Baustandards im Wohnungsbau neu denken
Antrag Stadtrats-Mitglieder Andreas Babor, Fabian Ewald, Heike Kainz, Winfried Kaum, Hans-Peter Mehling, Veronika Mirlach und Alexander Reissl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 27.3.2024
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Gemäß Ihrem Antrag vom 27.3.2024 wird die Landeshauptstadt München gebeten zu prüfen, ob und inwieweit es möglich ist, Baustandards im Wohnungsbau zu überdenken. Die Prüfung soll Baustandards und -vorschriften umfassen, welche insbesondere aus den Wohnraumförderprogrammen des Freistaates Bayern und der Landeshauptstadt München resultieren. Sollte diese ergeben, dass einzelne Baustandards über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen und zu signifikanten Mehrkosten führen, ohne dass sie eine entsprechend hohe ökologische oder soziale Rendite erzielen, sollen Vorschläge zur Anpassung erarbeitet werden. Die Landeshauptstadt München soll sich beim Freistaat Bayern dafür einsetzen, eine Überprüfung und ggf. Anpassung der landesweiten Baustandards und -vorschriften zu initiieren. Zudem sollen alternative, kostengünstige Bauweisen und Technologien gefördert werden, die einen schnellen, nachhaltigen und bezahlbaren Wohnungsbau ermöglichen.
Zu Ihrem Antrag vom 27.3.2024 teilen wir Ihnen mit, dass zu entsprechenden Themen betreffend Ihres Anliegens durch Initiative von Herrn Oberbürgermeister Reiter zwischenzeitlich interfraktionelle Arbeitskreise zur Kostenreduktion bei städtischen Bauvorhaben gegründet wurden.
Zu Ihrem Antrag vom 27.3.2024 informiert Sie das Referat für Stadtplanung und Bauordnung daher gerne wie folgt:
Die Hauptabteilung III des Referats für Stadtplanung und Bauordnung steht als größte Bewilligungsstelle Bayerns in engem Austausch mit dem für das Wohnungswesen zuständigen Referat beim Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr (StMB) sowie den anderen neun Bewilligungsstellen im Freistaat. Die in der Landeshauptstadt München besonders drängenden Problemstellungen der Flächenverfügbarkeit, hoher Nachfrage insbesondere nach bezahlbarem Mietwohnraum, gestiegenen Baukosten, mangelnder Ressourcenverfügbarkeit und Fachkräftemangel werden dabei regelmäßig adressiert und diskutiert.
Gesetze und Vorschriften, welche den Bau im Allgemeinen und den Wohnungsbau im Besonderen beeinflussen, werden auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene verabschiedet. Wie gewünscht werden wir im Folgenden auf relevante Rechtsvorschriften eingehen, die Einfluss auf den Wohnungsbau und die Baukostenentwicklung haben.
Wohnungsbauförderung
Aktuelle Gesetze und Vorschriften
Das Bayerische Wohnraumförderungsgesetz (BayWoFG) als Landesgesetz gilt übergeordnet für alle staatlichen und kommunalen Wohnungsbauförderprogramme. Neben der Mietwohnraumförderung hat es auch die Eigenwohnraumförderung sowie die Modernisierungsförderung zum Ziel. Es legt keine spezifischen Baustandards fest, sondern formuliert vielmehr allgemeine Rahmenbedingungen. Bei allen Fördermaßnahmen sind dabei die wohnungswirtschaftlichen Belange der Gemeinden zu berücksichtigen. Die Bewilligungsstellen können bei der Förderung ein von einer Gemeinde beschlossenes Konzept zur sozialen Wohnraumversorgung zugrunde legen. Mit dem wohnungspolitischen Handlungsprogramm „Wohnen in München“ hat die Landeshauptstadt München seit vielen Jahren ein solches Konzept; dies wurde zuletzt mit dem Stadtratsbeschluss „Wohnen in München VII“ vom 21.12.2022 für den Zeitraum von 2023 bis 2028 beschlossen.
