Planieren statt Sanieren: Unnötige Abrisse an der Karlingerstraße in Moosach?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (Die Linke / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 15.5.2024
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 15.5.2024 haben Sie gemäß §68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
Aus Klima- und Umweltschutzgründen sei schon lange klar, dass die Sanierung von Wohnraum dem Abriss und Neubau vorgezogen werden müsse. Wie eine Studie des Wuppertal Instituts zeige, verursache ein Neubau im Vergleich zu einer energetischen Sanierung im Schnitt doppelt so viele CO2-Emissionen. Bei der Errichtung, der Entsorgung und der Herstellung von Gebäuden und derer Bauprodukte entstehen aktuell 10 Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands. Mit einer Sanierung werde stattdessen graue Energie gespart, Ressourcen geschont und Abfall vermieden.
Ein Beispiel für die Abriss-Mentalität der ehemaligen GWG sei die Karlingerstraße in Moosach. Dort sollen insgesamt 12 Häuserblocks abgerissen werden. Neben Unzufriedenheit über Entmietung und überhöhte Mieten bei den Ersatzwohnungen herrsche unter einigen Bewohner*innen auch Unverständnis darüber, welche Häuser abgerissen werden und welche nicht. Die Blocks seien alle aus gleicher Bauzeit und ein Großteil von ihnen in augenscheinlich ähnlichem Zustand.
In diesem Zusammenhang bitten Sie um Beantwortung folgender Fragen, zu denen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung die Münchner Wohnen um Stellungnahme gebeten hat:
Frage 1:
Wie lässt sich begründen, dass Bauabschnitt 4 und 5 abgerissen werden und die beiden Häuserblocks (Karlingerstraße 7-13 und Karlingerstraße 12- 20) nicht abgerissen werden? Welche baulichen Eigenschaften unterscheiden sie voneinander?
Antwort:
Die Entscheidung für Abriss oder Sanierung basiert auf einer umfassenden Bestands- und Quartiersanalyse sowie einer Projektstrategie zur Bestandserneuerung. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung zeitgemäßer Wohnungen mit aktuellen Qualitätsstandards und höherer energetischer Effizienz. Eine detaillierte Analyse der baulichen Eigenschaften der genannten Häuserblocks wird jedoch nicht bereitgestellt.
Frage 2:
Werden die beiden letztgenannten Häuserblöcke, die nicht abgerissen werden, umfangreich saniert? Bis wann stehen die Sanierungsarbeiten an?
Antwort:
Die Münchner Wohnen ist bzw. war im Quartier Moosach an der Karlinger-/ Bauberger-/Gubestraße Eigentümerin von 14 Gebäudezeilen, die teilweise bereits abgebrochen wurden. Für die Münchner Wohnen stand zunächst unter Ausnutzung der Baurechtsreserve die Errichtung von zeitgemäßem Wohnraum im Vordergrund. Die Gebäudezeilen, bei denen keine Baurechtsmehrung in Aussicht steht, sollen im Anschluss nach Fertigstellung der Neubauten saniert werden (siehe auch Antwort zu Frage 6).
Frage 3:
Wie viele Wohnungen sollen im Bauabschnitt 4 und 5 abgerissen werden und wie viele Wohnungen werden dort entstehen und wie viele davon sollen befristet vermietet werden?
Antwort:
In fünf Bauabschnitten werden insgesamt ca. 550 Wohneinheiten bis zum Jahr 2032 geplant. Die Umsetzung der Bauabschnitte erfolgt seit 2019. Im Bauabschnitt 4 sollen 134 WE und im 5. Bauabschnitt sollen 92 Wohnungen entstehen. Dadurch wird mehr als 30% zusätzliche Wohnfläche entstehen. Abgerissen werden insgesamt 175 Wohnungen. Befristete Mietverträge werden bei der Münchner Wohnen GmbH nur in Ausnahmefällen abgeschlossen.
Frage 4:
Wann sollen die Mieter*innen entmietet bzw. ihnen Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt werden bzw. laufen die befristeten Mieterverträge aus?
