1 Jahr ‚Klima-Urteil‘ des Bundesverfassungsgerichts: Juristische Schritte Dritter gegen die Stadt München antizipieren und vermeiden
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 5.4.2022
Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„In seinem Beschluss vom 24.3.2021 (Klima-Urteil)1 hat das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr eine Zeitenwende für die gesamte Lebens- und Wirtschaftsweise in unserem Land eingeläutet. Randnr. 193 des Urteils: ‚Der Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.‘
In einer Auswertung schreibt die Verwaltungs- und Verfassungsjuristin Dr. Roda Verheyen, die das Urteil mit erreicht hat und das Grünzugnetzwerk Würmtal e.V. und den Bund Naturschutz e.V. bei der Rettung von Lochhamer Schlag und Forst Kasten vor der Waldrodung für Kiesausbeute vertritt: ‚Die Entscheidung wird für umweltrechtliche Verfahren aller Art für immer erhebliche Bedeutung haben.‘2
Kommunen sind wie Bund und Länder Träger staatlicher Gewalt. Daher sind sie verpflichtet, zur Verlangsamung des Klimawandels beizutragen. Es ist damit zu rechnen, dass nach dem Bund auch Länder und Kommunen verpflichtet werden, sich durch eigene strenge Begrenzungsmaßnahmen an der Einhaltung des nationalen CO2-Budgets zu beteiligen, und dass Dritte diese vollumfängliche, rechtzeitige Beteiligung ggf. juristisch einfordern werden.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Wie bereitet sich die Landeshauptstadt München auf juristische Schritte von Dritten ihr gegenüber vor, für den wahrscheinlichen Fall, dass ganz konkrete und wesentlich anspruchsvollere Vorgaben zur CO2-Einsparung als bisher auf die Kommunen zukommen und diese nicht, nicht schnell genug oder nicht umfassend genug umgesetzt werden (z.B. kommunales CO2-Budget, Erfassungspflicht für Graue Energie o.ä.)?
Antwort:
Die Landeshauptstadt München hat bereits proaktiv agiert
Die Landeshauptstadt München hat mit Wirkung zum 1. Januar 2021 ein neues Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) ins Leben gerufen. Von Beginn an war das RKU bestrebt, insbesondere alle rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um als Kommune aktiv kommunalen Klimaschutz und Klimaanpassung vor Ort zu betreiben.
Diesem inneren Auftrag entsprechend wurde bereits vor dem besag-
ten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Beschl.v.24.3.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20) innerhalb des RKU die rechtliche Möglichkeit geprüft, allgemeine Vorgaben zum Klimaschutz auf kommunaler Ebene mittels Satzung zu machen. Dies geschah unter Einbindung der Kommunalaufsicht der Regierung von Oberbayern.
Das Ergebnis der Prüfung war, dass die momentane Gesetzeslage mit Blick auf den Klimaschutz den Kommunen keine allgemeine Kompetenz zugesteht. Es fehlt hierzu an dem erforderlichen lokalen Bezug, Art. 28 Abs. 2 GG.
Das RKU sah und sieht dies rechtlich anders.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem o.g. Beschluss zu Recht deutlich gemacht, dass alle staatliche Gewalt zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne künftiger Generationen aufgerufen ist, Art. 20a GG. Da ca. 40% der THG- Emissionen im Bereich der Kommunen anfallen, ist kommunaler Klimaschutz ungeachtet der Zuordnungen von Kompetenzen bereits faktisch eine „kommunale Pflichtaufgabe“.
Diese Auffassung hat das RKU auch über den Bayerischen Städtetag gegenüber dem Freistaat Bayern klar kommuniziert und deutlich gemacht, dass eine gesetzliche Pflichttaufgabe für kommunalen Klimaschutz festgelegt und aufgrund der Konnexität seitens des Freistaates Bayern auch finanziert werden muss.
Der Freistaat Bayern hat sich hierzu noch nicht geäußert. Es wird eine Äußerung im Rahmen der Behandlung der Novelle des Bayerischen Klimaschutzgesetzes erwartet.
Das RKU hat ungeachtet dessen – auch mit Blick auf juristische Schritte Dritter – rechtlich einen Mittelweg gewählt, um zum einen die vorhande-nen Kompetenzen zu nutzen und zum anderen etwas für den Klimaschutz auf kommunaler Ebene zu tun.
Das RKU hat daher eine Klimasatzung vorgeschlagen, die rechtsverbindlich für die städtische Familie Ziele zur Klimaneutralität definiert, Vorgaben zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung macht und einen Klimarat ins Leben ruft.
Diese Klimasatzung sieht vor, dass die Stadtverwaltung bis 2030 und die Stadt München bis 2035 klimaneutral werden soll. Dies soll erreicht werden durch die Aufstellung einer Klimastrategie, die ein Maßnahmenpaket beinhaltet und diese Maßnahmen je nach Erreichen der Zwischenziele anpasst oder ersetzt.
