Sind norwegische Windparks der SWM Fehlinvestitionen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 1.3.2023
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 1.3.2023 führten Sie als Begründung aus: „Während in der Region München seit Jahren kaum in die Potentiale Erneuerbarer Energien investiert wurde1, werden durch die Stadtwerke München (SWM) Projekte in Norwegen auch gegen den Willen der dortigen Bevölkerung vorangetrieben. Die SWM handeln wie ein von Profimaximierung getriebener und global agierender Energiekonzern. Es wird in Großprojekte investiert, statt lokal zu handeln und eine dezentrale Energiewende umzusetzen.
Wie die Presse berichtet, gibt es aktuell große Proteste in Norwegen gegen die Windparks Storheia und Roan, die Mitten in Gebieten zur Rentierhaltung der Samen liegen2. Der norwegische Oberste Gerichtshof entschied 2021, dass der Bau die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt. Die Windräder laufen seitdem weiter und die Proteste nehmen zu, wie die Blockade des Energieministeriums deutlich macht. Auch gegen den Windpark Frøya, der zum Windparkportfolio Midgard gehört, gab es große Proteste der ansässigen Bevölkerung3. Der Windpark Roan liegt wie das Windparkportfolio Midgard in der norwegischen Preiszone NO3, die im Gegensatz zu den südnorwegische Preiszonen im Sommer extrem niedrige Strompreise hatte4. Die Preise im Süden waren teilweiße hundert Mal höher als in den Gebieten der Windparks der SWM in Norwegen. Solch massive Preisdiskrepanzen könnten für mangelnde Stromnetze in Zentral- und Nordnorwegen sprechen. Angesichts der breiten Proteste gegen die Windparks der SWM in Nor- wegen und der niedrigen Strompreise stellt sich die Frage, ob die Investitionen der SWM in die Windparks Midgard und Roan Fehlinvestitionen waren. Dazu ist fraglich, ob die Windparks einen Beitrag dazu leisten, dass München aus Kohle und Gas aussteigen kann. Statt vor allem regionale Potentiale für Erneuerbare Energien auszuschöpfen, war es dem Chef der SWM, Florian Bieberbach, bislang ‚wurscht‘, ob der Strom tatsächlich in München ankommt2. Kritik an der Erzählung der SWM, es gäbe einen europäischen Stromsee, wurde schon öfter laut5.“ 1https://risi.muenchen.de/risi/antrag/detail/5468466?dokument=v5558001
2https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-stadtwerke-norwegen-protest-greta-thun- berg-1.5759492
3https://www.sueddeutsche.de/muenchen/windkraft-norwegen-strom-muenchen-1.4393951?re- duced=true
4https://businessportal-norwegen.com/2022/07/27/rekord-strompreise-im-suedwesten-norwegens/
5https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/eine-bewusste-irrefuehrung-die-muenchner-oe- kostrom-luege-art-828596
Vor dem Hintergrund Ihrer Anfrage, darf ich Ihnen vorab Folgendes mitteilen:
Die SWM stehen als kommunales Energieunternehmen in der Verant-
wortung, die Energiewende maßgeblich mitzugestalten. Bereits vor dem Atomausstieg der Bundesrepublik haben die SWM bei der Stromerzeugung die Wende beschlossen und 2008 die Ausbauoffensive Erneuerbare Energien gestartet. Ziel der Ausbauoffensive ist es, den Bedarf Münchens mit Ökostrom aus eigenen Anlagen decken zu können. Und der Fortschritt kann sich sehen lassen: Im Jahr 2022 haben die SWM bereits 6,3 Milliarden Kilowattstunden Ökostrom produziert – das entspricht rund 90 Prozent des Münchner Verbrauchs. Rund 40 Prozent des Ökostroms erzeugen die SWM in Anlagen in der Region und in Deutschland. Weil die Metropole München und ihre Region dicht besiedelt, Sonne und Wind hier nur begrenzt nutzbar sind, kann regional nicht so viel Ökostrom erzeugt werden, wie benötigt. Deshalb produzieren die SWM gemeinsam mit Partnern auch an anderen Standorten in Europa Ökostrom. Insgesamt haben die SWM ein Investitionsvolumen von 9 Mrd. Euro für die Ausbauoffensive Erneuerbare Energie eingeplant. Dass sich bei diesem Volumen auch einzelne Projekte manchmal wirtschaftlich nicht so entwickeln wie gewünscht, ist kaum zu vermeiden. Insgesamt ist die Ausbauoffensive nicht nur ökologisch sinnvoll, sie ist auch wirtschaftlich betrachtet ein Erfolg und trägt seit Jahren mit einem jährlichen Ergebnisbeitrag im dreistelligen Millionenbereich zum Unternehmenserfolg der SWM bei.
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können anhand einer Stellungnahme der SWM wie folgt beantwortet werden:
Frage 1:
War den SWM das Risiko von Protesten und Gerichtsverfahren gegen die Windparks bekannt und wurde der Stadtrat bei der Entscheidung zur Beteiligung an den Windparks darüber informiert?
