Ein Jahr nach der Notfallstudie – Wie sieht die aktuelle Situation der Notfallversorgung in München aus?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (Die Linke / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 3.4.2024
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Vor einem Jahr wurden die Ergebnisse der zweiten Münchner Notfallstudie im Stadtrat vorgestellt. Darin war von einem ‚enorm hohen Behandlungsaufkommen in den Notaufnahmen‘, einem ‚eklatanten Personalmangel‘ und ‚zunehmender Belastung‘ für das Personal die Rede. Die Patient*innen haben einen Anspruch auf eine schnelle und qualitativ hochwertige Akut- und Notfallversorgung. Das Pflegepersonal und die Ärzt*innen in der Notfallversorgung brauchen dringend eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation. Gegen die permanente strukturelle Überlastung der Notfallversorgung muss die Politik auf allen Ebenen gegensteuern und nachhaltige Lösungen entwickeln. Ein Jahr nach der Präsentation der Notfallstudie möchten wir wissen, wie sich die Situation im Jahr 2023 entwickelt hat.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet.
Zunächst bedanke ich mich für die gewährte Fristverlängerung. Die in Ihrer Anfrage aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Wie oft haben sich Kliniken im Jahr 2023 zeitweise (drei Stunden oder länger) aus der Notfallversorgung abgemeldet?
Antwort:
Der RZV antwortete am 18.6.2024 wie folgt:
„Diese Frage kann der Rettungszweckverband nicht beantworten, da wir keine Möglichkeit dieser Datenauswertung haben. Jede Klinik muss sich in dem elektronischen Behandlungskapazitätennachweis selbst verwalten und auswerten.“
Frage 2:
Wie oft wurden im Jahr 2023 „Zwangszuweisungen“ durchgeführt? Bitte aufschlüsseln nach München Klinik (jeweiliger Standort), Universitätsklini- ken, Freigemeinnützige Kliniken und Private Kliniken.
Antwort:
Bei sogenannten „Zwangszuweisungen“ handelt es sich um „Akutzuweisungen“, die immer dann eintreten, wenn eine Klinik zum Zeitpunkt der Anmeldung durch die Integrierte Leitstelle München im System IVENA abgemeldet war, aber dennoch Patient*innen zugewiesen bekommen hat.
Der RZV antwortete am 18.6.2024 wie folgt:
„Akutzuweisungen im Jahr 2023:
- Universitätskliniken: 6.353
- München Klinik gGmbH: 8.495
- Freigemeinnützige/Private Kliniken: 5.156
Eine exakte Aufschlüsselung nach den jeweiligen Kliniken ist uns leider nicht möglich. Dies kann nur jede Klinik in eigener Zuständigkeit durchführen.“
Frage 3:
Welche der Sperrungen von Notaufnahmekapazitäten im Jahr 2023 waren durch Personalengpässe (mit)verursacht? Bitte aufschlüsseln nach Krankenhaus, Notaufnahmebereich und Art des Personalmangels (ärztlich, pflegerisch oder anderweitig).
Antwort:
Eine strukturierte Auswertung der Ursachen von Abmeldungen aus dem IVENA-System ist nicht möglich, da es keine klinikübergreifende Vereinheitlichung der Abmeldegründe in IVENA gibt. Daher kann für 2023 keine Aussage darüber getroffen werden, wie hoch der durch Personalengpässe (mit)verursachte Anteil der Abmeldungen in IVENA war.
Der RZV antwortete am 18.6.2024 wie folgt:
„Diese Frage kann nur von den Kliniken in eigener Zuständigkeit beantwortet werden. Der Rettungszweckverband kann diese Parameter nicht auswerten.“
Frage 4:
Wie viele Patient*innen wurden im Jahr 2023 in den Notaufnahmen der Münchner Krankenhäuser bzw. Gesundheitseinrichtungen behandelt? Bitte aufschlüsseln nach München Klinik (jeweiliger Standort), Universitätsklinken, Freigemeinnützige Kliniken und Private Kliniken.
Antwort:
Das Gesundheitsreferat hat im Juni 2024 alle Kliniken in München mit einer Notaufnahme angefragt. Für den Bereich der Kliniken mit Notaufnahmen für Erwachsene haben 9 von 18 geantwortet, für den Bereich der Kliniken mit Notaufnahmen für Kinder und Jugendliche haben drei von vier Kliniken geantwortet.
Im Jahr 2023 wurden den Angaben zufolge in den neun Kliniken, die sich an der Umfrage beteiligt haben, im Erwachsenenbereich 245.588 Fälle in den Notaufnahmen behandelt. Die gemeldeten Fallzahlen in den drei teilnehmenden Münchner Kliniken mit Notaufnahmen für Kinder und Jugendliche beliefen sich im Jahr 2023 auf 47.776 Fälle.
Die Anzahl in Notaufnahmen behandelter Fälle lässt sich nicht mit der in der zweiten Münchner Notfallstudie (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07617 vom 19.1.2023) ermittelten Anzahl behandelter Fälle vergleichen, weil die teilnehmenden Kliniken nicht die gleichen waren. Eine Aussage zur Entwicklung der Gesamtfallzahl seit der zweiten Münchner Notfallstudie ist daher nicht möglich.
Eine Aufschlüsselung der Daten nach dem jeweiligen Standort der München Klinik gGmbH (MüK), nach Universitätsklinken, freigemeinnützigen Kliniken und privaten Kliniken ist nicht möglich, da den Kliniken zugesagt wurde, keine klinikspezifischen Auswertungen durchzuführen.