Die Erreichung der Ziele und die Wirksamkeit der Maßnahmen der Klimastrategie werden durch ein THG- Monitoring sichergestellt.
Diese Klimasatzung wurde als eine binnenorganisatorische Regelung für die Landeshauptstadt München seitens der Vollversammlung am 28. Juli 2021 beschlossen.
Damit hat die Landeshauptstadt München die rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen die juristischen Anwürfe Dritter zu wehren, bereits ausgenutzt.
Rechtliche Schritte Dritter derzeit wohl nicht erfolgreich
Diese Anwürfe wären derzeit wohl auch nicht erfolgreich, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Klagen gegen die Klimaschutzgesetze bestimmter Bundesländer zeigt (BVerfG, Beschl.v.18.1.2022 – 1 BvR 1565/21 ua.). Die entsprechenden Verfassungsbeschwerden waren nicht erfolgreich.
Das Bundesverfassungsgericht verwies zur Begründung auf den ersten o.g. Beschluss hierzu und machte deutlich, dass man sich nur gegen Landesklimaschutzgesetze wenden könne, wenn diese festlegten, welche THG-Restmenge noch emittiert werden dürfe und durch die gesetzliche verankerten Maßnahmen die Grundfreiheiten künftiger Generationen unverhältnismäßig beschränkt würden.
Diese THG-Restmenge für die Bundesländer sei aber weder ausdrücklich in Gesetzen des Bundes normiert noch ergäbe sich eine solche aus der Verfassung unmittelbar.Auch machte das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass selbst bei Vorgabe eines THG-Restbudgets durch den Bund die Bundesländer ggf. nicht die erforderlichen Kompetenzen zur Einhaltung dieses Restbudgets hätten.
Damit wären Klagen Dritter gegen die Landeshauptstadt München derzeit aus unserer Sicht nicht erfolgreich, da zum einen in Bayern den Gemeinden keine allgemeine Kompetenz im Bereich des Klimaschutzes zugestanden wird (siehe oben), zum anderen aber auch weder dem Freistaat Bayern noch den Kommunen bisher ein THG-Restbudget vorgeschrieben wird.
Frage 2:
Gibt es eine antizipative Strategie, um juristische Niederlagen und Kosten durch vorausschauendes anstatt reaktives Handeln zu vermeiden?
Antwort:
Keine weiteren Maßnahmen möglich
Da die Landeshauptstadt München die rechtlichen Möglichkeiten bereits proaktiv ausgenutzt hat (siehe oben), sind derzeit – rechtlich betrachtet – keine weiteren proaktiven Schritte möglich.
Ungeachtet der bereits ergriffenen Maßnahmen ist es dennoch möglich, dass die Landeshauptstadt München in diesem Zusammenhang verklagt wird. Denn die Erhebung einer Klage kann rechtlich nicht derart ausgeschlossen werden, dass sie bereits nicht erhoben werden darf. Das wäre mit Blick auf die verfassungsmäßig definierte Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), die auch die Erhebung ggf. erfolgloser Klagen zulässt, nicht zulässig.
Ob die dann im Einzelfall erhobene Klage erfolgreich ist, also zulässig und begründet ist, ist eine davon unabhängig zu klärende Frage. Aus unserer Sicht sind wie gesagt alle Maßnahmen ergriffen, um in einem Gerichtsverfahren gewappnet zu sein.
Die Landeshauptstadt München kann im Fall der Fälle schnell reagieren
Im Rahmen der mit der Klimasatzung geschaffenen Grundlagen wird derzeit eine Roadmap für die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses II erarbeitet und dem Stadtrat anschließend zur Beschlussfassung vorgelegt. Diese Roadmap ist ein starkes Instrument für Klimaschutz und Klimaanpassung in München.Für den Fall, dass der Bund den Ländern im Wege eines Gesetzes THG-Restbudgets zuteilt und diese für die Kommunen ebenfalls derartige Budgets vorsehen, besteht seitens der Landeshauptstadt München bereits jetzt das erforderliche Instrumentarium, um hierauf in ihrem eigenen Wirkungskreis reagieren zu können: die oben beschriebene Klimastrategie. So könnte diese zeitnah angepasst und um Maßnahmen ergänzt werden, falls das nun vorgegebene THG-Restbudget sonst nicht erreicht würde.
Für den Wirkungskreis jenseits dessen wird die Vorgabe eines THG-Restbudgets erst dann rechtliche und ggf. einklagbare Verpflichtungen der Landeshauptstadt München auslösen, wenn sie eine allgemeine Kompetenz diesbezüglich erhält.