Schaffung einer Hinweisgeberstelle für Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt sowie deren Beteiligungsgesellschaften
Antrag Stadträte Hans-Peter Mehling und Manuel Pretzl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 20.12.2022
Antwort Personal- und Organisationsreferat:
Am 20. Dezember 2022 beantragten Sie, dass die Landeshauptstadt München für Mitarbeiter*innen der Landeshauptstadt sowie für Beteiligungsgesellschaften und im besten Fall auch für außenstehende Personen, die im Kontakt zur Stadt und ihren Gesellschaften stehen, eine Meldeplattform schafft, bei der Anliegen zu Missständen an den Dienststellen sowie in den Gesellschaften vorgebracht werden können.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag mit Schreiben zu beantworten.
Ihr Antrag betrifft eine Angelegenheit, deren Erledigung aus den nachfolgend näher ausgeführten Gründen (Ziffer 1.) derzeit nicht umsetzbar ist bzw. für die bereits die unten beschriebenen Initiativen (Ziffer 2.) geplant sind:
1. Aktueller Stand der Gesetzgebung
Zum Zeitpunkt Ihres Antrags im Dezember 2022 war dem Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) vom Bundestag zugestimmt und das Gesetz dem Bundesrat zugeleitet worden. Es war verbreitet davon ausgegangen worden, dass der Bundesrat dem Entwurf des HinSchG
zustimmen würde. Allerdings verweigerte dieser überraschenderweise in seiner Sitzung vom 10. Februar 2023 durch Widerspruch der unionsgeführten Länder dem HinSchG die Zustimmung. Kritisiert wurde insbesondere, dass das HinSchG in der vorliegenden Fassung über die EU-Vorgaben zu weit hinausgehe. Darüber hinaus belaste es kleine und mittlere Unternehmen besonders, eine Missbrauchsgefahr sei außerdem nicht gebannt.
Der nächste Schritt im Gesetzgebungsverfahren wäre die Anrufung des Vermittlungsausschusses gewesen (http://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-934750). Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP haben jedoch am 17. März 2023 zwei neue Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht und damit den alten Entwurf des HinSchG in einen nicht zustimmungspflichtigen und einen zustimmungspflichtigen Teil aufgeteilt (siehe http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw11-de-hinweisgeber-937542, siehe auch FAZ.NET, Kom-mission macht Druck wegen Whistleblower-Gesetz, 15.2.2023): Der dann neu eingebrachte Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (20/5992) ist weitgehend identisch mit dem am 16. Dezember 2022 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf. Allerdings nimmt er ausdrücklich Beamt*innen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richter*innen im Landesdienst aus dem persönlichen Anwendungsbereich aus (vgl. § 1 Abs. 3 E-HinSchG_neu). Dadurch ist nach Einschätzung der einbringenden Fraktionen keine Zustimmung des Bundesrates mehr erforderlich. Durch den zweiten Gesetzentwurf „zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ (20/5991) sollen diese Einschränkungen wieder aufgehoben und die erforderlichen Änderungen im Beamtenstatusgesetz für eine wirksame Regelung auf Landesebene vorgenommen werden (vgl. Art 1 und 2 des Ergänzungsgesetzes). Die beiden Initiativen werden nun an den Rechtsausschuss überwiesen, der am 27. März 2023 voraussichtlich darüber berät (vgl. http://www.integrityline.com/de/knowhow/blog/hinweisgeberschutzgesetz/). 2. und 3. Lesung sind noch für Ende März geplant (vgl. http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw13-de-hinweisgeber-schutz-938386).
Folglich stehen die auf die Landeshauptstadt zukommenden Pflichten zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht konkret genug fest. Insbesondere ist unklar,
-ob mit den Aufgaben einer internen Meldestelle alternativ zu einer bei der jeweiligen Organisationseinheit beschäftigten Person auch ein*e Dritte*r (eine Ombudsperson) betraut werden kann (aktuell so vorgesehen, vgl. § 14 Abs. 1 E-HinSchG),
-ob es eine Verpflichtung geben wird, nach der die interne Meldestelle nicht nur für Beschäftigte, sondern zusätzlich auch für andere Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit der Organisationseinheit im Kontakt stehen und ggf. auch für Bürger*innen geschaffen werden muss (aktuell verpflichtend nur für Beschäftigte, vgl. § 16 Abs. 1 E-Hin-SchG),
-ob es eine Verpflichtung geben wird, auch anonyme Hinweise entgegenzunehmen, diesen nachzugehen und sie zu bearbeiten und eine anonyme Kommunikation mit hinweisgebenden Personen zu ermöglichen (aktuell so vorgesehen, vgl. § 16 Abs. 1 E-HinSchG),Hinzu kommt, dass dem Bund infolge des „Durchgriffsverbots“ eine unmittelbare Aufgabenübertragung an Gemeinden und Gemeindeverbände verwehrt ist. Daher bestünde für Gemeinden nach dem HinSchG die Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb interner Meldestellen nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts (vgl. § 12 Abs. 1 S. 4 E-HinSchG ). Dem Landesgesetzgeber steht es also offen für Gemeinden die nähere Ausgestaltung festzulegen. Nach Rücksprache mit dem Bayerischen Justizministerium – zuletzt am 1. März 2023 – wartet man auch dort eine endgültige Entscheidung des Bundesgesetzgebers ab, bevor man aktiv wird. Voraussichtlich werden die betroffenen Kommunen im Vorfeld einer landesrechtlichen Regelung angehört werden. Bereits jetzt wird in vielen Kommunen der Wunsch geäußert, eine zentrale Stelle für alle bayerischen Kommunen einzuführen, die eine Umsetzung bei der Landeshauptstadt entbehrlich machen könnte (vgl. Art. 8 Abs. 9 S. 3 EU-Whistleblower-Richtlinie).
