Suchtprävention für Kinder und Jugendliche
Antrag Stadtrats-Mitglieder Dr. Hannah Gerstenkorn, Nimet Gökmenoglu, Judith Greif, Marion Lüttig, Gudrun Lux, Thomas Niederbühl, Clara Nitsche, Angelika Pilz-Strasser, Florian Schönemann (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) und Kathrin Abele, Barbara Likus, Lena Odell, Klaus Peter Rupp, Julia Schönfeld-Knor (SPD/Volt-Fraktion) vom 27.9.2023
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie beantragen, dass das Gesundheitsreferat gemeinsam mit dem Referat für Bildung und Sport aufzeigt, an welchen Stellen im Bereich Prävention an Schulen noch vertiefter Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus sollen nach Rücksprache mit fachkundigen Trägern die aktuellen Bedarfe und Angebote der Jugendsuchtberatung – insbesondere auch für unter 18-Jährige – dargestellt werden.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Weg zu Ihrem Antrag vom 27.9.2023 Folgendes mit:
1. Handlungsbedarf im Bereich Suchtprävention
Basierend auf den Konsumzahlen bestand bereits vor der geplanten Liberalisierung von Cannabis unter Fachleuten der Suchtprävention Konsens, dass neben den legalen Suchtmitteln der Konsum von Cannabis in der schulischen Suchtprävention zu substanzgebundenen Süchten vorrangig beachtet werden muss (siehe Konsenspapier für die Suchtprävention an bayerischen Schulen, 2021, https://www.km.bayern.de/lehrer/meldung/7697/konsenspapier-bietet-unterstuetzung-fuer-schulen.html). Dementsprechend liegt hier bereits ein breites Angebot vor. Darüber hinaus treten präventive Effekte nicht nur über substanzspezifische Prävention auf, sondern auch über Angebote der allgemeinen Lebenskompetenzförderung, z.B. Erlebnispädagogik, sowie über Angebote mit Schnittmengen zur Suchtprävention, wie z.B. die Gewaltprävention. In der Landeshauptstadt München sind hierzu seit Jahren ebenso verschiedene Angebote etabliert.
Das vom Sozialreferat, Referat für Bildung und Sport sowie Gesundheitsreferat koordinierte Münchner Programm zur Suchtprävention bündelt diese Angebote und stellt sicher, dass alle für Kinder und Jugendliche relevanten Lebenswelten und Suchtformen berücksichtigt werden. Bei den städtisch geförderten Angeboten wird dabei eine geschlechterdifferenzierte und gleichstellungsorientierte Vorgehensweise berücksichtigt. Bei der Gestaltung der Angebote wird darauf geachtet, dass sie sowohl für Mädchen und junge Frauen als auch für Jungen und junge Männer ansprechend sindund ihre unterschiedlichen Lebenslagen, Interessen und Bedürfnisse berücksichtigen. Dadurch können Mädchen und Jungen sowie junge Frauen und Männer ihre individuellen Stärken und Fähigkeiten besser erkennen und entwickeln sowie gleichermaßen von den Angeboten profitieren und ihre individuellen Potenziale entfalten.
Die Berücksichtigung eines geschlechterdifferenzierten und gleichstellungsorientierten Vorgehens wird im Rahmen der Zielvereinbarungsgespräche thematisiert. Zudem ist eine Förderung gemäß der „Richtlinien für die Gewährung von Zuwendungen der Landeshauptstadt München im Gesundheitsbereich“ an die Grundsätze und Strategien der Landeshauptstadt München gebunden. So setzt die Antragstellung eine detaillierte Beschreibung des Projektes unter der besonderen Berücksichtigung von Gender Mainstreaming voraus.
Die Diskussion über die geplante Liberalisierung von Cannabis hat dazu geführt, dass einige neue Angebote entwickelt wurden sowie etablierte Angebote ausgebaut werden.
Beispielhaft sind hier zu nennen:
- FreD (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumierenden) des Trägers Prop e.V. entwickelt derzeit FreD Next Level. Es handelt sich hierbei um die Durchführung von FreD-Kursen im Online-Format.
- Für alle an Schulen Tätige gibt es seit Kurzem den asynchronen Online-Kurs „Cannabis und Schule: wissen, verstehen, handeln“ des Bayerischen Zentrums für Prävention und Gesundheitsförderung (ZPG) und der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS).
