Sind Erziehungsberatungsstellen gut aufgestellt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sabine Bär, Alexandra Gaßmann und Rudolf Schabl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 6.2.2023
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 6.2.2023 führen Sie Folgendes aus:
„Die Arbeit der Erziehungsberatungsstellen hat sich seit Beginn sehr be- währt und vermehrt. Das Angebot ist durch den hohen und sich verändern- den Bedarf entsprechend gewachsen. Um den Trägern die Voraussetzun- gen für gute Beratung und Hilfe auch in Zukunft zu sichern, benötigen sie eine ausreichende Förderung durch die Landeshauptstadt München.
Daher fragen wir:
1.Wie haben sich die Fallzahlen in den letzten 20 Jahren entwickelt? 2.Ist der Stellenbedarf gedeckt?
3.Ist das Verhältnis der anteiligen Leitungs- und Verwaltungsfunktionen in Bezug zu den sozialpädagogischen und psychologischen Stellen ange- passt?
4.Ist ein Monitoring möglich?“
Die geschäftsordnungsgemäße Bearbeitungsfrist konnte nicht eingehalten werden, da für eine fundierte Beantwortung Ihrer Fragen noch zusätzliche Abstimmungen notwendig waren. Daher wurde am 10.3.2023 eine erste Fristverlängerung bis 26.5.2023 und aufgrund weiterer benötigter Zeit für Abstimmungen am 24.4.2023 eine zweite Fristverlängerung bis 21.7.2023 beantragt.
Zu Ihrer Anfrage vom 6.2.2023 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Ich bedanke mich für Ihre Anfrage bezüglich der Münchner Erziehungsberatungsstellen (EBn).
Ihren Ausführungen kann ich zustimmen. Die Arbeit der Münchner Erziehungsberatungsstellen hat sich von Beginn an sehr bewährt und wurde in den letzten Jahren auch deutlich ausgebaut, u.a. durch die Übernahme neuer wertvoller Aufgaben für die Familien in München, wie z.B. Erziehungsberatung (EB) an Grundschulen, IseF-Beratungen nach den §§ 8a und 8b SGB VIII, EB in Familienzentren sowie die gerichtsnahe Beratung im Rahmen des Münchener Modells, Hilfenetzwerkstunden für Familien mit psychisch kranken Eltern und die Unterstützung in Unterkünften für Geflüchtete.Das Sozialreferat steht als Zuschussgeber laufend in engem fachlichem Austausch mit den Erziehungsberatungsstellen in freier und öffentlicher Trägerschaft, um eine bedarfsentsprechende Ausstattung der Beratungsstellen zu gewährleisten. Im Folgenden möchte ich dazu näher auf Ihre einzelnen Fragen eingehen.
Frage 1:
Wie haben sich die Fallzahlen in den letzten 20 Jahren entwickelt?
Antwort:
Die Fallzahlen haben sich entsprechend der Fachkraftzuschaltungen gesteigert. Die Fallversorgung ist jedoch durch die Anzahl der Fachkräfte bzw. durch die zur Verfügung stehende Arbeitszeit gedeckelt und lässt nicht ausreichend Rückschlüsse auf den Umfang neuer, zusätzlicher Bedarfe der Zielgruppe zu. Wir orientieren uns daher, in Bezug auf eine angemessene personelle Ausstattung der Erziehungsberatungsstellen, an den Richtlinien/ Mindestqualitätsstandards der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) von 1999 und 2022. Diese Richtlinien empfehlen eine Fachkraftversorgung der Beratungsstellen in Abhängigkeit von den aktuellen Bevölkerungszahlen in den jeweiligen Stadtbezirken.
Frage 2:
Ist der Stellenbedarf gedeckt?
Antwort:
Entsprechend der bke-Richtlinien, wurden die EB-Personalbedarfe mit aktuellen Zahlen des Statistischen Amtes München (Stand 12/2021) berechnet. Aus diesen Berechnungen geht hervor, dass eine Anpassung der Fachkraft- und Verwaltungsressourcen in den EBn in Höhe von ca. 6,6 VZÄ Fachkräften (davon ca. 4,4 VZÄ bei freien Trägern und 2,2 VZÄ beim städt. Träger) und ca. 12 VZÄ Verwaltungs-/Erstkontaktstellen (davon ca. 8 VZÄ bei freien Trägern und ca. 4 VZÄ beim städt. Träger) dringend notwendig ist. Zusätzlich zu den nach bke Richtwerten ermittelten Fachkraftbedarfen werden aufgrund massiver sozialräumlicher Belastungen auch 0,5 VZÄ Fachkräfte zur zusätzlichen Versorgung der Zielgruppe im Stadtbezirk Harthof/Am Hart im Familien- und Beratungszentrum „Unter den Arkaden“, 0,13 VZÄ Leitungsstunden für das Evangelische Beratungszentrum, EBZ e. V. sowie 1 VZÄ Fachkraft und Räume für Gruppenangebote für sexuell grenzverletzende Jugendliche für die überregionale EB des Kinderschutz-Zentrums benötigt.
Der Bedarf kann leider aufgrund der aktuellen Haushaltslage der Landeshauptstadt München zurzeit nicht realisiert werden.
Frage 3:
Ist das Verhältnis der anteiligen Leitungs- und Verwaltungsfunktionen in Be- zug zu den sozialpädagogischen und psychologischen Stellen angepasst?
