadtteilen anzeigen lassen. Die Webapp kann als responsive Website über jeden Internetbrowser sowohl auf dem PC als auch auf mobilen Endgeräten wie dem Handy angesteuert werden. In der Webapp ist bereits ein neues Erinnerungszeichen abrufbar, das am 27. Januar der Öffentlichkeit übergeben wird. In der heutigen Haimhauserstraße 1 in Schwabing – damals Haimhauserstraße 19 – wohnte von 1927 bis 1935 das Ehepaar Wilmersdörfer. Flora Wilmersdörfer wurde 1885 in Giebelstadt geboren. Ihr 1879 in Regensburg geborener Ehemann Siegfried Wilmersdörfer war seit 1921 Teilhaber des Münchner Geschäfts seines Onkels, der „Manufakturwaren-Großhandlung Max Wilmersdörfer“. 1938 „arisierten“ die Nationalsozialisten das Geschäft. Flora und Siegfried Wilmersdörfer planten auszuwandern. Doch die Emigration misslang. Der St. Louis, dem Schiff, mit dem das Paar 1939 in Richtung Kuba reiste, wurde die Einfahrt in den Hafen von Havanna verwehrt. Nach einer Irrfahrt strandeten sie einen Monat später in Belgien. Siegfried Wilmersdörfer starb 1941 in Brüssel an den Folgen eines Herzinfarktes. Flora Wilmersdörfer wurde am 31. Juli 1943 von Mechelen nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich am 2. August 1943 ermordet.
Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Ellen Presser von der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern werden die Erinnerungszeichen für Flora und Siegfried Wilmersdörfer am Donnerstag in einer nicht-öffentlichen Veranstaltung der Öffentlichkeit übergeben.
Zu den Erinnerungszeichen
Erinnerungszeichen werden seit 2018 an Orten angebracht, an denen Menschen lebten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerungszeichen bestehen aus gebürstetem Edelstahl und sind vergoldet. Es gibt sie in zwei Ausführungen – als Wandtafeln an der Fassade und als Stelen auf öffentlichem Grund. Sie enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben zum Schicksal und – falls vorhanden – ein Bild. Durch die gelochte Oberfläche können die Informationen auch ertastet werden. Weitere Informationen unter www.erinnerungszeichen.de. Achtung Redaktionen: Journalist*innen können die App vorab kennenlernen unter https://map.erinnerungszeichen.de, Benutzername: Presse, Passwort: 2022_EZ. Pressekontakt und Bildmaterial: Dr. Dominik Petzold (im Auftrag des Kulturreferats), Telefon 0170-2083481, per E-Mail an presse.erinnerungszeichen@gmail.com.