- Schulen können sich den interaktiven Präventionsworkshop „Cannabis – quo vadis?“ für die Jahrgangsstufen acht bis zehn kostenlos an ihre Schule holen (ZPG).
- Das Münchner Programm zur Suchtprävention bietet darüber hinaus an:
- bedarfsorientierte, einrichtungsinterne Schulungen online oder in Präsenz für Münchner Bildungseinrichtungen,
- eine Online-Vortragsreihe zur Suchtprävention (zu den Themen Alkohol, Cannabis, Essstörungen und Medienkonsum) für Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern,
- Ende 2024 eine Fachtagung mit dem Titel „Alles, was qualmt, dampft und raucht“,
- eine neue Internetseite (https://muenchner-suchtpraevention.de) mit umfassendem Verzeichnis der Angebote in München
sowie aktuellen Veranstaltungshinweisen für Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern.Über die Thematik „Cannabis“ hinaus sind z.B. die folgenden neuen Angebote zu Alkohol und Mediensucht zu nennen:
- Für Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahren gibt es die Ausstellung zur Alkoholprävention „Spaß ohne Punkt und Koma“ (ZPG).
- Die Zielgruppe des Online-Kurses „Süchtig nach Social Media“ sind u.a. Fachkräfte in der Prävention, Betroffene und Angehörige (BAS).
Diese Angebote sollen in Absprache mit den Anbieter*innen an allen weiterführenden Münchner Schulen mittels Schulverteiler durch das Münchner Programm beworben werden. Nachdem Schulen aktuell vor sehr verschiedenen Herausforderungen stehen, gilt es im nächsten Schritt zu prüfen, wie diese Angebote wahrgenommen werden, ob sie sich etablieren und wo ggf. weiterer Bedarf entsteht. Schließlich bleibt auch abzuwarten, wie sich die geplante Liberalisierung von Cannabis auf die Konsumprävalenz niederschlägt Das GSR wird die Entwicklung mit den relevanten Akteuren kontinuierlich verfolgen und bei entsprechendem Bedarf Vorschläge für geeignete Maßnahmen machen.
2. Bedarfe und Angebote der Jugendsuchtberatung
Zwar bestehen zahlreiche Präventionsangebote für Jugendliche, jedoch kaum Beratung und Unterstützung bei bestehendem Suchtmittelkonsum. Das Angebot der Suchtberatungsstellen freier Träger in München richtet sich an Erwachsene (ab 18 Jahre).
Im Rahmen der indizierten Prävention gibt es die Projekte FreD von Prop e.V. (siehe 1.) oder HaLT von Condrobs e.V. (Sofortintervention bei Alkoholintoxikation). Es handelt sich um begrenzte und spezifische Angebote, die nicht dafür ausgestattet sind, intensivere Beratung für jugendliche Konsumierende mit teilweise multiplem Hilfebedarf anzubieten.
Die Angebote von easyContact von Condrobs e.V. sind Angebote der Jugendhilfe, die nicht anonym und ohne Wissen der Eltern in Anspruch genommen werden können.
In der Schulsozialarbeit und der Erziehungsberatung liegen die Schwerpunkte auf anderen Beratungsthemen. Laut Positionspapier der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Bayern vom März 2023 (https://www.lag-bayern.de/fachinformationen/standpunkte) sieht sich die Erziehungsberatung als Anlaufstelle in der Prävention und im beginnenden problematischen Konsum von Medien und Suchtmitteln. Für Jugendliche mit manifestem Konsum bedarf es weitergehender Kompetenz im Beratungsangebot.Der Bedarf an Jugendsuchtberatung stellt sich – in Absprache mit den fachkundigen Trägern – wie folgt dar:
2021 haben rund 730 14- bis 21-Jährige an FreD teilgenommen. Nach Einschätzung der Berater*innen hätten 15 bis 20 Prozent der Jugendlichen eine intensivere Beratung benötigt.
2023 konnte Condrobs e.V. mit Mitteln aus der HaLT-Förderung befristet eine Jugendsuchtberatung anbieten. Ohne Werbung für das Angebot wurden 110 Personen mit teilweise schweren Substanzkonsumstörungen erreicht. Condrobs e.V. bietet seit zwei Jahren mit 2,0 VZÄ Jugendsuchtberatung für den Landkreis München an. Hier übersteigt die Nachfrage mittlerweile das Angebot.
