Weibliche Genitalverstümmelung – wie ist die Lage in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Michael Dzeba, Alexandra Gaßmann, Ulrike Grimm und Hans Hammer (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 6.2.2024
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Jedes Jahr findet am 6. Februar der „Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung“ statt. Sie weisen in Ihrer Anfrage darauf hin, dass die sogenannte „Female Genital Mutilation“ (FGM, dt.: Genitalverstümmelung) in 29 Ländern Afrikas, auf der Arabischen Halbinsel und in manchen asiatischen Ländern praktiziert werde (Quelle: https://www.bpb.de/kurz- knapp/hintergrund-aktuell/263832/6-februar-internationaler-tag-gegen-weibliche-genitalverstuemmelung/). Aufgrund der in den letzten Jahren angestiegenen Zuwanderung aus Ländern, in denen weibliche Beschneidung praktiziert wird, steige auch die potenzielle Zahl der in München lebenden Mädchen und Frauen, die davon betroffen sind.
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Zunächst bedanke ich mich für die gewährte Fristverlängerung. Die in Ihrer Anfrage aufgeworfenen Fragen beantworte ich unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Pflege und Prävention, des Polizeipräsidiums München, des Berufsverbands der Frauenärzte, Bezirksverband München, des Statistischen Amts und des Stadtjugendamts, Sozialreferat der Landeshauptstadt München, der Münchner Geburtskliniken sowie der Fachberatungsstelle SOLWODI München wie folgt:
Frage 1:
Was weiß oder schätzt die Stadtverwaltung: Wie viele Frauen in München sind von FGM betroffen? Wie viele davon sind minderjährig? Wie hat sich die Anzahl in den letzten Jahren verändert?
Antwort:
Grundsätzlich liegen keine gesicherten Zahlen darüber vor, wie viele Frauen in München von FGM/C (Female genital mutilation/cutting; deutsch.: Weibliche Genitalbeschneidung/Genitalverstümmelung) betroffen oder von FGM/C bedroht sind. Es können aber anhand der Anzahl der in München gemeldeten Frauen mit Staatsangehörigkeit eines FGM/C-Prävalenzlandes Schätzungen vorgenommen werden. Laut der FGM/C-Dunkelzifferschätzung von Terre des Femmes (jährlich) werden derzeit31 Herkunftsländer¹ als FGM/C-Prävalenzland geführt (Quelle: Terre des Femmes - Menschenrechte für die Frau e.V. (2022). Weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland: Dunkelzifferschätzung 2022). Von weiteren Ländern (z.B. Indien und Thailand) ist bekannt, dass dort FGM/C praktiziert wird, jedoch liegen keine repräsentativen Studien zu Prävalenzen vor, sodass diese Länder nicht als FGM/C-Prävalenzland nach Terre des Femmes geführt werden.
Im Januar 2024 waren in München 12.445 weibliche Personen mit Staatsangehörigkeit eines der 31 Herkunftsländer gemeldet. Darunter waren 3.107 (25%) Mädchen und junge Frauen im Alter von 0 bis 19 Jahren. Die Prävalenz von FGM/C variiert in den 31 Herkunftsländern sehr stark (von 1% in Kamerun bis 99% in Malaysia und Somalia; Quelle: Terre des Femmes - Menschenrechte für die Frau e.V. (2022). Weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland: Dunkelzifferschätzung 2022). Unter Berücksichtigung der Prävalenz im Herkunftsland, das heißt unter der Annahme, dass in Deutschland ein gleich großer Anteil an Frauen und Mädchen von FG-M/C betroffenen und/oder bedroht ist wie im Herkunftsland, ergibt sich für Januar 2024 eine Schätzung von 4.787 weiblichen Personen in München, die von FGM/C betroffen oder bedroht sind. Zu beachten ist, dass in München lebende Mädchen und Frauen aus den 31 Herkunftsländern, welche bereits eingebürgert wurden, in diesen Zahlen unberücksichtigt bleiben. Eine Berechnung der Anzahl an weiblichen Personen aus dieser Gruppe ist aus verschiedenen Gründen der Datenerfassung nicht möglich. Weiterhin wird angenommen, dass gerade für Mädchen und Frauen der zweiten Generation das Risiko einer Gefährdung durch FGM/C niedriger als im Herkunftsland ist. Hier könnte eine Rolle spielen, dass FGM/C in Deutschland einen Straftatbestand darstellt und/oder dass der (soziale) Druck in den Communities in Deutschland nicht vergleichbar mit dem Herkunftsland ist bzw. sich Communities oder Einzelpersonen (z.B. Mütter und Väter) aktiv gegen FGM/C aussprechen bzw. diese Praktik nicht für die eigenen Töchter anwenden möchten.
