Friedliches Zusammenleben mit Stadttauben 7 – LHM erlaubt Tierschutzvereinen Taubenfütterung
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 30.1.2023
Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz:
Mit Schreiben vom 30.1.2023 haben Sie Folgendes beantragt:
„Die Landeshauptstadt München autorisiert gemeinsam mit im Stadttaubenschutz engagierten Vereinen (bspw. Einsatz für Tiere e.V., Tierschutzverein München e.V.) geschulte Personen, die an Tauben-Hotspots täglich und zeitlich begrenzt kontrollierte Fütterungen der Stadttauben durchführen können. Diese Fütterungserlaubnis soll jeweils für ein Jahr gelten, kann bei Bewährung aber verlängert werden. Die Ergebnisse dieser neuen Fütterungspraxis und die Stellungnahmen der beteiligten Vereine sollen ein Jahr nach Inkrafttreten dem Stadtrat vorgelegt werden.“ Zur Begründung haben Sie dazu Folgendes vorgetragen:
„Herr Dr. Arleth schreibt in seinem Rechtsgutachten, das von der Tierschutzbeauftragten des Landes Berlin in Auftrag gegeben wurde: Es existieren rechtliche Pflichten der Kommunen zur Lösung der dauerhaften, menschengemachten tierschutzrechtlichen Probleme sogenannter Stadttauben (Columba livia forma domestica), da es sich bei Stadttauben um von Menschen gezüchtete Tiere (Brieftauben, Hochzeitstauben, Flugtauben, Rassetauben) bzw. deren Nachkommen und damit um Fundtiere handelt. Dies folgt sowohl aus dem Tierschutzrecht selbst (Art. 20a Grundgesetz, Art. 31 Abs. 2 der Verfassung von Berlin, § 1 Tierschutzgesetz) als auch aus dem zivilrechtlichen Fundrecht (§§ 99 Abs. 1, 953, 966 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch).“
In Ihrem Antrag führen Sie weiter aus:
„Das Taubenfütterungsverbot sei nur im Bereich von betreuten Taubenschlägen mit Fütterungsangebot im Taubenschlag rechtskonform möglich und zulässig, da nur so eine artgemäße Versorgung der Tiere sichergestellt werden könne. Trotzdem bestehe das Taubenfütterungsverbot in München (VO 255) seit 2018 weiter. Die Taubenpopulation hat sich durch diese nicht rechtskonforme Maßnahme nicht spürbar verringert: Das Leid der Tiere hat sich hingegen gesteigert. Tierschützer*innen beobachten eine erhöhte Sterblichkeit der ausgebrüteten Taubenküken durch Nahrungsmangel und ungeeignete Nahrung. Diese Populationskontrolle durch ‚Verhungern lassen‘ von Jungtieren ist ein eklatanter Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Erfahrungen aus anderen Städten haben gezeigt, dass eine tägliche, zeitlich begrenzte artgerechte Fütterung durch autorisierte Tierschützer*innen die Belästigung der Allgemeinheit durch hungrige und bettelnde Stadttauben deutlich reduziert, den Gesundheitszustand der Tauben steigert und dazu führt, dass unautorisierte Fütterungen abnehmen.“
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag vom 30.1.2023 Folgendes mitzuteilen:
1. Zur Biologie der Stadttaube
Abstammung/Historie
Die Urahnen der Stadttaube sind die Felsentauben (Columba livia), die auch heute noch Felsen und Klippen an Küsten des Mittelmeeres bewohnen. Die Felsentauben wurden im Vorderen Orient bereits sehr früh als Eier- und Fleischlieferanten aber auch zur Gewinnung von Dünger (Taubenkot) genutzt. Über Griechen und Römer gelangten die Tauben nach Europa. Sie wurden hier weiterhin überwiegend landwirtschaftlich genutzt und ähnelten ihren wilden Vorfahren in Aussehen und Verhaltensweisen. Diese sogenannten Feldtauben ernährten sich weitgehend selbstständig, in dem sie das Futterangebot auf Wiesen und Feldern der Umgebung der Bauernhöfe und Dörfer nutzten.
Schon früh wurden die Tauben darüber hinaus in verschiedenen Kulturen zu Symboltieren für die Liebe oder die Ehe und im Christentum für den Heiligen Geist. Außerdem wurden sogenannte Rassetauben in vielen verschiedenen Ausprägungen in Gestalt und Farbe gezüchtet. So stehen noch heute beispielsweise weiße Tauben für die Liebe. Zweifellos spielte dabei ihre Partnertreue sowie die Ernährung der Jungen mit Hilfe der Kropfmilch eine große Rolle.