In Bezug auf die Frage der Einbindung der städtischen Beteiligungsgesellschaften in eine stadtweite Hinweisgeberstelle sind zwei Aspekte zu berücksichtigen:
a) Für städtische Beteiligungsgesellschaften, „die im Eigentum oder unter der Kontrolle von Gemeinden und Gemeindeverbänden stehen“, wird die Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb interner Meldestellen nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts gelten. Für diese Beteiligungsgesellschaften bestehen also ebenfalls die genannten rechtlichen Ungewissheiten (siehe zuvor, vgl. § 12 Abs. 1 E-HinSchG).
b) Was die übrigen städtische Beteiligungsgesellschaften, also diejenigen, die nicht im Eigentum oder unter Kontrolle von Gemeinden und Gemeindeverbänden stehen, angeht, kann zum jetzigen Zeitpunkt allerdings schon als sicher angesehen werden, dass zumindest ein Teil dieser Beteiligungsgesellschaften gem. § 12 E-HinSchG gesetzlich verpflichtet sein wird, eine eigene Hinweisgeberstelle einzurichten. Dies folgt auch unmittelbar aus Art. 8 Abs. 3 EU-Whistleblower-Richtlinie. So hat sich die EU-Kommission in einer Stellungnahme vom 2. Juni 2021 noch einmal ausdrücklich auf Anfrage Dänemarks dahingehend geäu-ßert, dass gem. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie jede „legal entity“ mit mehr als 49 Beschäftigten zwingend ein eigenes Whistleblowing-System bereitstellen muss. Ein Hinweisgebersystem, bei dem sowohl Melde- als auch Untersuchungsstelle bei einer zentralen Einheit im Konzern angesiedelt sind, sei „contra legem“. Dies gelte für eigenständige Gesellschaften ebenso wie für Konzerngesellschaften und unabhängig davon,ob bereits ein konzernweites Hinweisgebersystem bestehe.
Vor diesem Hintergrund sehe ich es aktuell nicht als zielführend an, bereits jetzt die städtischen Beteiligungsgesellschaften in eine Meldestelle der Landeshauptstadt einzubinden, um etwaige Doppelstrukturen zu vermeiden. Hinzukommt, dass mangels Möglichkeit, auf die eigenständigen Strukturen der Beteiligungen durch- bzw. zuzugreifen, lediglich die Option einer Weiterleitung der Hinweise an die jeweiligen Compliance-Abteilungen bleibt.
Da die Ergebnisse der weiteren Schritte des Bundes- und des Landesgesetzgebers momentan nicht bekannt sind, ist eine Einschätzung derzeit kaum möglich, wann und in welcher Ausgestaltung das kommende Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft treten wird. Aufgrund der genannten Unsicherheiten ist eine Umsetzung der von Ihnen geforderten Maßnahmen entgegen ursprünglich berechtigter Erwartungen derzeit aus meiner Sicht nicht sinnvoll.
2. Vorgehen/Maßnahmen bei der Landeshauptstadt
Allerdings wurden entsprechend Ihrer Intention durch das Personal- und Organisationsreferat, dort durch die bei der Referatsleitung angesiedelte Stabsstelle Compliance und Risikomanagement bereits vorbereitende Schritte unternommen, um nach Inkrafttreten des bzw. eines HinSchG eine Implementierung bei der Landeshauptstadt zeitnah einleiten zu können:
Derzeit findet bei den städtischen Referaten und Eigenbetrieben eine Abfrage dahingehend statt, welche internen und ggf. externen Meldestellen schon jetzt existieren. Auf Basis der Rückmeldungen wird die Stabsstelle Compliance und Risikomanagement einen Vorschlag erarbeiten, wie das HinSchG bei der Landeshauptstadt München umgesetzt wird und insbesondere wo eine interne Meldestelle sinnvoll verortet wäre. Zur gegebenen Zeit werde ich diesen Vorschlag dem Stadtrat zur Entscheidung vorlegen.
Weitere konkrete Umsetzungsmaßnahmen sind aufgrund der bislang unklaren Gesetzeslage aus meiner Sicht aktuell nicht zielführend und auch nicht notwendig. Die Landeshauptstadt ist bereits gut aufgestellt. Es gibt zahlreiche Meldestellen und -wege, die auch tatsächlich von Mitarbeiter*innen und Dritten genutzt werden, so möchte ich hier nur die Antikorruptionsstelle (AKS) und die Zentralen Anlauf-, Beschwerde- und Beratungsstellen (ZAGG) beispielhaft nennen. Zudem hat der Stadtratmit Beschluss vom 21. Juli 2021 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03787) die Beschaffung eines elektronischen Hinweissystems für die Antikorruptionsstelle beschlossen, welches jederzeit auf weitere, künftig unter das HinSchG fallende Anwendungsbereiche erweiterbar sein wird. Das Hinweisgebersystem befindet sich aktuell in der Ausschreibung und wird voraussichtlich bis Ende 2023 implementiert sein.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.