1 Jahr Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“ 3: Runder Tisch: „Bürgerbegehren/-entscheide wirksam implementieren“
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 27.2.2024
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Vielen Dank für Ihren Antrag vom 27.2.2024.
Sie beantragen, dass bei der Landeshauptstadt München ein Runder Tisch „Bürgerbegehren/-entscheide“ implementiert wird, um anhand des Beispiels des Bürgerbegehrens (BB) „Grünflächen erhalten“ zu analysieren, wie die Umsetzung des Stadtratsbeschlusses zur Übernahme der Forderung des Bürgerbegehrens bisher in der Verwaltung erfolgt ist (genutzte Verfahren, betroffene Referate und deren Zusammenarbeit, …).
Darauf aufbauend sollen Implementierungsbausteine, neue Rollen sowie Strukturen für kommende Bürgerbegehren/-entscheide eingeführt werden.
Der Runde Tisch soll paritätisch mit Personen aus der Politik, Verwaltung, engagierten Bürger*innen und NGOs besetzt werden.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Der Münchner Stadtrat hat mit Beschluss vom 1.3.2023 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09071) die Forderung des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ gemäß Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO übernommen. Die Umsetzung dieses Beschlusses erfolgt als Geschäft der laufenden Verwaltung durch die betroffenen Fachreferate. Sie obliegt nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister und fällt somit nicht in die Zuständigkeit des e.a. Stadtrats.
Bürgerbegehren und -entscheide stellen wichtige Bausteine im Rahmen der Partizipation/Öffentlichkeitsbeteiligung dar.
Wie Sie wissen, hat sich der Münchner Stadtrat zu einer Intensivierung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Landeshauptstadt München bekannt und einem Konzept als Grundlage für den sukzessiven Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung zugestimmt (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 05892, Analoge und digitale Öffentlichkeitsbeteiligung in der LandeshauptstadtMünchen; Vorstellung des Externen-Konzepts für die systematische Weiterentwicklung vom 27.4.2022).
Mit Beschluss vom 29.11.2023 wurde u.a. die Einrichtung eines Beirats Öffentlichkeitsbeteiligung beschlossen (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 10332).
Der Beirat Öffentlichkeitsbeteiligung wird sich wie folgt zusammensetzen: Sechs Vertreter*innen aus den Stadtratsfraktionen, fünf aus den Bezirksausschüssen, acht Vertreter*innen aus der organisierten Zivilgesellschaft, acht Vertreter*innen aus der nicht organisierten Zivilgesellschaft sowie drei Vertreter*innen aus der Stadtverwaltung. Durch ihn wird die Einbindung der organisierten und nicht organisierten Zivilgesellschaft und deren Vernetzung mit Akteur*innen aus Politik und Verwaltung gewährleistet. Die Besetzung des Beirats Öffentlichkeitsbeteiligung ist der des geforderten Runden Tisches sehr ähnlich.
Künftige Aufgabe des Beirats Öffentlichkeitsbeteiligung ist es, Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren kritisch zu begleiten und dabei zu unterstützen, die Qualität der Verfahren zu sichern und weiter auszubauen. Demnach ist es sinnvoll, die Themen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Beirat Öffentlichkeitsbeteiligung einzuspielen.
Die Geschäftsführung des Beirats Öffentlichkeitsbeteiligung liegt bei der Fachstelle für Öffentlichkeitsbeteiligung und Partizipation im Direktorium. Die Fachstelle befindet sich momentan im Aufbau. Sind die notwendigen Stellen besetzt, wird mit den Wahl- und Entsendeverfahren zum Beirat Öffentlichkeitsbeteiligung begonnen.
Bezogen auf das Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“ teilt das zuständige Referat für Stadtplanung und Bauordnung mit, dass sich seit der Beschlussfassung zur Übernahme der Forderung konkret Folgendes ergeben hat:
„Mit dem Übernahmebeschluss muss sowohl der Erhalt der im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Allgemeinen Grünflächen (AG) als auch der Öffentlichen Grünanlagen der Grünanlagensatzung als grundsätzliche Zielvorgabe Eingang in die laufenden Bauleitplanverfahren finden. Ferner muss die Landeshauptstadt München die Vorgaben des Bürgerbegehrens in ihrer Eigenschaft als Flächeneigentümerin beachten, d.h., wenn sie selbst als Bauherrin in Grünflächen auftreten will.