Ihr Futter (Sämereien und Körner, gelegentlich kleine Insekten) suchen Felsentauben in bis zu 25 km Entfernung von ihren Nistplätzen. Sie besitzen daher ein gut ausgeprägtes Heimfindevermögen. Dieses wurde bei der Züchtung der Brieftauben weiterentwickelt und verstärkt. Brieftauben wurden zunächst für militärische Zwecke gezüchtet, später entwickelte sich daraus der aus Tierschutzgründen heute umstrittene „Brieftaubensport“. Stadttauben sind verwilderte Nachkommen von Feldtauben und Haus-
taubenrassen wie Brieftauben, Hochzeitstauben oder Rassetauben und weltweit in so gut wie allen Städten verbreitet. Sie gehören zahlenmäßig zu den erfolgreichsten verwilderten Tieren der Welt. Eine fehlende Hybridisierung der Stadttauben mit den in Deutschland heimischen Wildtaubenarten (Türkentaube, Hohltaube und Ringeltaube) – wie im Gutachten von Herrn Dr. Arleth dargestellt – kann im Übrigen nicht als ein Beleg für den Status als Haustier herangezogen werden, da es sich hier um andere Arten handelt. Eine Kreuzung mit Felsentauben als den Urahnen ist aber weiterhin möglich. Diese Kreuzungen zwischen Felsentauben und freilebendenPopulationen der ehemaligen Haustauben könnten sogar dazu führen, dass wirklich wilde Felsentauben am Rande des genotypischen Aussterbens stehen könnten *1 (Gilbert und Shapiro, 2014).
In den Schwärmen der Stadttauben ist immer ein gewisser Anteil entflogener oder nicht erfolgreich zurückgekehrter Brieftauben zu finden. Diese sind wegen der Beringung durch den Züchter jedoch leicht kenntlich. In den meisten Untersuchungen wurde ein Anteil von ca. 1% oder darunter angegeben, hohe Werte von deutlich über 10% melden einige Beobachter aus holländischen Kleinstädten *2 (Köhler 2008).
Stadttauben besitzen noch viele Merkmale und Verhaltensweisen der Felsentauben aber auch Merkmale der verschiedenen Haustaubenzüchtungen.
Merkmale der Felsentauben sind z.B. ihre Treue zum Standort und Partner sowie ihre Vorliebe zu hohen Häusern mit Balkonen und Durchgängen, die an die Felsen ihrer ursprünglichen Heimat erinnern. Ebenso wie bei Felsentauben besteht auch das Gelege der Stadttauben aus meist zwei Eiern. Merkmale der Haustaube sind ihre geringere Bindung an Jahreszeiten zur Brut sowie die geringere Fluchtdistanz zum Menschen, die aber auch durch die Fütterung bedingt ist. Viele Stadttauben sind ähnlich gefärbt wie die Felsentaube, es finden sich daneben dunkle, braune oder weiß gefleckte Tiere. Einige Autoren gehen davon aus, dass sich die Stadttauben durch viele Generationen hinweg an den Lebensraum Stadt mit allen Vorteilen (Nistplätze, Futterangebot) und Nachteilen (höhere Sterblichkeit) angepasst haben.
Populationsdynamik
Die Größe der Population der Stadttauben wird im Wesentlichen von den Faktoren Futterangebot und Angebot an Möglichkeiten zur Aufzucht der Jungtiere bestimmt. Beutegreifer wie Wanderfalke, Habicht oder Marder spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
Stadttauben fressen in der Regel zweimal täglich (zumindest im Winter). Neben dem natürlichen Futterangebot durch die Samen von Gräsern und Kräutern in Grünanlagen und der Umgebung der Städte, können sich Tauben auch von Abfällen, Nahrungsresten u.Ä. ernähren. Zahlreiche Untersuchungen zeigen jedoch einen großen Einfluss der direkten Fütterung der Tauben durch Taubenliebhaber*innen. In Städten mit hohen Taubenbeständen kann dieses zusätzliche Füttern auch zu einer Abhängigkeit führen: Bei günstigem Futterangebot – beispielsweise durch rechtswidrige Fütterungen – erhöht sich der Bruterfolg der Taubenpaare und damit wächstdie Population an. In der Folge müsste die auszubringende Futtermenge fortlaufend erhöht werden.
