Demonstration am 21.11.2021 am Platz der Opfer des Nationalsozialismus
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 23.11.2021
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 23.11.2021 zur Beantwortung überlassen. Für die verzögerte Rückmeldung aufgrund erhöhten Arbeitsaufkommens im Veranstaltungs- und Versammlungsbüro bitte ich um Verständnis.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Am Sonntag, 21.11.2021 fand am Platz der Opfer des Nationalsozialismus in München eine Demonstration von sogenannten ‚Coronaleugnern‘ statt. Diese wurde bereits am Samstag in öffentlichen Chatgruppen angekündigt. Darüber wurde die Polizei spätestens um 22.00 Uhr am 20.11.2021 informiert. Trotzdem wurde an diesem historisch sensiblen Ort am Sonntag eine ‚spontane Versammlung‘ seitens der Polizei genehmigt und dies, obwohl unter den Teilnehmenden auch ein verurteilter Neonazi und ehemaliger NPD Funktionär war und die Kundgebung am Sonntag thematisch noch erweitert wurde auf einen ‚Gedenkmarsch‘ für den verstorbenen Karl Hilz, der unter Beobachtung des bayrischen Verfassungsschutzes stand.1“ 1. https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/polizist-verfassungsschutz-corona-101.html
Nachdem sich die Fragen in Ihrer Anfrage inhaltlich in großen Teilen an die Polizei richten, ist das Polizeipräsidium München eingebunden worden, aus dessen Stellungnahme vom 10.12.2021 ich entsprechend zitieren darf.
Zu Ihren Fragen nehme ich im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Mit welcher Begründung wurde eine Versammlung von „Coronaleugner“ am Platz der Opfer des Nationalsozialismus genehmigt?
Frage 2:
Die Versammlung wurde in öffentlichen Gruppen geteilt und am Vorabend wurde die Polizei München darüber informiert – mit Bezug auf den Ort. Mit welcher Begründung wurde der Versammlung noch die sogenannte „spontane Anmeldung“ akzeptiert? Und warum an diesem Ort?
Antwort:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 10.12.2021: „Die Fragen 1 und 2 werden zusammengefasst beantwortet.
Das Polizeipräsidium München stellte bei der Auswertung sozialer Medien fest, dass am späten Samstagabend für den nächsten Morgen zur Teilnahme an einer sich fortbewegenden Eilversammlung zur Erinnerung an einen zuvor verstorbenen Aktivisten der Querdenker-Szene aufgerufen wird. Diese Versammlung war zu diesem Zeitpunkt formell nicht angezeigt. Erst nachdem sich im Rahmen der Aufklärung am nächsten Tag bestätigte, dass sich Teilnehmer sammelten, wurde die Eilversammlung gegenüber der Polizei vor Ort angezeigt.
Der vor Ort erstellte Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums München beinhaltete unter anderem das Verbot des Tragens des Davidsterns/‚Judenstern‘ in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sowie das Verbot der Verwendung von Reichskriegsflaggen. Entsprechende Auflagenverstöße wurden nicht festgestellt. Die Versammlungsteilnehmer sammelten sich am 21.11.2021, um 11:11 Uhr am Platz der Opfer des Nationalsozialismus und begannen nach dem Verlesen der Versammlungsauflagen bereits um 11:18 Uhr die sich fortbewegende Versammlung.
Dem Polizeipräsidium München lagen zu diesem Zeitpunkt keine erkennbaren Umstände vor, dass durch die o.g. Versammlung am Platz der Opfer des Nationalsozialismus eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer der Nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu besorgen ist.
Weitergehende versammlungsrechtliche Beschränkungen hätten unter dem Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit eine konkrete Gefahrenprognose erfordert. Entsprechende Feststellungen hierzu lagen nicht vor. Eine versammlungsrechtliche Beschränkung zum Zwecke der örtlichen Verlegung wäre insofern nicht zulässig gewesen.“
Frage 3:
Wie ordnet die Polizei München und der Oberbürgermeister diese Genehmigung in die Ergebnisse aus dem Hearing Antisemitismus der Landeshauptstadt München ein, in der erst 3 Tage vor der o.g. Versammlung noch einmal die Zusammenhänge zwischen „Coronaleugnern“, Antisemitismus und rechter Hetze gezogen wurde ein?
Antwort:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 10.12.2021:„Beim Polizeipräsidium München genießt es höchste Priorität, jegliche Form von Antisemitismus und rechter Hetze konsequent zu verhindern bzw. zu unterbinden. Aus diesem Grund wurden das Tragen des Davidsterns/‚Judenstern‘ in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sowie die Verwendung von Reichskriegsflaggen vorsorglich untersagt.“
Kreisverwaltungsreferat:
Versammlungen müssen wegen ihres hohen Verfassungsranges nicht genehmigt oder erlaubt werden. Der/dem Veranstalter*in einer grundrechtlich geschützten Versammlung steht ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht zu, welches auch die Wahl der Örtlichkeit umfasst. Für die Durchführung einer Versammlung bedarf es deshalb grundsätzlich keines Ortsbezuges. Soweit ein solcher geltend gemacht wird, fließt er in die Abwägung eventueller Beschränkungen durch die Versammlungsbehörde mit ein. Versammlungen sind aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in besonderer Weise verfassungsrechtlich geschützt und örtliche Verlegungen bedürfen einer entsprechenden durch Tatsachen untermauerten konkreten Gefahrenprognose, dass die Sicherheit und Ordnung an der von der/dem Veranstalter*in gewählten Örtlichkeit unmittelbar gefährdet ist.
Das Kreisverwaltungsreferat kann die gegenständliche Versammlung außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs im Nachhinein nur noch einer hypothetischen ex-ante-Beurteilung unterziehen. Das Ergebnis dieser Beurteilung ist identisch mit o.g. Einschätzung des Polizeipräsidiums München. So lagen keine gerichtsverwertbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass ein nach Art. 15 Abs. 2 BayVersG vorausgesetzter Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen der Wahl der Örtlichkeit und einer eindeutigen thematischen Stoßrichtung gegen das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft vorlag.
Gleichzeitig ist das Kreisverwaltungsreferat sehr darauf bedacht, Veranstalter*innen im – bei rechtzeitig angezeigten Versammlungen möglichen – Kooperationsverfahren hinsichtlich der hohen Bedeutung des Erinnerungsortes des Platzes der Opfer des Nationalsozialismus zu sensibilisieren. In vielen Fällen gelingt so ein kooperativer Wechsel des Versammlungsortes.