Über die vergangenen Jahre hinweg zeigte sich in der Stadt München eine geringfügige Zunahme der Anzahl von weiblichen Staatsangehörigen aus den FGM/C-Prävalenzländern: Im Februar 2021 waren 11.948 Mädchen und Frauen aus 30 Herkunftsländern² gemeldet (Altersgruppe 0 bis 19: 3.075 Personen), im April 2023 belief sich die Summe auf 12.387 Mädchen und Frauen (Altersgruppe 0 bis 19: 3.071 Personen) und im Januar 2024 auf 12.445 weibliche Personen mit entsprechender Staatsangehörigkeit (Altersgruppe 0 bis 19: 3.107 Personen).
Frage 2:
Wie viele Ärztinnen und Ärzte gibt es in München, die FGM behandeln? Werden diese durch die LHM auf irgendeine Weise gefördert oder unterstützt? Was kann ggf. getan werden, um die Anzahl zu erhöhen?
Antwort:
Eine FGM/C birgt erhebliche gesundheitliche Risiken. Die Bundesärztekammer hat im Jahr 2016 „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“ (https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/Empfehlungen/2016-04_Empfehlungen-zum-Umgang-mit-Patientinnen-nach-weiblicher-Genitalverstuemmelung.pdf (Download am 27.3.2024)) veröffentlicht. Demnach geht eine erlittene FGM/C neben den akuten Gesundheitsgefahren mit zahlreichen chronischen somatischen Komplikationen sowie auch mit möglichen psychischen oder psychosomatischen Folgen einher. Auch wenn Betroffene nicht immer den Zusammenhang zwischen ihren Be-
schwerden und der FGM/C herstellen, können vor allem die chronischen Komplikationen Behandlungsanlässe in der pädiatrischen oder gynäkologischen Regelversorgung darstellen. Daneben spielt eine FGM/C in der pädiatrischen und vor allem gynäkologischen Vorsorge sowie in der Geburtshilfe eine Rolle.
Vor diesem Hintergrund müssen alle Münchner Fachärzt*innen der Pädiatrie, der Gynäkologie – und in der Geburtshilfe und Wochenbettbettbetreuung auch alle Hebammen – in der Lage sein, Frauen und Mädchen mit einer FGM/C medizinisch zu betreuen. FGM/C ist als ICD-Diagnose darstellbar (https://www.icd-code.de/icd/code/Z91.7-.html (Download am 7.6.2024)).
Nach Auskunft des Berufsverbands der Frauenärzte, Bezirksverband München seien eine FGM/C und ihre Folgen vor allem in den geburtshilflichen Abteilungen und gegebenenfalls für operativ tätige Ärzt*innen (z.B. wenn es um Defibulation oder Rekonstruktion gehe) ein Thema. Organspezifische Beschwerden im Zusammenhang mit FGM/C stellten dagegen kei-
nen häufigen Beratungsanlass in der täglichen ambulanten Versorgung in der frauenärztlichen Praxis dar. Gelegentlich würden von beschnittenen Frauen Gutachten für das BAMF erbeten, um ihre Töchter vor FGM/C zu schützen.
Im Juni 2022 veröffentlichten die zuständigen Fachgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz Publikationen zur Diagnostik und Behandlung von FGM/C. Dort werden die körperlichen und psychischenFolgen, die Besonderheiten bei Schwangerschaft und Geburt sowie die Indikation und Operationsverfahren der Rekonstruktion thematisiert.
