Wärmewende beschleunigen – Geothermie verstärkt in den Fokus rücken
Antrag Stadträte Hans-Peter Mehling und Manuel Pretzl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 26.7.2022
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrem Antrag wird der Oberbürgermeister aufgefordert, sich mit den Landes- und Bundesbehörden in Verbindung zu setzen und auf die Erarbeitung eines Geothermieerschließungsgesetzes zu drängen. Zudem werden die Münchner Genehmigungsbehörden, insbesondere das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, aufgefordert, Genehmigungsprozesse für Geothermieanlagen im Stadtgebiet zu priorisieren, zu verschlanken und deutlich zu beschleunigen.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen verschiedene Gesetzesvorhaben zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung auf den Weg gebracht, weitere sind in der Diskussion. Die aktuelle Debatte hat Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter zum Anlass genommen und sich in seiner Funktion als Vorsitzender des Aufsichtsrates bereits mit Schreiben vom 11.5.2023 an den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz gewandt, um für den Erlass eines Geothermieerschließungsgesetzes zu werben.
Wir haben die Stadtwerke München GmbH dennoch um Stellungnahme gebeten, die wir Ihnen im Wortlaut wiedergeben dürfen:
„Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und Putins Wirtschaftskrieg gegen Europa ist eine Zäsur für das System der Energieversorgung in Europa. Einmal mehr wird deutlich, wie entscheidend es ist, neben der Energiewende für Strom in Deutschland auch die Wärmewende, die Dekarbonisierung im Wärmebereich zügig voranzutreiben. Eine große Chance eröffnet die Geothermie, die ‚grüne Fernwärme‘. Bis zu knapp einem Viertel des Gesamtwärmeverbrauchs in Deutschland von ca. 1.300 TWh kann sie mit Tiefer und Mitteltiefer Geothermie beitragen: zwischen 118 TWh/a und 300 TWh/a. Um dieses Potenzial heben zu können und damit die Substitution von fossilen Energieträgern massiv zu beschleunigen, braucht es dringend bessere Rahmenbedingungen, die die Politik nun angehen muss. Ein Geothermieerschließungsgesetz als zentrales, auf Geothermie zugeschnittenes Instrument ist unabdingbar, um den Geothermieausbau voran-zubringen. Beispielgebend kann das ‚Windenergie-an-Land-Gesetz‘ (WaLG) sein. Das WaLG zeigt, dass es möglich ist, wesentliche Genehmigungsbestandteile wie Belange des Naturschutzes und des Baurechtes zu integrieren und zielorientiert vorab mit der Antragstellung zu lösen. Bei Geothermieprojekten ist wegen der bislang gesetzlich angelegten Teilung zwischen unter- und obertägiger Realisierung bergrechtlich zweierlei erforderlich: die Aufstellung und Zulassung eines Betriebsplans für die Aufsuchung und Gewinnung von Erdwärme sowie zusätzlich eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Heiz(kraft)werks zur Nutzung der Erdwärme. D.h. die Zulassungsentscheidung liegt bei unterschiedlichen Behörden, was erfahrungsgemäß lange Abstimmungsprozesse mit sich bringt. Die Folge sind teils erhebliche Verzögerungen des notwendigen Geothermieausbaus, der als Baustein für die Wärmewende und für eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern so entscheidend ist.
Folgende Inhalte sind aus Sicht der SWM zentral für ein Geothermieerschließungsgesetz:
Zum einen muss wegen der besonderen Bedeutung der Geothermie für das Gelingen der Wärmewende wie bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gesetzlich der Grundsatz verankert werden, dass die Nutzung der Geothermie auch für die Wärmeerzeugung im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Damit würde die Geothermie zusätzliches Gewicht bei Planungs-, Abwägungs- und Ausnahmeentscheidungen bekommen, wodurch Zulassungshinder-
nisse (z.B. im Gewässer- und Naturschutzrecht) abgebaut werden könnten.