Die Bestimmungen des BayWoFG werden ergänzt durch die Wohnraumförderungsbestimmungen (WFB) des Freistaats in ihrer derzeit gültigen Fassung aus dem Jahr 2023. Sie finden Anwendung auf die Förderprogramme des Freistaats zur Schaffung von Mietwohnraum und Eigenwohnraum sowie für die Anpassung von bestehendem Wohnraum an die Belange von Menschen mit Behinderung und werden regelmäßig fortgeschrieben. Dort werden unter anderem allgemeine und besondere technische Anforderungen formuliert wie beispielsweise an die Barrierefreiheit, Wohnflächenobergrenzen, Zimmergrößen, die Anordnung von Räumen, die Ausbildung von Freisitzen und Abstellräumen, aber auch Kostenobergrenzen für zu berücksichtigende Bau- und Baunebenkosten.
Das staatliche Förderprogramm der einkommensorientierten Förderung (EOF) wird in München durch weitere städtische Programme z.B. für Haushalte mit mittleren Einkommen (München Modell) ergänzt. Für die städtischen Programme gelten die Wohnraumförderungsbestimmungen analog, da in der Regel, im Sinne der Münchner Mischung in einem Vorhaben unterschiedliche Förderarten umgesetzt werden.
Überprüfung der Vorschriften und Möglichkeiten zur Anpassung von Standards und Vorgaben
Die Bewilligungsstelle München nutzt die ihr zur Verfügung stehenden Spielräume zur Auslegung der Wohnraumförderungsbestimmungen aus und stimmt sich regelmäßig mit dem StMB zu erforderlichen Abweichungen ab, die z.T. auch aufgrund der besonderen Situation der Landeshauptstadt München als dicht besiedelte Stadt mit einem angespannten Wohnungsmarkt erforderlich werden (z.B. Zulässigkeit von Kleinstwohnungen mit min. 25m², Fokus auf sparsamen Wohnflächenverbrauch).
Auch weitere besondere technischen Anforderungen der WFB werden hinsichtlich der Herstellung von zukunftsfähigem, innovativen und adaptiven anpassungsfähigem Wohnraum hinterfragt. Mit dem kommunalen wohnungspolitischen Handlungsprogramm „Wohnen in München VII“ wurde das Referat für Stadtplanung und Bauordnung beauftragt, eine Reihe von Pilotprojekten durchzuführen, die sogenannten Wohnlabore. Im Rahmen dieser werden gezielt einzelne Fördervoraussetzungen der WFB erweitert betrachtet, um einen Innovationsraum zu bieten und neue Ideen und Ansätze für Wohnkonzepte jenseits des Standards auszuprobieren. Es soll leistbarer, nachhaltiger und qualitativ hochwertiger Wohnraum entstehen, der gleichzeitig einen Beitrag zu Suffizienz und Flächensparen leistet. Ideen und Ansätze von Bauherr*innen für konkrete Projekte werden eng und in einem frühen Planungsstadium vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung (z.T. auch in direkter Abstimmung mit dem StMB) begleitet. Die ersten Vorhaben sind bereits in der Beratung. Erkenntnisse aus den Pilotprojekten werden an das StMB, welches die Wohnraumförderungsbestimmungen erlässt, weitergegeben.
Die WFB fordern ein „höheres Maß“ an Barrierefreiheit als die Bayerische Bauordnung (BayBO). Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der starken Zunahme der Zahl hochbetagter Menschen, sowie des bereits bestehenden Mangels an barrierefreiem Wohnraum, welcher durch eine steigende Nachfrage noch verschärft wird, muss durch den Bau geeigneter Wohnungen gegengesteuert werden. Um älteren und mobil eingeschränkten Menschen möglichst lang ein selbstbestimmtes Leben innerhalb des gewohnten Wohnumfelds ermöglichen zu können, leisten die Anforderungen der WFB an die Barrierefreiheit der Wohnungen und des Wohnumfelds einen wertvollen Beitrag und bieten einen hohen sozialen Mehrwert.
