Zero Waste fördern – Abfallgebühren niedrig halten
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Rathaus Umschau 43 / 2023, veröffentlicht am 02.03.2023
Zero Waste fördern – Abfallgebühren niedrig halten
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 16.11.2022
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Mit Ihrer Anfrage fordern Sie die Landeshauptstadt München (LHM), Kommunalreferat, Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM), auf, die nachfolgenden Fragen zu Auswirkungen von Zero Waste-Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ausweitung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) und der Entwicklung der Müllgebühren zu beantworten.
Frage 1:
Mit welchen Mehrkosten rechnet die LHM ab 2024?
Antwort:
Die nachfolgenden Angaben/Berechnungen basieren auf einem Referentenentwurf und sind daher mit starken Unsicherheiten behaftet. Erst wenn die Verordnung zur Umsetzung des BEHG unter Einbindung von Abfall beschlossen und in Kraft getreten ist, kann eine verbindliche Aussage zu den Mehrkosten getroffen werden.
Wird die Gesamtmüllmenge aus dem Jahr 2021 zu Grunde gelegt, welche im Heizkraftwerk Nord (HKW) thermisch verwertet wurde, so entstünden nach aktuellem Kenntnisstand durch das BEHG zusätzliche Netto-Zertifikatskosten von ca. 11,6 Mio. Euro in 2024, ca. 14,9 Mio. Euro in 2025 und ca. 21,5 Mio. Euro in 2026.
In dieser Gesamtmüllmenge sind neben den Haus- und Gewerbemüllmengen aus München ebenfalls Müllmengen von Fremdanlieferern (umliegende Landkreise, privat-rechtliche Gesellschaften sowie gewerbliche Selbstanlieferer aus dem Großraum München und Bayern) mit einem Anteil von rund 48% enthalten, die am HKW thermisch verwertet werden.
Frage 2:
Aus welchen Mitteln werden diese Mehrkosten bezahlt?
Antwort:
Die zusätzlichen Zertifikatskosten des BEHG würden neben den Einnahmen aus Haus- und Gewerbemüllgebühren aus Einnahmen für die thermische Verwertung von Müll von Fremdanlieferern sowie aus der Energiegutschrift der thermischen Verwertung finanziert.
Frage 3:
Welche Auswirkungen hat die Gesetzesnovelle auf die Entwicklung der Abfallgebühren in der LHM?
Antwort:
Durch die zusätzlichen Einnahmen aus der Annahme und thermischen Verwertung von Fremdmüllmengen am HKW erfolgt bisher eine wesentliche Reduktion der Müllgebühren bzw. eine Entlastung der Münchner Gebührenzahler*innen. Diese Entlastung wird durch die Anwendung des BEHG zukünftig geringer ausfallen. Eine auf das BEHG zurückzuführende Anpassung der Haus- und Gewerbemüllgebühren in München wäre im nächsten Gebührenkalkulationszeitraum möglich. Zum aktuellen Zeitpunkt bestehen für eine genaue Kalkulation jedoch zu große Unwägbarkeiten.
Frage 4:
Inwiefern verringern sich die veranschlagten Abfallmengen und entsprechenden Mehrkosten durch zeitnahe Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen des Zero Waste-Konzepts der LHM?
Antwort:
Das Zero-Waste-Konzept für die LHM (siehe Beschluss Nr. 20-26/V 06600 „München gegen Ressourcenverschwendung – Zero Waste Munich“ vom 7.7.2022) enthält konkrete Abfallreduktionsziele. Hierzu gehört die Verringerung der thermisch zu verwertenden Restmüllmenge aus Münchner Haushalten bis zum Jahr 2035 um 35% auf 127 kg/(E*a). Langfristig soll die LHM ein Restmüllaufkommen von durchschnittlich weniger als 100 kg pro Kopf und Jahr erreichen. Zur Zielerreichung wurden rund 100 Maßnahmen partizipativ erarbeitet. 40 Maßnahmen davon wurden detailliert ausgearbeitet. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen bezüglich der Zielerreichung abzuschätzen, wurden Zero-Waste-Szenarien modelliert. Hier erfolgte eine Analyse der Maßnahmen auf Vermeidungseffekte. Einbezogen wurden wissenschaftliche Modellierungsergebnisse und praktische Erfahrungswerte. Für die meisten Maßnahmen wurden ansteigende Vermeidungseffekte angenommen, wenn diese zunehmend in die Alltagsroutinen von Akteur*innen integriert werden.