Der Berufsverband der Frauenärzte, Bezirksverband München teilte außerdem mit:
„Das Thema FGM/C wird regelmäßig im Rahmen von Fortbildungen behandelt, z.B. in Form von Artikeln in der Verbandszeitschrift ‚FRAUENARZT‘ des BVF (Berufsverband der Frauenärzte) und weiteren gynäkologischen Fachzeitschriften, aber auch in Form von Präsenzveranstaltungen, z.B. auf dem FOKO (Fortbildungskongress für Frauenärzt*innen, jährliche Veranstaltung) oder auf dem DGGG-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, zweijährliche Veranstaltung). Zudem engagieren sich in München Stadt und Land eine Reihe von Kolleg*innen, die in der klinischen Geburtshilfe tätig sind, mit Vorträgen für niedergelassene Ärzt*innen – z.B. für die Kreisärzteschaft als fächerübergreifende Zielgruppe, gehalten von Chefärztin Dr. Birgit Plattner – , um z.B. auch Hausärzt*innen für das Thema zu sensibilisieren. Die Kollegin hat zudem in jüngerer Vergangenheit eine Fortbildungsreihe zum Thema FGM/C für die ärztlichen Mitarbeiter*innen der gynäkologischen Abteilung initiiert, die von Frau Prof. Nicole Schmidt von der KSH (Katholische Stiftungshochschule München) durchgeführt wurde. Die neue Weiterbildungsordnung, die seit 1.8.2022 in Kraft ist, fordert für den Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe nun in der Kategorie ‚kognitive und Methodenkompetenz‘ Kenntnisse zu ‚Symptomen sexueller und körperlicher Gewalt und Genitalverstümmelung‘ sowie zu ‚Grundlagen plastisch-operativer und rekonstruktiver Eingriffe bei gestörter Anlage und Entwicklung von Genitale und Mamma sowie Gewaltfolgen und Genitalverstümmelung‘. Die ebenfalls 2022 erschienene erste S2k-Leitlinie zu rekonstruktiven und ästhetischen Operationen des weiblichen Genitale enthält ein eigenes Kapitel zu den verschiedenen Formen der FGM und entsprechenden Therapieoptionen.“
Auch in der stationären Versorgung sind alle Münchner Frauenkliniken grundsätzlich in der Lage, Patientinnen mit einer FGM/C medizinisch zu betreuen. Einzelne Kliniken haben sich eine besondere Expertise aufgebaut: In den geburtshilflichen Abteilungen der München Klinik können sich die betroffenen Frauen zur Beratung in speziellen fachärztlichen Sprechstunden (zeitnahe Terminvergabe) vorstellen. Für das medizinische Personal finden regelmäßige Fortbildungen intern und mit externen Referent*innen zum Thema FGM/C statt. Die Frauenklinik des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München bietet seit vielen Jahren Beratung und Betreuung von schwangeren Frauen mit Zustand nach einer FGM/C im Rahmen einer Spezialsprechstunde an. Auch das Helios Klinikum MünchenWest schreibt der Behandlung von Frauen und Mädchen mit FGM/C eine große Bedeutung zu. Das Kreißsaal-Personal ist für dieses Thema sensibilisiert und identifiziert bei den präpartalen Geburtsvorstellungen betroffene Patientinnen, welche dann ärztlich zur spezialisierten Geburtsberatung gesehen werden. Am 20.6.2024 organisierte das Helios Klinikum München West eine auch für externe Fachkräfte offene Fachveranstaltung zum Thema FGM/C, mit dem Ziel, medizinisches Personal zu sensibilisieren und zu schulen. Die Frauenklinik Dr. Geisenhofer kooperiert mit einer in der Behandlung von Frauen und Mädchen mit FGM/C sehr erfahrenen niedergelassenen Gynäkologin, die in der Klinik Belegbetten hat. Diese bildet das medizinische Personal der Klinik im Rahmen der QM-Abende auch fort. Noch im Jahr 2024 ist eine Fortbildung zum Thema Rekonstruktive Chirurgie der weiblichen Geschlechtsmerkmale durch einen darauf spezialisierten Facharzt des Luisenhospitals Aachen geplant.
Die Landeshauptstadt München unterstützt das Gesundheitspersonal in der ambulanten und stationären Versorgung im Rahmen ihrer kommunalen Handlungsmöglichkeiten seit vielen Jahren. So organisieren oder fördern die Fachstellen „Frau & Gesundheit und Gendermedizin“ und „Migration und Gesundheit“ des Gesundheitsreferats regelmäßig Fachveranstaltungen und Fortbildungen für medizinische und psychosoziale Fachkräfte zu FGM/C. Im Jahr 2018 haben sie in Zusammenarbeit mit der Bellevue Dolmetscherservice gGmbH (damals: Bayerisches Zentrum für transkulturelle Medizin e.V.) in einer mehrteiligen Fortbildung Dolmetscher*innen zum Thema FGM/C geschult und auf den Einsatz in Kliniken und Beratungsstellen vorbereitet. Diese Dolmetscher*innen können gezielt angefordert werden. Die Dolmetschereinsätze selbst werden vom Gesundheitsreferat bezahlt, sofern die Patient*in ihren Wohnsitz in München hat.