Ein Anwachsen der Population bedingt wiederum ein zunehmend knapperes Angebot an Brutplätzen. Dies hat zur Folge, dass sehr viele Tiere auf weniger geeignete Stellen zum Brüten ausweichen (Haag-Wackernagel spricht anschaulich von „Taubenslums“) *3. Ein Teil der Tiere kommt gar nicht mehr zur Brut (und verbleibt als Brutreserve bei abfallenden Populationsgrößen), stört aber die brütenden Tiere, so dass der Bruterfolg abfällt (Marchesan 2002). Andere Tiere versuchen an völlig ungeeigneten Orten zu brüten, z.B. offen auf abfallenden Fassaden, Simsen oder Ähnlichem. Eine hohe Tierdichte führt weiterhin zu intraspezifischem Stress durch vermehrte territoriale Konflikte sowie Erkrankungen (Infektionskrankheiten, Endo-und/oder Ektoparasitosen). Beides ist mit (erheblichen) Leiden verbunden.
Gleichzeitig erhöht sich auch die Belästigung der Bürger*innen durch Taubenkot und Lärm, da der Druck auf die Tiere wächst, auch Balkone und Ähnliches zum Nisten zu nutzen.
2. Rechtliche Würdigung
Es ist richtig, dass nach dem Gutachten der Tierschutzbeauftragten des Landes Berlin Stadttauben als „Haustiere“ im Sinne des Tierschutzgesetzes (TierschG) eingestuft wurden. Es ist auch richtig, dass in dem Gutachten deutlich gemacht wird: Ein Taubenfütterungsverbot sei nur im Bereich von betreuten Taubenschlägen mit Fütterungsangebot im Taubenschlag rechtskonform möglich und zulässig, da nur so eine artgemäße Versorgung der Tiere sichergestellt werden könne.
Unterstellt, dieses Rechtsgutachten ist richtig und man folgt der Argumentation des Gutachtens, ist ein Taubenfütterungsverbot in München rechtskonform, da in München betreute Taubenschläge mit Fütterungsangebot vorhanden sind.
Die Landeshauptstadt München hat hierzu in der Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 16465 vom 27.11.2019 zu Ihrer Strategie im Umgang mit Stadttauben wie folgt ausgeführt:
„Die städtische Verordnung zum Verbot der Taubenfütterung (Taubenfütterungsverbots-Verordnung) wurde im April 2018 erneuert. Das RGU sieht das Fütterungsverbot gerade im Zusammenhang mit der Einrichtung von Taubenhäusern als ein wirkungsvolles Instrument an, da ohne ausgebrach-tes Futterangebot ein größerer Anreiz für einen örtlichen Taubenschwarm besteht, ein Taubenhaus zu beziehen.“
Es sind im Stadtgebiet bereits 23 Taubenhäuser vorhanden und weitere sind – auch in Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen – in Vorbereitung. Sowohl der Neubau als auch die Betreuung eines Taubenhauses wird durch die LHM finanziell gefördert.
Ungeachtet dessen ergibt sich aus der rechtlichen Prüfung des RKU Folgendes:
- Unterstellt, es handelt sich – wie im Rechtsgutachten von Herrn Dr. Arleth dargestellt – bei Stadttauben tatsächlich um „Haustiere“ im Sinne des TierschG, ergäbe sich hieraus zwar eine Handlungspflicht der Kommune. Ein Ausschluss eines kommunalen Fütterungsverbotes ergibt sich hieraus jedoch nicht, wenn die Kommune andere Maßnahmen ergreift, um das Tierwohl zu schützen.
- Ein kommunales Taubenfütterungsverbot ist nach dem VGH München (VGH München (10. Senat), Beschluss vom 4.8.2014 – 10 ZB 11.1920, BeckRS 2014, 55871) zunächst rechtlich zulässig:
- Zwar handele es sich laut VGH beim Tierschutz um einen Belang
von Verfassungsrang, indes ließe sich aus Art. 20a GG kein Vorrang im Sinne einer bestimmten Vorzugswürdigkeit ableiten.
- Es sei auch im Lichte von Art. 20a GG nicht zu beanstanden, dass die auf der Ermächtigungsgrundlage von Art. 16 Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (BayLStVG) erlassene Tauben
fütterungsverbots-Verordnung nicht primär dem Tierschutz, sondern der Verhütung von Gefahren für das Eigentum sowie dem Schutz der öffentlichen Reinlichkeit, die insbesondere durch die Verkotung durch Tauben beeinträchtigt wird, dient.
- Aus Art. 20a GG ergebe sich zudem keine Verpflichtung der Kommune als Verordnungsgeberin, aus sämtlichen Alternativen, die zur Erreichung der mit der Verordnung verfolgten Zwecke, nämlich der Abwehr der durch verwilderte Tauben entstehenden Gefahren
für das Eigentum und zum Schutz der öffentlichen Reinlichkeit,geeignet sind, nur die dem Tierschutz am meisten entgegenkommende Alternative zu wählen.
- Der Tierschutz sei zudem nur ein Belang, der im Zusammenhang mit dem Fütterungsverbot zu beachten ist. Der Verordnungsgebeberin stehe laut VGH ein weiter Ermessensspielraum zu, wie sie die von ihr beabsichtigten Zwecke zu erreichen gedenkt. Mit dem Taubenfütterungsverbot ziele eine Kommune in erster Linie darauf ab, die Tauben zu vergrämen und sie dazu zu bewegen, innerstädtische Bereiche, in denen sie kein Futter mehr finden, zu verlassen. Ein direkter Eingriff in Leben und Gesundheit der Tauben, wie dies z.B. bei einem Abschuss oder der Vergiftung von Tauben der Fall wäre, finde demgegenüber gerade nicht statt.
- Schließlich zwinge weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 20a GG die Kommune, allein ein bestimmtes gewünschtes „Alternativkonzept zur tierschutzgerechten Begrenzung der Taubenpopulation“ zu ermöglichen.
- Ungeachtet dessen hat sich die LHM schon 2008 dazu entschlossen, neben dem bestehenden Fütterungsverbot auch Taubenhäuser einzurichten und stellt seit 2014 auch Fördermittel für Einrichtung und Betreuung von Taubenhäusern bereit. Beide Maßnahmen (Fütterungsverbot und Einrichtung von Taubenhäusern) dienen im Zusammenspiel dem Wohl der Tauben, aber auch der Gefahrenabwehr.
- Schließlich stellt das Fütterungsverbot auch keine unterlassene Hilfeleistung dar, wie das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in einer Stellungnahme vom 17.5.2022, die dem RKU vorliegt, ausführlich erörtert. Es kommt zu dem Schluss, dass der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung nicht als gegeben angesehen werden kann, da ein Fütterungsverbot nicht zwingend zu einer Gefahrenlage für Tiere führt, die, wie oben beschrieben, ohne Weiteres in der Lage sind, ihr Futter selbstständig zu suchen.
Die Erfahrung zeigt, dass auch in der Umgebung von Taubenhäusern die rechtswidrige Fütterung nicht eingestellt wird. In den Jahren 2019 und 2020 hat das damalige Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) zusammen mit dem Tierschutzverein München e.V. Taubenfreund*innen versuchsweise eine zeitlich begrenzte Erlaubnis zur Fütterung von Stadttauben zum Zwecke des Einfangens verletzter Tiere erteilt. Diese Erlaubnis wurde von einigen Personen aber zur unkontrollierten Fütterung und über den erlaubten Zeitraum hinaus missbräuchlich eingesetzt. Der Versuch musste daher eingestellt werden. Es bestehen auch aus diesen Gründen erhebliche Zweifel, dass die Einrichtung von Futterplätzen zu einer Abnahme der illegalen Fütterung führt.Das RKU geht hingegen davon aus, dass es in der Umgebung von Futterplätzen zu einer erhöhten Belästigung durch Taubenkot und Lärm kommen wird, da – wie oben geschildert – mit einer weiteren Zunahme der Taubenpopulation zu rechnen ist. Zudem ist eine wirksame Kontrolle der Fütterungsplätze hinsichtlich der Art und der Menge des ausgebrachten Futters sowie der Häufigkeit der Fütterung durch die Landeshauptstadt München nicht möglich.
Das RKU lehnt daher, in Abwägung der bereits getroffenen Maßnahmen zum Tierschutz einerseits und den Bedürfnissen der Münchner Bürger*innen sowie in Einklang mit dem Tierschutzgesetz, die Genehmigung von Taubenfütterungen ab.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
*1 Thomas Gilbert, Michael Shapiro: Domestication of Pigeons, 2014
*2 Richard Köhler: Wildlebende Stadttauben, 2008
*3 Daniel Haag-Wackernagel: Tauben in der Stadt, Tierschutz beider Basel (TbB), 2016