Vermehrt kommen Jugendliche und ihre Eltern mit Beratungswunsch in die Suchtberatungsstellen für Erwachsene. Auch werden zunehmend konsumierende Jugendliche aus Erziehungsberatungsstellen und weiteren Einrichtungen der Jugendhilfe dorthin vermittelt. Nicht nur ist das Beratungsangebot dort nicht finanziert, es fehlen auch die spezifischen Kenntnisse zum Konsum und zu den Lebenswelten Jugendlicher sowie zu Angeboten der Jugendhilfe.
Der Konsum von illegalen Drogen nimmt bei Jugendlichen zu. Dies zeigten im letzten Jahr verschiedene Fachtage, so etwa der Fachtag der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen im Herbst 2023 und die Fachtagung „Aufwachsen im Krisenmodus“ von Condrobs e.V. am 10. Juni 2024. Ebenso berichten Träger von einem Anstieg an opioidkonsumierenden Jugendlichen und einer Überforderung von Einrichtungen der Jugendhilfe durch diese hochriskant Konsumierenden. Die Bezirkssozialarbeit bestätigt diese Entwicklung aus ihrer Erfahrung.
Auch die drogenbedingten Todesfälle bei 14- bis 18-Jährigen haben sich nach Angaben des Landeskriminalamts zwischen 2017 und 2022 verdoppelt. Dies zeigt die Notwendigkeit für frühere Angebote und Interventionen, um Eskalationen in Richtung psychischer Ausnahmesituationen, akuter Intoxikationen und Todesfälle nach Möglichkeit zu verhindern.
Über die stoffgebundenen Störungen hinaus gibt es eine hohe Zahl an Jugendlichen mit nicht stoffgebundenen Störungen. Laut Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen 6 bis 8 Prozent der unter 18-Jährigen eine Abhängigkeit von Computerspielen und sozialen Medien.Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Zielgruppe der jungen Menschen bis 21 Jahre, die in problematischer Weise Suchtmittel konsumieren oder Verhaltenssüchte entwickelt haben, ein Bedarf an Beratung und Unterstützung besteht, der derzeit quantitativ wie qualitativ nicht ausreichend gedeckt ist. Junge Menschen sollten ein solches Beratungsangebot anonym, (zunächst) ohne Beteiligung der Eltern und ohne vorherige Prüfung durch das Jugendamt wahrnehmen können. Jugendsuchtberatung muss spezialisiert, schnell, niedrigschwellig, aufsuchend und in den sozialen Medien aktiv sein sowie ohne Sorgeberechtigte zugänglich, aber von Angeboten für Familien begleitet sein. Die Beratung soll verhindern, dass junge Menschen eine manifeste Störung entwickeln, und – sofern diese bereits vorliegt – in weiterführende Hilfs- und Behandlungsangebote vermitteln.
Dabei ist zu beachten, dass Mädchen und Jungen sowie junge Frauen und Männer gleichermaßen vor den Risiken von Sucht und Abhängigkeit geschützt werden und ihre teils unterschiedlichen Lebenslagen, Entwicklungsaufgaben und Bedürfnisse einbezogen werden. Suchtmittelkonsum und die Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern und erfordern unterschiedliche Inhalte in der Prävention wie der Beratung und Behandlung. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Suchtmittelkonsum unterschiedliche Auswirkungen auf den weiblichen und männlichen Organismus haben kann. Jugendsuchtberatung muss somit durch ein geschlechterdifferenziertes und gleichstellungsorientiertes Vorgehen darauf hinwirken, dass Mädchen und Jungen sowie junge Frauen und Männer bedarfs- und bedürfnisgerechte Angebote erhalten, um einen bestehenden Suchtmittelkonsum bestmöglich zu bewältigen.
Das GSR prüft aktuell mit dem Sozialreferat und dem Referat für Bildung und Sport sowie den freien Trägern der Sucht- und Jugendhilfe, in welcher Form der beschriebene Bedarf noch durch bestehende Angebote gedeckt werden kann und welche Anpassungen dafür erforderlich wären. Nach dieser Prüfung kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob ein zusätzliches Angebot erforderlich ist und wie dieses gemäß den obenstehenden konzeptionellen Kriterien ausgestaltet werden kann.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Das Referat für Bildung und Sport sowie die Gleichstellungsstelle für Frauen haben die Antwort mitgezeichnet. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.