Antwort:
Wir haben bei der Berechnung der Fachkraftressourcen Leitungsanteile analog des städt. Standards (1:12,5 VZÄ) eingerechnet. Hinsichtlich des Anteils an Verwaltungskräften gilt Folgendes: Teamassistenz- bzw. Verwaltungskräfte haben in den EBn die anspruchsvolle Aufgabe, einen persönlichen, meist telefonischen, Erstkontakt zu den Klient*innen herzustellen. Dabei findet eine erste Kurzberatung, Bedarfsklärung und Planung des weiteren Vorgehens bzw. ggf. eine Weiterverweisung statt. Diese erste Kontaktaufnahme „in persona“ ist grundlegend wichtig, um den Zugang zu Erziehungsberatung so einladend und niedrigschwellig wie möglich zu gestalten und um die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Klient*innen zu legen. Die EB-Teamassistenz wird von daher im Folgenden „Erstkontaktstelle bzw. -kraft“ benannt.
In Bezug auf die Erstkontaktstellenausstattung haben wir uns am bke-Mindestqualitätsstandard (1 VZÄ Erstkontaktstelle pro 5 VZÄ EB-Fachkräfte, jedoch mindestens 1 VZÄ Erstkontaktstelle pro EB, damit immer eine durchgehende Erreichbarkeit der EB gewährleistet ist) orientiert und sind auf einen Bedarf von insgesamt 12 VZÄ gekommen. Laut anzustrebendem Schlüssel (1 VZÄ Erstkontaktstelle auf 3 VZÄ EB-Fachkräfte) würde sogar ein Bedarf von insgesamt mehr als 26 VZÄ Erstkontaktkräften bestehen.
Zu beachten ist außerdem, dass es sich auch bei den bke Fachkraft-Richtwerten um allgemeine Mindestqualitätsstandards an Personalausstattung handelt. Zusätzliche Bedarfe, wie sie durch spezielle sozialräumliche Bedarfe und aktuell insbesondere durch Folgen der Coronapandemie und der Versorgung aus der Ukraine geflüchteter Familien vorliegen, sind nicht eingerechnet. Diese aktuell zusätzlichen Bedarfe machen eine Anpassung der EB-Fachkraftressourcen auf bke-Mindeststandard besonders deutlich. Die im Vergleich zu den Fachkraftbedarfen höheren Erstkontaktstellenbedarfe der EBn resultieren daraus, dass in den vergangenen Jahren den EBn ausschließlich Fachkräfte, jedoch keine Erstkontaktkräfte zugeschaltet werden konnten. Die Erstkontaktkräfte sind jedoch jeweils für Teamkoordination und eine schnelle und regelmäßige Erreichbarkeit und kompetente Beratung beim Erstkontakt in der EB unerlässlich. Dieser persönliche Erstkontakt ist ungemein wichtig: Erfahrungen der EBn haben gezeigt, dass neue Fallanmeldungen deutlich zurückgehen, wenn anstelle einer Erstkontaktkraft nur ein Anrufbeantworter in einer EB erreichbar ist. Die Mailbox„verschreckt“ insbesondere die Personengruppen, welche damit Schwierigkeiten haben, Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen. Insbesondere für eine niedrigschwellige gute Anbindung ist also der persönliche Erstkontakt ungemein wichtig. Beim telefonischen Erstkontakt mit den Klient*innen erfolgt auch bereits eine erste Klärung der Klientenanliegen, ggf. Weiterverweisungen und/oder eine kurze Erstberatung. Aufgrund dieses fachlich anspruchsvollen Aufgaben-Spektrums der Erstkontaktkräfte in EBn bezeichnen wir diese, wie eingangs erwähnt, auch als Erstkontaktstellen und nicht irreführend als Teamassistenzen bzw. Verwaltungskräfte. Die bestehenden Lücken in der Erstkontaktstellenausstattung werden aktuell oft durch Fachkräfte abgedeckt, was in den EBn zu einem weiteren Mangel an wertvollen Fachkraftressourcen führt.
Frage 4:
Ist ein Monitoring möglich?
Antwort:
Die EB-Träger reichen seit 2005 jährlich eine für die Fachsteuerung des Stadtjugendamtes notwendige Statistik für die Produktleistung Erziehungsberatung ein. Ausgesuchte Items sind seitdem verbindlicher Bestandteil des jährlichen Amts- und Sozialreferats-Controllingberichtes im Kinder- und Jugendhilfeausschuss. Für eine realistische Bedarfsklärung sind insbesondere aber auch die qualitativen Berichte der Einrichtungen über den jährlichen Sachbericht und die Jahresplanungsgespräche ungemein wichtig, damit die zuständige Fachsteuerung im Stadtjugendamt die aktuellen Bedarfe entsprechend einschätzen kann. Die statistischen Zahlen können Entwicklungen nur zeitlich verzögert widerspiegeln, der persönliche und qualitative Austausch ist von daher ungemein wichtig.
Zusammenfassend wird generell eine Zuschaltung der fehlenden Fachkraftbedarfe und Erstkontaktstellenbedarfe für die EBn sowie eine angemessene räumliche Ausstattung als enorm wichtig angesehen, damit die EBn auch zukünftig die gesetzliche Pflichtaufgabe der EB-Versorgung von Eltern, Kindern und Jugendlichen in München in bewährter Qualität und in angemessenem Umfang aufrechterhalten können und um insbesondere den enormen Mehrbedarfen an Unterstützung infolge der Coronapandemie, des Ukrainekriegs und der Energiekrise gerecht werden zu können.