Ist das KVR überfordert mit Anträgen ausländischer Mitbürger?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 23.1.2023
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
In Ihrer Anfrage vom 23.1.2023 führen Sie Folgendes aus:
„Laut Bericht der FAZ vom vergangenen Wochenende sind allein in München 25.000 E-Mails und Onlineanträge von der Ausländerbehörde derzeit unbeantwortet geblieben. Zeitgleich wird auch in der Landeshauptstadt immer deutlicher, dass nicht nur Fachkräfte, sondern allgemein wesentlich mehr Arbeitskräfte benötigt werden.“
Zu Ihrer Anfrage vom 23. Januar 2023 nimmt das Kreisverwaltungsreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Vorab wird darauf hingewiesen, dass sich die Ausländerbehörde insgesamt auf einem guten Weg befindet, die angefallenen Rückstände kontinuierlich zu reduzieren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass pro Monat durchschnittlich 21.500 E-Mails in den Sammelmailpostfächern in diesem Bereich eingehen. In der Abteilung mit dem größten Parteiverkehrsaufkommen, der Ausländerbehörde, konnten die E-Mail Rückstände von ihrem Höhepunkt im August 2022 (16.619 unbearbeitete E-Mails) auf 9.755 E-Mails Ende der 3. Kalenderwoche 2023 abgebaut werden.
Frage 1:
Wie viele Fälle verbergen sich konkret hinter diesen 25.000 genannten Vorgängen?
Antwort:
Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, wieviele konkrete Einzelfälle sich hinter den 25.000 genannten „Vorgängen“ verstecken, die sich aus E-Mails und Online-Anträgen zusammensetzen. So reichen viele Antragsteller*innen mehrere E-Mails mit ergänzenden Informationen zu einem Vorgang ein oder erkundigen sich regelmäßig per E-Mail oder über das Kontaktformular nach dem Sachstand. In einigen dieser Fallkonstellationen wurde die konkrete Fallbearbeitung bereits aufgenommen, konnte aber bis dato beispielsweise aufgrund einzureichender Unterlagen noch nicht final abgeschlossen werden.Die auf den ersten Blick hohe Anzahl von 25.000 unbearbeiteten Anfragen ist zudem in Relation zu den insgesamt im Jahr 2022 ca. 586.000 über Sammelmailpostfächer eingegangenen E-Mails zu betrachten. Die 25.000 unbearbeiteten E-Mails und Online-Anträge sind folglich etwa so viel wie innerhalb von 16 Tagen bei der Ausländerbehörde München eingehen.
Die Ausländerbehörde wirkt diesen Mehrfachanfragen mit dem Ausbau strukturierter Kontaktformulare entgegen, welche die Antragsteller*innen einerseits durch den Prozess navigieren sollen und andererseits darlegen, was im konkreten Fall noch benötigt wird.
Frage 2:
Wie viele Anträge befinden sich derzeit in der Warteschleife und wurden noch nicht bearbeitet?
Antwort:
Die Ausländerbehörde München differenziert im Rahmen der statistischen Erfassung nicht zwischen reinen (Sachstands)-Anfragen und formalen Anträgen (z.B. durch Nutzung eines Kontaktformulars). Aus diesem Grund ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt technisch nicht möglich, das Verhältnis zwischen unbearbeiteten Anträgen und sonstigen Anfragen anzugeben.
Frage 3:
Wie viele Mitarbeiter sind im zuständigen Kreisverwaltungsreferat für die Bearbeitung von Anträgen tätig und wie viele werden derzeit benötigt, um zeitnah alle Anfragen zu beantworten?
Antwort:
Insgesamt stehen der Ausländerbehörde 301 VZÄ für Sachbearbeiter*innen (darunter zählen Sachbearbeiter*innen für Ausländerangelegenheiten, Passwesen sowie Einbürgerungen) zur Verfügung. Im Dezember 2022 bestand in der Ausländerbehörde eine Besetzungsquote von 81,7%. In Bezug auf die Funktion Sachbearbeiter*in musste man im Jahr 2022 eine Fluktuation in Höhe von knapp 16% verzeichnen, bezogen auf die Ausländerbehörde als Ganzes in Höhe von 13,6%.
