Pflegenotstand – Verschlimmert die Impfpflicht die Situation in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 2.2.2022
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrer Anfrage haben Sie folgende Ausführungen vorangestellt: „Pflegeverbände haben im Hinblick auf die geplante Einführung der Impfpflicht für Mitarbeiter von Kliniken, Altenheimen oder Arztpraxen Mitte März vor einem Zusammenbruch der pflegerischen Versorgung gewarnt. ‚Wenn nach dem Einsetzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht Pflegekräfte mit Betretungsverboten belegt werden, droht die pflegerische Versorgung in besonders stark von der Pandemie betroffenen Bundesländern zusammenzubrechen‘, schreibt der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) in einer Pressemitteilung vom 25.1.2022.1 Die Bundesländer müssten ‚nun schnell konkrete Maßnahmen ergreifen, um die pflegerische Versorgung über den 15. März 2022 hinaus zu sichern‘. Das Thema Corona wird von Seiten der Stadt momentan leider nahezu ausschließlich in Arbeitskreisen und Runden Tischen behandelt, aber nicht in öffentlichen Sitzungen des Gesundheitsausschusses oder der Vollversammlung. Wir stellen unsere Fragen daher in Form einer Stadtratsanfrage, so dass die Antworten öffentlich in der Rathaus Umschau und im Internet zu finden sein werden. In anderen Ländern nimmt man aktuell Abstand von berufsbezogenen oder generellen Impfpflichten, da es hierfür keine wissenschaftliche Basis mehr gibt und die Situation sich durch die Omikron-Variante wesentlich entspannt hat. Viele Kommunen haben bereits verlauten lassen, dass der riesige Verwaltungsaufwand, der durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht und die zahlreichen dadurch nötigen Einzelgespräche mit Mitarbeitern den Kommunen vom Bund auferlegt werde, für sie überhaupt nicht zu stemmen wäre.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Wie schätzen Sie die Auswirkungen der kommenden berufsbezogenen Impfpflicht auf die Stadt München ein?
Antwort:
Es sei vorangestellt, dass es sich bei der in § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) normierten Pflicht nicht um eine „berufsbezogene Impfpflicht“, sondern um eine einrichtungsbezogene Nachweispflicht handelt. Für die Frage des Bestehens einer Nachweispflicht gemäß § 20a IfSG wird also auf die Tätigkeit in einer der im Gesetz aufgeführten Einrichtungen oder Unternehmen abgestellt und nicht auf die Art der Tätigkeit. Zur Bewältigung des dem Gesundheitsreferat (GSR) als Gesundheitsamt obliegenden Vollzugs der Regelungen und der Durchführung der damit verbundenen Verwaltungsverfahren, im Rahmen derer auch über die Frage der Anordnung von Tätigkeitsverboten zu entscheiden ist, wurden im GSR bereits sowohl die organisatorischen als auch die personellen Voraussetzungen geschaffen. Innerhalb des GSR ist ein neu geschaffener Bereich in der Sonderorganisation Corona für die Umsetzung der Vorgaben des § 20a IfSG zuständig. Es ist zwar von einem hohen Prüfaufkommen und Arbeitsaufwand für das GSR in den nächsten Monaten auszugehen, der tatsächliche Umfang der Anforderungen kann allerdings nicht abgeschätzt werden.
Frage 2:
Welche Maßnahmen müssen von Seiten der Stadt ergriffen werden, um die Einhaltung der Impfpflicht zu kontrollieren?
Antwort:
Aufgrund der seitens des Freistaats am 28.2.2022 erfolgten Hinweise zum Vollzug der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht an die Kreisverwaltungsbehörden (und damit auch an das GSR) stellt sich das geplante Vorgehen wie folgt dar:
Wird der Einrichtungs-/Unternehmensleitung bis zum Ablauf des 15.3.2022 kein entsprechender Nachweis vorgelegt oder hat die Einrichtungsleitung bei einem vorgelegten Nachweis Zweifel an dessen Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit, so hat unverzüglich eine Meldung an das Gesundheitsamt zu erfolgen. Nach den Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) ist seitens der Gesundheitsämter in Bezug auf die unverzügliche Meldung in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen zu akzeptieren.