Im Zero-Waste-Konzept wurde ein Status quo Szenario (Szenario 1) modelliert und ein Szenario bei Intensivierung der Wertstofferfassung (Szenario 2).
Szenario 1 dient ausschließlich der Darstellung der Auswirkungen unterschiedlicher demografischer und wirtschaftlicher Einflussfaktoren. Szenario2 baut auf dem bestehenden Sammelsystem auf und berücksichtigt eine Intensivierung der Getrennterfassung auf Basis einer weiterhin intensiven Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus wurden Effekte der Abfallvermeidung berücksichtigt.
Das Zero-Waste-Szenario (Szenario 3) schätzt, dass die Ziele erreicht werden können, vorausgesetzt, dass neben den spezifischen Maßnahmen der LHM auch gesamtgesellschaftliche Effekte zum Tragen kommen. Hierzu gehört etwa ein zunehmend bewusster Umgang der Bürger*innen mit der „Ressource“ Abfall und die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen, technischen und ökonomischen Randbedingungen für den erfolgreichen Wiedereinsatz von Rezyklaten. Diese sind nicht direkt durch die Stadt München beeinflussbar.
Im Zero-Waste-Szenario werden die Reduktionsmengen ausgehend vom Bezugsjahr 2019 schrittweise dargestellt. Die 35%-ige Abfallreduktion bezieht sich auf einwohnerspezifische Werte. Für die Berechnung der CO2-Äquivalente und die sich daraus ergebende CO2-Steuer wurden die absoluten Restmüllmengen herangezogen. Diese reduzieren sich laut Szenario schrittweise wie folgt:
2019: 305.954 t Restmüll aus Münchner Haushalten (Bezugsjahr) (Einwohnerzahl 1.560.000)
2025: 292.000 t Restmüll (geschätzte Einwohnerzahl: 1.613.000)
2030: 230.000 t Restmüll (geschätzte Einwohnerzahl: 1.678.000)
2035: 221.000 t Restmüll (geschätzte Einwohnerzahl: 1.740.000)
Im aktuellen Referentenentwurf der Emissionsberichterstattungsverordnung 2030 (EBeV 2030) ist die Bepreisung von Emissionen nur bis 2026 festgelegt. Da die Szenarienanalyse nur prognostizierte Restmüllmengen für die Jahre 2025, 2030 und 2035 enthält, kann zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich eine Berechnung der CO2-Steuer für 2025 abgeschätzt werden.
Bezogen auf 2025 ergeben sich folgende Werte:
Diesen prognostizierten Werten können gemessene Werte der Vergangenheit gegenübergestellt werden. Der AWM ist mit einer Reihe von Maßnahmen zur Abfallreduzierung seit vielen Jahren erfolgreich. Mit den Zero-Waste-Maßnahmen wird dieser Trend zur Reduzierung beschleunigt. Aufgrund der aktuellen Entwicklung der Sammelmengen ist erkennbar, dass sich der Trend in den folgenden Jahren fortsetzt.
Vergleicht man Szenario 3, also das geschätzte Erreichen der Zero-Waste-Ziele durch die Maßnahmen, mit Szenario 1, also der Annahme, dass die bestehende abfallwirtschaftliche Infrastruktur erhalten bleibt, ließen sich im Jahr 2025 Netto-Zertifikatskosten von rund 250.000 Euro einsparen. Diese Annahmen sind jedoch immer an der tatsächlichen Situation zu spiegeln. Bereits im Jahr 2022 ist eine nennenswerte Reduzierung der Restmüllmenge aus den Münchner Haushalten aufgrund der vom AWM eingeleiteten Maßnahmen vorhanden. Auf niedrigere Münchner Haus- und Gewerbemüllgebühren kann im Gesamtzusammenhang jedoch nicht geschlossen werden, weil sich durch die Mengenreduktion zugleich die Erlöse aus der Energiegutschrift anteilig vermindern.