1. Auswirkungen des Bürgerbegehrens auf Bauleitplanverfahren
Bei Bauleitplanverfahren (Änderung des Flächennutzungsplans mit integrierter Landschaftsplanung sowie Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplanes mit Grünordnung) wird die grundsätzliche Zielvorgabe der durch den Stadtrat übernommenen Forderung des Bürgerbegehrens seit der Entscheidung des Stadtrats vom 1.2.2023 und 1.3.2023 in die Abwägung der öffentlichen und privaten Belange aufgenommen, vergleichbar den Vorgaben aus den Grundsatzbeschlüssen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung.
Das Bürgerbegehren wurde zwar im Sinne einer bürgerfreundlichen Auslegung nicht als unzulässig qualifiziert, die Rechtslage gibt aber zwingend vor, dass der Gemeinde bei einem Bürgerbegehren im Bereich der Planung ein Planungsspielraum von substanziellem Gewicht und genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange verbleiben muss (vgl. BayVGH, 11.8.2005, 4 CE 05.1580).
Dieser von Gesetzgeber und Rechtsprechung garantierte Handlungsspielraum der Landeshauptstadt München bietet theoretisch eine große Bandbreite, mit dem Bürgerbegehren umzugehen: von der völligen Einstellung laufender Verfahren, in denen Allgemeine Grünflächen tangiert werden, bis hin zur Überplanung von Allgemeinen Grünflächen für Bebauung. In jedem Fall sind bei jedem einzelnen Verfahren die öffentlichen (und privaten) Belange gegeneinander und untereinander unter besonderer Beachtung des Ziels ,Erhalt der Allgemeinen Grünflächen‘ abwägungsfehlerfrei abzuwägen. So können sich beispielsweise Belange des Gemeinwohls und der Daseinsvorsorge – etwa der Bedarf für einen Schulbau oder Kindergarten oder eine Energieversorgungsanlage – einerseits und der Belang der Versorgung mit Allgemeinen Grünflächen andererseits gegenüberstehen. Im Rahmen der Planung sind dezidierte Prüfungen aller Konsequenzen vorzunehmen und gegebenenfalls Planungsanpassungen durchzuführen. So hat der Stadtrat etwa für das Bebauungsplanverfahren ,Heltauer Straße‘ zwei Monate nach Übernahme der Forderungen des Bürgerbegehrens beschlossen, nochmals vor der Auslobung des städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideen- und Realisierungswettbewerbs zu prüfen, inwieweit möglichst viel öffentliches Grün entstehen kann (vgl. Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung vom 3.5.2023, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09587).
Ist die Überplanung einer Allgemeinen Grünfläche trotz umfassender Untersuchungen unumgänglich und wird damit einem anderen Belang der Vorrang gewährt, ist zu prüfen, ob (flächenmäßige) Kompensationen der Grünflächen innerhalb oder außerhalb des Planungsgebiets in Frage kommen. Während diese Prüfung der Belange und Planungsalternativen während des gesamten Planungsprozesses stattfinden muss, ist für die Frage,ob eine Abwägung rechtsfehlerfrei erfolgte, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung für die Bebauungsplan-Satzung maßgeblich.
Planungsverfahren sind komplexe Prozesse, in denen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung alle betroffenen städtischen Referate sowie externer Träger öffentlicher Belange intensiv beteiligt. Es war somit nicht erforderlich, einen neuen Prozess für die Implementierung des Bürgerbegehrens aufzusetzen. Vielmehr wird die Zielvorgabe des Grünflächenerhalts in den bestehenden Strukturen als weiterer Belang mitbehandelt. Darüber, dass kein strikter Planungsstopp für Allgemeine Grünflächen erfolgte, sondern seit Übernahme der Forderungen des Bürgerbegehrens die oben beschriebene Abwägung im Einzelfall durchgeführt wird, wurde in Teilen der Politik, der Öffentlichkeit und der Presse größeres Unverständnis bzw. größerer Unmut geäußert. So wurde etwa der Vorwurf erhoben, dass der Stadtrat und/oder die Verwaltung das Bürgerbegehren trotz Übernahme nicht umsetze bzw. gar verraten habe. Es zeigte sich, dass die Erwartungshaltung einiger Befürworter*innen und Initiator*innen des Bürgerbegehrens war, dass Allgemeine Grünflächen und Öffentliche Grünanlagen nunmehr kompromisslos ,tabu‘ sein müssten. Die Enttäuschung dieser Erwartung war aus Sicht des Referats für Stadtplanung und Bauordnung unumgänglich und vorhersehbar. Schon im ersten Beschluss der Vollversammlung zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens vom 1.2.2023 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 08833) führte das Referat für Stadtplanung und Bauordnung in seiner inhaltlichen Einschätzung die oben beschriebenen rechtlichen Grenzen des Bürgerbegehrens aus und legte dar, dass zwar das übergeordnete Ziel einer hochwertigen Freiraumkulisse geteilt werde, jedoch die konkrete Fragestellung des Bürgerbegehrens der Komplexität des Themas nicht gerecht werde, da sie den erforderlichen und gesetzlich gebotenen planerischen Spielraum vermissen lässt. Die durch den Stadtrat übernommene Frage des Bürgerbegehrens suggeriert eine Umsetzbarkeit, die aufgrund des gesetzlich im Baugesetzbuch zwingend vorgegebenen Abwägungsspielraums so nicht gegeben ist. Zudem wird durch die Fragestellung des Bürgerbegehrens die Realität einer Stadt mit großer Flächenkonkurrenz ignoriert, in der auch anderen Belangen wie etwa der Daseinsvorsorge Rechnung getragen werden muss.