Das Gesundheitsreferat hat außerdem einen Kitteltaschenleitfaden zur Behandlung von Frauen mit FGM/C der Arizona State University/USA auf Deutsch übersetzen und drucken lassen. Er soll medizinisches Fachpersonal in der gynäkologischen Berufspraxis unterstützen und wird seitdem regelmäßig im Rahmen von medizinischen Fortbildungsveranstaltungen vorgestellt. Niedergelassene Praxen und Kliniken, aber auch Beratungsstellen aus dem ganzen Bundesgebiet fordern den Kitteltaschenleitfaden seit seinem Erscheinen beim Gesundheitsreferat an. Von der ersten Auflage sind inzwischen etwa 800 Exemplare verteilt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die medizinische Regelversorgung in München das Thema FGM/C als besondere Herausforderung in der gynäkologischen Berufspraxis im Blick hat und entsprechende Angebote für betroffene Frauen und Mädchen zur Verfügung stellt. Ebenso sind Fortbildungsangebote für medizinisches Fachpersonal vorhanden.
Die Gleichstellungsstelle für Frauen hat Folgendes mitgeteilt: „Im Münchner Netzwerk gegen FGM/C findet ein regelmäßiger Austausch über die gynäkologische und medizinische Versorgung von Frauen und Mädchen in München statt, die von FGM/C betroffen sind. Hier wird immer wieder deutlich, dass viele gynäkologische Praxen nicht ausreichend über die medizinischen und psychosozialen Folgen von FGM/C informiert sind. Hinzu kommt, dass eine gute medizinische Begleitung deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als abgerechnet werden kann. (…) Außerdem bietet das Klinikum rechts der Isar eine regelmäßige FGM-Sprechstunde an.“
Da eine FGM/C ein Beratungs- und Behandlungsanlass ist, der häufig mit einem besonderen Zeitaufwand verbunden ist, haben niedergelassene Praxen, die sehr viele Patientinnen mit FGM/C behandeln, das Problem, dass der ärztliche Zeitaufwand nicht entsprechend vergütet wird. In Einzelfällen kann das zu finanziellen Belastungen von niedergelassenen gynäkologischen Praxen führen.
Vor diesem Hintergrund fördert das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention aktuell ein Modellprojekt. Es teilte hierzu mit:
„Genitalverstümmelung ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung mit schwerwiegenden körperlichen und seelischen Folgen für die betroffenen Frauen. Im Rahmen eines umfassenden bayerischen Gewaltschutz- und Präventionskonzepts sollen auch ärztliche Beratungsangebote unterstützt werden. In Umsetzung eines Beschlusses des Bayerischen Landtags vom 8.3.2023 (LT-Drs.18/27586) fördert das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention daher seit dem Jahr 2023 bis Ende 2025 das Modellprojekt des Vereins Donna Mobile e.V. ‚Kultursensible Medizinische Versorgung FGM/C betroffener Frauen – Ein innovatives Konzept für die Kooperation einer gynäkologischen Praxis mit Kultur- und Sprachmittler*innen‘, mit dem ärztliche Sprechstunden für von Genitalverstümmelung betroffene Frauen und Mädchen angeboten werden sollen, die auf deren besondere Bedürfnisse eingehen. Für dieses Projekt werden rd. 341.000 Euro zur Verfügung gestellt.“
Frage 3:
Wie viele Beratungsstellen gibt es in München, die den Betroffenen beistehen? Werden diese durch die LHM auf irgendeine Weise gefördert oder unterstützt? Was kann ggf. getan werden, um die Anzahl zu erhöhen?
Antwort:
Neben den medizinischen Aspekten und möglichen psychischen oder psychosomatischen Folgen wirft eine FGM/C viele weitere Fragestellungen für betroffene Frauen und Mädchen auf, darunter auch rechtliche Fragestellungen oder psychosoziale Fragen, die z.B. das familiäre Zusammenleben betreffen. In München stehen mehrere Beratungsstellen für Frauen und Mädchen mit FGM/C zur Verfügung, darunter drei Beratungsstellen, die sich auf FGM/C spezialisiert haben.
