Gilt für „Außer-Haus-Speisen“ verpackt in Mehrweggeschirr ein höherer USt-Satz als bei der Nutzung von Einweggeschirr?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 2.5.2024
Antwort Stadtkämmerer Christoph Frey:
In Ihrer Anfrage vom 2.5.2024 führen Sie Folgendes aus:
„Seit Anfang des Jahres gilt in der Gastronomie grundsätzlich wieder der Regel-Umsatzsteuersatz von 19%. (Bis zum 31.12.2023 war der Mehrwertsteuersatz für Speisen zum Ausgleich von Verlusten in der Corona-Krise bzw. aufgrund der hohen Energiekosten auf den ermäßigten Steuersatz von 7% bzw. 5% gesenkt worden.) Es gibt jedoch unterschiedliche Bedingungen, unter denen der ermäßigte USt-Steuersatz in Höhe von 7% gilt. Bestellt der Gast beispielsweise Lebensmittel ‚ToGo‘, fallen i.d.R. nur 7% Umsatzsteuer an. Dies ist im Falle der Nutzung von Einweggeschirr aus Pappe oder Plastik eindeutig geregelt. Nutzt der Gastronomiebetrieb jedoch Mehrweggeschirr und bietet somit den Zusatzservices ‚Geschirr-Reinigung‘ an, wurden die Lebensmittel bisher mit 19% besteuert. Ein klassisches Beispiel ist der Stehimbiss, der die Currywurst auf einem Porzellanteller anstelle eines Wegwerf-Papptellers serviert. Steuerlich wird das umweltbewusste Verhalten nicht nur nicht belohnt, es gilt sogar der Regelumsatzsteuer-Satz von 19%, anstelle des ermäßigten Steuersatzes in Höhe von 7% wie beim Einweggeschirr.
Beim ‚Außer-Haus-Verzehr‘ ist das Thema ‚Mehrweggeschirr‘ für die meisten Gastronomie-Betriebe neu. Umsatzsteuerliche Konsequenzen bei der Umstellung auf Mehrweg-Verpackung sollten daher rechtzeitig aufgezeigt werden, damit die Betriebe korrekt kalkulieren können. Die Meinungen dazu, wie die Speisen besteuert werden, gehen offenbar auseinander, da es juristisch für beide Steuersätze Argumente gibt. Die Dehoga schreibt, dass auch bei Mehrweggeschirr der ermäßigte USt- Satz von 7% gilt – genau wie bei der Abgabe von Lebensmitteln in Einweggeschirr:
https://gastgewerbe-magazin.de/mehrwertsteuersatz-bei-essenslieferun-gen-in-mehrweg-geschirr-49438.
Jedoch hat der Bundesfinanzhof in den letzten Jahren wiederholt auch anders entschieden:
‚Schon die Bereitstellung und Rücknahme von Mehrweggeschirr und -besteck sowiedessen Reinigung kann ausreichen, um den Regelsteuersatz zur Anwendung zu bringen.‘
(BFH-Beschluss vom 12. Juli 2023, XI B 1/23, Leitsatz 2. NV und Randziffer 12, unter: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen/online/detail/STRE202350132, BFH-Beschluss vom 15. September 2021, XI R 12/21 (XI R 25/19), Leitsatz 1 und Randziffer 54, unter: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202210006.
Eine Anfrage eines Münchner Gastronoms konnte vom zuständigen Finanzamt bisher nicht geklärt werden.
Eine Erhöhung der Umsatzsteuer um 12 Prozentpunkte für Gastronomiebetriebe, die auf Mehrweg umstellen, würde eine hohe zusätzliche finanzielle Belastung mit sich bringen. Evtl. Nachzahlungsbeträge könnten sich bis zum endgültigen Umsatzsteuer-Bescheid erheblich aufsummieren. Klare Regeln und Transparenz sind daher für die Gastronomie sowie für die Akzeptanz von Mehrweggeschirr entscheidend. Da München das Mehr- weggeschirr bewirbt und fördert, sollten wir eindeutige Auskunft über die finanziellen Auswirkungen der Umstellung auf Mehrweggeschirr geben. Darum fragen wir den Oberbürgermeister:
1. Liegen der LH München eindeutige, rechtsverbindliche Informationen vor, welcher Umsatzsteuersatz bei der Abgabe von Speisen verpackt in Mehrweggeschirr greift?
