Die Landeshauptstadt München setzt keine Streikbrecher*innen in der laufenden Tarifrunde ein
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Rathaus Umschau 42 / 2023, veröffentlicht am 01.03.2023
Die Landeshauptstadt München setzt keine Streikbrecher*innen in der laufenden Tarifrunde ein
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 24.2.2023
Antwort Personal- und Organisationsreferent Andreas Mickisch:
Sie beantragen, der Stadtrat möge beschließen, dass die Landeshauptstadt München in der laufenden Tarifrunde für den öffentlichen Dienst keine Streikbrecher*innen, insbesondere keine Leiharbeiter*innen und von Fremdfirmen einsetzen solle. Zudem sollen auch alle Gesellschaftsvertreter*innen vom Stadtrat beauftragt werden, diesen Beschluss in allen städtischen Beteiligungsgesellschaften entsprechend umzusetzen.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrags betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit, deren Erledigung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag kann ich Ihnen jedoch folgendes mitteilen:
Unter Berücksichtigung der geltenden Rechtslage sowie der derzeit aktuellen Verwaltungspraxis setzt die Landeshauptstadt München keine städtischen Tarifbeschäftigten gegen ihren Willen, keine städtischen Beamt*innen sowie externe Leiharbeitnehmer*innen ein.
Den Einsatz von Dritten bzw. externen Fremdfirmen behält sich die Landeshautstadt München unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung dagegen vor.
Hierzu im Einzelnen:
1. Einsatz von Tarifbeschäftigten
Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmer*innen nicht gegen deren Willen zur Leistung von Streikarbeit verpflichten, denn es ist den Arbeitnehmer*innen nicht zuzumuten, einer Tätigkeit nachzugehen, die die Erfolgsaussichten des Streiks unmittelbar beeinträchtigen kann.Im Rahmen eines rechtskonformen Verwaltungshandelns setzt die Landeshauptstadt München daher auch keine Tarifbeschäftigten gegen deren Willen zur Streikabwendung ein.
Dem Arbeitgeber stehen dagegen mehrere Optionen des Einsatzes arbeitswilliger Arbeitnehmer*innen auf den bestreikten Arbeitsplätzen zur Verfügung. Beschäftigte, die sich nicht an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen wollen und ihre Arbeitsleistung anbieten, werden nach Möglichkeit so lange weiter beschäftigt, wie dies die Arbeitskampfmaßnahmen zulassen. Streikposten der Gewerkschaften sind nicht berechtigt, Arbeitswillige am Betreten der Dienststelle oder des Betriebes zu hindern.
Sind die Auswirkungen der Arbeitskampfmaßnahmen so schwerwiegend, dass der Dienstbetrieb trotz arbeitswilliger Beschäftigter nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, ist der Arbeitgeber berechtigt, den betroffenen Bereich stillzulegen. Die Stilllegung ist ausdrücklich gegenüber den Betroffenen zu erklären. In diesem Fall verlieren auch arbeitswillige Beschäftigte den Anspruch auf Entgelt.
Dienstkräfte mit Vorgesetztenfunktion dürfen keinerlei Einfluss auf die freie Entscheidung der Beschäftigten ausüben, sich an einer Arbeitskampfmaßnahme zu beteiligen oder ihre Arbeitskraft weiterhin anzubieten. Ein Missbrauch der Vorgesetztenfunktion zieht personalrechtliche Folgen nach sich.
2. Einsatz von Beamt*innen
Städtische Beamt*innen werden bereits jetzt von der Landeshauptstadt München unter Berücksichtigung obergerichtlicher Rechtsprechung nicht auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass bei rechtmäßigen Arbeitskampfmaßnahmen von Arbeitnehmer*innen der Einsatz von Beamt*innen auf bestreikten Arbeitsplätzen nicht zulässig ist, solange hierfür keine gesetzliche Regelung besteht. Damit soll die „Waffengleichheit“ zwischen den Arbeitskampfparteien gewährleistet werden. Eine solche gesetzliche Grundlage ist bisher nicht geschaffen worden.
Beamt*innen dürfen daher derzeit nicht an Stelle von streikenden Beschäftigten deren Aufgaben übernehmen. Die Dienstpflicht der Beamt*innen betreffend ihres Aufgabenbereiches bleibt davon unberührt.
3. Einrichtung von Notdiensten
Gerade im öffentlichen Dienst gibt es eine Reihe von Tätigkeiten, die auch während eines Streiks weiterhin erledigt werden müssen, um unverhältnis-mäßigen oder gar nicht wieder gut zu machenden Schaden zu vermeiden. Es ist üblich, zwischen der Stadt und den Gewerkschaften in einer sogenannten „Notdienstvereinbarung“ zu bestimmen, wie in den einschlägigen Bereichen der Dienstbetrieb auch während eines Streiks im unbedingt erforderlichen Umfang aufrecht erhalten werden kann.
