Wie begründen sich dreistellige Millionenverluste mit Windparks in Norwegen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (Die Linke / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 29.5.2024
Antwort Referent für Arbeit und Wirtschaft, Clemens Baumgärtner:
In Ihrer Anfrage vom 29.5.2024 führten Sie als Begründung aus: „Im Finanzdaten- und Beteiligungsbericht 2023 finden sich Zahlen, die aufhorchen lassen. Gerade Beteiligungsgesellschaften der Stadtwerke München, deren Fokus der Betrieb und die Entwicklung von Windparks in Zentralnorwegen ist, schrieben im Jahr 2022 tiefrote Zahlen: Endgültige Jahresüberschüsse/ - Fehlbeträge für 2022 -Midgard Vind Holding AS
- 59.135.000 Euro (Seite 573)
- SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH -149.518.000 Euro (Seite 569)
- Roan Vind DA
- 210.184.000 Euro (Seite 368)
Das Windparkportfolio Midgard liegt wie der Windpark Roan in der norwegischen Preiszone NO3, die im Gegensatz zu den südnorwegischen Preiszonen vor allem 2022 extrem niedrige Strompreise hatte. Die Preise im Süden waren damals teilweise hundert Mal höher als in den Gebieten der Windparks der SWM in Norwegen. Solch massive Preisdiskrepanzen sind Folge von mangelnden Stromnetzen in Zentral- und Nordnorwegen. Schon im Sommer letzten Jahres berichtete die Süddeutsche Zeitung von Verlusten im Midgard Portfolio, jedoch lediglich von einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Die im Finanzdaten- und Beteiligungsbericht 2023 genannten Verluste übersteigen dies jedoch bei Weitem. Die hohen Verluste in 2022 lassen vermuten, dass die Beteiligungen Fehlinvestitionen waren. Es darf nicht sein, dass hohe Verluste an anderer Stelle mit hohen Preisen für die Endverbraucher verdeckt werden.
Gleichzeitig ist ersichtlich, dass es bei den Vorständen der jeweiligen Beteiligungen für Windparks in Zentralnorwegen im Sommer 2022 große Veränderungen gegeben hat. Dies wirft zumindest Fragen auf, aus welchen Gründen dies passiert ist. Hier braucht es Aufklärung. Bei den betroffenen Beteiligungen handelt es sich um Windparks, die auch von der lokalen Bevölkerung sehr kritisch gesehen werden. Zum einen, weil die Bevölkerung der indigenen Samen sich in ihren Gebieten übergangen und in ihrer Lebensweise bedroht fühlt. Zum anderen, weil Windparks wie Froya (Teil von Midgard) große Eingriffe in die örtliche Natur nach sich gezogen haben. Dazu wird die Energie vor Ort schon zu knapp 100% durch erneuerbare Energien erzeugt.
Während in der Region München jahrelang kaum in die Potentiale erneuerbarer Energien investiert wurde, werden durch die Stadtwerke München (SWM) Projekte in Norwegen auch gegen den Willen der dortigen Bevölkerung vorangetrieben. Die SWM handeln wie ein von Profimaximierung getriebener und global agierender Energiekonzern. Es wird in Großprojekte investiert, statt lokal zu handeln und eine dezentrale Energiewende umzusetzen.“
Wir haben die Stadtwerke München GmbH um Stellungnahme zu Ihrer StR-Anfrage gebeten und daraufhin folgende Rückmeldung erhalten:
Vorbemerkung der SWM:
„Die Stadtwerke München GmbH ist über die Zwischenholding SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH an den norwegischen Windparkgesellschaften Midgard Vind Holding AS (zu 70%) und Aneo Roan Vind Holding AS (zu 49%) beteiligt.
Midgard Vind Holding AS hält ihrerseits Beteiligungen an insgesamt acht operativen Windparkgesellschaften jeweils zu 100%; Aneo Roan Vind Holding AS hält eine Beteiligung in Höhe von 60% an der operativen Windparkgesellschaft Roan Vind DA.
