Droht der Stadtverwaltung ein Personalkollaps?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 6.9.2023
Antwort Personal- und Organisationsreferent Andreas Mickisch:
Auf Ihre Anfrage vom 6.9.2023 nehme ich Bezug. Sie haben folgenden Sachverhalt vorausgeschickt:
„In der Münchner Stadtverwaltung gibt es quer durch alle Bereiche bereits heute mehrere Tausend unbesetzte Personalstellen. Viele davon sind seit langem unbesetzt und trotz Ausschreibung und intensiver Suche nicht zu besetzen. (…) Nun warnen die Gewerkschaften vor einem ‚Personalkollaps‘ mit dramatischen Folgen, weil bis 2030 deutschlandweit etwa 1,3 Millionen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst in Ruhestand gehen. Das städtische Personal- und Organisationsreferat widmet sich diesem Problem bereits seit einiger Zeit mit dem Programm neoHR. Digitalisierung und schlanke, effiziente Verwaltungsprozesse sollen dem Personalmangel entgegenwirken. Leider scheint es bei anderen Referaten diesbezüglich noch kaum Problembewusstsein zu geben, es werden laufend neue Stellen beim Stadtrat beantragt, ohne dass diese besetzt werden können.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Teilt die Stadtverwaltung die Sorge der Gewerkschaften vor einem „Personalkollaps“ im Öffentlichen Dienst?
Antwort:
Die Landeshauptstadt München hat die Herausforderungen der kommenden Jahre erkannt, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen, um die immer vielfältiger werdenden Aufgabenstellungen zu bewältigen.
In den nächsten zehn Jahren werden allein durch Erreichen der Regelaltersgrenze rund 20% der Kernbeschäftigten (ca. 7.750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) die LHM verlassen. Die Entwicklung des Personalbestands ausgewählter Bereiche wird bereits seit Jahren durch die strategische Personalplanung im POR überwacht, zukünftig aber durch die Erhebung und Auswertung noch feiner graduierter Daten (z.B. auf Ebene von Berufsgruppen und Jobfamilien) engmaschiger gemonitort.Die Stadt München hat seit einigen Jahren zunehmend Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal in Berufen mit Fachkräftemangel zu rekrutieren und zu binden. Dazu gehören IT-Fachkräfte, Ingenieur*innen, der Sozial- und Erziehungsdienst sowie Verwaltungs- und technische Berufe. Dieser Arbeitskräftemangel betrifft mittlerweile alle Bereiche der Stadtverwaltung und eine Vielzahl von Berufsgruppen und Fachrichtungen. Insbesondere vakante Stellen in kritischen Infrastrukturbereichen können aufgrund dieses Mangels nur schwer besetzt werden.
Zu den abgeleiteten Maßnahmen möchten wir auf die Beantwortung von Frage 3 verweisen.
Frage 2:
Bisher haben alle Digitalisierungsmaßnahmen der Stadt eher zu mehr Personalbedarf statt weniger geführt. Wie kann hier gegengesteuert werden?
Antwort:
Die Digitalisierung ist in der Entwicklung zunächst mit Mehraufwand verbunden, bis Prozesse implementiert und etabliert sind. Das Personal- und Organisationsreferat ist der Überzeugung, dass der Weg über die Digitalisierung der HR-Prozesse mit dem Ziel der Prozessoptimierung und des Bürokratieabbaus, also Verschlankung und Beschleunigung, zu einer erheblichen Effizienzsteigerung führt und damit dem Personalmangel wirksam begegnet werden kann.
Durch die Verzahnung der Digitalisierung, orientiert an Standards, mit klaren Zuständigkeiten und ohne Doppelstrukturen, wird die Personal- und Organisationsarbeit digitaler, schneller und kund*innenorientierter gestaltet. Viele der dort formulierten Grundsätze gelten selbstverständlich auch über den Personalbereich hinaus für andere Aufgabenbereiche der Stadtverwaltung.
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass reine Digitalisierung allein nicht ausreicht, um die Arbeitsbelastung zu reduzieren. Stattdessen erfordert dies eine umfassende Transformation, bei der verschiedene Aspekte wie Strategie, Führung, Prozesse, Technologie, Personal, Daten und Steuerung miteinander verknüpft werden. Die Herausforderung besteht darin, bestehende manuelle Prozesse vor der Digitalisierung zu analysieren und zu optimieren, um Ressourcen für zukunftsorientierte Aufgaben freizusetzen.
Effizienzgewinne und damit der Return on Investment, werden sukzessive sichtbar und berechenbar. Besonders prägnante erste Beispiele sind das Workforcemanagement, also die Ablösung der Stempelkarten und damit die Einsparung von 25 VZÄ bzw. Personalkosten in Höhe von 1,75 Milli-onen Euro pro Jahr stadtweit sowie die Einführung der Beihilfe-App. Mit der Beihilfe App können rein für Antragsformulare und Bescheide jährlich 2.250 kg Holz, 39.000 Liter Wasser, 7.500 kWh Strom und 750 kg CO2 eingespart werden.