Antwort:
Im Rahmen der seit Jahrzehnten parallel stattfindenden, umfangreichen Abbruch- und Neubaumaßnahmen der Münchner Wohnen, bzw. deren Vorgängergesellschaften im gesamten Stadtgebiet werden allen Mieter*innen der abzureißenden Wohneinheiten, die einen unbefristeten Mietvertragbesitzen, rechtzeitig alternative Wohnungen durch die Münchner Wohnen angeboten.
Bereits weit im Vorfeld – nach Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat – i.d.R. mindestens 2-3 Jahre vor dem eigentlichen Beginn der Umsetzungen werden die betroffenen Mieter*innen von der Münchner Wohnen informiert, woraufhin im Anschluss mit jeder einzelnen Mietpartei Einzelgespräche zur Erhebung der individuellen Situation und Bedarfe geführt werden, um eine sozial verträgliche Umsetzung, oder gar eine Verbesserung der Lebenssituation zu gewährleisten. In diesen Gesprächen möchte die Münchner Wohnen zudem alle Fragen klären und den Mieter*innen ggf. bestehende Sorgen und Ängste nehmen.
Die Inanspruchnahme der Angebote durch die bisherigen Festmieter*innen liegt bei nahezu 100% – dies ist auch daran zu erkennen, dass bereits mehrere Bauabschnitte ganz oder weitgehend leergezogen sind.
Parallel werden ab dem Zeitpunkt des Aufsichtsratsbeschlusses bei eintretender Fluktuation die freiwerdenden Wohnungen unter Bezugnahme auf die geplante wirtschaftliche Verwertung/Abbruch und den Ersatzneubau nur noch befristet bis zum tatsächlichen Beginn der Entmietungsphase vermietet.
Dies geschieht, um einerseits unnötig längerfristige Leerstände in den Altbeständen zu vermeiden und andererseits um die Umsetzung der Festmieter*innen besser gewährleisten zu können, da die Anzahl der zur Verfügung stehenden und geeigneten Ersatzwohnungen stark begrenzt ist. Die potentiellen Nachmieter*innen dieser Wohnungen erhalten also nur einen Zeitvertrag, der bis max. 1 Jahr vor Beginn des Abbruches abgeschlossen wird – eine ersatzweise Unterbringung ist damit vertraglich nicht geschuldet und in diesen Fällen somit nicht vorgesehen.
Diese Mieter*innen werden im Vorfeld aber explizit darauf hingewiesen, dass nach Ablauf der Vertragslaufzeit keine Ersatzwohnung durch die Münchner Wohnen gestellt wird und sie sich vorab rechtzeitig und eigenverantwortlich um anderweitige Unterkünfte bemühen müssen. Jeder Vertragsabschluss erfolgt freiwillig und ohne Zwang – die Umstände sind den Mieter*innen im Vorfeld bekannt. Zusätzlich werden die Mieter*innen mindestens ein Jahr sowie drei Monate vorher schriftlich an den Ablauf des Zeitmietvertrages erinnert und es wird abermals darauf hingewiesen, dass durch die Münchner Wohnen kein Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt werden kann.
Frage 5:
Zu welchem Mietpreis werden die Wohnungen im Bauabschnitt 4 und 5 nach Abriss und Neubau vermietet? Bitte getrennt aufführen nach freifinanziertem Wohnungsbau und geförderten Wohnungsbau.
Antwort:
Im 4. Bauabschnitt plant die Münchner Wohnen derzeit ca. 130 Wohnungen in der Einkommensorientierten Förderung (EOF) zu errichten sowie im 5. Bauabschnitt ca. 90 Wohnungen in München Modell Miete (MMM). Die Mietpreisgestaltung richtet sich nach den Vorgaben aus der Förderung. Die durchschnittliche Wohnfläche ist mit 63m² in Einkommensorientierter Förderung (EOF) und München Modell Miete (MMM) angesetzt. Die Wohnungsgrößen sollen an der unteren Grenze gemäß den Vorgaben aus der EOF angestrebt werden.
Frage 6:
Wann sollen die Bauabschnitte 4 und 5 mit den dazugehörigen Neubauten jeweils fertiggestellt sein?
Antwort:
Die Fertigstellung des 4. Bauteils ist für 2028 geplant, die des 5. Bauteils für 2029.
Frage 7:
Gibt es Pläne in der anschließenden Siedlung der Münchner Wohnen entlang der Nanga-Parbat-Straße weitere Gebäude abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen? Wenn ja, wie schauen diese Pläne konkret aus?