Das Sozialreferat, Stadtjugendamt teilte hierzu mit:
„Die Wüstenrose – IMMA e.V., eine Fachstelle für Zwangsheirat und FG-M/C wird seit Jahren dauerhaft durch das Sozialreferat – Stadtjugendamt gefördert. Mit Beschlussfassung der Vollversammlung des Stadtrates vom 25.2.2016 (Sitzungsvorlage Nr.14-20/V 04241) wurde die Wüstenrose um den Arbeitsbereich FGM/C/weibliche Genitalbeschneidung erweitert und dafür zusätzlich dauerhaft mit 0,5 VZÄ sozialpädagogischer Fachkraftstelle ausgestattet. Aufgrund der hohen Fallzahlen sowie aufgrund des hohen Bedarfs an sprachlicher und kultureller Vermittlung wurde der Arbeitsbereich FGM/C/weibliche Genitalbeschneidung mit Beschlussfassung der Vollversammlung des Stadtrates vom 27.11.2019 (Sitzungsvorlage Nr.14-20/V 15937) um weitere 0,5 VZÄ sozialpädagogische Fachkraftstelle sowie 3x8 Wochenstunden (WAZ) Kulturmittler*innentätigkeit dauerhaft erweitert.
Donna Mobile wird ebenfalls vom Stadtjugendamt gefördert. Aufgrund der spezifischen Zielgruppe von Donna Mobile (Donna Mobile ist eine Einrichtung zur Gesundheitsförderung und Prävention für Migrantinnen* beim Träger AKA e.V.) besteht hier darüber hinaus ein einrichtungsspezifischer Bedarf an kultursensibler Begleitung und Prävention zum Thema FGM/C für die dort verorteten Klientinnen*, Mitarbeitenden sowie für die Kooperationspartner*innen. Viele Klientinnen* von Donna Mobile kommen aus Ländern, in denen FGM/C praktiziert wird. Nach jeweils einmaligen Förderungen in den Jahren 2020 und 2021 erfolgte mit Beschluss im Kinder- und Jugendhilfeausschuss vom 5.10.2021 (Sitzungsvorlage Nr.20-26/V 03789) die dauerhafte Förderung von 20 WAZ Kulturmittler*innentätigkeit bei und für Donna Mobile.
Nala e.V. ist ein Verein, der sich in München, Deutschland und weltweit gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzt. Der Verein wird nicht durch die Landeshauptstadt München gefördert.“Weitere Beratungsstellen haben zwar einen anderen Beratungsschwerpunkt, jedoch überdurchschnittlich viele Klientinnen, die von FGM/C betroffen sind. Die Fachberatungsstelle JADWIGA in München setzt sich für die Rechte von Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsheirat ein. Die Fachberatungsstelle SOLWODI arbeitet deutschlandweit im Kontext geschlechtsspezifischer Gewalt.
JADWIGA und SOLWODI werden vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München gefördert.
Im Rahmen dieser Stadtratsanfrage teilte SOLWODI beispielhaft mit: „Der Fokus der Fachberatungsstelle München liegt unter anderem im Bereich Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Die meisten der Frauen, die wir unterstützen, kommen aus westafrikanischen Ländern, vor allem Nigeria, aber auch Sierra-Leone und der Demokratischen Republik Kongo. FGM/C spielt dabei auch immer wieder eine Rolle. Einerseits weil die Frauen selbst davon betroffen oder davor geflohen sind. Andererseits aber auch, weil viele bereits selbst Kinder haben und große Angst davor haben, dass ihre Familien in den Herkunftsländern ihre Töchter genitalverstümmeln werden, wenn sie dorthin zurück abgeschoben werden.
Bei fast allen Frauen aus diesen Regionen ist FGM/C ein Thema, allgemein gesehen bei ca. 70-80% der Frauen, die wir in unserer Fachberatungsstelle unterstützen.
Wir begleiten die Frauen und ihre Kinder oft im Asylprozess, sowohl bei BAMF-Anhörungen als auch bei Verwaltungsgerichtsterminen im Klageverfahren. Leider stellen wir fest, dass FGM/C als ein Schutzgrund in der Praxis fast nie zugesprochen wird. Selbst bei einer Frau, die selbst genitalverstümmelt wurde und ihre erste Tochter vor diesem Schicksal in Nigeria nicht bewahren konnte, wurde bei ihrer zweiten in Deutschland geborenen Tochter keine ausreichende Gefahr von FGM/C anerkannt.“
Daneben spielt FGM/C bei den Münchner Schwangerschaftsberatungsstellen eine Rolle, wenn diese betroffene Schwangere im Beratungsprozess auch auf die Geburt vorbereiten. Auch die Schwangerschaftsberatungsstellen werden von der Landeshauptstadt München gefördert.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass betroffene Frauen und Mädchen in München auch ein gut ausgebautes und ausdifferenziertes psychosoziales Versorgungsangebot vorfinden. So unterstrich auch der Berufsverband der Frauenärzte, Bezirksverband München, in seiner Stellungnahme, dass es sich bei FGM/C „weder um ein rein gynäkologisches noch ein auf ärztliche Kompetenz beschränktes Thema“ handele, welchem die vielfälti-gen Beratungsangebote der Stadt München mit entsprechend geschultem Personal Rechnung tragen würden. Die Beratungsstellen werden ebenfalls von den Fortbildungs- und Fachveranstaltungen des Gesundheitsreferats zum Thema FGM/C adressiert.