Zum Zweiten ist für den Ausbau der Geothermie eine ausreichende Flächenverfügbarkeit zu gewährleisten, z.B. in Form einer Verpflichtung der öffentlichen Hand, Grundstücke zu angemessenen Bedingungen für Geothermie-Vorhaben zur Verfügung zu stellen. Ebenso sollten die Länder verpflichtet werden, im Wege der Raumordnung geeignete Flächen für Geothermie-Vorhaben auszuweisen, als sog. „go-to-Bereiche“ für die Geothermie, in denen erleichterte Zulassungsanforderungen an Geothermie-Vorhaben gelten. Auf der Ebene der Bauleitplanung ist durch Änderung des § 35 Abs.1 BauGB ein spezieller Privilegierungstatbestand für Geothermie (Tiefenbohrungen und Obertageanlagen) zu schaffen, um sie mit anderen privilegierten erneuerbaren Energieträgern (u.a. Wind und Biomasse) gleichzustellen und bestehende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Und schließlich ist es für das Gelingen der Wärmewende unabdingbar, die Zulassungsverfahren selbst zu vereinfachen und zu beschleunigen, z.B. indem Geothermie-Vorhaben in einem Zulassungsverfahren mit umfassender Konzentrationswirkung behandelt werden. Geregelt werden müssenein Vorbescheid mit Genehmigungsanspruch, ein unbürokratischer Verfahrensablauf sowie verbindliche Bearbeitungsfristen.
Die SWM leisten ihren Beitrag für die Wärmewende und größere Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und werden den Münchner Bedarf an Fernwärme perspektivisch CO2-neutral decken, überwiegend mit Geothermie. Ein Geothermieerschließungsgesetz würde uns und anderen Energieversorgern mit ähnlichen Vorhaben das deutlich erleichtern.
Die SWM fordern gegenüber allen relevanten Stakeholdern auf europäischer, nationaler und bayerischer Ebene folgende konkrete Rahmenbedingungen:
Erlass eines „Geothermieerschließungsgesetzes“ als zentrales, maßgeschneidertes Mantelgesetz mit folgenden Regelungsinhalten:
- Verankerung des Grundsatzes, dass die Nutzung der Geothermie im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient.
- Sicherstellung der Flächenverfügbarkeit und Privilegierung im Außenbereich. Auf der Ebene der Bauleitplanung ist durch Änderung des § 35 Absatz 1 BauGB ein spezieller Privilegierungstatbestand für Geothermie (Tiefenbohrungen, Obertageanlagen und der Netzanbindung und nachgelagerte Maßnahmen für den Netzbetrieb zum Beispiel von Druckerhöhungsanlagen) zu schaffen, um einen Gleichlauf mit anderen privilegierten erneuerbaren Energieträgern (u.a. Wind und Biomasse) zu erreichen und bestehende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen.
- Die Zulassung von Geothermievorhaben soll in einem Zulassungsverfahren mit umfassender Konzentrationswirkung (unter Einschluss aller erforderlichen Einzelgenehmigungen, insbesondere von Baugenehmigungen für obertägige Anlagen) erfolgen.
- Für die Durchführung von Zulassungsverfahren ist eine verbindliche Verfahrensfrist gesetzlich zu verankern.
- Für die Vollständigkeitsprüfung und Nachforderung von Antragsunterlagen sollen verbindliche Fristen eingeführt werden.
- Es sind – ggf. auf untergesetzlicher Ebene – Möglichkeiten zur Standardisierung der Prüfung von Zulassungsanforderungen einzuführen.