Antwort der SWM:
„Das Risiko von Protesten und Klagen gegen Projekte erneuerbarer Energieerzeugung ist grundsätzlich nicht auszuschließen.Das Risiko von Protesten wurde als gering erachtet und dementsprechend kommuniziert. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass ‚die Untersuchung entsprechender Risiken in der weiteren Prüfung der Beteiligungsmöglichkeit besonderes Augenmerk erhalten‘. In der weiteren Prüfung der Beteiligungsmöglichkeit (Due Diligence) im Anschluss an die Befassung des Stadtrats wurden die mit der anhängigen Klage und etwaigen Protesten verbundenen Risiken intensiv untersucht und abgewogen.
Ausgangspunkt der Bewertung war, dass die Gruppe der Nord-Sami, deren Rentiere die Gebiete des Windparks Roan in besonders strengen Wintern als Ausweich-Winterweide nutzen, vor Baubeginn mit der Windparkgesellschaft einen Vertrag geschlossen hat. In dem Vertrag hat sich die Gruppe verpflichtet, die Betriebsgenehmigung des Windparks nicht anzufechten. Das Gerichtsverfahren diente in erster Linie der Festsetzung einer angemessenen Entschädigung der Nord-Sami für die Nutzung der Winterweide-Flächen durch den Windpark.“
Frage 2:
War der SWM das Risiko niedriger Strompreise bei ihren norwegischen Windparks in der Preiszone NO3 bekannt und wurde dieses Risiko dem Stadtrat dargestellt?
Antwort der SWM:
„Das Risiko schwankender Strompreise war bekannt. Die Strompreisrisiken wurden in den jeweiligen SR-Beschlüssen benannt. Speziell beim Ankauf von Roan wurden auch mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Preise berücksichtigt und benannt.
Im Falle von Midgard sind große Teile der Produktion gegen niedrige Strompreise abgesichert (dies wurde auch durch die finanzierenden Banken gefordert).
Nicht bekannt oder erwartet und in dieser Form ein Novum für alle uns bekannten Marktteilnehmer waren die starken Schwankungen der Strompreise und der historisch nicht dagewesene Unterschied zwischen dem Strompreis in Mittel-/Nordnorwegen und den (durch Kontinentaleuropa beeinflussten) südnorwegischen Preisregionen. Diese Schwankungen und Abweichungen waren stark durch den Rückgang der russischen Gaslieferungen und die Sanktionen gegen Russland in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beeinflusst. Hinzu kamen kurzfristige regionale Effekte wie außergewöhnliche Niederschlagsverteilungen, Temperaturen und Füllstände der Wasserkraftreservoirs.“
Frage 3:
Wer würde die wirtschaftlichen Konsequenzen tragen, wenn die Windparks Storheia und Roan zurückgebaut werden müssten?
Antwort der SWM:
„Die SWM halten keine Beteiligung am Windpark Storheia, weshalb die SWM von einem etwaigen Rückbau des Windparks wirtschaftlich nicht unmittelbar betroffen sind.
Die Verkäufer des Windparks Roan haben den SWM weitgehende Ansprüche eingeräumt, die die SWM von potenziellen Schäden (und somit auch einem Rückbau) als Folge des Urteils des Obersten norwegischen Gerichtshofs freistellen.“
Frage 4:
Verlassen sich die SWM bei ihren norwegischen Investitionen lediglich auf die Expertise ihrer norwegischen Geschäftspartner?
Antwort der SWM:
„Die Stadtwerke München nutzen bei ihren norwegischen Investitionen – in Ergänzung der eigenen Expertise und der Expertise der Partner – in erforderlichem Umfang verschiedene externe Berater (z.B. für Marktpreisprognosen renommierte Consulting-Unternehmen, für technische Belange weltweit tätige Prüfunternehmen, für juristische und steuerliche Fragestellungen spezialisierte Anwalts- und Steuerkanzleien).“
Frage 5:
Kommt der Strom der betroffenen Windparks aktuell physisch in München an?