Frage 4:
Schon seit einigen Jahren betreibt die Landeshauptstadt München (LHM) Präventionsarbeit zu diesem Thema, was die CSU-FW-Fraktion ausdrücklich begrüßt. Lässt sich anhand von Kenngrößen wie z.B. Beratungsanfragen, erfolgten Beratungsleistungen etc. sagen, wie erfolgreich diese Präventionsarbeit war? Wie kann die Präventionsarbeit noch verstärkt werden?
Antwort:
Mit der Förderung der auf FGM/C spezialisierten Fachberatungsstellen Wüstenrose und Donna Mobile ist unter anderem auch ein Auftrag, Präventionsarbeit zu leisten, verbunden. Das Sozialreferat, Stadtjugendamt teilte hierzu mit:
„Wüstenrose – IMMA e.V.
Das Aufgabenspektrum von Wüstenrose, Fachstelle Zwangsheirat/FGM/C, lässt sich in drei Schwerpunkte untergliedern:
- Betroffene und deren Bezugspersonen erhalten Beratung, Unterstützung, Stärkung, Begleitung und Informationen über weiterführende Hilfen. Dabei ist die Beratung als ein Prozess zu sehen, der sich über Wochen bis Monate erstrecken kann und immer wieder notwendige
Kriseninterventionen beinhaltet.
- Schulungen und Fortbildungen für Fachkräfte zur Sensibilisierung und Vermittlung von Handlungswissen sowie individuelle Fachberatung
von Fachkräften zur Unterstützung und Begleitung in der Einzelfall- und Gruppenarbeit.
- Prävention um aufzuklären, zu enttabuisieren, Betroffene zu erreichen.
Darüber hinaus pflegt Wüstenrose, Fachstelle Zwangsheirat/FGM/C feldübergreifende Kooperationen mit Institutionen in München, Bayern und auf Bundesebene.
Der Bereich der Prävention beinhaltet unter anderem
- Schulworkshops zur Aufklärung über Zwangsheirat und FGM/C für Schüler*innen ab 14 Jahre.
- Mütterseminare zur Aufklärung über Zwangsheirat und FGM/C.
- Trainings für Geflüchtete zu Themen wie Gleichberechtigung von Frau* und Mann*, unterschiedliche Beziehungs- und Lebensformen, sexuelle Identität und Vielfalt.
- Öffentlichkeitsarbeit
- Durch die personelle Aufstockung um die Kulturmittler*innen wird seit 2020 Communityarbeit als weiteres Präventionsangebot aufgebaut, um vermehrt Frauen* aus Prävalenzregionen durch passende Angebote zu erreichen.
Donna Mobile
Inhaltlich ist der Tätigkeitsbereich so ausgestaltet, dass die Stelleninhaberin*/Kulturmittlerin* im Projekt Donna Mobile die dort fallverantwortlichen sozialpädagogischen, pädagogischen, psychologischen und medizinischen Fachkräfte in ihrer Fallbearbeitung beratend und begleitend unterstützt:
- Erwachsene Donna Mobile-Teilnehmerinnen* aus München, die von FGM/C betroffen sind und kultursensible Beratung und Begleitung
benötigen, um ihre Gesundheits- und Lebenssituation zu verbessern, werden individuell unterstützt. Dies beinhaltet sowohl Einzelgespräche als auch die notwendige Begleitung zu Ärzt*innen, Institutionen, Fachstellen oder Behörden.
- Erwachsene Donna Mobile-Teilnehmerinnen* aus München sowie ihre Angehörigen werden aufgeklärt und kultursensibel begleitet, um präventiv vor FGM/C zu schützen.