Im Rahmen des Finanzdaten- und Beteiligungsberichts wird durch die Landeshauptstadt München über die Jahresergebnisse aller Gesellschaften berichtet, an denen die Stadtwerke München beteiligt sind. Bei der im Antrag zitierten Fassung des Berichts wurden – aufgrund einer Systemumstellung auf Seiten der Landeshauptstadt München – versehentlich teilweise Jahresergebnisse, die in Landeswährungen bilanziert werden, nicht richtig in Euro-Beträge umgerechnet. Der Fehler wurde unmittelbar korrigiert und am 15.4.2024 wurde eine korrigierte Fassung des Finanzdaten- und Beteiligungsberichts online veröffentlicht.“
Zu den Fragen im Einzelnen:
Frage 1:
Wie begründet sich der Verlustbetrag von ca. 60 Millionen Euro für das Jahr 2022 bei der Midgard Vind Holding AS, die im Finanzdaten- und Betei- ligungsbericht 2023 benannt sind?
Antwort der SWM:
„Das negative Ergebnis des Jahres 2022 der Midgard Vind Holding AS, an der die SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH zu 70% beteiligt ist, ist auf negative Ergebnisse aus Preissicherungsgeschäften der Midgard Vind Holding AS zurückzuführen, über die dem Stadtrat bereits in seiner Sitzung im 10.5.2022 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 06153) ausführlich berichtet wurde.
Die Midgard Vind Holding AS hatte zur Reduktion von Preisrisiken marktübliche Termingeschäfte auf Basis des norwegischen Systempreises abgeschlossen.
Durch die extremen und nicht vorhersehbaren Preisentwicklungen im Gefolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 bildeten sich erstmalig extreme Preisdifferenzen zwischen dem norwegischen Systempreis, der einen Durchschnittspreis aller norwegischen Preiszonen abbildet, und der Preiszone NO3, in die die Windparks des Midgard Portfolios einspeisen. Hierdurch wurden aus den Termingeschäften die negativen Ergebnisse realisiert.
Sämtliche dieser Sicherungsgeschäfte sind Ende 2022 ausgelaufen, so dass ein ähnlicher Effekt für 2023 und in Zukunft ausgeschlossen ist.“
Frage 2:
Wie begründet sich der Verlustbetrag von ca. 150 Millionen Euro für das Jahr 2022 bei der SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH, die im Finanzdaten- und Beteiligungsbericht 2023 benannt sind?
Antwort der SWM:
„Nachdem die SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH die Muttergesellschaft der Midgard Vind Holding AS und der Aneo Roan Vind Holding AS ist, spiegelt sich deren beider Entwicklung auch im Ergebnis der SWM Erneuerbare Energien Norwegen GmbH. Das negative Ergebnis ergibt sich durch bilanzielle Bewertungsvorschriften, ohne dass Geldmittel abgeflossen sind. Vielmehr war eine sog. bilanzielle Wertberichtigung des Beteiligungsbuchwerts an der Midgard Vind Holding AS vorzunehmen. Diese bilanzielle Wertminderung resultierte neben den genannten Effekten im Geschäftsjahr 2022 auch aus geringer erwarteten zukünftigen Ergebnissen der Gesellschaft aufgrund einer zum Bilanzstichtag angekündigten Änderung der Besteuerung von Windparkgesellschaften in Norwegen.“
Frage 3:
Wie begründet sich der Verlustbetrag von ca. 210 Millionen Euro für das Jahr 2022 bei der Roan Vind DA, die im Finanzdaten- und Beteiligungsbe- richt 2023 benannt sind?
Antwort der SWM:
„Für die Gesellschaft Roan Vind DA wurde in der Anfrage die Zahl aus dem im Dezember 2023 veröffentlichten Finanzdatenbericht zitiert. Diese war – wie in der Vorbemerkung dargestellt – nicht korrekt, da aufgrund einer Systemumstellung auf Seiten der Landeshauptstadt München ein NOK-Betrag (Norwegische Kronen) fälschlicherweise als Euro-Betrag dargestellt wurde. Der richtige Wert für Roan Vind DA beträgt -210,2 Millionen NOK (bzw. -20,8 Millionen Euro) und nicht -210,2 Millionen Euro. Der Finanzdatenbericht wurde in einer korrigierten Version am 15.4.2024 online auf muenchen.de veröffentlicht.
