Entschlossen gegen Langzeitwohnungslosigkeit in München: Menschen runter vom Abstellgleis und zurück in die Stadtgesellschaft
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 19.3.2024
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag vom 19.3.2024 teile ich Ihnen Folgendes mit:
Geförderte Wohnungen werden in München nach den gesetzlichen Vorgaben für Gebiete mit erhöhtem Wohnraumbedarf vergeben. Hierbei ist insbesondere Art. 5 Bayerisches Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG) relevant. Demnach hat die zuständige Stelle (Amt für Wohnen und Migration) bei der Benennung von Haushalten gleichermaßen die Dringlichkeit und die sogenannte Strukturkomponente zur Schaffung und Erhaltung stabiler Bewohner*innenstrukturen zu berücksichtigen. Die Dringlichkeit bestimmt sich dabei gemäß § 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung Wohnungsrecht (DVWoR) nach dem sozialen Gewicht des Wohnungsbedarfs und ergänzend nach der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts vor Ort. Das Verfahren zur Vergabe von geförderten Wohnungen in München wurde im Jahr 2020 grundlegend überarbeitet (vgl. Beschluss der Vollversammlung vom 17.6.2020, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V00033).
Mit den sogenannten Grundpunkten wird die aktuelle Wohn- und Lebenssituation eingestuft. Wohnungslose Haushalte erhalten hierbei die höchstmögliche Grundpunktezahl in Höhe von 120 Punkten. Personengruppen, die nach Art. 5 Satz 3 BayWoBindG vorranging zu berücksichtigen sind, erhalten zusätzlich bis zu 30 Vorrangpunkte. Dies sind Schwangere, Haushalte mit Kind(ern), ältere Menschen sowie Menschen mit einer Schwerbehinderung. Aus der Addition von Grund- und gegebenenfalls Vorrangpunkten ergibt sich die Gesamtpunktzahl bzw. die Dringlichkeit. Bei Punktegleichstand gilt der Haushalt als dringlicher, der schon länger in der Stadt München lebt (Zuzugsdatum).
Zur Berücksichtigung der Strukturkomponente werden die registrierten Haushalte zudem in verschiedene Zielgruppen eingeteilt:
- drohend wohnungslose Haushalte (insbesondere bei Wohnungskündigung oder befristeten Mietverträgen)
- wohnungslose Haushalte – dazu gehören insbesondere:
- Haushalte im städtischen Sofortunterbringungssystem
- Haushalte in Einrichtungen der Jugendhilfe, deren Maßnahme endet
- Haushalte, die in therapeutischen Einrichtungen untergebracht sind
- Haushalte, die in besonderen Wohnprojekten leben (z. B. heranwachsende unbegleitete Flüchtlinge)
- fehlbelegte Haushalte bei der Regierung von Oberbayern und Statuswechsler*innen in dezentraler Unterbringung der Landeshauptstadt München
- Haushalte im privaten Notquartier
- auf der Straße lebende Haushalte
- allgemein wohnungssuchende Haushalte (insbesondere bei überbelegten Wohnungen oder Bedarf einer anderen Wohnung aus gesundheitlichen Gründen)
- gegebenenfalls erfolgt zusätzlich zu einer Zuordnung zu einer der drei oben genannten Zielgruppen eine Zuordnung zur Zielgruppe „Strukturkomponente“ (wenn mindestens eine Person einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht oder wenn für einen wohnungslosen Haushalt nach Erarbeitung der Wohnperspektive eine positive sozialpädagogische Einschätzung vorliegt)
Im Rahmen der Benennung wird aus diesen vier Zielgruppen der jeweils dringlichste Haushalt ausgewählt (nach Punkten und ergänzend – bei Punktegleichstand – nach Dauer der Anwesenheit in München); aus der zahlenmäßig größten Gruppe der allgemein wohnungssuchenden Haushalte werden zwei benannt. Hat sich aus einer Zielgruppe kein Haushalt auf die Wohnung beworben, so wird ein weiterer Haushalt aus der Zielgruppe der allgemein wohnungssuchenden Haushalte benannt.
