Die Stadt München hat im Juli 2021 eine möglichst vollständige Aufarbeitung der Geschehnisse in den Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien, in denen Kinder durch die Landeshauptstadt untergebracht wurden, beschlossen. Als unabhängiges Steuerungsgremium wurde dafür im November 2021 vom Sozialreferat die unabhängige Expertenkommission berufen. Nun hat sich am Montag auch das zweite Gremium zur Aufarbeitung der Geschehnisse, der sogenannte Betroffenenbeirat, zu seiner konstituierenden Sitzung getroffen. Er agiert auf Augenhöhe mit der Expertenkommission und soll insbesondere den Blickwinkel der Betroffenen und deren Belange vertreten.
Bürgermeisterin Verena Dietl: „Dass mit der Gründung eines Betroffenenbeirates der Expertenkommission ein Gremium zur Seite gestellt wird, das insbesondere die Perspektive der Betroffenen in den Aufarbeitungsprozess einbringen soll, begrüßen wir außerordentlich und sind für die wertvolle Beteiligung unendlich dankbar. Die Stadt – insbesondere ich, als Bürgermeisterin – werden jederzeit hinter der Aufgabe stehen, die Missstände umfassend aufzuarbeiten und dabei die Belange der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen.“
Der Betroffenenbeirat verfügt über vorerst zehn Mitglieder, die Mitgliedszahl kann jedoch auf bis zu 14 Mitglieder (analog zur Expertenkommisison) ausgeweitet werden. Der Betroffenenbeirat entscheidet selbst über seine formale und inhaltliche Arbeitsweise.
Ignaz Raab, Vositzender der Expertenkommission: „Die unabhängige Expertenkommission ist sich bewusst, dass es in der Vergangenheit unterschiedlichste Formen der Gewalt gegen Schutzbefohlene gab, die unter der (Mit-)Verantwortung der Landeshauptstadt stattfanden. Um diese Kultur der Gewalt aufzudecken, sie in ihren unterschiedlichen, spezifischen Formen zu erfassen, ist die Zusammenarbeit mit Betroffenen essenziell für das Projekt der Aufarbeitung. Die Betroffenen sind Impulsgeber*innen, Gesprächspartner*innen und Zeug*innen. Augenhöhe und Transparenz sind deshalb Grundvoraussetzungen im Zusammenwirken zwischen Beirat und Kommission. Die Bedürfnisse der Betroffenen stehen im Zentrum der Arbeit der Kommission und der gesamten Aufarbeitung.“
Aufgaben des Betroffenenbeirats sind unter anderem,
- an der Aufarbeitung und Weiterentwicklung des Umgangs mit Fragen der verschiedenen Formen von Gewalt im Verantwortungsbereich und in der Kooperation mit der Landeshauptstadt mitzuwirken,
- sich aktiv an der Expertenkommission durch Entsendung zweier Beiratsmitglieder in die Kommission, die stimmberechtigte Kommissionsmitglieder sind, zu beteiligen,
- Rückmeldungen, Stellungnahmen und Impulse an die Kommission zu geben,
- Zeugenschaft und Berichte der eigenen Gewalterfahrung als zentrales Element für die Aufarbeitung der verschiedenen Gewaltformen einzubringen,
- an der Schaffung einer Kultur mitzuwirken, die keine Gewalt gegen Schutzbefohlene im Verantwortungsbereich und der Kooperation mit der Stadt mehr zulässt.
Sozialreferentin Dorothee Schiwy: „Das Sozialreferat ist den Betroffenen, die sich dieser sehr belastenden Aufgabe annehmen, sehr dankbar, da nur durch die Beteiligung der Betroffenen eine Aufarbeitung erreicht werden kann, die ihre Belange im richtigen Rahmen berücksichtigt.“ Im vergangenen Jahrhundert wurden für längere oder auch für kürzere Zeit viele tausend Kinder durch die Landeshauptstadt in Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien untergebracht, die sich teilweise nicht nur außerhalb der Grenzen des Freistaates, sondern auch außerhalb der Landesgrenzen befanden. Die Aufarbeitung wird sich deshalb nicht nur auf die Unterbringung in Heimen beschränken, sondern ebenso die Unterbringung in Pflegefamilien sowie die Adoption inkludieren. Nur so kann eine tiefgründige und umfassende Beleuchtung und Aufarbeitung der Missstände in den verschiedenen Unterbringungsformen erreicht werden. Der Schwerpunkt der Aufarbeitung liegt auf den Jahren nach 1945, selbstverständlich arbeitet das Sozialreferat jedoch alle Fälle von Missbrauch unabhängig vom Zeitpunkt des Geschehens auf, die im Aufarbeitungsprozess zu Tage kommen.