Durch das stadtweite Geschäftsprozessmanagement unterstützt das Personal- und Organisationsreferat zudem alle Referate und Eigenbetriebe dabei, die notwendige Standardisierung und Optimierung der Prozesse voranzutreiben.
Das IT-Referat nimmt zu Frage 2 wie folgt Stellung (Stellungnahme vom 20.9.2023, siehe Anlage 1):
„Unstrittig ist, dass Digitalisierung im Regelbetrieb zu Effizienzsteigerungen in den Fachbereichen führen muss, allerdings ist auch hier oftmals von einer temporären Aufgabenmehrung und damit auch einem temporär gestiegenem Personalbedarf auszugehen. Um dauerhafte Effizienzsteigerungen zu erzielen, ist die Überprüfung der analogen bzw. bisherigen Geschäftsprozesse in den Referaten erforderlich. Die Etablierung von Digitalisierungsmanager*innen in den Referaten und Eigenbetrieben sehen wir als eine Möglichkeit, Digitalisierungsvorhaben unter dem Aspekt der Effizienzsteigerung zu priorisieren, vorausgesetzt die vorbereitenden Arbeiten der Geschäftsprozessoptimierung sind erfolgt.
Die Verantwortung sowohl für die Optimierung der Geschäftsprozesse als auch für Personaleinsparungen liegt in den jeweiligen Fachbereichen in den Referaten. Das IT-Referat erwartet, dass hier in den nächsten Jahren mit der Fortschreitung der Automatisierung Effekte entstehen, allein deshalb, weil der zunehmende Fachkräftemangel Effizienzsteigerungen zwingend erforderlich macht. Ein Einfordern und Nachhalten der Effekte kann nur direkt bei den Fachreferaten erfolgen.
Im IT-Referat selbst ist ein Personalzuwachs unabdingbar, weil nur so die Vielzahl an weiteren IT-Services in der Stadtverwaltung geplant, umgesetzt und betrieben werden kann.“
Frage 3:
Welche Maßnahmen kann und muss die Stadt darüber hinaus ergreifen, um mit dem Personalmangel zurecht zu kommen bzw. ihm entgegenzuwirken?
Antwort:
Das Personal- und Organisationsreferat etabliert im Augenblick einen neuen strategischen Planungsprozess. Es ist geplant, diesen Prozess abdem kommenden Jahr jährlich durchlaufen zu lassen. In diesem strategischen Planungsprozess werden nicht nur die Personalbedarfe der Referate unter Einbindung der HR-Business Partner berücksichtigt (= strategische Personalplanung), sondern auch Digitalisierungsmaßnahmen, HR-Trends sowie gesetzgeberische Entwicklungen mit Einfluss auf die Kommunalverwaltung. Hierzu werden Daten erhoben und analysiert, welche eine Auswertung der (nicht nur altersbedingten) Fluktuation, heruntergebrochen auf einzelne Berufsgruppen, ermöglichen. Diese datenbasierte, mittel- und langfristige Planung erlaubt in der Folge das Ergreifen gezielter Maßnahmen, beispielsweise im Bereich des Personalrecruitings. Mit diesem strategischen Planungsprozess wird die Landeshauptstadt München aus Sicht des Personal- und Organisationsreferates für die Herausforderungen der Zukunft gut gerüstet sein.
Im Fokus aller weiteren Maßnahmen der gesamten Stadtverwaltung muss eine rasch fortschreitende Digitalisierung aller Standardprozesse stehen. Digitalisierung und Vereinfachung ist daher das vom POR für die HR-Arbeit gesetzte Ziel bis zum Jahr 2025. Mit dem Ausplanungsbeschluss neoHR wird der Weg für eine neue Aufgaben- und Tätigkeitsverteilung zwischen POR und Fachreferaten geebnet. Mit einfachen, schnellen und flexiblen Arbeitsprozessen, die näher an den Kund*innen ausgerichtet sind. Das klare Ziel ist dabei, möglichst viele Abläufe komplett digital zu gestalten, um so optimalen Service zu bieten und das Arbeitsleben leichter zu machen.
Alle weiteren Maßnahmen, um mit dem Personalmangel zurecht zu kommen, bzw. diesem entgegenzuwirken, orientieren sich am Beschäftigtenlebenszyklus (BLZ) der Landeshauptstadt München mit seinen fünf Phasen Personalgewinnung, Onboarding, Personalentwicklung, Personalbetreuung, Offboarding. Sinn dieser Ausrichtung am BLZ ist es, in allen Phasen des Arbeitslebens einer Beschäftigten bzw. eines Beschäftigten der LHM geeignete Maßnahmen zu schaffen, vorzuhalten und gezielt einzusetzen. Beispielhaft sind zu erwähnen:
- Die ersten Module der Talent Management Suite sind 2023 an den Start gegangen. Das Recruiting arbeitet mit dem Modul Digitale Personalgewinnung, im Herbst kommt das Modul Digitales Lernen. Die Digitale Personalgewinnung unterstützt Führungskräfte und Personaler*innen darin, vakante Stellen schneller und mit weniger Aufwand zu besetzen, Personalprozesse wie das Recruiting zu optimieren, die Bindung der Mitarbeiter*innen zu stärken und die passenden Talente für Schlüsselpositionen zu identifizieren und zu entwickeln.
