In einem Schreiben an Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, kritisiert Oberbürgermeister Dieter Reiter, dass im aktuell vorliegenden Entwurf der Baugesetzbuchnovelle keine Regelungen zum Wiedererstarken des kommunalen Vorkaufsrechts in Erhaltungssatzungsgebieten enthalten sind: „Mir fehlt hierfür angesichts des bundesweit immer weiter zunehmenden Verdrängungsdrucks innerhalb der Ballungszentren jegliches Verständnis.“ Ministerin Geywitz habe bereits 2022 in einem Referentenentwurf zum „Vorkaufsrechtsänderungsgesetz“ Regelungen für eine rechtssichere Ausübung des Vorkaufsrechts vorgelegt. Allerdings befinde sich dieser Entwurf seither in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. OB Reiter fordert deshalb, dass die Inhalte des Referentenentwurfs nun in die aktuelle Baugesetzbuchnovelle integriert werden müssen.
Das Schreiben an die Bundesbauministerin hat folgenden Wortlaut:
„Im Rahmen der Länder- und Verbändeanhörung hat die Landeshauptstadt München den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung (Baugesetzbuchnovelle) über den Deutschen Städtetag erhalten. Die Novelle enthält einige begrüßenswerte Neuerungen für die Kommunen. Die Stellungnahme der Landeshauptstadt München haben wir am 12.08.2024 an den Deutschen Städtetag gesendet. Mit großer Ernüchterung musste ich jedoch feststellen, dass Regelungen, die zu einem Wiedererstarken des kommunalen Vorkaufsrechts in Erhaltungssatzungsgebieten (sog. ‚Milieuschutzgebieten‘) führen würden, nicht Gegenstand des Entwurfs sind. Mir fehlt hierfür angesichts des bundesweit immer weiter zunehmenden Verdrängungsdrucks innerhalb der Ballungszentren jegliches Verständnis.
Durch die konjunkturelle Krise im Wohnungsbau, verursacht durch drastische Baukostensteigerungen, die Inflationsentwicklung und vorhandene Zinsunsicherheiten, bei gleichzeitig stetig anwachsender Wohnbevölkerung, ist der Druck auf den Mietwohnungsmarkt in München enorm gestiegen. Im vergangenen Jahr wurde bei der Veröffentlichung des neuen Mietspiegels die historisch höchste Steigerung der Mietkosten verzeichnet (im Durchschnitt 21 Prozent binnen zwei Jahren). Auch das gerade neu erschienene ‚Wohnungsbarometer‘ der Landeshauptstadt München verdeutlicht diese Entwicklung: Die stadtweit durchschnittlichen Wiedervermietungsmieten unmöblierter Wohnungen waren mit 20,40 Euro pro Quadratmeter um 6,3 Prozent höher als im Vorjahr.
Vor diesem Hintergrund stellt es ein fatales Signal gegenüber der verdrängungsgefährdeten Wohnbevölkerung dar, ihr eines der zentralen städtebaulichen Schutzinstrumente über zweieinhalb Jahre nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021 weiter zu versagen. Betroffen sind in München nicht nur Bewohner*innen mit niedrigem Einkommen, sondern auch die Haushalte der Mittelschicht. Die Verdrängung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Sie führt mittelfristig zu einseitigen Bevölkerungsstrukturen, die den sozialen Zusammenhalt und die Lebensqualität in der Stadt gefährden. Gerade die Berufsgruppen, die die Stadt ‚am Laufen‘ halten, sind besonders verdrängungsgefährdet. Das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ist seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts quasi funktionslos geworden. Es verbleibt nahezu kein Anwendungsbereich mehr. Bereits in meinem Schreiben vom 16.12.2021 an Bundeskanzler Olaf Scholz habe ich prognostiziert, dass mit der neuen Rechtsprechung die Ausübung von Vorkaufsrechten in Milieuschutzgebieten kaum mehr möglich sein wird. Diese Prognose hat sich leider erfüllt. In den Jahren 2018 bis einschließlich 2021 wurde in München in Milieuschutzgebieten in 116 Fällen vom kommunalen Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht (Ausübung und Abwendung). Dadurch konnten insgesamt 2.124 Wohnungen geschützt werden. In den Jahren 2022 bis zum 08.08.2024 fiel die Zahl auf 3 Fälle und 60 Wohnungen, die geschützt werden konnten. Demgegenüber hätte ohne das betreffende Urteil im selben Zeitraum in 135 Fällen vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht werden können. Dadurch hätten wir 2.040 Wohnungen und deren Bewohner*innen schützen können.
Du hattest mir mit Schreiben vom 12.01.2022 die zügige Erarbeitung von Lösungswegen für eine rechtssichere Ausübung des Vorkaufsrechts angekündigt und bist dem durch einen sehr begrüßenswerten Referentenentwurf zum ‚Vorkaufsrechtsänderungsgesetz‘ vom 27.04.2022 auch nachgekommen. Allerdings befindet sich dieser Entwurf seit über 2 Jahren in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. Seine Inhalte hätten nun in die aktuelle BauGB-Novelle integriert werden müssen. Dass dies nicht erfolgt ist, verwundert auch vor dem Hintergrund Deiner öffentlichen Äußerungen. Noch im vergangenen Jahr hattest Du die zügige Wiederherstellung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten als wichtiges Vorhaben und das Vorkaufsrecht als wichtiges Instrument für den Erhalt von bezahlbaren Wohnungen bezeichnet.
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist für München eines der zentralen Themen. Gleichzeitig sind mir durch fehlende bundesgesetzliche Regelungen die Hände gebunden. Ich bitte Dich daher, der schwierigen Situation der Kommunen mit hohem Verdrängungsdruck endlich Rechnung zu tragen und die Inhalte des Referentenentwurfs zum Vorkaufsrechtsänderungsgesetz vom 27.04.2022 in die aktuelle BauGB-Novelle aufzunehmen. Ein funktionierendes Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ist (auch gegenüber den Genehmigungstatbeständen des § 172 BauGB) von zentraler Bedeutung für die Landeshauptstadt München. Der bundespolitische Umgang mit diesem Thema steht in deutlichem Widerspruch zu seiner gesamtgesellschaftlichen Brisanz. Eine gesetzgeberische Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021 ist für die Landeshauptstadt München enorm wichtig.
Für einen Meinungsaustausch stehe ich gerne zur Verfügung. Ich habe mir erlaubt, einen Abdruck dieses Schreibens an den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags sowie an den Ersten Bürgermeister von Hamburg und den Regierenden Bürgermeister von Berlin zu senden.“