Antwort:
Für den genannten Bereich wurde seitens der Stadt München eine Rahmenplanung auf Basis des im Jahr 2021 durchgeführten städtebaulichen Wettbewerbs beauftragt, mit deren Umsetzung durch die Münchner Wohnen nach heutigem Stand ab etwa 2030 im Anschluss an den Bereich Karlinger-/Gubestraße zu rechnen ist. Die Rahmenplanung legt einen weitgehenden Erhalt der grauen Energie als eine zentrale Zielsetzung für die Entwicklung der Wohnsiedlungen fest. Dementsprechend bleibt in der Rahmenplanung ein Großteil des Bestands im Entwurf erhalten und soll saniert, aufgestockt oder ggfs. auch durch Anbauten ergänzt werden.
Die Inhalte der Rahmenplanung werden dem Stadtrat nach Abschluss der laufenden Abstimmungen bekanntgegeben. Die Ergebnisse der Rahmenplanung werden im Zuge des weiteren Projektverlaufs konkretisiert, um inder Objektplanung auf tatsächliche Gegebenheiten, wie die vorhandene Bausubstanz, zu reagieren. Zum aktuellen Zeitpunkt kann daher noch keine abschließende Aussage darüber getroffen werden, ob und wenn ja wie viele Gebäude gegebenenfalls durch Neubauten ersetzen werden. Ziel der Rahmenplanung ist es jedoch, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Quartier langfristig qualitativ hochwertig weiterentwickelt, neuer Wohnraum geschaffen, Bestand erhalten und Maßnahmen zur Klimaneutralität umgesetzt werden können. Wenn die konkreten Planungen für das Gebiet rund um die Nanga-Parbat-Wiese beginnen, wird die Münchner Wohnen einen ausgewogenen Umgang mit dem Gebäudebestand priorisieren und für jedes Gebäude eine entsprechende Entwicklungsmaßnahme wählen.
Frage 8:
Wie hoch ist der Verlust an grauer Energie durch den bisherigen Abriss für die einzelnen Bauabschnitte entlang der Karlingerstraße und aller Bauabschnitte insgesamt?
Antwort:
Als graue Energie wird die Energie bezeichnet, die zur Herstellung der Bausubstanz mit all ihren vorgelagerten Prozessketten benötigt wird. Somit enthält jede Bausubstanz, jedes Bauteil grundsätzlich ein Potenzial für die Einsparung grauer Energie, wenn diese/dieses nicht erneut hergestellt werden muss. Ist eine Weiter- oder Umnutzung nicht möglich (z.B. aufgrund geänderter technischer oder nutzungsbedingter Anforderungen), ist dieses Potenzial jedoch nahe Null. Für die hier in Frage stehenden Areale sind im Gesamtbild folgende Aspekte maßgeblich zu berücksichtigen:
Die im Quartier für die Zukunft notwendigen zusätzlichen Nutzungen wie Kinderbetreuungseinrichtung, Hausverwaltung und Nachbarschaftstreffs sowie Mobilitätsstationen konnten in den bisherigen bzw. jetzigen Bestandsgebäuden nicht umgesetzt werden. Neben den bautechnischen Überlegungen sind die Aspekte der Wohnraumversorgung in den Entscheidungsprozess mit eingeflossen. Dazu gehören neben der Realisierung von sozialer Infrastruktur die Themen Barrierefreiheit und Wohnformen für alle Lebensphasen. Auch dem Klimaschutz wird mit dieser Entscheidung intensiv Rechnung getragen: Die CO2-Bilanzierung wird durch adäquaten Neubau aufgrund der Anforderungen der Nutzungen im Vergleich zur Bestandsertüchtigung günstiger. Mit ihrem Neubau will die Münchner Wohnen ihren Beitrag zu einer klimaneutralen Siedlung im Rahmen des Quartierskonzeptes Moosach leisten.In Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Stadtwerken wird das Quartier Moosach ab 2025 mit Fernwärme versorgt. Zudem sollen Photovoltaik-Anlagen in Zusammenarbeit mit den SWM für die Neubauten realisiert werden.