2. Wenn nein, kann die Information kurzfristig eingeholt werden?
3. Welche Information zum USt-Satz geben die Auskunftsstellen der LH München bei Anfragen der Gastronomie-Betriebe?
4. Sollte der Regelsteuersatz von 19% für Mehrweggeschirr greifen: a. Nutzt die LH München Möglichkeiten z.B. beim Deutschen Städtetag, eine Änderung der Gesetzgebung zugunsten der umweltfreundlichen Alternative Mehrweggeschirr zu bewirken?
b. Wird die Information proaktiv an die Gastronomiebetriebe weitergegeben, um ein böses Erwachen zu einem späteren Zeitpunkt zu verhindern?“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Liegen der LH München eindeutige, rechtsverbindliche Informationen vor, welcher Umsatzsteuersatz bei der Abgabe von Speisen verpackt in Mehrweggeschirr greift?
Antwort:
Der Landeshauptstadt München liegen rechtsverbindliche Informationen dazu vor, welcher Umsatzsteuersatz bei der Abgabe von Speisen verpackt in Mehrweggeschirr zur Anwendung kommt.Nach den vom Bundesfinanzamt veröffentlichten einschlägigen Verwaltungsregelungen zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes (UStAE)
unterliegen Essenslieferungen dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7%, und zwar unabhängig davon, ob bei der Lieferung Einweg- oder Mehrweg-Geschirr oder -Besteck verwendet wird.
Denn die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/ oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, gilt gemäß Art. 6 Abs. 2 MwStVO nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung, welche dem regulären Steuersatz (von 19%) unterliegt.
Während es sich bei dem Verpacken und der Beigabe von Einweggeschirr oder -besteck um übliche Nebenleistungen i.S. des UStAE Abschnitt 3.6 Abs. 2 S. 1 handelt, die notwendig mit der Vermarktung von Speisen zusammen hängen, somit also um keine Dienstleistungen, welche das Lieferelement qualitativ überwiegen und zu berücksichtigen sind, liegen mit der Nutzungsüberlassung von Mehrweggeschirr oder -besteck zwar nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbundene und damit für die Annahme einer Lieferung an sich schädliche Dienstleistungselemente vor (vgl. UStAE Abschnitt 3.6 Abs. 3 S. 1). Diese Dienstleistungselemente überwiegen nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Umsatzes jedoch das Lieferelement qualitativ nicht, da die überlassenen Gegenstände vornehmlich eine Verpackungsfunktion erfüllen (vgl. UStAE Abschnitt 3.6 Abs. 3, S. 3). Da nach UStAE Abschnitt 3.6 Abs. 3, S. 3 und S. 4 weder die Überlassung dieser Gegenstände noch die sich anschließende Reinigung der überlassenen Gegenstände berücksichtigungsfähige Dienstleistungselemente darstellen, handelt es sich auch bei der Abgabe von zubereiteten oder nichtzubereiteten Speisen im Mehrweggeschirr oder mit -besteck im dargestellten Kontext um eine ermäßigt besteuerte Lieferung.