Das Gesundheitsamt bittet daraufhin die betreffenden Personen unter angemessener Fristsetzung einen entsprechenden Nachweis bzw. entsprechende ärztliche Befunde oder Befundberichte vorzulegen und bietet eineImpfberatung durch die Impfzentren an. Wenn kein entsprechender Nachweis vorgelegt wird, erhält die Person ein Anhörungsschreiben, in dem sie aufgefordert wird, den Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorzulegen und in dem eine Bußgeldandrohung für den Fall der Nichtvorlage ergeht. Bei Nichtvorlage ist ein Bußgeldverfahren durchzuführen. Sofern nach der Durchführung des Bußgeldverfahrens weiterhin kein Nachweis vorgelegt wird, kann das Gesundheitsamt der betroffenen Person gegen-über nach Anhörung der Einrichtungs- bzw. Unternehmensleitung ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot im Hinblick auf die im § 20a Absatz 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen und Unternehmen aussprechen.
Es können aber auch Kontrollen durch das Gesundheitsamt ohne konkrete Benachrichtigung einer Einrichtungsleitung erfolgen, z.B. etwa im Rahmen von Hygiene- und Betriebskontrollen.
Frage 3:
Gibt es verlässliche Zahlen (oder wenigstens Schätzungen), wie viele Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen nach den aktuellen Vorgaben ab 16. März 2022 ihrer Tätigkeit nicht mehr oder nur eingeschränkt nachgehen können?
Antwort:
Das GSR geht aktuell davon aus, dass ca. 104.000 Personen im Stadtgebiet München von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht betroffen sind. Hierbei handelt es sich aber um einen volatilen Schätzwert, da insbesondere die Mitarbeiter*innenzahlen innerhalb der diversen Praxisbetriebe nicht bekannt sind.
Die Prozentzahl der nicht geimpften Mitarbeiter*innen wurde Mitte Januar einrichtungsübergreifend mit 10% (in den stationären Pflegeeinrichtungen zuletzt mit 7%) beziffert. Auch hierbei handelt es sich um Durchschnittswerte, die auf Angaben beruhen, die die Kliniken und Pflegeeinrichtungen dem GSR gegenüber gemacht haben.
Der Anteil der absoluten Impfverweiger*innen wird in der Literatur auf 4 bis 5% geschätzt, was für das Stadtgebiet München eine geschätzte Summe von in etwa 5.000 Impfverweiger*innen ergeben würde.
Es besteht jedoch die Vermutung, dass zumindest ein Teil der nicht geimpften Mitarbeiter*innen Atteste über Impfunfähigkeiten beibringt; werden diese von der Einrichtungs-/Unternehmensleitung akzeptiert, muss der Regelung des § 20a IfSG nach keine Meldung der Leitung an das Gesund-heitsamt erfolgen und eine weitere Prüfung durch das GSR erübrigt sich insoweit; die jeweiligen Beschäftigten können ihrer Beschäftigung in diesen Fällen wie gewohnt nachgehen.
Wie viele Beschäftigte ab dem 16. März 2022 tatsächlich keinen Nachweis vorweisen werden und bei wie vielen Beschäftigten letztendlich ein Betretungs- und Beschäftigungsverbot angeordnet werden müsste, kann nicht abgesehen werden.
Es kann aber bereits mitgeteilt werden, dass innerhalb der ersten Meldewoche (15.3.2022 bis 21.3.2022) allein über das elektronische Meldeportal der Landeshauptstadt München knapp 1.500 Beschäftigte von 330 Einrichtungen gemeldet wurden. Zusätzlich erhielt das GSR von 65 Einrichtungen papiergebundene Ersatzmitteilungen, mit welchen insgesamt 343 Personen gemeldet wurden. Damit wurden dem GSR bereits mehr als ein Drittel der prognostizierten Impfverweiger*innen gemeldet.
Frage 4:
Wie viele Einrichtungen werden ab 16. März ihren Betrieb nicht mehr oder nicht mehr vollständig aufrecht erhalten können, weil Personal aufgrund der Impfpflicht fehlt? Bitte unterteilen in Kliniken, Praxen, Pflegeheime und Rettungsdienste.
Antwort:
Hierzu liegen dem GSR weder konkrete Zahlen noch Schätzwerte vor. Richtig ist zwar, dass bei einigen Einrichtungen die Befürchtung besteht, dass durch die Impfpflicht ein Versorgungsengpass eintreten könnte, dem ist allerdings zu entgegnen, dass das GSR in Fällen drohender Versorgungsengpässe von der Anordnung von Tätigkeits- oder Betretungsverboten absehen kann. Hierüber ist stets im Rahmen von Einzelfallprüfungen unter Abwägung aller betroffenen Belange und Interessen zu entscheiden.