Wie viele neue Mitarbeiter*innen zusätzlich benötigt werden, um alle Rückstände abzubauen und künftig alle eingehenden Anträge und Anfragen umgehend bearbeiten zu können, kann hier nicht abschließend beziffert werden, da sich das Antragsaufkommen aufgrund von der Ausländerbehörde nicht beeinflussbarer politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wie z.B. in 2022 der Krieg in der Ukraine nicht genau prognostizieren lässt.Infolge des Beschlusses „Serviceoffensive in der Ausländerbehörde“ wurden der Dienststelle des Bereichs Aufenthaltsgewährung im Dezember 2022 11,4 neue VZÄ zugeteilt und bewilligt. Die Ausländerbehörde arbeitet derzeit an der Besetzung dieser und noch weiterer vakanter Stellen. Diesbezüglich wird aber darauf hingewiesen, dass sich das Ausländerrecht als überaus komplexe und umfangreiche Rechtsmaterie darstellt und somit für eine Einarbeitung neuer Kolleg*innen ca. sechs Monate zu veranschlagen sind.
Hinzukommen 7,5 weitere VZÄ für das Servicetelefon, damit aufkommende Fragen direkt in einem persönlichen Gespräch geklärt werden können und keine erneute E-Mail geschrieben werden muss.
Frage 4:
Wie lange wird es noch dauern, bis alle offenen Anträge bearbeitet werden können?
Antwort:
Wie viel Zeit konkret benötigt wird, um die aktuellen Rückstände signifikant zu verringern, lässt sich nur schwer abschätzen. Dies hängt zum einen davon ab, wieviele neue Anträge und Anfragen in der Ausländerbehörde eingehen. Zum anderen handelt es sich erfahrungsgemäß um sehr unterschiedliche Anfragen, und zwar sowohl hinsichtlich des Inhalts, des Umfangs als auch des Komplexitätsgrades. Eine pauschale bzw. allgemeingültige Zeitangabe, wie lang die zuständigen Sachbearbeiter*innen für die Bearbeitung einer einzelnen Anfrage benötigen, lässt sich somit nicht bestimmen.
Zugleich arbeitet die Ausländerbehörde mit Hochdruck an der Besetzung noch offener und neu geschaffener Stellen in der Ausländerbehörde. Dadurch und im Zusammenspiel mit laufenden Prozessoptimierungen sollten die bestehenden Rückstände weiter reduziert werden können.
Frage 5:
Wäre zur Aufarbeitung ein Einsatz der PEIMAN-Kräfte denkbar, die bisher für das Corona-Kontrakttracing genutzt worden sind?
Antwort:
Tatsächlich unterstützen derzeit sowohl Dienstkräfte, die ehemals dem Contact-Tracing-Team zugewiesen waren, als auch PEIMAN-Kräfte die Arbeit in der Ausländerbehörde.So übernehmen derzeit zehn Dienstkräfte aus dem ehemaligen Contact-Tracing-Center im Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine die Registrierung und FREE-Verteilung der Ankommenden. Weitere zehn Dienstkräfte wurden der Ausländerbehörde befristet für ein Jahr abgestellt, um dringend erforderliche Datenbereinigungsmaßnahmen zu erledigen. Letzteres ist insofern von Bedeutung, als vollständige und richtige Datensätze die Sachbearbeitung erheblich beschleunigen können.
Der Einsatz dieser Dienstkräfte hat u.a. den positiven Effekt, dass die bisher für diese Tätigkeit eingesetzten Sachbearbeiter*innen wieder mehr Kapazitäten für ihre eigentlichen Tätigkeiten haben.
Darüber hinaus unterstützen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch rund 26 PEIMAN-Kräfte die Ausländerbehörde bei der Bewältigung der sonstigen, aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bzw. der damit korrespondierenden Fluchtbewegungen sprunghaft angestiegenen, dringend erforderlichen Aufgaben. Der Einsatz dieser PEIMAN-Kräfte endet allerdings zum Ablauf des 31.3.2023.
Frage 6:
Welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen, um die Dienstleistungen der Ausländerbehörde zu digitalisieren? Wie wirken sich die bereits ergriffenen Maßnahmen auf die Geschwindigkeit der Bearbeitung aus?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat legt ein besonderes Augenmerk darauf, die Digitalisierung in der Ausländerbehörde weiter voranzutreiben. So hat die Ausländerbehörde seit Mai 2020 24 verschiedene Online-Kontaktformulare für insgesamt 55 unterschiedliche Dienstleistungen eingeführt. Dazu zählen u.a. Kontaktformulare für die Einbürgerung, die Niederlassungserlaubnis, den Familiennachzug sowie für verschiedene Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke der Erwerbstätigkeit und für das Beschleunigte Fachkräfteverfahren. Derzeit befinden sich sieben weitere Kontaktformulare in Vorbereitung, die zeitnah eingeführt werden sollen.