- Mitarbeiter*innen, Honorarkräfte, Multiplikator*innen, Gruppenleiter*innen und Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen von Donna Mobile sowie des Trägervereins AKA e.V. werden geschult und fortgebildet.“
Das Sozialreferat, Stadtjugendamt erhält als Zuschussgeber auch die Statistik der beiden Fachberatungsstellen. Gemeinsam haben diese in den letzten vier Jahren etwa 200 Frauen und Mädchen pro Jahr über das Beratungsangebot erreicht. Hinter jeder Ratsuchenden stehen häufig zahlreiche Beratungskontakte und sich gegebenenfalls daraus ergebende Interventionen stehen, weil die Beratungsprozesse in der Regel komplex sind und eine Vielzahl von Maßnahmen beinhalten können.
Wenn Beratungsstellen Frauen und Mädchen mit FGM/C Rat und Orientierung sowie bei Bedarf auch Schutz anbieten, ist dies als Präventionsarbeit zu verstehen, auch wenn es schwierig ist, den „Erfolg“ solcher Maßnahmen in Zahlen messbar zu machen.
Communityprojekt zur Prävention von FGM-C des GesundheitsreferatsUm Mädchen und Frauen mit der Nationalität eines FGM/C-Herkunftslandes vor FGM/C zu schützen, hat sich die Sensibilisierung und Aufklärung auf der Community Ebene als vielversprechend gezeigt. Das Gesundheitsreferat finanziert daher seit 2021 auf Grundlage des Stadtratsbeschlusses vom 21.11.2019 die Umsetzung eines vierjährigen Pilotprojekts zur Prävention von FGM/C durch Zusammenarbeit mit Communities in München (Sitzungsvorlage Nr.14-20/V 15873). Im Wesentlichen geht es darum in Zusammenarbeit mit zwei Münchner Communities präventive Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, wobei eine wissenschaftliche Begleitung durch einen partizipativen Forschungsansatz erfolgt. Durchgeführt wird das Präventionsprojekt durch ein Team der Wüstenrose Fachstelle Zwangsheirat/FGM-C der IMMA e.V. gemeinsam mit neun Peer-Researcherinnen aus der sudanesischen und eritreischen Münchner Community. Im Anschluss an die Forschung sollen auf Grundlage der Ergebnisse konkrete Angebote in und für die Communities entwickelt werden, die zur Prävention von FGM/C sowie zu einer Stärkung von Frauen- und Mädchengesundheit beitragen. Aus den Ergebnissen des Pilotprojekts können darüber hinaus Handlungsempfehlungen für zukünftige größer angelegte Strategien der FGM/C-Prävention in München abgeleitet werden. Ein Bericht an den Stadtrat erfolgt nach Abschluss des Projekts und der Begleitforschung voraussichtlich im Jahr 2025.
Kinderschutz
Die Prävention von FGM/C spielt auch beim Kinderschutz eine Rolle. Das Sozialreferat, Stadtjugendamt teilte hierzu mit:
„Der Verdacht auf FGM/C wird als Anzeichen einer möglichen Kindeswohlgefährdung eingeschätzt und nach den fachlichen Standards im Sozialreferat bearbeitet. Hinweise auf eine Genitalverstümmelung stellen grundsätzlich einen gewichtigen Anhaltspunkt für eine Kindeswohlgefährdung dar. Der Schutzauftrag der Jugendhilfe besteht darin, in Fällen bei denen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Mädchen von Genitalverstümmelung bedroht sein könnte, sicherzustellen, dass die Unversehrtheit des Mädchens gewahrt bleibt. Dadurch erfolgt stets eine Abklärung der Gefährdung gemäß der Dienstanweisung ‚Schutzauftrag nach §8a SGB VIII und Handhabung von Gefährdungsfällen und Qualitätssicherung in Gefährdungsfällen‘. Die Tätigkeit des Stadtjugendamtes kann eine Genitalverstümmelung verhindern und somit auch in den Bereich Prävention eingeordnet werden.“
Im Gesundheitsreferat liegen bei den Fachbereichen mit Kontakt zu Frauen, Schwangeren und Mädchen, die von FGM/C betroffen sein können bzw. ein Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung durch drohende Beschneidung besteht, fachliche Standards vor. Es gibt festgelegte Abläufe und Ansprechpersonen, die hinzugezogen werden entsprechend dem Kinderschutzstandard im Gesundheitsreferat. Gegebenenfalls wird an Fachstellen wie Wüstenrose oder Donna Mobile für die Beratung oder an Ärzt*innen mit speziellen Kenntnissen bzw. den/die zuständige Kinderärzt*in verwiesen. Die Mitarbeiter*innen werden regelmäßig zum Thema und zur kultursensiblen Gesprächsführung geschult.