Die Überlassung von Mehrweggeschirr oder -besteck und die sich anschließende Rücknahme sowie Reinigung der überlassenen Gegenstände können nur dann berücksichtige Dienstleistungselemente darstellen und zu einer Verpflegungsdienstleistung, d.h. zu einer dem Regelsteuersatz unterliegenden sonstigen Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 UStG führen, wenn zu den genannten Dienstleistungselementen ein weiteres Dienstleistungselement tritt, welches das Lieferelement qualitativ überwiegt. Ein solches Dienstelement stellt z.B. das Bereitstellen einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur (wie z.B. Räumlichkeiten, Tische und Stühle oder Bänke, Bierzeltgarnituren) dar, die es den Kunden ermöglicht, zubereitete Speisen sofort vor Ort zu verzehren (vgl. UStAE 3.6 Abschnitt 4, S. 1 und S. 2).Dementsprechend stellte der BFH mit Beschluss vom 12.7.2023, XI B 1/23, BFH/NV 2023, 1201, BeckRS 2023, 19859 auch für den Inhaber eines Grillstands in einem Biergarten explizit klar, dass er eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung erbringt, wenn er Speisen an Biergartenbesucher gegen Entgelt abgibt und aufgrund des Pachtvertrags mit dem Betreiber des Biergartens berechtigt ist, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen.
Gleiches hat der BFH mit Beschluss vom 15.9.2021, XI R 12/21, BStBl. II 2022, 417 für eine Bäckerei festgestellt. Diese verkaufte in Filialen, die sich teilweise in „Vorkassenzonen“ eines Supermarktes befinden, Speisen zum Verzehr vor Ort auf Mehrweggeschirr und mit Mehrwegbesteck, welches die Bäckerei nach dem Verzehr der Speisen wieder zurücknahm und reinigte.
Sonstige dem Steuersatz von 19% unterliegende Leistungen liegen folglich nur dann vor, wenn die Leistungen durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet sind, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen, wie z.B. das zur Verfügungstellen einer organisatorischen Gesamtheit (darunter Räumlichkeiten, Mobiliar und Geschirr) als auch die Beratung des Gastes zu angebotenen Speisen und/oder Getränken sowie der Service bei Weitem überwiegen, vgl. UStAE Abschnitt 3.6 Abs. 1 S. 4; etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel „zum Mitnehmen“ bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen (vgl. EuGH Faaborg Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl. II 1998, 282; EU:C:2021:314, DStRE 2021, 814 Rn. 51).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Abgabe von Speisen zum „Außer-Haus-Verzehr“ verpackt in Mehrweggeschirr der ermäßigten Besteuerung (7% USt) unterliegt.
Frage 2:
Wenn nein, kann die Information kurzfristig eingeholt werden?
Antwort:
Eine Information ist nicht (kurzfristig) einzuholen, da sie nicht erforderlich ist (siehe hierzu die Ausführungen unter 1).
Frage 3:
Welche Information zum USt-Satz geben die Auskunftsstellen der LH München bei Anfragen der Gastronomie-Betriebe?
Antwort:
Die Auskunftsstellen der Landeshauptstadt München sind nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Zur unbeschränkten geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind lediglich die in § 3 S. 1 StBerG genannten Berufsträge*rinnen. Von daher können die Auskunftsstellen der Landeshauptstadt München Gastronomie-Betrieben lediglich empfehlen, sich bei steuerlichen Fragestellungen an eine*n Steuerberater*in, Rechtsanwält*in und/oder Berufsausübungsgesellschaften i.S. der §§ 49, 50 StBerG und i.S. der Bundesrechtsanwaltsordnung sowie an Gesellschaften nach § 44b Abs. 1 der Wirtschaftsprüferordnung, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften zu wenden.
Frage 4:
Sollte der Regelsteuersatz von 19% für Mehrweggeschirr greifen:
a. Nutzt die LH München Möglichkeiten z.B. beim Deutschen Städtetag, eine Änderung der Gesetzgebung zugunsten der umweltfreundlichen Alternative Mehrweggeschirr zu bewirken?
b. Wird die Information proaktiv an die Gastronomiebetriebe weitergegeben, um ein böses Erwachen zu einem späteren Zeitpunkt zu verhindern?
Antwort:
Da bei der Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen im Mehrweggeschirr und mit Mehrwegbesteck der Regelsteuersatz von 19% nicht zur Anwendung kommen kann, ist eine Beantwortung der alternativen Fragestellungen zu a) und b) nicht erforderlich.