Frage 5:
Wie viele dieser Patient*innen in Frage 4 wurden dabei als Notfall eingestuft?
Antwort:
Für die Einteilung nach Behandlungsdringlichkeiten in den Notaufnahmen der Kliniken in München werden die Patient*innen meist durch ein Triage-System eingestuft. Das Manchester Triage System (MTS) und der Emergency Severity Index (ESI) sind zwei in Deutschland in den Notaufnahmen weit verbreitete fünfstufige Triage-Systeme (mit Stufen „rot“, d.h. Stufe „1“ mit höchster Dringlichkeit, „orange“, „gelb“, „grün und „blau“, d.h. Stufe „5“ mit der niedrigsten Dringlichkeit).
Die Einstufung in eine Triage-Kategorie ist neben objektiven Kriterien auch von subjektiven Kriterien abhängig, die z.B. auf der Erfahrung der einstufenden Fachkraft beruhen. Die Systeme unterscheiden sich u.a. darin, dass MTS sich an Leitsymptomen und ESI an der Höhe des Risikos, dem Ressourcenverbrauch sowie Vitalparametern orientiert. Auf Grundlage der Daten lässt sich erkennen, dass es in den Erwachsenennotaufnahmenanteilig mehr Fälle in den Kategorien „rot“ und „orange“ gibt als in den Kindernotaufnahmen.
Eine Aussage darüber, wie viele Patient*innen im Jahr 2023 in den Notaufnahmen der Münchner Krankenhäuser als Notfall eingestuft worden sind, kann aus den vorliegenden Daten nicht belastbar abgeleitet werden.
Frage 6:
Wie viele dieser Patient*innen in Frage 4 wurden dabei stationär aufgenommen bzw. wurden ambulant behandelt?
Antwort:
Von den gemeldeten 245.588 Fällen im Jahr 2023, die im Erwachsenenbereich der teilnehmenden neun Münchner Krankenhäuser behandelt wurden, wurde rund ein Drittel stationär und zwei Drittel ambulant behandelt. Bei den gemeldeten 47.776 Fällen in den drei teilnehmenden Münchner Kliniken mit Notaufnahmen für Kinder und Jugendliche war bei einem Anteil von rund 13% eine stationäre Behandlung notwendig und rund 86% wurden ambulant versorgt. Sowohl für den Erwachsenenbereich als auch für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in den teilnehmenden Kliniken in München mit Notaufnahmen wird beobachtet, dass es im Jahr 2023 anteilig mehr ambulant gegenüber stationär behandelten Fällen in Bezug auf die zweite Münchner Notfallstudie gab.
Frage 7:
Wie viele Patient*innen wurden im Jahr 2023 in den KVB-Bereitschaftspraxen in München behandelt? Bitte nach jeweiliger Bereitschaftspraxis in München aufschlüsseln.
Antwort:
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat diese Frage am 18.6.2024 wie folgt beantwortet: „Im Jahr 2023 wurden in allen Münchner Bereitschaftspraxen 159.209 Fälle erfasst. Im Gebiet München wurden 47.536 Hausbesuchsfälle erbracht.
Aufschlüsselung nach Bereitschaftspraxen:
Bereitschaftspraxen für Kinder und Jugendliche:
- KVB-Bereitschaftspraxis der Kinder- und Jugendärzte am Klinikum Schwabing: 7.536
- KVB-Bereitschaftspraxis der Kinder- und Jugendärzte am Klinikum Dritter Orden: 7.392
- Bereitschaftspraxis im Elisenhof für Kinder und Jugendmedizin: 42.303
- KVB-Bereitschaftspraxis der Kinder- und Jugendärzte am Klinikum Harlaching: 5.851
Bereitschaftspraxen für Erwachsene
- KVB-Bereitschaftspraxis im Elisenhof: 53.601
- KVB-Bereitschaftspraxis an der MüK am Standort Harlaching: 2.774
- KVB-Bereitschaftspraxis an der MüK am Standort Neuperlach: 9.247
- KVB-Bereitschaftspraxis an der MüK am Standort Bogenhausen: 3.238
- KVB-Bereitschaftspraxis München-Süd (Boschetsriederstraße 72): 3.948
- KVB-Bereitschaftspraxis Krankenhaus Barmherzige Brüder: 3.909
- Allgemeine Ärztliche KVB-Bereitschaftspraxis am Helios-Klinikum München West: 7.084“
Das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement des LMU-Klinikums (INM) wurde vor dem Hintergrund der geplanten Umstrukturierungen an der MüK (Zielbild „MüK 20++“ und Medizinkonzept) um eine Ergänzung der im Jahr 2023 vorgestellten Notfallstudie (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07617 vom 19.1.2023) mit einem Fokus auf die Herzinfarktversorgung (inkl. Verdachtsfälle) gebeten. Abschließend wird vom INM festgehalten, dass die Auswirkungen auf den Rettungsdienst und die Bindung der Rettungsmittel insgesamt gering sind. Die vom INM vorgelegte Sonderauswertung zeigt auf, dass die konzentrierte Versorgung von Chest-Pain-Patient*innen an den Standorten der MüK Bogenhausen und MüK Harlaching machbar ist. Das GSR schließt sich den Ausführungen des INM an. Die Behandlung des Zielbildes „MüK 20++“ und des Medizinkonzeptes der MüK ist für den Gesundheitsausschuss am 18.7.2024 vorgesehen.