Durch die beschriebenen Regelungen erhalten die Vermieter*innen immer einen gemischten Vorschlag, aus welchem sie den Haushalt wählen können, der sich am besten in die Hausgemeinschaft einfügt.
Sie beantragen dieses Vergabesystem zugunsten von Langzeitwohnungslosen anzupassen, insbesondere durch die Berücksichtigung gesundheitlicher Beeinträchtigungen und der Aufenthaltsdauer in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe.
Bei der Dringlichkeitseinstufung anhand der aktuellen Wohnsituation wird derzeit nur der dringlichste erfüllte Tatbestand berücksichtigt. Eine Addition mehrerer Fälle, beispielsweise bei Vorliegen von Wohnungslosigkeit und gesundheitlichen Gründen, findet nicht statt. Im Zuge der Neugestaltung des Dringlichkeitssystems wurde das Additionsszenario ausführlich ge-prüft. Die Berücksichtigung mehrerer Dringlichkeitsfälle kann einerseits eine noch gerechtere Priorisierung ermöglichen, andererseits aber auch zu einer ungerechten Bevorzugung führen, wenn ein Haushalt eine Vielzahl grundsätzlich niedrig zu bewertender Gründe für die Wohnungssuche geltend macht und damit einen Haushalt überholt, der nur einen, aber dafür wesentlich schwerwiegenderen Dringlichkeitstatbestand erfüllt.
Um solche offensichtlichen Ungerechtigkeiten zu vermeiden, müssten für die Addition mehrerer Dringlichkeitsfälle allgemeingültige Regelungen festgelegt werden, die für alle denkbaren Konstellationen von Dringlichkeitsgründen zu einer möglichst gerechten Einstufung im Vergleich zu allen anderen registrierten Haushalten führen.*1
Dies dürfte in der Praxis schwer umsetzbar sein und würde die Dringlichkeitsbewertung in jedem Fall deutlich komplexer (für die Verwaltung) und damit intransparent (für die Bürger*innen) machen. Nach Abwägung aller Pro- und Contra-Argumente entschied sich das Amt für Wohnen und Migration daher für das aktuell geltende Punktesystem und damit gegen eine Addition mehrerer Tatbestände. Denn ein wesentliches Ziel der Neugestaltung des Punktesystems im Jahre 2020 war es, das Vergabeverfahren geförderter Wohnungen für die Bürger*innen nachvollziehbarer und transparenter zu machen.
Ein weiterer Grund für die Überarbeitung war, dass die vorherige Punktetabelle gerade aufgrund ihrer Ausdifferenziertheit zu Ungerechtigkeiten führte, etwa weil wohnungslose Haushalte seinerzeit unterschiedlich bepunktet wurden. Haushalte, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Wohnprojekten für heranwachsende Geflüchtete untergebracht waren, erhielten beispielsweise weniger Punkte als Haushalte im städtischen Wohnungslosensystem und wurden damit faktisch von der Wohnungsvergabe nahezu ausgeschlossen. Doch auch diese Haushalte, die in ihren Einrichtungen eine intensive sozialpädagogische Betreuung erhalten haben und für dauerhaftes Wohnen geeignet sind, benötigen dringend eine eigene Wohnung, um den Betreuungserfolg und die Stabilität der Haushalte nicht zu gefährden. Kann nicht rechtzeitig vor Beendigung der Maßnahme ein mietvertraglich abgesicherter Anschlusswohnraum gefunden werden, müssen diese Haushalte in die Obdachlosigkeit entlassen bzw. im städtischen Sofortunterbringungssystem untergebracht werden. Gleiches gilt für Haushalte, die zwar noch mit mietvertraglich abgesichertem Wohnraum versorgt sind, diesen aber bald verlieren werden (Wohnungskündigungen etc.) oder in diesem Wohnraum in prekären Verhältnissen (z. B. krasse Überbelegung) leben. Es ist daher anzunehmen, dass eine vorrangige Vermittlung von Haushalten aus dem Sofortunterbringungssystem nicht zueiner Entlastung des Systems bzw. weniger Personen im Unterbringungssystem führen würden.
