Nutzung historisch belasteter Flächen in München
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 28.9.2021
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 29.9.2021 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Zur IAA Mobility in München 2021 wurden historisch sensible Orte an Automobilkonzerne vergeben. Wir wissen, dass sich die Unternehmen bereits kritisch mit ihrer Zeit und den Verbrechen in der NS Zeit auseinandersetzen und im Rahmen der Erinnerungskultur aufarbeiten. Dennoch bleiben einige Fragen anhand der bestehenden historischen Fakten, offen.“
„Aufgrund seiner guten Kontakte zu Hitler wurde Werlin 1934 in den Vorstand der Daimler-Benz AG berufen. Als Verbindungsmann zum NS-Regime war er ausschließlich für die Niederlassung München zuständig. Er engagierte sich zudem stark bei der Entwicklung des Volkswagens durch Ferdi- nand Porsche und war ab 1938 ehrenamtlicher Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Aufsichtsrats der neu gegründeten Volkswagenwerk GmbH.“1
„Und so findet sich in der Firmenchronik neben den Daten zum ersten Er- folgsmodell, dem Motorrad BMW R 32, auch die Tatsache, dass an etlichen Produktionsstandorten ‚ab Dezember 1939 Kriegsgefangene, Strafgefan- gene, Zwangsarbeiter und Häftlinge von Konzentrationslagern in der Ferti- gung von Flugzeugmotoren eingesetzt‘ wurden.“2
Gerade der Königsplatz und der Odeonsplatz waren Teil des Hitlerputsches und nachfolgend Orte der Inszenierung Hitlers und seiner menschenver- nichtenden Allmachtsfantasien.
Wir bitten daher den Oberbürgermeister, folgende Fragen zu beantworten:
1.In welchem Rahmen wird allgemein bei der Vergabe von Plätzen, die einen starken historischen Bezug zur NS-Zeit haben, die Vergabe kritisch überprüft?
2.Bei welchen Vorgaben oder in welchem Kontext wird eine Vergabe untersagt und andere Orte vorgeschlagen?
3.Hat es im Rahmen der Platzvergabe an die IAA eine Auseinandersetzung mit der Frage der Präsenz von Unternehmen mit historischen NS-Verstrickungen an historisch belasteten Orten gegeben? Vor allem in Bezug auf den Stand von Mercedes vor der Feldherrnhalle und BMW an der Residenzstraße? Wurde dies mit den Konzernen vorab abgestimmt oder kommuniziert?
4.Wurde die Vergabe der Flächen zur IAA innerhalb der Stadtverwaltung im Bezug auf den historischen Kontext untereinander abgestimmt und wer hat die Vergabe genehmigt?“
Erlauben Sie mir zunächst den Hinweis, dass bei Veranstaltungen und Versammlungen auf öffentlichem Verkehrsgrund keine Vergabe im rechtlichen Sinne stattfindet. Eine Vergabe ist ein eigenständiges rechtliches Verfahren, das im Rahmen des üblichen Verwaltungsverfahrens für Veranstaltungen und Versammlungen keine Anwendung findet.
Das Kreisverwaltungsreferat erteilt Genehmigungen für Veranstaltungen auf öffentlichem Verkehrsgrund als Erlaubnisse nach § 29 Abs. 2 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung. Hierbei hat der Stadtrat mit den Richtlinien für Veranstaltungen auf öffentlichem Verkehrsgrund vom 18.10.2017, zuletzt geändert durch Beschluss vom 23.10.2019, einen ermessenslenkenden Rahmen geschaffen. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit für Ausnahmen von den Richtlinien, z.B. wie hier vorliegend durch gesonderte Beschlussfassungen des Stadtrates zur IAA.
Bei Versammlungen im Sinne von Art. 8 des Grundgesetzes besteht demgegenüber kein Ermessen und es gibt auch keine Möglichkeit, hier ermessenslenkende Vorgaben etwa durch den Stadtrat zu erlassen.
Auf den Plätzen der Münchner Innenstadt findet in jedem Jahr eine Vielzahl in ihrer Ausprägung und inhaltlichen Gestaltung sehr unterschiedlicher Veranstaltungen und Versammlungen statt. Das Spektrum reicht dabei von Konzerten und Straßenfesten über Sportveranstaltungen, Märkten bis hin zu politischen Meinungskundgebungen zu den verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Themen.
Bezüglich des Königsplatzes wird in den o.g. Veranstaltungsrichtlinien ausdrücklich darauf verwiesen, dass dortige Konzertveranstaltungen und wie auch Open-Air-Kino-Veranstaltungen den besonderen historischen Belangen des Platzes und des angrenzenden Areals gerecht werden müssen.
Bei allen anderen Plätzen existiert keine solche explizite Vorgabe in den Veranstaltungsrichtlinien.
Vor diesem Hintergrund können Ihre Fragen wie folgt beantwortet werden:
Frage 1:
In welchem Rahmen wird allgemein bei der Vergabe von Plätzen, die einen starken historischen Bezug zur NS-Zeit haben, die Vergabe kritisch überprüft?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat ist sich bei der Genehmigung von Veranstaltungen auf öffentlichem Grund der Bedeutung der Münchner Plätze gerade auch im Zusammenhang mit dem NS-Regime sehr bewusst. Es handelt
sich bei den Veranstaltungsgenehmigungen um Erlaubnisse nach der Stra-ßenverkehrs-Ordnung. Das sich hieraus ergebende Ermessen hat Grenzen und muss sich primär an straßenverkehrsrechtlichen Aspekten orientieren. Eine Ermessensausübung, die beispielsweise als wesentlichen Punkt gestalterische oder inhaltliche Aspekte zum Thema hätte, wäre ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig. Gleichwohl zeigt die bisherige Genehmigungspraxis, dass gerade auch beim Königsplatz dessen besonderer historischer Bedeutung Rechnung getragen wird.
Der Umstand, dass die beiden genannten Konzerne während der Zeit des Nationalsozialismus Teil des Unrechtsregimes waren und dieses mittelbar oder unmittelbar unterstützten, rechtfertigt aus Sicht des Kreisverwaltungsreferates nicht, diesen Konzernen keine Gelegenheit zu geben, sich im öffentlichen Raum und auch auf den von Ihnen genannten Plätzen zu präsentieren.
Wie Sie selbst in Ihrem Antragsschreiben ausführen, haben sich die Unternehmen kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Eine Rechtsgrundlage, diesen Unternehmen die Nutzung des öffentlichen Raums oder bestimmter Plätze zu untersagen, ist nicht ersichtlich.
Für die Durchführung von Versammlungen gilt Folgendes:
In rechtlicher Hinsicht ist zunächst, wie das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, die elementare Bedeutung des Versammlungsrechts für unser Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund haben Veranstalterinnen und Veranstalter von Versammlungen weitgehende Gestaltungsfreiheit bezüglich der Wahl des Ortes, des Zeitpunktes, der Dauer, der Form und vor allem auch des Inhalts ihrer Versammlungen.Der hohe Verfassungsrang der Versammlungsfreiheit drückt sich auch dadurch aus, dass Versammlungen keiner behördlichen Genehmigung bedürfen. Sie sind lediglich bei der Versammlungsbehörde anzuzeigen.
Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bayerischen Versammlungsgesetzes und der Rechtsprechung wird von der Versammlungsbehörde stets im Einzelfall im Rahmen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens intensiv geprüft, inwieweit eine angezeigte rechtsextreme Versammlung an einem historisch sensiblen Ort die sozialen oder ethischen Anschauungen weiter Teile der Bevölkerung verletzt oder eine eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft hat.
Frage 2:
Bei welchen Vorgaben oder in welchem Kontext wird eine Vergabe untersagt und andere Orte vorgeschlagen?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 1.
Eine Ablehnung oder Verlegung einer Veranstaltung war bisher noch nie erforderlich.
Für Versammlungen gelten die nachfolgenden Ausführungen:
Im Hinblick auf die Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden.
Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus.
Nach Ansicht der Verwaltungsgerichte genügt es für eine örtliche Verlegung beispielsweise nicht, wenn die Versammlung an einem Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt. Vielmehr fordere das Gesetz einen Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen der Wahl der Örtlichkeit und dem Thema, der Art und Weise ihrer Durchführung oder dem gewählten Zeitpunkt, wodurch eine Verlet-zung sozialer oder ethischer Anschauungen bzw. eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu befürchten ist.
Ein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip kenne das Grundgesetz hierbei nicht.
Vielmehr sei auf das Gutheißen der Vernichtungsabsicht des historischen Nationalsozialismus abzustellen. Dieser Tatbestand könne beispielsweise durch das Verherrlichen eines repräsentativen Führers des historischen nationalsozialistischen Regimes gegeben sein.
Frage 3:
Hat es im Rahmen der Platzvergabe an die IAA eine Auseinandersetzung mit der Frage der Präsenz von Unternehmen mit historischen NS-Verstrickungen an historisch belasteten Orten gegeben? Vor allem in Bezug auf den Stand von Mercedes vor der Feldherrnhalle und BMW an der Residenzstraße? Wurde dies mit den Konzernen vorab abgestimmt oder kommuniziert?
Antwort:
Die Beschlussvorlage zur Durchführung der IAA im Innenstadtbereich wurde vom Referat für Arbeit und Wirtschaft eingebracht. Das KVR hat das RAW daher um Stellungnahme zu dieser Frage gebeten, die nachfolgend wiedergegeben wird:
„Der historisch sensible Umgang historischer Plätze wird vom Referat für Arbeit und Wirtschaft nicht nur unterstützt, sondern auch gelebt. Bei der IAA Mobility ergab sich aber aus Sicht des Referates kein Anlass dafür, die Plätze nicht zur Verfügung zu stellen.
Bei den angesprochenen Unternehmen handelt es sich zum einen um Unternehmen, die sich, wie auch die Anfrage selbst ausführt, ihrer Firmengeschichte stellen und stellten.
Zum anderen sei auf das Ziel der Open Spaces verwiesen: Mit der Neuausrichtung der IAA zur IAA Mobility auf den Innenstadtplätzen handelt es sich um ein neues, kostenfreies Messeformat, das neue Mobilitätslösungen im urbanen Umfeld zeigt und das gerade darauf abzielt, jenseits des klassischen Messegeschehens mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Stadt in Kontakt und in den Dialog zu treten.
Die Bewältigung der Verkehrs- und Klimaproblematik wird eine der Hauptaufgaben der Zukunft sein. Im Rahmen der IAA Mobility konnten sich dieBürgerinnen und Bürger zentral, kostenlos und problemlos über Alternativen informieren, sie vergleichen und ausprobieren. Sie im wahrsten Sinne „erfahren“. Ein solches Format mit dieser gesamtgesellschaftlich relevanten Zielsetzung ist daher am besten zentral, d.h. innerstädtisch umsetzbar.“
Die Messe München GmbH teilte auf Anfrage ergänzend Folgendes mit: „Eine mögliche historische Bedeutung wurde bereits während der Bewerbungsphase zur IAA thematisiert.
Dem VDA und der Messe München waren die historische Bedeutung und die NS-Vergangenheit der Stadt, als auch den Automobilherstellern bekannt und bewusst.
Während der Platzierungsphase wurde die geschichtliche Bedeutung der Plätze von Vertretern der Automobilhersteller mit der Messe München und dem VDA thematisiert und in Detailfragen wurde die Direktion des NS-Dokuzentrums involviert.“
Das Kreisverwaltungsreferat erlaubt sich an dieser Stelle nochmals den Hinweis, dass die Durchführung der IAA auch und gerade an den von Ihnen genannten Örtlichkeiten vom Stadtrat ausdrücklich beschlossen wurde. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen.
Frage 4:
Wurde die Vergabe der Flächen zur IAA innerhalb der Stadtverwaltung im Bezug auf den historischen Kontext untereinander abgestimmt und wer hat die Vergabe genehmigt?
Antwort:
Das RAW wurde zu Frage 4 um eine Stellungnahme gebeten, die nachfolgend wiedergegeben wird:
„Mit Beschlüssen vom 19.2. und 29.4.2020 hat der Stadtrat der Landeshauptstadt München der Vergabe der Plätze zugestimmt.“
Die konkrete Genehmigung (Erlaubnis gemäß § 29 der Straßenverkehrs-Ordnung) für die Open Spaces im Rahmen der IAA Mobility wurde vom Kreisverwaltungsreferat auf Grundlage der bestehenden Stadtratsbeschlüsse erteilt.
Im Übrigen wird auch hier auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen.Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass diese Angelegenheit damit erledigt ist.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Werlin
2 https://www.dw.com/de/100-jahre-bmw-die-schatten-der-ns-vergangenheit-/a-19094556