Um Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung zu erkennen, hat außerdem der 126. Deutsche Ärztetag vom 24.5. bis 27.5.2022 in Bremen einen Beschluss zur präventiven ärztlichen Beratung zum Thema FGM/C im Rahmen der Kinder- und Jugenduntersuchungen gefasst. Im Ergebnis wurde ein Schreiben an das Bundesministerium für Gesundheit, an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), die KBV, an den Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV-SV) sowie nachrichtlich an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gerichtet, mit der Bitte, im gelben Untersuchungsheft auf der Seite „Checkliste U6“ eine Dokumentation eines präventiven ärztlichen Beratungsbedarfs zum Thema FGM/C zu ermöglichen und für eine solche Beratung eine entsprechende Abrechnungsmöglichkeit zu schaffen.
Frage 5:
Welche weitergehenden Pläne hat die LHM, um das Thema FGM in München anzugehen?
Antwort:
Das Gesundheitsreferat und das Sozialreferat, Stadtjugendamt, sind aktive Teilnehmende am „Münchner Netzwerk gegen FGM/C“, einem Zusammenschluss von freien Trägern, Vertreter*innen der Landeshauptstadt München sowie engagierten Einzelpersonen, die sich gemeinsam gegen FGM/C und für Betroffene einsetzen. Das Netzwerk dient der Vernetzung, dem Austausch zu fachlichen Fragen und aktuellen Entwicklungen rund um das Thema FGM/C sowie zur Feststellung von Bedarfen in München, die auf kommunaler Ebene beantwortet werden können. Auch vom Netzwerk werden regelmäßig Veranstaltungen zum Thema FGM/C organisiert, die der Information der (Fach-)Öffentlichkeit dienen und/oder die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf das Thema FGM/C richten sollen. Ebenso wird dort Bedarf an Präventions-Beratungs- oder Versorgungsangeboten in München identifiziert und diskutiert.
Ein konkretes Vorhaben des Gesundheitsreferats ist der erfolgreiche Abschluss des oben beschriebenen Präventionsprojekts im Jahr 2025. Ausden Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen für die Zukunft abgeleitet; ein entsprechender Bericht an den Stadtrat ist geplant. Eine Vorstellung des Projekts auf dem Fachkongress „Armut und Gesundheit“ im März 2024 stieß bei den Teilnehmenden und auch bei anderen Kommunen (z.B. Stuttgart) auf großes Interesse.
Die Landeshauptstadt München wird die beschriebenen Maßnahmen fortsetzen, mit dem Ziel, das gut ausgebaute medizinische und psychosoziale Versorgungssystem zu unterstützen und bei Bedarf fachlich weiterzuentwickeln.
Frage 6:
Da wahrscheinlich nicht nur betroffene Frauen und Mädchen nach München kommen, sondern teilweise auch deren Peinigerinnen und Peiniger: Wie viele strafrechtlich Verantwortliche für die Durchführung von FGM wurden in München in den letzten Jahren ermittelt? Wie haben sich die Zahlen in den letzten Jahren entwickelt.
Antwort:
Das Polizeipräsidium München teilte hierzu mit:
„Im Zeitraum von 2019 bis einschließlich 2023 wurde für den Bereich der Landeshauptstadt München kein Fall von Verstümmelung weiblicher Genitalien gem. §226a StGB an die Polizeiliche Kriminalstatistik gemeldet. Belastbare Aussagen hinsichtlich der Dunkelziffer können nicht gemacht werden. Aus Sicht des Polizeipräsidiums München ist es daher wichtig, weiterhin Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen zu fördern, um das Bewusstsein für diese Straftat zu schärfen und potenzielle Opfer zu schützen.“
Das Antwortschreiben ist mit der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München, dem Sozialreferat, Stadtjugendamt der Landeshauptstadt München sowie dem Polizeipräsidium München abgestimmt. Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
¹ Folgende 31 Herkunftsländer werden von Terre des Femmes 2022 als FGM/C-Prävalenz- länder geführt: Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina-Faso, Côte d‘Ivoire, Dschibuti, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Indonesien, Irak, Jemen, Kamerun, Kenia, Liberia, Malaysia, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Oman, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tansania, Togo, Tschad, Zentralafrikanische Republik.
² Für das Jahr 2021 fehlen Daten aus dem Oman