Ihr Vorschlag, die Aufenthaltsdauer eines Haushalts in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe zu berücksichtigen, ist nachvollziehbar. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auch hier eine gerechte Priorisierung schwer. Benötigt beispielsweise ein Paar, das bereits seit zwei Jahren untergebracht ist, sich aber gegenseitig mental unterstützen kann, dringender eine Wohnung als eine alleinstehende schwangere Frau oder eine pflegebedürftige Person, die erst seit kurzem wohnungslos ist? In der Praxis dürfte es zudem oft schwierig sein, die tatsächliche Dauer der Wohnungslosigkeit zu ermitteln, da Wohnungslose häufig ihr Obdach wechseln. Diese Historie lässt sich häufig nicht genau nachverfolgen. Liegt etwa eine Unterbrechung von einem Jahr vor oder gibt es Lücken von jeweils mehreren Monaten, für welche unklar ist, wo die Person in diesen Zeiträumen gelebt hat, gestaltet es sich schwierig, eine gerechte Regelung zur Berechnung der Dauer der Wohnungslosigkeit zu finden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sogenannte Systemwander*innen bei einer entsprechenden Priorisierungslogik hinten einsortiert werden müssen, obwohl genau diese Langzeitwohnungslosen durch den Ansatz eigentlich besonders gepusht werden sollen.
Hinzu kommt, dass – sollte man sich für eine Berücksichtigung der Dauer der Wohnungslosigkeit entscheiden – dies analog auch für andere Zielgruppen erfolgen müsste. Denn auch das Leben in einer stark überbelegten Wohnung (z. B. fünf Personen in einer Ein-Zimmer-Wohnung) stellt beispielsweise mit zunehmender Zeit eine immer größere Belastung und Prekarität dar. Auch in diesen Fällen kann die Wohnsituationshistorie nur mit viel Aufwand nachvollzogen werden und birgt Schwierigkeiten hinsichtlich einer gerechten Bewertung (Beispiel Überbelegung: Familie A verfügt seit zwei Jahren über drei Wohnräume zu wenig, zuvor bereits drei Jahre lang über zwei Wohnräume zu wenig versus Familie B, die bereits seit drei Jahren drei Wohnräume zu wenig hat, davor aber in einer ausreichend großen Wohnung lebte). Auch eine Berücksichtigung der Dauer der Wohnungslosigkeit oder sonstigen Wohnsituation würde im Vollzug somit zu einer deutlichen Komplexitätssteigerung für die Verwaltung und einem nicht mehr einfach nachvollziehbaren Vergabeverfahren für die Wohnungssuchenden führen. Die bei Punktegleichstand bereits jetzt maßgebliche Dauer der Anwesenheit in München, durch welche bis zu einem gewissen Grad indirekt auch die Dauer der Wohnsituation mitberücksichtigt wird, ist im Regelfall deutlich leichter nachzuvollziehen.Festzuhalten bleibt, dass die Regelungen zur Dringlichkeitsbewertung für alle registrierten Haushalte gelten und auch nur allgemeingültig angepasst werden können. Geförderte Wohnungen in München sind knapp. Deshalb ist es besonders wichtig, die wenigen verfügbaren Wohnungen möglichst fair und sozialgerecht zu vergeben. Die Zielgruppe der (Langzeit) Wohnungslosen herauszugreifen und nur bei dieser Multiproblemlagen und/oder die Dauer des Bestehens der vorliegenden Dringlichkeitsgründe zu berücksichtigen, wird diesem Anspruch und dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gerecht.