- Die neue Arbeitgeberin-Marke „München – unser Kindl“ ist zwischenzeitlich etabliert und hat erst jüngst eine Goldmedaille beim Employer Branding Award 2023 in Wien gewonnen.
- Der Aufbau von Talentpools für bestimmte Berufsbereiche (bspw. für Ingenieur*innen) und der Einsatz von Sammelausschreibungen etwa im Bereich des pädagogischen Personals als Instrumente der Personalgewinnung werden intensiv weiter vorangetrieben.
- Die Gestaltung von Arbeitsmodellen, die zum Leben passen, steht im Fokus der Personalbetreuung. Am 1. November 2023 ist die neue Dienstvereinbarung zum mobilen Arbeiten (DV MobiA) in Kraft getreten. Erst jüngst wurde im Stadtrat die Erweiterung der Arbeitsmarkt- und Fachkräftezulage verabschiedet.
- Benefits für die Beschäftigten der LHM werden stetig ausgebaut. Zum Beispiel erweiterten zum Start des Ausbildungsjahres 2023 74 neue Apartments das Angebot an Wohnmöglichkeiten für Nachwuchskräfte. Seit Jahren bewegt sich die Wohnungsversorgung für Beschäftigte auf hohem Niveau, im Dezember wird der Stadtrat hierüber in einer Evaluation informiert werden. Des Weiteren hat die LHM Vorteile wie die Erstattung für das Deutschland- oder MVV-Jobticket, eine Erhöhung des Fahrkostenzuschusses und das Fahrradleasing eingeführt, um die Mobilität der Beschäftigten zu fördern und zu unterstützen .
Ein erster Erfolg verschiedener Maßnahmen auf dem Gebiet der Personalgewinnung kann bereits vermeldet werden: Zum 1.9.2023 haben 1.100 Nachwuchskräfte ihre Ausbildung bei der LHM begonnen, das sind 50% mehr als im Vorjahr; mehr als 5.000 Bewerbungen gingen ein.
Frage 4:
Welche Bausteine von neoHR werden absehbar bis zum Ende der geplanten 6jährigen Laufzeit noch nicht umgesetzt werden können, an welchen Stellen kann und muss das Programm angepasst werden, um dem verstärkten Personalmangel Rechnung zu tragen?
Antwort:
Auf Grundlage des Stadtratsbeschlusses „Programm neoHR – Digitalisierung und Weiterentwicklung des LHM-Personalmanagements“ (Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 16545 und Nr. 14-20/V 16543) vom 20.11.2019 wurde das Personal- und Organisationsreferat beauftragt, das Transformationsprogramm neoHR durchzuführen und die Personal- und Organisationsarbeit im Zeitraum 2020-2025 zu modernisieren.Mit der Neuordnung der Personal- und Organisationsarbeit einschließlich Digitalisierung der HR-Prozesse schafft die LHM eine wesentliche Grundlage, um auf dem Arbeitsmarkt gegenüber dem Mitbewerb bestehen zu können.
Daneben sind attraktive Arbeitsplätze mit durchdachten Karrieremöglichkeiten zu schaffen und eine am modernen Arbeitsmarkt orientierte Führungskultur zu etablieren. So lassen sich Bewerber*innen gewinnen und Beschäftigte langfristig binden.
Menschenzentrierte und digitale Arbeitsweisen ermöglichen ein innovatives und werteorientiertes Arbeitsumfeld, damit die LHM die modernste und attraktivste kommunale Arbeitgeberin ist und bleibt.
Das Personal- und Organisationsreferat geht davon aus, dass die in der Beschlussvorlage vom 27.9.2023 „Digitalisierung und Neuordnung des Personal- und Organisationsmanagements der Landeshauptstadt München – Ausplanungsbeschluss neoHR“ (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 10092) beschriebene Vorgehensweise realistisch ist und deshalb zeitlich bzw. inhaltlich keiner Anpassung bedarf.
Die weitere Ausgestaltung und Umsetzung des Programms soll durch interdisziplinäre und referatsübergreifende Teams erfolgen, um ein gemeinsames, konsensuales und von allen mitgetragenes Ergebnis zu erreichen.
Die im Grundsatzbeschluss geforderten Einsparungen von 20,6 Millionen Euro jährlich werden bis zum Programmende realisiert. Für die operative Personalbetreuung wird eine Head-Count-Ratio (HCR) von 1:64 angestrebt.
Um dem sich weiter verändernden Arbeitsmarkt Rechnung tragen zu können, ist es die gemeinsame Aufgabe der gesamten Stadtverwaltung, in all ihrer Vielfältigkeit als eine moderne und attraktive Arbeitgeberin wahrgenommen zu werden, als Team Stadt München. Diese Aufgabe endet nicht Ende 2025 mit Abschluss des Programms neoHR, sondern muss ein Selbstverständnis werden.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
Die Anlage kann abgerufen werden unter:
https://risi.muenchen.de/risi/antrag/detail/7969514#ergebnisse