Die grundsätzlichen, auch infrastrukturellen Mängel der bestehenden Siedlung hätte eine bloße Sanierung nicht lösen können. Möglich wären zwar Verbesserungen von Gebäudehüllen und unter hohem Aufwand der Einbau von Bädern, einer Zentralheizung sowie das Nachrüsten von Balkonen. Zudem müssten aber erstens die elektrischen Installationen erneuert und ertüchtigt werden. Zu Heizungseinbau, Warmwasserversorgung wie zeitgemäßer Elektroversorgung sind zudem neue, ausreichend dimensionierte Steigschächte notwendig. Diese können in den ohnehin beschränkten Wohnflächen nur unter erhöhtem Aufwand und neuerlicher Raum- und Nutzungseinschränkung angeordnet werden. Eine Veränderung der Wohnungen zu familiengerechten Wohnungen, das Umsetzen von Barrierefreiheit sowie eine Ergänzung einer Kindertagesstätte und Hausverwaltung sind innerhalb des Bestandes nur mit erheblichem, unverhältnismäßigem Aufwand umsetzbar.
Es wird darauf hingewiesen, dass sich aufgrund des Baurechts durch den Vorbescheid mit Abbruch und Neubau ein erhebliches zusätzliches Bauvolumen realisiert werden kann, was insbesondere bei der starken Flächenknappheit und höchstem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zu einer deutlich verbesserten und effizienteren Nutzung des Grundstücks führt und ein erweitertes Angebot an preisgedämpften Wohnungen für die Zielgruppen der Münchner Wohnen ermöglicht. Um diese Ziele, auf die die Münchner Wohnen von Ihrem Gesellschafter verpflichtet wird, auf anderem Wege zu erreichen, müssten zur Realisierung des bestehenden Baurechts zusätzliche (und grundsätzlich kaum verfügbare) Grundstücke bereitgestellt werden, was wiederum zu umwelt- und naturschutzrechtlichen Konflikten führt. Ein Neubau auf „grüner Wiese“ hätte eine erhebliche Neuversiegelung zur Folge und widerspricht somit den Grundsätzen, erschlossene Baugebiete und innerstädtische Quartiere effizient dem preisgedämpften Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.
Frage 9:
In unserer Anfrage zu aktuellen Abrissvorhaben wurde für den Bauabschnitt 1, 2 und 3 in Moosach die Anzahl der durch Abriss betroffenen Wohnungen auf 136 und die danach dort neu entstehenden Wohnungen auf 315 beziffert. In den Berichten zu den städtischen Wohnungsleerständen werden dazu 262 abzureißende Wohnungen und nur 258 neu entstehende Wohnungen genannt? Welche Zahlen stimmen?
Antwort:
Die genannten 136 durch Abriss betroffenen Wohnungen sind ohne Zählung des 3. Bauteils.
Gemäß aktueller Planung sowie Sanierungsplänen werden insgesamt 262 Wohnungen abgerissen und stattdessen 315 qualitativ verbesserte, zeitgemäße Neubauwohnungen und somit ein Plus von 53 Wohnungen (ca. 20%) entstehen:
- Moosach 1 Btl94 Neubauwohnungen66 Abrisswohnungen
- Moosach 2 Btl71 Neubauwohnungen70 Abrisswohnungen
- Moosach 3 Btl150 Neubauwohnungen126 Abrisswohnungen
Gesamt
315 Neubauwohnungen
262 Abrisswohnungen
Frage 10:
Seit Beginn der Bauarbeiten im Bauabschnitt 1 stehen die Tiefgaragen rund um die Baustelle in der Baubergerstraße und der Gubestraße unter Wasser. Wurde durch die Bauarbeiten in das Grundwasser eingegriffen? Wie lässt sich die Flutung der Tiefgaragen erklären?
Antwort:
Der Münchner Wohnen ist aktuell kein Wasserschaden in Nachbartiefgaragen bekannt, die ursächlich mit der Baumaßnahme der Münchner Wohnen in Moosach zusammenhängen könnten. Zum Bestandserneuerungsprojekt Moosach werden der Münchner Wohnen leider relativ oft Informationen mitgeteilt, die dann so nicht nachvollziehbar sind.
Die Münchner Wohnen bittet daher um nähere Informationen.
Frage 11:
Wie wird der Wasserschaden der anliegenden Tiefgaragen behoben?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 10.