Aufgrund aktueller globaler, europäischer und bundesweiter gesetzlicher Vorgaben wird die Abfallvermeidung bei den Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger künftig noch mehr in den Vordergrund rücken. Aufgrund dessen hat der AWM ein Zero-Waste-Konzept erarbeitet. Wie dargelegt, ist die Wirksamkeit von Abfallvermeidungsmaßnahmen langfristig nur abschätzbar. Ebenso sind mögliche Auswirkungen des Klimawandels und technische oder gesetzliche Entwicklungen nicht vorhersehbar. Eine Hauptaufgabe des AWM ist es, die Entsorgungssicherheit für München zu gewährleisten. Daher sieht es der AWM als nötig an, sowohl Abfallvermeidungsmaßnahmen anzustoßen als auch langfristig eine ausreichende Verbrennungskapazität für die LHM und den Umkreis Münchens vorzuhalten, die möglichst allen zukünftigen Ereignissen (wie Naturkatastrophen) Rechnung trägt und in Zeiten der Energiekrise einen wesentlichen Beitrag zur Energie- und Wärmeversorgung leistet. Mit der bereitgestellten Fernwärme werden fossile Brennstoffe substituiert.
Bezüglich der Abfallgebühren ist daher festzustellen, dass bei dem aktuellen Abfallgebührenmodell weniger Restmüll zu weniger Einnahmen führen würde, da sich die Münchner Müllgebühren aus dem Restmüllvolumen, also der aufgestellten Behältergröße, und dem Leerungsrhythmus, berechnen. Wenn sich durch die sukzessive Umsetzung von Abfallvermeidungs- sowie Mülltrennungsgmaßnahmen der Restmüll reduziert, würden sich so die Einnahmen aus Müllgebühren verringern. Damit Abfallreduktion und finanzielles Gleichgewicht Hand in Hand gehen können, arbeitet der AWMan einem neuen Modell für Haus- und Gewerbemüllgebühren, das diese Entwicklungen berücksichtigt und eine langfristige Finanzierung über Gebühren sicherstellt.
Frage 5:
Können die veranschlagten Mehrkosten nicht besser direkt in Zero-Waste-Kampagnen und Förderprogrammen eingesetzt werden?
Antwort:
Wie in der Antwort zu Frage 4 dargelegt, kann durch Szenarien-Modellierung ein Betrag von rund 250.000 Euro netto für das Jahr 2025 prognostiziert werden, um den sich die CO2-Steuer verringern könnte, falls die Zero-Waste-Ziele erreicht werden. Dieser Betrag kann im Gesamtergebnis aufgrund sich reduzierender Energieerlöse jedoch nicht als wirksame Aufwandsminderung im Sinne von „frei gewordenen Finanzmitteln“ angesehen werden. Das Zero-Waste-Konzept sieht vor, die genannten Maßnahmen über den städtischen Haushalt zu finanzieren. Für 2023 sind im Dezember 1,8 Mio. Euro vom Münchner Stadtrat bewilligt worden (siehe Beschluss Nr. 20-26/V 08035 „München gegen Ressourcenverschwendung – Zero Waste Munich; Einrichtung einer Zero Waste Fachstelle; Änderung des Mehrjahresinvestitionsprogramms 2022-2026; Umsetzung des Eckdatenbeschlusses 2023 (KOM-65))“. Kampagnen als Abfallvermeidungsmaßnahmen werden dabei durch den AWM aus den Abfallgebühren finanziert.
Mit diesem Betrag wird im Jahr 2023 mit der Umsetzung von Zero-Waste-Maßnahmen begonnen. Die Einrichtung eines Fördertopfes zur Unterstützung von Zero-Waste-Projekten und Zero-Waste-Initiativen ist für 2023 bereits geplant.
Generell liegt der größere Hebel zur Verringerung der Restmüllmengen am Anfang des Produktlebenszyklusses. Kreislauffähigkeit muss von Hersteller*innen bereits beim Produktdesign mitgedacht und umgesetzt werden. Hier setzt das Programm Circular Economy der LHM, angesiedelt im Referat für Klima- und Umweltschutz, an. Circular Economy adressiert insbesondere die Ansatzpunkte auf den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette, also das zirkuläre Produktdesign, die Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle und die Schließung von Stoffkreisläufen. Neben der reinen Vermeidung steht die Qualität der Stoffkreislaufführung im Fokus, die den Wert von Rohstoffen möglichst optimal erhalten und Restmüll weitestgehend vermeiden soll.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten.