Bürokratische Hürden bei der Beantragung einer Blue Card aus dem Ausland für Fachkräfte aus visumsfreien Drittstaaten?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Hans Hammer, Dr. Evelyne Menges und Thomas Schmid (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 26.4.2023
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
In Ihrer Anfrage vom 26.4.2023 führen Sie Folgendes aus:
„Gemäß § 41 Abs. 1 AufenthV können Staatsangehörige von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, von Neuseeland, des Vereinig- ten Königreichs Großbritannien und Nordirland im Sinne des § 1 Absatz 2 Nummer 6 des Freizügigkeitsgesetzes/EU und der Vereinigten Staaten von Amerika auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ein erforderlicher Aufenthaltstitel kann im Bundesgebiet eingeholt werden.
Qualifizierte Fachkräfte aus den oben genannten Ländern können bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (u.a. ein Hochschulabschluss, ein Arbeitsvertrag sowie ein jährliches Mindestbruttogehalt von 58.400 Euro) die sogenannte Blaue Karte EU (engl. Blue Card) gem. der Richtlinie 2009/50/EG des Rates vom 25. Mai 2009 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung beantragen.
Die Landeshauptstadt München sieht eine Online-Beantragung der EU Blue Card jedoch nur für jene Menschen vor, die schon mit Wohnsitz in München gemeldet sind. Im o.g. Ausland wohnende hochqualifizierte Fachkräfte müssen nach Münchner Praxis immer noch das komplizierte, langwierige und kostenintensivere Verfahren des D-Visums über die entsprechenden Auslandsvertretungen abwickeln. Gem. § 7 Abs. 1 S. 3 der Bayerischen Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht (Zust- VAuslR) ist jedoch bereits jene Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Ausländer, auch bei Beantragung aus dem Ausland, seinen Wohnsitz nehmen will.
Die Landeshauptstadt München sollte alles tun, damit dringend benötigte, hochqualifizierte Arbeitskräfte v.a. vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, ihre Anträge auch aus dem Ausland online stellen können.“
Ich bedanke mich für Ihre Geduld und bitte zu entschuldigen, dass die Beantwortung aufgrund des internen Abstimmungsbedarfs einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen hat. Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Warum wird Menschen aus den o.g. Ländern mit visumsfreier Einreise und Aufenthalt entgegen § 7 Abs. 1 S. 3 ZustVAuslR nicht die Möglichkeit geboten, bei Vorliegen der Voraussetzungen der Blue Card diese aus dem Ausland bereits Online bei der Ausländerbehörde zu beantragen?
Antwort:
Die Annahme, dass § 7 Abs. 1 S. 3 der Bayerischen Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht (ZustVAuslR) die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis bereits aus dem Ausland heraus ermöglicht, trifft nicht zu. Vielmehr besagt die landesrechtliche Regelung in § 7 Abs. 1 S. 3 Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht (ZustVAuslR) nur, dass für den Fall der Beantragung eines Aufenthaltstitels aus dem Ausland die Ausländerbehörde zuständig ist, in deren Bezirk der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nehmen will.
Die Verordnung regelt nur die innerbayerische Abgrenzung der unterschiedlich örtlich zuständigen Ausländerbehörden, beispielsweise des Landratsamts München zur Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München. Nicht geregelt wird damit, welche Aufenthaltstitel bereits aus dem Ausland heraus beantragt werden können. Hierfür bedarf es einer gesonderten Rechtsgrundlage.
Die Beantragung einer Blauen Karte EU („Blue Card“) ist vor Einreise in das Bundesgebiet nicht vorgesehen. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Form der „Blue Card“ ist, dass die Einreise mit dem hierfür erforderlichen Visum erfolgt ist. Insoweit ist eine Antragstellung vom Ausland her, zumindest betreffend einer „Blue Card“ nicht möglich.
Ausnahmen sind im Einzelfall nach bundesgesetzlicher Regelung möglich, beispielsweise beim sogenannten Familiennachzug von Ehepartnern von anerkannten Flüchtlingen, da hier der Familiennachzug innerhalb einer bestimmten Frist beantragt worden sein muss. In diesen Fällen wird eine fristwahrende Antragstellung aus dem Ausland heraus ermöglicht. Gleichwohl wird ein Aufenthaltstitel in Form der Aufenthaltserlaubnis auch in diesen Fällen erst nach Einreise ausgestellt.
Eine Erweiterung dieser Regelung auf Fachkräfte aus privilegierten Staaten ist jedoch nicht eröffnet.
Auch die bundesrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsrechts nach § 41 Abs. 3 S. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV), wonach ein erforderlicher Aufenthaltstitel innerhalb von 90 Tagen nach Einreise zu beantragen ist und die Regelungen des § 81 Abs. 3 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) – „Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, giltsein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt“ – sehen eine Antragstellung bereits vor der Einreise nicht vor.
Daneben stehen noch keine einsetzbaren technischen Möglichkeiten für eine Antragstellung aus dem Ausland zur Verfügung. Das Anlegen eines sog. AZR-Datensatzes setzt die Angabe eines Ersteinreisedatums nach Deutschland voraus. Auch die Sachbearbeitung der Ausländerbehörde im Fachverfahren OK.Visa ist erst nach erfolgter Wohnsitzanmeldung möglich. Derzeit noch zu entwickelnde Programme zur Gewährleistung bundeseinheitlicher Standards für die Antragstellung von Aufenthaltstiteln sehen ebenfalls keine Möglichkeit der Beantragung aus dem Ausland ohne Wohnsitz im Inland vor. Dies vor dem Hintergrund, dass sich die finale Zuständigkeit der Ausländerbehörde gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 ZustVAuslR im Inland erst durch die tatsächliche Wohnsitznahme begründet. Durch dieses Verfahren sollen Antragstellungen an die falsche Ausländerbehörde vermieden werden. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die Ausländerakte oder der bereits bestellte elektronische Aufenthaltstitel an die zuständige Behörde weitergeleitet werden muss, was sehr zeitaufwendig ist und überdies den Prozess insgesamt verzögern würde.
Privilegierte Staatsangehörige, die bereits vor ihrer Einreise einen Arbeitsvertrag haben und unmittelbar nach ihrer Einreise einer Beschäftigung nachgehen wollen, wird daher empfohlen, regulär ein Visumverfahren aus dem Ausland zu beantragen. Die Bearbeitungs- und Wartezeiten in diesen Ländern sind in der Regel gering. Mit dem ausgestellten Visum ist eine Arbeitsaufnahme nach Einreise sofort möglich. Andernfalls ist nach § 41 Abs. 3 S. 1 AufenthV ein Aufenthaltstitel zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit innerhalb von 90 Tagen nach der Einreise ins Inland zu beantragen. Daneben können Arbeitgebende nach § 81a AufenthG ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren beantragen und so das Verwaltungsverfahren in Deutschland mit Unterstützung der Ausländerbehörde bis zur Einreise der ausländischen Fachkraft verkürzen.
Insgesamt dauert das beschleunigte Fachkräfteverfahren in der Regel ca. zwei Monate. Mehr Informationen finden Sie unter https://www.make-it-in- germany.com/de/unternehmen/einreise/das-beschleunigte-fachkraeftever- fahren.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beantragung eines anderen Aufenthaltstitels als eines Visums nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich ist. Die bayerische ZustVAuslR regelt in dem bundesrechtlich vorgegebenen Rahmen die Zuständigkeit der bayerischen Ausländerbehörden. Ein erweiterter Anwendungsbereich für Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dem Ausland ergibt sich daraus nicht.
Frage 2:
Warum ist es für den o.g. betroffenen Personenkreis nicht möglich, auch eine Hotelanschrift oder die Anschrift eines rechtlichen Vertreters (z.B. An- walt, Familie, etc.) bei einer Onlinebeantragung anzugeben?
Antwort:
Die Anmeldung unter der Anschrift eines rechtlichen Vertreters ist gemäß § 19 Absatz 6 des Bundesmeldegesetzes (BMG) untersagt, sofern dort tatsächlich nicht Wohnsitz genommen werden soll. Dies gilt sowohl für Personen, die im Inland als auch im Ausland wohnen:
„Es ist verboten, eine Wohnungsanschrift für eine Anmeldung nach § 17 Absatz 1 einem Dritten anzubieten oder zur Verfügung zu stellen, obwohl ein tatsächlicher Bezug der Wohnung durch einen Dritten weder stattfindet noch beabsichtigt ist.“
Im Übrigen ist zur Beantwortung dieser Frage zwischen Personen mit bereits bestehendem Aufenthalt im Bundesgebiet und solchen mit Aufenthalt und Wohnsitz im Ausland zu unterscheiden:
Eine Hoteladresse ist für die Anmeldung eines Wohnsitzes für im Inland aufhältige Personen grundsätzlich nicht vorgesehen, im Einzelfall jedoch möglich. Erforderlich ist die tatsächliche Inanspruchnahme von Räumen in der Absicht, diese für einen nicht unerheblichen Zeitraum zu nutzen. Dies ist auch die Voraussetzung für die Anmeldung des Wohnsitzes im Bürgerbüro.
Die Angabe einer Hotelanschrift als Wohnsitz ohne tatsächlichen Zuzug aus dem Ausland wäre eine „Scheinanmeldung“ und stünde im Widerspruch zu den oben genannten Ausführungen. Für die Zuständigkeit kommt es auf den tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an (vgl. auch § 7 Abs. 1 Satz 1 ZustVAuslR).