Arbeitnehmer*innen, die in solchen Bereichen arbeiten, sind insoweit zur Leistung von Notdiensten verpflichtet. Notdienstarbeiten sind insbesondere Arbeiten, die notwendig sind zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern, im öffentlichen Interesse, zum Beispiel zur Sicherung von Anlagen, von denen ohne Sicherung Gefahren ausgehen können (sog. Verkehrssicherungspflichten). Gleichermaßen gilt dies auch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie des öffentlichen Gesundheitsdienstes und zur Durchführung von Arbeiten, deren Sicherstellung dem Arbeitgeber durch öffentlich-rechtliche Vorschriften aufgegeben ist, zur Sicherung und Erhaltung von Anlagen oder von Gütern oder zur Gewährleistung der unverzüglichen Wiederaufnahme der Arbeit nach dem Ende des Arbeitskampfes.
4. Einsatz von Leiharbeitnehmer*innen
Gemäß § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist der Einsatz von Leiharbeitnehmer*innen anstelle der eigenen streikenden Mitarbeiter*innen außerhalb von geschlossenen Notdienstvereinbarungen nicht zulässig.
Der Verleiher hat die Leiharbeitenden in Fällen eines Arbeitskampfes darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsleistung dann verweigert werden kann. Der Einsatz von Leiharbeit ist damit bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen und wird aus diesem Grund von der Landeshauptstadt München auch nicht praktiziert.
5. Einsatz von Dritten
Der Einsatz von externen Fremdfirmen ist bisher von der Rechtsprechung und der Literatur nicht beanstandet worden. Als zulässige Reaktion des Arbeitgebers auf Streikmaßnahmen ist es demnach möglich, bestimmte Aufgaben von Fremdfirmen erledigen zu lassen (Däubler, Arbeitskampfrecht, § 8, Rn. 24).
Nach obergerichtlicher Rechtsprechung ist der Arbeitgeber im Streikfall keinesfalls gezwungen, die Folgen der Arbeitsniederlegung widerstandslos hinzunehmen. Er kann vielmehr versuchen, das mit dem Streik verfolgte Ziel der zeitweiligen Stilllegung des Betriebes oder des bestreikten Be-triebsteils zu unterlaufen, indem er ausgefallene Arbeiten an Dritte vergibt oder mit Hilfe arbeitswilliger, erforderlichenfalls auch neu eingestellter Arbeitnehmer und entsprechender Umorganisation den Betrieb wenigstens teilweise aufrechterhält (BAG, Urt. v. 15.12.1998, Az.: 1 AZR 289/98; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.4.1997, Az.: 4 Sa 589/95). Das BAG hat dazu festgestellt, dass dies auch für den Fall gelten kann, dass die Beauftragung Dritter auch vorsorglich erfolgen könne (vgl. BAG a.a.O.).
Unter Zugrundelegung der benannten Rechtsprechung ist ein Einsatz von externen Fremdfirmen daher rechtlich zulässig. Aus diesem Grund behält sich die Landeshauptstadt München vor, Fremdfirmen im Bedarfsfall (z.B. um ihren Verkehrssicherungspflichten nachzukommen) zu beauftragen, wenn die Tätigkeit unaufschiebbar ist und keine anderen Möglichkeiten zu deren Erledigung bestehen.
6. Beauftragung von Gesellschaftsvertreter*innen aller städtischen
Beteiligungsgesellschaften
Als Instrument um – wie im Antrag gefordert – als Gesellschaftsvertreter*in „diesen Beschluss (kein Einsatz von Streikbrecher*innen und kein Einsatz von Leiharbeiter*innen und Fremdfirmen) in allen städtischen Beteiligungsgesellschaften entsprechend umzusetzen“ käme für die städtischen 100%-Beteiligungsgesellschaften lediglich das Instrument der Gesellschafterweisung durch den Oberbürgermeister in Frage. Für eine Weisung besteht jedoch kein Anlass, noch wäre sie verhältnismäßig. Bei allen anderen Gesellschaften wäre die jeweilige Gesellschafterversammlung bzw. der Aufsichtsrat zuständig.
Die operative Verantwortung für das Handeln der städtischen Gesellschaften im Falle eines Streiks liegt bei den jeweiligen Geschäftsführungen. Sie sind dabei selbstverständlich, wie die Stadt selbst, an geltendes Recht gebunden. Dem Direktorium ist aus der Vergangenheit kein Fall bekannt, dass sich eine städtische Gesellschaft im Fall eines Streiks nicht rechtskonform verhalten hätte. Es gibt auch keinen Anlass zur Vermutung, dass dies im aktuellen oder einem zukünftigen Arbeitskampf anders sein sollte.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.