Der Hintergrund des negativen Ergebnisses ist wiederum rein bilanzieller Natur, ohne dass entsprechende Geldmittel abgeflossen wären. Zunächst erfolgte im Vorjahr eine außerordentliche Zuschreibung in der Windparkgesellschaft Roan Vind DA. Da das wirtschaftliche Ergebnis aus der Stromvermarktung jedoch in der darüberliegenden Roan Vind Holding AS gezeigt wurde, weil diese als Muttergesellschaft die erzeugten Strommengen anteilig übernimmt und die Preisrisiken trägt, wurde diese Zuschreibung im Berichtsjahr bei der Roan Vind DA wieder rückgebucht, wodurch bilanziell das negative Ergebnis entstand. Bei der Muttergesellschaft Aneo Roan Vind Holding AS wurde dagegen im Jahr 2022 ein positives Jahresergebnis in Höhe von 136 Millionen NOK erwirtschaftet.“
Frage 4:
Aus welchen Gründen wurden jeweils die Board of Directors bei sämtlichen Windkraft Beteiligungsgesellschaften der SWM in Zentralnorwegen ausgetauscht?
Antwort der SWM:
„Diese Vermutung ist nicht zutreffend. Bei der Midgard Vind Holding AS sind zwei von vier Board-Mitgliedern zum 1.7.2022 neu berufen worden. Die Board-Mitglieder sind grundsätzlich Beschäftigte bei den Gesellschaftern. Wenn diese die Position beim Gesellschafter – zum Beispiel aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels – nicht mehr innehaben, erfolgt grundsätzlich auch ein Wechsel im Board der Beteiligungsgesellschaft. So verhielt es sich auch bei den beiden Wechseln hier. Die beiden anderen Board-Mitglieder waren bereits zuvor im Amt. Bei der Aneo Vind AS sind ebenfalls zweivon vier Board-Mitgliedern neu berufen worden. Ein weiterer Wechsel fand bereits 2021 statt. Beim Eintrag „ab (Datum)“ bzw. „bis (Datum)“ wurde leider nicht das Datum der Wirksamkeit der Berufung, sondern ein (einheitliches) Datum des Eintrags in der Datenbank angezeigt. Künftig wird das individuelle Datum der Wirksamkeit der Berufung verwendet werden.“
Frage 5:
Bis wann gehen die Stadtwerke München von einem ausreichenden Ausbau der Stromnetze in Norwegen aus, damit sich die Preise in den Preiszonen in Skandinavien angleichen?
Antwort der SWM:
„Eine Angleichung der Preisdifferenzen zwischen den verschiedenen Preiszonen ist keine notwendige Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Betrieb von Windparks in Norwegen.
Die Preisdifferenzen zwischen den verschiedenen Preiszonen in Norwegen werden zudem nicht alleine durch den Ausbau der Netzkapazitäten innerhalb Norwegens beeinflusst, sondern auch durch die Entwicklung der Stromnachfrage in den jeweiligen Preiszonen sowie vor allem durch das Stromangebot aus Wasserkraftwerken aufgrund der jeweils aktuellen wetterbedingten hydrologischen Situation.
Bezüglich der möglichen zukünftigen Entwicklung des norwegischen Strommarkts wird auf eine Veröffentlichung der norwegischen Energiebehörde (NVE) vom Oktober 2023 verwiesen. Die Behörde, die unmittelbar dem Energieministerium zugeordnet ist, erstellt regelmäßig eine Markteinschätzung für den norwegischen Energiemarkt und ermittelt auch Prognosen für die Entwicklung von Erzeugungskapazitäten und der Energienachfrage in den jeweiligen Preiszonen.
Die Energiebehörde geht davon aus, dass sich im Jahr 2030 die Preisunterschiede in den unterschiedlichen Preiszonen (mit Ausnahme von NO5) nahezu vollständig aufgehoben haben werden.“
Frage 6:
Wie schätzen die SWM die zukünftige Entwicklung der Windparks in Zent- ralnorwegen (Preiszonen NO3 und NO4) ein?
Antwort der SWM:
„Die SWM gehen davon aus, dass alle Windparks der SWM in Norwegen weiterhin wirtschaftlich betrieben werden.“
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.