Selbsthilfe in München entfaltet eine rasche und spürbare Wirkung. Dass hat eine Studie gezeigt, die das Selbsthilfezentrum (SHZ) in Zusammenarbeit mit SIM – Sozialplanung und Quartiersentwicklung und dem Arbeitsbereich Empirische Sozialforschung der Universität Konstanz durchgeführt hat. An der Online-Befragung unter dem Titel „Die Selbsthilfelandschaft im Großraum München: Struktur, Zusammensetzung, Themen, Aktivitäten und Wirkungen“ haben rund 800 Menschen teilgenommen, die in Selbsthilfegruppen oder selbstorganisierten Initiativen aktiv sind. Sie war damit die bislang größte Befragung der Selbsthilfe in München. Selbsthilfegruppen oder selbstorganisierte Initiativen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen mit einem gemeinsamen Thema, einem sozialen Problem oder einer Erkrankung, die sich gegenseitig unterstützen und andere Menschen zum Thema beraten.
Bürgermeisterin Verena Dietl: „Das Sozialreferat fördert die soziale Selbsthilfe in München mit jährlich zirka einer Million Euro. Die Ergebnisse der Studie zeigen, wie wichtig diese Selbsthilfeangebote für die betroffenen Menschen ist. Die Forschungsergebnisse liefern uns nun wichtige Informationen, um diesen Bereich fortzuschreiben und weiterzuentwickeln.“ Selbsthilfe findet mittlerweile in einer Vielzahl unterschiedlicher Kontexte und Organisationsformen statt. Es gibt eine umfangreiche Selbsthilfelandschaft im Großraum München (SHZ-Datenbank: 1.623 Listungen), aber nur bedingtes Wissen über konkrete Binnenstrukturen, Arbeitsweisen, Aktivitätsprofile etc. der Gruppen und Initiativen. Das sollte mit Hilfe der Studie geändert werden.
Die Online-Befragung liefert folgende Schlaglichter:
Selbsthilfegruppen sind „jung“
Die meisten der Gruppen, die sich an der Online-Befragung beteiligt haben, wurden erst nach 2010 gegründet. 56 Prozent der Befragten, die eine entsprechende Angabe machten, gaben dies an. Immerhin jede vierte Ansprechperson sagte, dass ihre Initiative bereits vor der Jahrhundertwende gegründet worden sei. Damit ergibt sich ein durchschnittliches Alter der Selbsthilfegruppen von 15 Jahren. Selbsthilfegruppen sind damit deutlich jünger als die in München angesiedelten Vereine, die, folgt man einer Erhebung von 2018, zu knapp zwei Dritteln (63 Prozent) knapp 20 Jahre und älter sind.
Mitglieder aus allen Altersgruppen, aber überwiegend weiblich
Über alle Gruppen und Initiativen hinweg beläuft sich der Frauenanteil der Selbsthilfegruppen im Durchschnitt auf 62 Prozent. Der durchschnittliche Anteil der unter 35-jährigen Mitglieder lag bei 16 Prozent, und jener der drei oberen Altersgruppen jeweils bei rund einem Viertel (35- bis 50-Jährigen: 29 %; 50- bis 65-Jährige: 29 %; 65 Jahre und älter: 26 %).
Informationsgewinn und emotionale Stärkung
Die befragten Mitglieder von Selbsthilfegruppen und -initiativen nannten als wesentlichen Mehrwert ihrer Teilnahme den Informationsgewinn zum Umgang mit der Erkrankung oder dem besprochenen Problem (84 Prozent). Darüber hinaus gaben die Befragten an, dass die emotionale Stärkung durch die Gruppe (83 Prozent) zu den größten Vorteilen gehört. Sie fühlen sich durch die Teilnahme weniger belastet als vorher (73 Prozent) und sozial weniger isoliert (67 Prozent). Der Besuch einer Selbsthilfegruppe trägt somit dazu bei, dass sich Betroffene wieder als handlungsfähig wahrnehmen, neue Fähigkeiten erwerben oder sich weniger einsam fühlen.
Wirkung der Selbsthilfe ist signifikant und tritt relativ schnell ein
Die Befragten bestätigten, dass die Teilnahme an den Gruppentreffen zu einer signifikanten Reduktion der Krankheits- bzw. sozialen Belastungen führe (73 Prozent). Dies hängt laut den Verfasser*innen der Studie auch damit zusammen, dass in Selbsthilfegruppen oder selbstorganisierten Initiativen Themen besprochen werden, die mit Familie und Freund*innen nicht besprochen werden können (75 Prozent). Die vier von den Befragten am häufigsten genannten Wirkeffekte treten dabei schon relativ schnell ein – etwa emotionaler Halt und Zuversicht und ein geringeres Belastungsgefühl. So berichten Mitglieder, die erst vor kurzem der Gruppe beigetreten sind (Mitgliedschaft im Jahr 2023), über sogar überdurchschnittlich hohe Wirkeffekte. Die übrigen abgefragten Effekte entfalten ihr Potential in der Regel hingegen erst im Laufe der Zeit, obwohl auch hier bereits im ersten oder zweiten Jahr des Selbsthilfeengagements deutliche positive Effekte berichtet werden.
Vielfältigkeit der Aktivitäten und Aufgaben von Selbsthilfegruppen
89 Prozent der Selbsthilfegruppen tauschen sich regelmäßig über Informationen und Erfahrungen aus. Innerhalb der Gruppen werden aber nicht nur Sachthemen besprochen, sondern auch Gespräche über die eigenen Gefühle (61 Prozent) sowie Unterhaltungen über Alltagsthemen (49 Prozent) geführt.
Aktivitäten der Selbsthilfegruppen wirken nach innen und nach außen
Die Befragung zeigt zudem, dass Selbsthilfegruppen vielfältige Aktivitäten nach innen und außen verfolgen. Als zentrale Aktivität wurde von den Befragten der Austausch von Informationen und Erfahrungen, Gespräche über eigene Gefühle sowie Unterhaltungen über Alltagsthemen angegeben, und zwar unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung der Gruppe. Ebenfalls weit verbreitet sind Aktivitäten, die über die eigene Gruppenarbeit hinausgehen, wie zum Beispiel Aufklärung der Gesellschaft über gruppenbezogene Themen, Austausch mit hauptamtlichen Kooperationspartner*innen aus dem jeweiligen Themenfeld sowie Beratung und Information für Betroffene außerhalb der eigenen Initiative. Der ausführliche Studienbericht steht für alle Interessierten auf der Webseite des SHZ unter https://www.shz-muenchen.de/dokumentationen.html zur Verfügung.