Antwort der SWM:
„Der von Erzeugungsanlagen im Besitz der SWM erzeugte Strom wird über die Netze innerhalb Norwegens und von Norwegen aus auch in andere Länder verteilt. Es existieren Seekabel direkt von Norwegen nach Deutschland sowie Verknüpfungen von Norwegen nach Deutschland über Schweden und Dänemark sowie mittelbar über weitere Länder, siehe hierzu nachfolgende Grafik:
Tatsächlich ist es aber gar nicht entscheidend, welchen Weg ein einzelnes Elektron durch das europäische Netz nimmt, denn jede MWh die in Europa durch Erneuerbare Energien erzeugt wird, ersetzt eine MWh, die sonst fossil (oder nuklear) erzeugt werden müsste. Dies gilt auch für Norwegen. Der Strom wird bei den SWM europaweit erzeugt und in das so genannte europäische Verbundnetz eingespeist. Physikalisch vermischt er sich mit Strom aus allen Erzeugungsanlagen (Kern-, Kohle- und Gaskraftwerken sowie Ökostromanlagen) und wird so den Kund*innen an der Steckdose zur Verfügung gestellt. Das europäische Strom-Verbundnetz ist mit einem riesigen See zu vergleichen. Alle, die Strom erzeugen, speisen in diesen ‚Strom-See‘ ein; alle, die Strom verbrauchen, entnehmen etwas. Jede regenerativ erzeugte Kilowattstunde macht den europäischen See sauberer. Unser Ziel ist es, ab 2025 so viel Ökostrom in den See einzuspeisen, wie München entnimmt.“
Frage 6:
Aus welchem Grund waren die Strompreise in der Preiszone NO3 so niedrig? Gibt es in Norwegen nicht ausreichende Stromnetz? Und falls ja, wieso bauen die SWM in einem solchen Gebiet einen Windpark?
Antwort der SWM:
„Grundsätzlich werden Windenergieanlagen dort errichtet, wo günstige Windbedingungen, ausreichend Flächen, geringe Beeinträchtigungen von Mensch und Natur sowie leistungsfähige Anschlüsse an die Stromnetze und -trassen vorhanden sind. Bei den SWM sind zwei Projekte in Südnorwegen in der Nähe zu Oslo errichtet worden und auch die Projekte in Mittelnorwegen liegen günstig zum Ballungszentrum Trondheim. Der Landkreis Trøndelag zählt zu den Top 5 Regionen Norwegens bezüglich der Anzahl der Arbeitnehmer und lediglich in Oslo wächst die Wirtschaft schneller als in Trøndelag. Historisch wurde in Mittelnorwegen mehr Strom verbraucht als erzeugt. Zudem lässt die Elektrifizierung die Nachfrage stark steigen. Die steigende Nachfrage nach elektrischer Energie kann – auch in Norwegen – nicht ohne Windkraft befriedigt werden.
Zur Preissituation speziell in der Preisregion NO3 ist zu bemerken, dass die Strompreise in Norwegen primär durch die (stark temperaturbedingte) Nachfrage, die Niederschlagsmengen (Laufwasserkraftwerke) und die Füllstände der Speicherreservoirs (Speicherkraftwerke) beeinflusst werden. Im Sonderfall 2021/2022 hat die – durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöste – europäische Energiekrise die üblichen Preisbildungsprozesse übersteuert und zu irrationalen Preisentwicklungen geführt.
Mittlerweile haben die Strompreise in Mittelnorwegen wieder einen ‚normalen‘ Bereich erreicht. Sie liegen aktuell leicht über den in den Wirtschaftsplänen zugrunde gelegten Erwartungen.“
Frage 7:
Wie oft mussten die Windparks der SWM in der Preiszone NO3 im letzten Jahr abgeregelt werden, damit das örtliche Stromnetz nicht überlastet wird?
Antwort der SWM:
„Die Energiemenge, die durch Abregelungen des Netzbetreibers nicht produziert wurde, schwankt für die einzelnen Windparks und lag für 2022 für das Midgard Portfolio insgesamt bei etwa 2% bezogen auf die Gesamtproduktion. Die Spanne liegt dabei etwa zwischen 1,5% und 2,5%. Roan ist mit einer Quote von knapp 5% etwas stärker ‚betroffen‘. Dies ist allerdings wirtschaftlich irrelevant, da die Windparks – im Falle von Abregelungen durch den Netzbetreiber – durch diesen entschädigt werden.“
Frage 8:
Wie entwickelte sich der Jahresüberschuss/-fehlbetrag der Windparks Roan und Midgard seit deren Inbetriebnahme bis 2022?
Antwort der SWM:
„Die Jahresergebnisse werden regelmäßig im Finanzdaten- und Beteiligungsbericht der Landeshauptstadt München berichtet. Die Ergebnisse stellen sich für die beiden Beteiligungen wie folgt dar:
Der Anteil der SWM an der Midgard Vind Holding AS beträgt 70%, der Anteil an der Aneo Roan Vind Holding beläuft sich auf 49%. Die SWM halten die Beteiligung an Roan erst seit 2021.
Die Jahresabschlüsse der Gesellschaften für das Geschäftsjahr 2022 sind zum heutigen Tag noch nicht festgestellt. Die Ergebnisse werden im Rahmen des nächsten Finanzdaten- und Beteiligungsberichts bekannt gegeben.
Das Ergebnis der Midgard Holding ist maßgeblich durch die negativen Sondereinflüsse im Gefolge des Krieges in der Ukraine beeinflusst, die ausführlich in der Stadtratsvorlage Nr. 20-26/V 06153 ‚Mittelbedarf Midgard Portfolio aufgrund der Preisentwicklung des Krieges in der Ukraine‘ dargestellt wurden.“
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.