Eine Anpassung des Dringlichkeitssystems hinsichtlich einer noch individuelleren Berücksichtigung des sozialen Gewichts des Wohnungsbedarfs (insbesondere bezüglich Multiproblemlagen und der Dauer des Bestehens der Dringlichkeitsgründe) für alle Wohnungssuchenden ist – im Rahmen der Konzeptualisierung eines neuen Vergabeverfahrens – grundsätzlich denkbar, aber nicht ressourcenneutral möglich. So wäre diese Überarbeitung des Vergabesystems einerseits mit zusätzlichem Personalbedarf (aufgrund der wesentlich komplexeren Antragsbearbeitung und erhöhtem Beratungsbedarf bei den Wohnungssuchenden) als auch mit Entwick-
lungsaufwand (IT-Projekt) zur technischen Befähigung der verwendeten Fachverfahren SOWON (Soziales Wohnen online) und WIM (Wohnen in
München) verbunden. Angesichts der stetig steigenden Anzahl an Wohnungsanträgen, die im Amt für Wohnen und Migration eingehen, sowie der derzeitigen Haushaltssituation der Landeshauptstadt München ist dies mittelfristig nicht umsetzbar.
Um Haushalten in ganz besonderen Lebenslagen – im Regelfall bei Vorliegen einer Vielzahl von schwerwiegenden Dringlichkeitsgründen – dennoch gerecht werden zu können, gibt es bereits seit der Einführung von SO-WON im Herbst 2016 ein streng limitiertes Härtefallkontingent auf Grundlage von § 3 Abs. 4 DVWoR. Bewerbungen aus diesem Kontingent werden im Rahmen der Vergabe vorranging geprüft. Der dringlichste Haushalt aus dem Härtefallkontingent*2 wird für die Wohnung benannt und besetzt damit den Platz seiner Hauptzielgruppe (Wohnungslose, drohend Wohnungslose oder allgemein Wohnungssuchende) im Fünfer-Vorschlag. Die restlichen vier Benennungen richten sich anschließend nach dem üblichen, oben beschriebenen Auswahlverfahren. Durch dieses Instrument können also Haushalte, deren individueller Dringlichkeit durch die bloße Anwendung des Punktesystems nicht ausreichend Rechnung getragen wird, in der Vergabe bereits jetzt gesondert und damit ermessensgerecht berücksichtigt werden.Des Weiteren fordern sie eine Stärkung der Zielgruppe „Strukturkomponente“ innerhalb der wohnungslosen Haushalte. Wie eingangs bereits angeführt, werden wohnungslose Haushalte dieser Zielgruppe zugeordnet, wenn eine Person im Antrag einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht oder eine positive sozialpädagogische Einschätzung vorliegt. Letzteres ist nur möglich, wenn mit den Bewohner*innen in der jeweiligen Einrichtung der Wohnungslosenhilfe verpflichtend eine Wohnperspektive erarbeitet wird. Das ist nicht in allen Unterbringungsformen der Fall, wird jedoch zunehmend ausgeweitet (seit Kurzem zum Beispiel auch in Wohnprojekten der Abteilung Migration und Flucht, Fachbereich Betreuung, Integration und Unterbringung von Geflüchteten).
Bereits jetzt haben wohnungslose Haushalte also als derzeit einzige Zielgruppe die Möglichkeit, auf zwei Wegen in die Zielgruppe „Strukturkomponente“ aufgenommen zu werden. Diese Aufnahmewege wurden vor Einführung des neuen Vergabesystems in den Unterkünften bekannt gemacht und werden sehr gut genutzt. Aktuell (Stand 1.8.2024) sind rund 29% der registrierten wohnungslosen Haushalte der Zielgruppe „Strukturkomponente“ zugeordnet. Unter allen registrierten Haushalte gehören rund 44% der Strukturkomponente an. Die Differenz begründet sich mit dem Anteil registrierter Haushalte im Leistungsbezug nach dem SGB II oder dem SGB XII, welcher unter den wohnungslosen Haushalten wesentlich höher ist als unter den restlichen registrierten Haushalten. In dieser Zielgruppe sind also weniger Haushalte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch eine positive Einschätzung hinsichtlich Stabilität, Mitwirkungsbereitschaft etc. kann naturgemäß leider nicht für alle wohnungslosen Haushalte vorliegen – Forschungsergebnisse legen nahe, dass durch langanhaltende Wohnungslosigkeit häufig Alltagskompetenzen verlernt werden (können).*3
Dennoch erhalten wohnungslose Haushalte rund 47% der jährlich zu vergebenen Wohnungen (Zahlen 2023, ohne städtische Dienstkräfte), obwohl sie nur rund 30% der für eine geförderte Wohnung registrierten Haushalte ausmachen. Wohnungslose Haushalte sind in der Vergabe demnach keinesfalls unterrepräsentiert. Dass 46% der in Wohnungen vermittelten wohnungslosen Haushalte der Zielgruppe „Strukturkomponente“ angehören, zeigt, dass Wohnungslose von dieser im Jahr 2020 neu eingeführten Zielgruppe maßgeblich profitieren und das – trotz geringerer Registrierungen – im selben Maße wie die restlichen Zielgruppen*4.
Erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass das Amt für Wohnen und Migration einen Pool an Wohnungen exklusiv für (drohend) Wohnungslose vorhält. So werden 30% der Wohnungen aus dem Belegungsbindungsvertrag (BBV)*5 nur wohnungslosen und drohend wohnungslosen Haushalte angeboten. Hinzu kommen sogenannte EOF-bW-Wohnungen (ehemals KomProB),
die ausschließlich an wohnungslose Haushalte vergeben werden. Da die Belegung von EOF-bW-Objekten über eine Belegungskommission erfolgt, können hier gezielt geeignete Haushalte vorgeschlagen werden; eine Benennung nach Dringlichkeit ist für diese besondere Wohnform nicht erforderlich. Über dieses Angebot können insbesondere auch Langzeitwohnungslose und wohnungslose Haushalte in Multiproblemlagen in mietvertraglich abgesicherten Wohnraum vermittelt werden. Die Wohnform ist mit der an sie gekoppelten Nachsorge durch den Fachdienst sozialpädagogische Integrationsunterstützung Wohnen (SIW) sogar explizit auf diese Zielgruppen ausgerichtet.
Folglich hat das Amt für Wohnen und Migration (langzeit)wohnungslose Haushalte bereits stark in seinen Fokus gerückt und verschiedene, in diesem Schreiben nicht abschließend aufgezählte Maßnahmen etabliert, um deren Vermittlungschancen in dauerhaften Wohnraum zu erhöhen. Angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen und hinsichtlich ihrer Relevanz als Benennungskriterium der Dringlichkeit gleichgestellten Durchmischung der Bewohner*innenstrukturen erscheint eine weitere Verschiebung der Wohnungsvergaben im geförderten Bereich zugunsten wohnungsloser Haushalte jedoch nicht angemessen.
Im Übrigen beantragen Sie, dass Wohnungslosigkeit als Auslöser/Verstärker von gesundheitlichen Problemen stärker in den Blick genommen wird und sozialpädagogische Beratungs- und Hilfsangebote in allen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe ausgeweitet werden.
Ein Großteil der wohnungslosen Haushalte benötigt Unterstützung bei der Existenzsicherung, bei psychosozialen Problemlagen, aufgrund von Überschuldung, psychischen oder körperlichen Erkrankungen. Wohnungslose Familien mit Kindern benötigen besondere zusätzliche Unterstützungsangebote.
Es gibt deshalb für alle Unterkünfte des städtischen Sofortunterbringungssystems eine sozialpädagogische Betreuung, in Unterkünften für Familien werden darüber hinaus Fachkräfte im Erziehungsdienst für die Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt. Die Betreuung wird entweder durch städtisches Personal oder durch das Personal eines freien Trägers der Wohnungslosenhilfe erbracht. Die Betreuung inkl. der Übergangsbegleitung (Nachsorge) erfolgt analog dem Konzept, das mit dem Beschluss der Vollversammlung zur Neuausrichtung der Betreuung am 9.4.2014 (Sitzungsvorlage Nr. 08-14/V 14141) verabschiedet wurde und in allen Bestandsobjekten (Notquartiere, Beherbergungsbetriebe und Flexi-Heime) bereits umgesetzt wird.
