Gesetzliche Grundlagen gegen organisiertes Betteln verschärfen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Dr. Evelyne Menges und Manuel Pretzl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 2.11.2023
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
Vielen Dank für Ihren Antrag vom 2.11.2023.
Darin beantragen Sie, dass über den Bayerischen und Deutschen Städtetag an Bund und Land herangetreten wird, mit dem Ziel, die bestehende Gesetzeslage gegen organisierte und kriminelle Bettelbanden zu verschärfen, sodass Kommunen wie die Landeshauptstadt München in Zusammenarbeit mit der Polizei deutlich effektiver gegen diese vorgehen können.
Zur Begründung führten Sie an, dass in München wieder vermehrt organisierte Bettelbanden aktiv seien. Aggressives Betteln, welches verboten ist, wäre u.a. an Friedhöfen und im Straßenverkehr zu beobachten. Zudem gebe es illegale Schlaflager im Innenstadtbereich.
Mitglieder von „Bettelbanden“ würden zum Betteln gezwungen werden und leben in der Regel unter menschenunwürdigen Bedingungen, zudem käme es zur Ausnutzung von hilfsbedürftigen Menschen. Ein weiterer Aspekt sei die Verschlechterung des Stadtbildes und des Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sowie von Besucher*innen. Um solche Umstände zu schwächen sei die Verschärfung der Gesetzeslage zielführend. Damit würde auch die Ausbeutung der bettelnden Personen abnehmen. Es soll die Möglichkeit für die Sicherheitsbehörden geschaffen werden, deutlich effektiver gegen diese Art von kriminellen Aktivitäten vorzugehen.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Sie thematisieren in Ihrem Antrag primär das bandenmäßige bzw. organisierte Betteln.
Hierbei ist zu differenzieren:
Die Organisation von Bettelaktivitäten ist per se nicht verboten. Denn es könnten sich beispielsweise Bettler*innen die sozial miteinander verbunden sind (z.B. familiär oder freundschaftlich) zum Betteln zusammenschlie-ßen, indem sie gemeinsam an- und abreisen oder an derselben Örtlichkeit betteln. Eine solche persönliche Verbindung ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Organisiertes Betteln, ohne kriminelle bzw. ausbeuterische Struktur, ist daher in der Regel zulässig.Anders verhält es sich mit bandenmäßigem bzw. kriminell organisiertem Betteln. Für diese Form des Bettelns bedarf es einer gewissen ausbeuterischen, kriminellen Struktur. Es muss eine Bandenaktivität bestehen, aus der hervorgeht, dass sozusagen „Hintermänner“ andere Menschen zum Betteln zwingen und die Einnahmen „einkassieren“, mit der Folge, dass die Bettler*innen ausgebeutet werden. Es besteht folglich ein hierarchisches Ober-/Unterordnungsverhältnis zu Lasten der bettelnden Personen.
Zudem sprechen Sie am Rande noch aggressives Betteln an, welches vorliegt, wenn dem Bittgesuch durch hartnäckiges Ansprechen, Beleidigen, Verfolgen, Berühren, In-den-Weg-stellen oder sonstige Formen der Belästigung von Passanten Nachdruck verliehen wird.
Davon abzugrenzen ist Betteln in „stiller Form“, welches grundsätzlich vom Gemeingebrauch öffentlicher Straßen und Wege (Art.14 Abs.1 Satz 1 BayStrWG) umfasst ist und daher prinzipiell rechtskonformes Verhalten darstellt. Dies ist bereits höchstrichterlich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden worden, der in seiner Rechtsprechung vom 19.1.2021 die Bettelei, durch welche die bettelnden Personen versuchen ihre Grundbedürfnisse zu decken und sich deshalb zur Unterstützung an andere Personen wenden, ein „der Menschenwürde immanentes Recht” nannte und dieses als ein nach Art.8 Abs.1 Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschütztes Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens anerkannte, was zur Folge hatte, dass die dem Urteil zugrundeliegende Strafvorschrift, mit der auch stilles Betten verboten wurde, als rechtswidrig eingestuft worden ist (vgl. EGMR v. 19.1.2021 – 14065/15 – Lacatus/Schweiz).
Hingegen unterliegt bandenmäßiges bzw. kriminell organisiertes ebenso wie aggressives Betteln nicht mehr diesem Gemeingebrauch, sodass solche Aktivitäten im gesamten Stadtgebiet einen Verstoß gegen Art.18 Abs.1 Satz 1 BayStrWG und folglich gemäß Art.66 Nr.2 BayStrWG eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Demnach sind derartige Bettelaktivitäten bereits verboten.
Darüber hinaus könnten in diesem Kontext strafgesetzliche Bestimmungen verwirklicht sein, wie z.B. §232 StGB (Menschenhandel), §232b StGB (Zwangsarbeit), §233 StGB (Ausbeutung von Arbeitskraft) oder §233a StGB (Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung).
Nachdem kriminell organisiertes bzw. bandenmäßiges Betteln bereits verboten ist und diesbezüglich Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeit verwirk-licht sein und geahndet werden könnten, bedarf es in diesem Zusammenhang keiner Verschärfung der bestehenden Gesetzeslage.
Damit eine derartige Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, müssen entsprechende Erkenntnisse über das ordnungswidrige Verhalten vorliegen und die Personalien der Störer*innen erfasst werden, damit anschließend ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden kann.
Ebenso verhält es sich mit verwirklichten Straftatbeständen, die entsprechend bei der Polizei angezeigt werden müssten, um ein Strafverfahren einzuleiten.