- Vereinfachungen im Wasserrecht, UVP-Recht und Naturschutzrecht
- Erlaubnis und Zulassung von Erdsonden in der Europäischen Metropolregion München
- Besondere Handlungsempfehlungen für die oberflächennahe Geothermie:
Genehmigungsverfahren: Bundesweit vereinheitlichen und reduzieren; Verwaltung personell besser ausstatten, um Genehmigungen schnellervoranzutreiben; Schaffung besserer Anreizprogramme für Erdwärmepumpen mit geringerem bürokratischem Aufwand und Fristen für die Kostenrückerstattung; Zügige Weiterentwicklung der vorhandenen Datengrundlage; Stärkung der gesellschaftlichen Akzeptanz mittels gezielter Aufklärungs- und Informationskampagnen; Fachkräftemangel: Anreizprogramm für die Ausbildung im Handwerksbetrieb schaffen und bewerben.“
Da Sie in Ihrem Antrag auch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung aufführen, haben wir diese ebenfalls um Stellungnahme gebeten, die wir Ihnen im Wortlaut wiedergeben dürfen:
„Bei Vorhaben zur Errichtung und zum Betrieb von tiefengeothermischen Anlagen handelt es sich um sehr komplexe Vorhaben, die sich aus mehreren Planungs- und Genehmigungsprozessen zusammensetzen. Dabei
sind, stark vereinfacht dargestellt, drei Elemente wichtig zu nennen: Die Tiefbohrungen, der Bohrplatz und die oberirdischen Gebäude. Von den ersten Überlegungen zur Errichtung einer Geothermieanlage bis zur Inbetriebnahme der Anlage ist das Referat für Stadtplanung und Bauordnung zu verschiedenen Zeitpunkten eingebunden.
Ein wesentlicher Punkt ist die Identifizierung von geeigneten Flächen zur Einrichtung von Bohrplätzen und zum dauerhaften Betrieb von Tiefengeothermieanlagen. Aufgrund von vielfältigen Nutzungsansprüchen an die Flächen im Münchner Stadtgebiet (Wohnungsbau, Frei- und Grünflächen, Schul- und Kitaversorgung etc.) und dem generell sehr beschränkten Angebot an geeigneten Flächen, gestaltet sich die Suche zunehmend schwierig. Vor allem in der Bohrphase stellen Tiefengeothermieanlagen sehr spezifische Anforderungen an die Standorte, insbesondere bezüglich des Lärmschutzes für die Nachbarschaft in der Nacht bei durchgängigen 24-Stunden-Bohrungen. Es sind umfangreiche Abstimmungsprozesse und Verhandlungen sowie aufwendige Maßnahmen innerhalb des dichten Siedlungsgebietes der LHM nötig. Aufgrund der bereits genannten Flächenkonkurrenz wirkt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung stets darauf hin, dass Standorte mehrfach (hybrid) genutzt werden können. Je nachdem wo die Anlage errichtet werden soll, muss das Referat für Stadtplanung und Bauordnung entscheiden, ob ein Bebauungsplanverfahren durchzuführen ist (z.B. Virginiadepot, B-Plan-Nr.1939e). Falls nötig, kann parallel zum Bebauungsplanverfahren der Flächennutzungsplan geändert werden. Diese Bauleitplanverfahren bieten den Vorteil, dass die Öffentlichkeit umfänglich informiert und beteiligt werden kann. Das Referat für Stadtplanungund Bauordnung ist mit den Stadtwerken München diesbezüglich bereits regelmäßig im engen Austausch.
Die Aufsuchung und Gewinnung von bergfreien Bodenschätzen, zu denen die Geothermie gehört, werden in einem bergrechtlichen Verfahren zur Umsetzung eines Betriebsplans nach Bundesberggesetz (BBergG) bewilligt. Hierfür ist das Bergamt Südbayern bei der Regierung von Oberbayern zuständig. Die Antragsstellung erfolgt durch das Unternehmen (oder die Institution), das die Geothermieanlage errichten und betreiben will. Bei bergrechtlichen Verfahren wird die LH München als Trägerin öffentlicher Belange eingebunden, unter anderem auch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung und das Referat für Klima- und Umweltschutz. Auf die Geschwindigkeit des bergrechtlichen Verfahrens hat die LH München keinen Einfluss.
Für die Errichtung der oberirdischen Gebäude (z.B. Energiezentrale, andere Betriebsgebäude) sind Baugenehmigungen erforderlich. Auf Antrag wird parallel zum bergrechtlichen Verfahren über Vorbescheide die konkrete baurechtliche Situation bei der Lokalbaukommission abgefragt, um zügig die Baugenehmigung erteilen zu können. Dabei hat das Baugenehmigungsverfahren kaum Einfluss auf den gesamten Prozess.“
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.