Frage 3:
Wie kann die Ausländerbehörde München die hochqualifizierten Fachkräfte in Zukunft bei der Beantragung der EU Blue Card besser unterstützen?
Antwort:
Für die Unterstützung hochqualifizierter Fachkräfte bei der Beantragung der EU Blue Card werden verschiedene Ansätze verfolgt bzw. sind denkbar:
Digitalisierung Antragsverfahren
Eine zentrale Rolle bei der Vereinfachung der Antragsverfahren für ausländische Fachkräfte spielt die Digitalisierung der Antragsverfahren und sons-tiger Services. Seit Mai 2020 wurden in München Online-Kontaktformulare für eine Vielzahl an verschiedenen Dienstleistungen eingeführt. Weitere Kontaktformulare werden folgen.
Die Rückmeldungen von Nutzern der Onlineservices ergeben, dass der gesamte Bewerbungsprozess gut strukturiert und übersichtlich dargestellt ist. An der Möglichkeit digitaler Statusabfragen wird aktuell gearbeitet.
Quick-Checks
Ausländische Fachkräfte werden mit Hilfe sog. Quick-Checks unterstützt, gezielt Online-Anträge zu stellen. Die eingereichten/hochgeladenen Unterlagen werden so automatisch geordnet und vollständig an den zuständigen Bereich in der Ausländerbehörde weitergeleitet. Dies verringert die Bearbeitungszeit der Anträge. Die Titel können schneller erteilt werden.
E-Payment
Ein zusätzlicher Service ist die digitale Bezahlfunktion „E-Payment“, u.a. bereits eingeführt für das „Beschleunigte Fachkräfteverfahren“, die Änderung der Nebenbestimmungen, von Aufenthaltstiteln und die Beantragung der ICT-Karte.
Mehrsprachigkeit
Daneben werden die Informationen für qualifizierte Fachkräfte umfassend aufbereitet und digital zur Verfügung gestellt. Das Informationsangebot der Ausländerbehörde wird Zug um Zug ins Englische übersetzt, entsprechend dem Stadtratsbeschluss „Serviceoffensive in der Ausländerbehörde“ vom 30.11.2022 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07585). Spezifische Informationsseiten werden bereits in Englisch angeboten.
Zudem wird derzeit daran gearbeitet, den Online-Dienst DeepL in ihren städtischen Internetauftritt – voraussichtlich ab Juli 2023 – einzubinden. Das wird ermöglichen, den qualifizierten Fachkräften Informationen, regelmäßige Aktualisierungen, Ergänzungen und Überarbeitungen des Internetangebots in Echtzeit und in ihrer jeweiligen Sprache zur Verfügung zu stellen.
Verstärkung des Servicetelefons
Das Servicetelefon der Ausländerbehörde ist derzeit dabei, die mit dem Stadtratsbeschluss „Serviceoffensive in der Ausländerbehörde“ vom 30.11.2022 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07585) genehmigten Stellen zu besetzen.
Zudem betreibt das Sachgebiet Servicecenter für internationale Fachkräfte (SCIF) ein eigenes Servicetelefon, um auf die speziellen Bedürfnisse derKund*innen dieses Fachbereichs eingehen zu können. Auskünfte werden sowohl in Deutsch als auch in Englisch erteilt.
Chatbot - KI
Außerdem wird im Rahmen eines städtischen Projekts an dem Einsatz eines Chatbot gearbeitet, so dass künftig Fragen auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) schneller beantwortet werden können. Ein Einsatz in der Ausländerbehörde zur Verbesserung der Erreichbarkeit wird angestrebt.
Verbesserungen der Serviceleistungen im aufenthaltsgewährenden Bereich
Zur Stärkung des SCIF werden Stellenbesetzungsverfahren für diesen Bereich prioritär betrieben. Aktuell ist ein Ausschreibungsverfahren in Vorbereitung, bei welchem gute Englischkenntnisse in Schrift und Wort als Einstellungsvoraussetzungen gefordert werden.
Darüber hinaus wird geprüft, ob in den Räumlichkeiten des Kreisverwaltungsreferats Migrationsberatungsstellen beim „Ankommen“ in München behilflich sein können.
Alle bereits umgesetzten, angedachten und in Planung befindlichen Maßnahmen führen, gemeinsam mit einem besseren Personalstand und der fortlaufenden Evaluierung der Prozesse, nicht nur zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit, sondern sind auch eine bedeutende Unterstützung der ausländischen Bürger*innen, insbesondere der benötigten hochqualifizierten Fachkräfte, die nach Deutschland einreisen wollen oder sich bereits im Inland befinden.