Zu Ihrem Antrag wurde der Behindertenbeirat der Landeshauptstadt München beteiligt. Dieser begrüßt Verwaltungsvereinfachungen und verfahrenstechnische Vereinbarungen, die zum schnelleren Bau von mehr Wohnungen führen. Gleichzeitig weist er auf den akuten und zukünftigen Mangel an barrierefreien Wohnungen hin, weshalb der Bau solcher Wohnungen aus seiner Sicht forciert werden sollte.
Bayerische Bauordnung
Aktuelle Gesetze und Vorschriften
Die Bayerische Bauordnung (BayBO) findet u.a. auf Grundstücke, bauliche Anlagen sowie Bauprodukte Anwendung. Sie regelt wie gebaut werden muss bzw. soll, um Gefahren für Gesundheit und Leben abzuwehren und dient als Sicherheitsrecht der präventiven Gefahrenabwehr. Sie definiert u.a. Brandschutzanforderungen, Anforderungen an Personenrettung, Tragwerk, Wärme-, Schall- und Erschütterungsschutz, Aufenthaltsräume, Wohnungen, Stellplätze, barrierefreies Bauen, technische Gebäudeausrüstung.
Die Schutzziele der BayBO werden durch eingeführte technische Baubestimmungen konkretisiert. Die darin aufgenommenen Regeln sind Grundlage für die Planung, Bemessung und Konstruktion sicherer baulicher Anlagen. Sie leisten damit einen Beitrag zur Rechts- und Anwendungssicherheit von Bauprodukten und Bauarten.
Überprüfung der Vorschriften und Möglichkeiten zur Anpassung von Standards und Vorgaben
Seit 1.8.2023 formuliert Artikel 63 BayBO, dass die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Regelungen der BayBO zulassen „soll“ – die vormalige Formulierung „kann“ wurde insofern verändert. Unverändert bleibt, dass eine Abweichung nur auf Grundlage eines inhaltlich begründeten Antrags gewährt werden kann. Absatz 1 Satz 2 enthält nun in vier Ziffern – beispielhaft und nicht abschließend – Regelbeispiele, die Situationen skizzieren, in denen eine Abweichung insbesondere erteilt werden soll. So wurde ein Satz eingeführt, wonach Vorhaben zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen explizit Erwähnung finden. Dieser zielt auf den „Gebäudetype“ (wie „einfach“ oder „experimentell“) ab. Dabei geht es allerdings nicht darum, die gesetzlichen Mindestanforderungen abzusenken, sondern darum, dass es ermöglicht werden soll, innovative Lösungen zu verfolgen, solange die Schutzziele der Bauordnung gewahrt bleiben. Es soll fachkundigen Bauherr*innen und Planenden, die Freiheit gegeben werden, ihr Projekt auf den eigentlichen Kern der Schutzziele der BayBO zu reduzieren, also auf Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz. Verzichtet werden kann dann auf darüberhinausgehende Normen und Standards.
Der Freistaat Bayern hat im Dezember 2023 eine Reihe von 19 Modellvorhaben gestartet, welche den Gebäudetype in der Umsetzung erproben sollen. Die meisten davon haben ganz oder teilweise die Schaffung von Wohnraum zum Inhalt. Auch vier Münchner Projekte sind unter den Pilotprojekten: ein Neubau im Kreativquartier der Genossenschaft „Das Große Kleine Haus eG“, die Entwicklung eines Bestandsquartiers der Münchner Wohnen GmbH in der Heimeran-/Anglerstraße mit der Umnutzung von Gewerbeflächen in Wohnen, ein Projekt des Staatlichen Bauamts im Kontext der Theaterakademie August Everding und die Umnutzung eines Jugendheims in Wohnungen. Die Projekte werden vom Freistaat wissenschaftlich begleitet, um deren Wirksamkeit zu prüfen und Handlungsbedarf festzustellen.
Zudem hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) am 21.6.2024 einen Referentenentwurf der Bundesregierung zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus (Gebäudetyp-E-Gesetz) vorgelegt, welcher einfaches und innovatives Bauen ermöglichen soll. Die Landeshauptstadt München begrüßt die geplanten Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten.
Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.