Unterschiedliche Quick-Checks in Bezug auf die verschiedenen Sachverhalte und Voraussetzungen unterstützen die Kund*innen von Beginn an gezielt und automatisiert bei der Antragstellung. Die strukturierten Online-Kontaktformulare haben v.a. den Vorteil, dass benötigte Unterlagen möglichst geordnet aufbereitet dem zuständigen Bereich innerhalb der Ausländerbehörde zugeleitet werden. Die Aussagekraft und Vollständigkeit der eingereichten Anträge erhöht sich damit. Die Bearbeitungszeit, diez.B. durch behördeninterne Weiterleitungen und/ oder die Nachforderung von Informationen und Unterlagen entsteht, wird verringert. Die über strukturierte Kontaktformulare digital übermittelten Unterlagen werden direkt ohne Medienbruch zur elektronischen Akte genommen. Das erspart im Vergleich zu postalisch oder persönlich eingereichten Anträgen das Einscannen zur weiteren Bearbeitung und den damit einhergehenden Zeitverlust.
Darüber hinaus wurde die digitale Bezahlfunktion „E-Payment“ bei sieben Kontaktformularen (Einbürgerung, Niederlassungserlaubnis, Beschleunigtes Fachkräfteverfahren, Änderung der Nebenbestimmungen, ICT-Karte, Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit und Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit) eingeführt. Es ist vorgesehen, dies sukzessive für alle weiteren Dienstleistungen der Ausländerbehörde zu implementieren.
Im Jahr 2022 wurden die Online-Kontaktformulare der Ausländerbehörde 153.192 mal genutzt. Sie werden von den Kund*innen noch unterschiedlich stark angenommen. In manchen Bereichen wählen mittlerweile über 60% der Kund*innen den Weg über die Online-Formulare zur Antragstellung und Nutzung anderer Services. In anderen Bereichen sind es weniger als 20%. Dies hängt neben der noch immer eingeschränkten Bekanntheit des Online-Services mit der unterschiedlich stark ausgeprägten Digitalaffinität der Kund*innen zusammen. Es zeigt sich allerdings, dass Personen, die bereits positive Erfahrungen mit einem Antragsformular sammeln konnten, beim nächsten Antrag wieder diesen Weg wählen.
Bei vollständigen Anträgen, die als Onlineantrag eingereicht werden, kommt es durch die eingesparten Rückfragen und die digitale Verfügbarkeit zu einer spürbaren Zeitersparnis in der Bearbeitung.
Die Zufriedenheit mit den Kontaktformularen wurde im letzten Quartal 2022 von 73% der Nutzenden mit „sehr gut“ oder „gut“, von weiteren 10% mit „befriedigend“ oder „ausreichend“ und von 17% mit „schlecht“ oder „sehr schlecht“ bewertet. Es wird angestrebt, die Kontaktformulare und Antragsmanager zu optimieren und die Antragsteller*innen sowohl schneller zu dem für ihr Anliegen richtigen Formular zu leiten als auch dadurch den Anteil der nicht vollständigen Anträge weiter zu reduzieren.
Für dieses Jahr sind folgende acht weitere Online-Services bereits in Planung:
-Asyl/humanitäre Aufenthalte-Medizinische Behandlung
-Ausbildung
-Reiseausweis
-Verlust Aufenthaltsdokument
-Daueraufenthaltsbescheinigung nach FreizügG/EU
-Duldung
-Schülersammelliste
Frage 7:
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf die Arbeit des Kreisverwaltungsreferats und auf die Betroffenen, die auf eine Entscheidung ihres Antrags warten?
Antwort:
Die Ausländerbehörde priorisiert Anliegen, die dem Grunde nach eilbedürftig sind, wie z.B. bei Anträgen auf Wechsel des Arbeitgebers oder dringend erforderlichen Reisen ins Heimatland. Für diese „Notfälle“ kann darüber hinaus ein Termin für den Notfallservicepoint gebucht werden, der dann unmittelbar stattfindet um das Problem zu lösen.
Die Ausländerbehörde ist bestrebt, die Digitalisierung der Prozesse und Services weiter auszubauen und zu verbessern. Ziel ist es v.a. die Bearbeitungszeiten weiter zu verkürzen und die Kund*innenzufriedenheit nachhaltig zu erhöhen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.