Das Sozialreferat hat dem Stadtrat in der gestrigen Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses die Ergebnisse des Hearings zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche vorgelegt. Das Hearing am 15. Juni vergangenen Jahres stand unter dem Eindruck der durch Corona notwendig gewordenen Einschränkungen und deren Folgen, die durch Fachexpert*innen aus unterschiedlichen Handlungsfeldern dargestellt wurden. Jugendliche aus unterschiedlichen Angebotsformen der Münchner Jugendhilfe schilderten zudem aus individuell-authentischer Sicht die Auswirkungen und Problemstellungen während der Pandemie. Im Hearing wurde deutlich, wie gravierend die Schließung der Schulen für Kinder und Jugendliche war. Während der Schulschließungen haben viele Schulen darum gekämpft, ihre Schüler*innen zu erreichen. Mit jedem weiteren Lockdown wurde die Situation schwieriger, insbesondere bei engen Wohnungen, fehlenden Rückzugsräumen und fehlender Privatsphäre für die Kinder und Jugendlichen. Trotz hoher Anstrengungen von Lehrkräften und Schulsozialarbeit konnten nicht mehr alle Kinder und Jugendlichen für den Unterricht motiviert werden. Ohne Präsenzunterricht war es für viele schwierig, eine geregelte Tagesstruktur aufrechtzuhalten.
Bürgermeisterin Verena Dietl: „Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien leiden besonders unter den Pandemiefolgen. In den letzten zwei Jahren wurde leider zu deutlich, wie gravierend sich die soziale Ungleichheit auch im Bildungssystem zeigt. Wir brauchen dringend ein Umdenken und grundlegende Veränderungen im Bildungssystem in den Bereichen Persönlichkeits- und Sozialkompetenzentwicklung, Noten und Prüfungskultur, soziale Selektion und Benachteiligung. Ich appelliere deshalb dringend an den Freistaat, die Leistungsziele der Lehrpläne schnellstmöglich anzupassen, um den Druck auf Kinder, Jugendliche und Lehrer*innen zu verringern und drohende weitere Folgeschäden zu verringern.“
Drei Fachärztinnen für Kinder- und Jugendheilkunde machten deutlich, welch dramatische Auswirkungen insbesondere die dritte Welle auf Kinder und Jugendliche hatte. Sie berichteten unter anderem von Defiziten bei der Entwicklung von Mitgefühl, Persönlichkeit und Empathie, durch die stark reduzierten oder fehlenden direkten sozialen Kontakte. Besonders hervorgehoben wurde die zunehmende Schulverweigerung von Kindern und Jugendlichen, die sich während des aktuell laufenden Schuljahres gegebenenfalls noch deutlich steigern kann. Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Essstörungen, auch psychosomatische Störungsbilder mit Kopf- und Bauchschmerzen als Reaktion auf Angst und Stress, haben unter Kindern und Jugendlichen deutlich zugenommen, ebenso Adipositas und Übergewicht.
Auch das Thema öffentlicher Raum und Nutzungskonflikte war ein zentraler Aspekt des Hearings. Während des letzten Jahres war die Nutzung des öffentlichen Raums weitgehend untersagt. Kinder und Jugendliche waren gezwungen, zu Hause zu bleiben, was für sie weitreichende Folgen hatte. Im öffentlichen Raum spielt sich für Kinder und Jugendliche ein wesentlicher Teil ihres Lebens ab. Kinder und Jugendliche aus ressourcenschwachen Familien traf die Situation der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raumes unter anderem für Treffpunkte am härtesten. Der Verlust von Begegnungen, Freundschaften und Cliquentreffen und dem Rückzug ins Private, mit geringen Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen, führte oft zu psychischen Problemen wie beispielsweise Depressionen, Essstörungen, starker Gewichtszunahme und sogar Selbstmordversuchen.
Im zweiten Teil des Hearings kamen neun jungen Menschen zwischen 13 und 27 Jahren zu Wort, die ihre Einsichten und Erfahrungen der letzten Monate darstellten. Ihre Beschreibungen deckten sich weitgehend mit denen der Fachexpert*innen und ermöglichten einen authentischen und umfassenden Überblick über die Lebenslage und das Alltagshandeln Jugendlicher und junger Erwachsener im vergangenen Jahr der Coronapandemie. Das Sozialreferat wird nun im Rahmen einer sozialreferatsinternen Taskforce die im Hearing aufgeworfenen Themen gemeinsam mit der Kinder- und Jugendhilfe, dem Referat für Bildung und Sport sowie dem Gesundheitsreferat bearbeiten. Ebenso wird das Sozialreferat den stadtweiten Runden Tisch „Nächtliches Feiern – Raum für Jugendliche und junge Erwachsene“ fortführen.