Um die aktuelle Situation bezüglich kriminell organisiertem bzw. bandenmäßigem Betteln im Münchner Stadtgebiet besser einschätzen zu können, habe ich in Ergänzung zu den Erkenntnissen des Kreisverwaltungsreferates diejenigen des Polizeipräsidiums München und des Sozialreferates abgefragt.
Dem Kreisverwaltungsreferat liegen aktuell folgende Erkenntnisse vor: Organisiertes bzw. bandenmäßiges Betteln wird zwar in Mitteilungen von Bürger*innen des Öfteren angesprochen. Allerdings sind solche Strukturen bislang nicht belegt. Allein der Umstand, dass verschiedene bettelnde Personen eine Verbindung zueinander hegen, indem Sie sich unterhalten, gemeinsam an-/abreisen oder an denselben Örtlichkeiten betteln, begründet noch kein kriminell organisiertes oder bandenmäßiges Betteln. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Personen schlicht sozial, z.B. familiär oder freundschaftlich miteinander verbunden sind. Eine derartige Beziehung ist gewiss nicht verwerflich und erst recht nicht untersagt oder gar kriminell. Nachweisbare Erkenntnisse über eine kriminelle Organisation unter den bettelnden Personen liegen hingegen bisher nicht vor.
Auch das Polizeipräsidium München teilte hierzu mit, dass häufig der Verdacht auf eine solche kriminell organisierte Struktur unter den bettelnden Personen besteht, aber dies bislang nicht durch polizeiliche Ermittlungen belegt werden konnte.
Zudem liegen auch dem Sozialreferat keine Erkenntnisse vor, dass es unter den Bettler*innen zu einer „Bandenkriminalität“ kommen würde, Bettler*innen zum Betteln gezwungen werden würden oder Opfer von Menschenhandel wären. Richtig ist allerdings, dass sich die Bettler*innen zum Teil auch untereinander organisieren und zusammenschließen. Bei der großen Mehrheit der Bettler*innen in München handelt es sich umMenschen, die aufgrund der Bundesgesetzgebung keine sozialrechtlichen Ansprüche haben. Betteln dient diesen Menschen zum existenziellen Überleben.
Darüber hinaus teilte das Polizeipräsidium München mit, dass auch aggressives Betteln selten ein Problem darstellt, denn auch hier überwiegt zumeist die subjektive Wahrnehmung der Bürger*innen, sodass zwar oft von dieser Bettelform gesprochen wird, diese allerdings zumeist tatbestandlich nicht verwirklicht ist und die Bürger*innenmitteilungen vielmehr (nicht verbotenes) hartnäckiges Nutzen bestimmter Örtlichkeiten zum Betteln betreffen. Dort, wo es tatsächlich zu aggressivem Betteln i.S.d. rechtlichen Definition kommt, wird von polizeilicher Seite konsequent eingeschritten und Ordnungswidrigkeitenanzeigen erstellt.
Sollten dennoch derartige verbotene Bettelaktivitäten zu beobachten sein, empfehle ich die unmittelbare Kontaktaufnahme zur Polizei, damit diese den Einzelfall prüfen und im gegebenen Falle die weiteren Schritte wie ein Bußgeld- oder Strafverfahren einleiten können.
Darüber hinaus ist auch der Kommunale Außendienst (KAD) des Kreisverwaltungsreferates im Rahmen seines Einsatzgebietes, welches sich im Wesentlichen auf den Alten Botanischen Garten, den Hauptbahnhof, den Stachus, das südliche Bahnhofsviertel bis zum Sendlinger-Tor-Platz und den Nußbaumpark erstreckt, durch Streifengänge präsent. Stellt der KAD ordnungswidriges Verhalten fest, ergreift er die notwendigen Maßnahmen. Zudem ist der KAD auch Ansprechpartner für Bürger*innen und Gewerbetreibende.
Insgesamt ist festzuhalten, dass bereits rechtliche Grundlagen für das Einschreiten gegen kriminell organisiertes bzw. bandenmäßiges Betteln bestehen. Zudem liegen weder dem Kreisverwaltungsreferat noch der Polizei oder dem Sozialreferat hinreichende Erkenntnisse bezüglich kriminell organisierter oder bandenmäßiger Bettelaktivitäten im Stadtgebiet München vor. Zurückliegende polizeiliche Ermittlungen haben einen entsprechenden Anfangsverdacht nicht erhärten können. Für eine Verschärfung der bereits bestehenden rechtlichen Lage besteht daher keine Grundlage, da die unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR unzulässigen Formen des Bettelns bereits gesetzlich geregelt sind und nicht erkennbar ist, welche Form von Gesetzesänderungen zu einer anderen Bewertung führen würde.
Darüber hinaus möchte ich noch darauf hinweisen, dass die angesprochenen Bettelaktivitäten im Bereich von Friedhöfen bereits im StR-Antrag20-26/A 04281 und Bettelaktivitäten im Straßenverkehr in der StR-Anfrage 20-26/F 00798 behandelt worden sind.
Hinsichtlich der von Ihnen angeführten „illegalen Schlaflager“ darf ich auf die Arbeitsgruppe „Wildes Campieren“ unter der Federführung des Sozialreferates verweisen. Verwahrlosungstendenzen, z.B. in Form von verfestigten Schlaflagern, geht zudem die vom Oberbürgermeister einberufene und unter Federführung des KVR aktuell tätige Taskforce Hauptbahnhof in der Innenstadt mit noch einmal deutlich verstärkten Bemühungen bspw. in Form von zusätzlichen Räumaktivitäten und Kontrollen nach.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.