2. Auswirkungen bei gesetzlich bestehendem Baurecht für Allgemeine Grünflächen im Eigentum der Landeshauptstadt München
Für die Nutzung von Allgemeinen Grünflächen und öffentlichen Grünanlagen durch die Landeshauptstadt München als Eigentümerin besteht durch die übernommene Forderung des Bürgerbegehrens die Zielvorgabe, dass dort keine anderweitige Nutzung als Grünfläche verwirklicht werden soll.Relevant wird dies etwa im Zusammenhang mit der Standortsuche für die Errichtung von Unterbringungen von Flüchtlingen und Wohnungslosen (UFW) sowie für temporäre Schulbauten. In eigens hierfür eingerichteten stadtweiten Gremien (Task Force ,Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen‘ sowie AG Schulbauoffensive) werden potenzielle Standorte geprüft und geplant. Alle beteiligten Referate und Dienststellen arbeiten in diesen Arbeitsgruppen zusammen, in letzter Instanz entscheidet der Stadtrat über die Standortvorschläge aus diesem Gremium. Bei der Standortsuche wird das Bürgerbegehren ,Grünflächen erhalten‘ insofern berücksichtigt, als man intensiv nach Flächen sucht, die nicht von den Vorgaben des Bürgerbegehrens berührt sind. Angesichts der bestehenden referatsübergreifenden Strukturen mussten keine neuen Arbeitsgemeinschaften und/oder Prozesse infolge der Übernahme des Bürgerbegehrens eingerichtet werden, vielmehr konnten die Anforderungen in eingespielte Abstimmungsprozesse eingespeist werden.
Soweit trotz intensiver Flächensuche keine anderen Standorte gefunden werden können und ein gesetzliches Baurecht im unbeplanten Innen- oder Außenbereich oder nach den Sonderregelungen des § 246 ff. BauGB besteht, sind diese Nutzungen der Stadt für die Daseinsvorsorge weiterhin zulässig. Die betreffenden Bauten werden nur befristet genehmigt. Die mit dem Flächennutzungsplan verfolgte Zielsetzung ,Allgemeine Grünfläche‘ wird durch eine temporäre Inanspruchnahme möglicherweise verschoben, aber nicht dauerhaft aufgegeben. Die für die Errichtung der Unterkunft erforderlichen (temporären) Versiegelungen werden so gering wie möglich geplant.
Die geschilderte Haltung bzw. Handhabung der Landeshauptstadt München, die bereits in der oben genannten Beschlussvorlage für die Vollversammlung vom 1.2.2023 dargelegt worden war (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 08833), wurde aus der Bürgerschaft teils kritisiert und der Rechtsaufsicht vorgelegt. Die zuständige Regierung von Oberbayern hat das Vorgehen der Stadt im aufsichtlichen Verfahren zur Errichtung einer Unterkunft in Allach, Stummer-/Servetstraße mit Blick auf das durchgeführte Verfahren der Standortsuche und den Ermessen- und Beurteilungsspielraum nicht beanstandet.“
In der Begründung Ihres Stadtratsantrags weisen Sie u.a. auf die einjährige Bindungsfrist von Bürgerentscheiden hin. Lassen Sie mich abschließend klarstellen, dass der Übernahmebeschluss auch nach Ablauf eines Jahres weiterhin gültig ist und nur durch einen anderslautenden Stadtratsbeschluss abgeändert werden kann.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.