Im Rahmen regelmäßiger Beratungsgespräche mit den wohnungslosen Haushalten erfolgt ein umfassendes Clearing der aktuellen persönlichen Situation. Aufgabe und Ziel der sozialpädagogischen Fachkräfte vor Ort ist es, mit einem ganzheitlichen Ansatz gemeinsam mit den Haushalten die Ursachen für die bestehende Wohnungslosigkeit zu klären, Unterstützungsdienste bzw. Hilfsdienste konsequent zu installieren sowie mittels Arbeit an der Wohnperspektive die geeignete Anschlusswohnform herauszuarbeiten. Dabei können unterschiedliche Themenbereiche, wie Arbeit und Beschäftigung, Selbstversorgung und Alltagsbewältigung, Wohnen oder auch Gesundheit klient*innenbezogen in den Blick genommen werden. Entsprechend kann hier zum Beispiel die Abklärung der psychischen und körperlichen Gesundheit, die Feststellung von Unterstützungsbedarf sowie die entsprechende Vermittlung an Fachdienste (Suchtberatung, sozialpsychiatrische Dienste, psychiatrische Institutsambulanz und Fachärzten*innen, ambulante Pflegedienste) in den Fokus gerückt werden, mit dem Ziel die Arbeitsfähigkeit herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.
Das vorhandene Konzept des sozialpädagogischen Angebotes im städtischen Sofortunterbringungssystem soll als Auftrag aus dem Gesamtplan IV – Soziale Wohnraumversorgung – Wohnungslosenhilfe – Wohnen statt Unterbringen (vgl. Beschluss der Vollversammlung vom 5.10.2022, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V06560) optimiert werden.
Ziel ist eine Weiterentwicklung der bisher bestehenden Praxis zu einem umfassenderen Betreuungskonzept. Durch die dann vorgesehene Anwesenheit der Sozialpädagog*innen und des Erziehungsdienstes direkt vor Ort soll eine noch weitreichendere Beratung und Betreuung der erwachsenen Menschen, Kinder und Jugendlichen ermöglicht werden. Darüber hinaus wird das städtische Sofortunterbringungssystem kontinuierlich auch zielgruppenspezifisch ausgebaut. So stehen zum Beispiel spezialisierte Einrichtungen für erwerbstätige Menschen oder für junge Erwachsene zur Verfügung, um hier zielgruppenspezifische Beratungsangebote bereitstellen zu können.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
*1 Das Amt für Wohnen und Migration ist dazu verpflichtet, die Dringlichkeit eines Haushalts in jedem Einzelfall individuell zu prüfen und ermessensgerecht zu bewerten. Im Rahmen der Massenverwaltung kann die Gleichbehandlung der Wohnungssuchenden aber nur durch allgemeingültige Rahmenbedingungen gewährleistet werden, zum Beispiel durch das geltende Punktesystem, dessen Anwendung eine gleichmäßige Ermessensausübung im Rahmen der Dringlichkeitseinstufung sicherstellt.
*2 Nach Punkten und ergänzend – bei Punktegleichstand – nach Dauer der Anwesenheit in München
*3 Siehe zum Beispiel Güntner, S., Harner, R. Wohnen, Wohnungslosigkeit und Wohnungslosenhilfe. Soz Passagen 13, 235–252 (2021). https://doi.org/10.1007/s12592-021-00398-x
*4 Im Jahr 2023 wurden auch insgesamt (über alle Zielgruppen hinweg) 46% der Wohnungen an Haushalte mit Zugehörigkeit zur Zielgruppe „Strukturkomponente“ vergeben.
*5 Durch den mit der Münchner Wohnen geschlossenen BBV stehen dem Amt für Wohnen und Migration auch die Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft zur Belegung zur Verfügung, die bereits aus der Bindung/Förderung gefallen sind. Die städtische Eingriffsreserve besteht beinahe zur Hälfte aus diesen BBV-Wohnungen