Bevölkerungsstatistik Stadt vs. Landesamt: Welche ist korrekt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 5.11.2024
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 5.11.2024 haben Sie gemäß § 68 GeschO eine Anfrage an Herrn Oberbürgermeister zur Bevölkerungsstatistik gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung in Abstimmung mit dem Direktorium – Statistisches Amt wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Die Angaben und Prognosen zur Entwicklung der Bevölkerungszahlen in der Stadt München unterscheiden sich je nach Quelle. So geht das Statistische Landesamt Bayern von einem viel geringeren Bevölkerungszuwachs aus (1,603 Mio. am 31.12.2042 = plus 6 Prozent im Vergleich zum 31.12.2022) als die Stadt München (1,81 Mio. in 2040 = plus 14,1 Prozent seit 2023).“
Da in Ihrer Anfrage zukünftige Einwohnerzahlen genannt werden, zielen Ihre Fragen auf die verschiedenen Bevölkerungsprognosen. Für die Bevölkerungsstatistik wäre laut Aufgabengliederungsplan das Statistische Amt zuständig, für die Bevölkerungsprognosen dagegen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Angesichts des Fokus Ihrer Anfrage auf die Bevölkerungsprognosen wird die Anfrage vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung beantwortet.
Dazu haben Sie um Beantwortung der nachfolgend aufgeführten Fragen gebeten.
Frage 1:
Auf welchen Erhebungen, Zählungen, Berechnungsmethoden, sonstigen wissenschaftlichen Grundlagen basieren die Annahmen zur aktuellen Bevölkerungszahl und die Prognosen der Stadt München zur Bevölkerungsentwicklung für die kommenden Jahre bis 2040?
Antwort:
Die aktuelle Bevölkerungsprognose der Landeshauptstadt München basiert auf der kommunalen Einwohnerstatistik (Melderegisterdaten) des Statistischen Amtes. Als Datengrundlage wurde der Einwohnerstand am Hauptwohnsitz zum 31.12.2022 verwendet. Die Berechnung der Prognose basiert auf einem „deterministischen Komponentenmodell“, mit dem einejährliche Fortschreibung des Bevölkerungsbestands über die natürlichen und räumlichen Bewegungsfälle und entsprechende Quoten erfolgt. Die Prognoseannahmen betreffen die demografischen Parameter der Fertilität, der Mortalität und der Wanderungsdynamik. Die Ableitung der Annahmen stützen sich auf umfassende Analysen der zurückliegenden Entwicklungen unter Berücksichtigung zukünftig absehbarer Trends.
Frage 2:
Wer hat diese Zahlen für die Stadt München erarbeitet bzw. zusammengestellt?
Antwort:
Bevölkerungsprognosen werden seit Anfang der 1970er Jahre vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung alle 2 Jahre erarbeitet.
Die aktuellen Ergebnisse wurden am 5.7.2023 im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung mit dem „Demografiebericht München – Teil 1 Analyse 2022 und Bevölkerungsprognose 2023 bis 2040 für die Landeshauptstadt“ bekannt gegeben (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09846, siehe https://risi.muenchen.de/risi/sitzungsvorlage/detail/7748786)
Frage 3:
Wie lautete der Arbeitsauftrag für diese Mitarbeiter bzw. für die externen Berater, die diese Zahlen erarbeitet bzw. zusammengestellt haben?
Antwort:
Mit der Entscheidung des Oberbürgermeisters vom 11.05.1994 ist das Referat für Stadtplanung und Bauordnung beauftragt worden, mit dem Statistischen Amt abgestimmte Prognosen für die Landeshauptstadt München vorzulegen. Der Arbeitsauftrag umfasst die Erstellung einer fundierten Bevölkerungsprognose, die den voraussichtlichen Entwicklungspfad der Bevölkerungsentwicklung der Landeshauptstadt München beschreibt. Dies beinhaltet die Analyse von demografischen Trends, Wanderungsbewegungen sowie Geburten- und Sterberaten, um eine realistische Basis für die Prognose zu schaffen.
Frage 4:
Wie erklärt sich die Stadtverwaltung den großen Unterschied zum Landesamt für Statistik?
Antwort:
Das Bayerische Landesamt für Statistik erstellt in einem jährlichen Turnus eine „Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern“. ImFebruar 2024 wurde die Bevölkerungsvorausberechnung bis 2042 veröffentlicht, die auf den Einwohnerdaten des Statistischen Landesamts Ende 2022 basiert.
Zu den Unterschieden zwischen den Einwohnerzahlen des Statistischen Amts und des Statistischen Landesamts wird auf die Beantwortung der Anfrage der ÖDP/München Liste „Wie hoch ist die Einwohnerzahl Münchens und wie stark wächst sie?“ vom 15.3.2022, Frage 1 verwiesen (Anfrage Nr. 20-26/F 00441 von der Fraktion ÖDP/MÜNCHEN LISTE vom 15.3.2022, siehe https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/7229969).
Beide Prognosen stimmen darin überein, dass die Einwohnerzahl der Landeshauptstadt München weiterwachsen wird.
Für die Landeshauptstadt München wird vom Statistischen Landesamt nur ein Wachstum von +6,0 Prozent bzw. eine Wachstumsrate von 0,29 Prozent bis 2040 vorausberechnet, wobei +6,2 Prozent auf Geburtenüberschüsse und -0,1 Prozent auf Wanderungsverluste zurückgehen. Die Annahme einer Wanderungsdynamik ohne Wanderungsgewinne wird seitens der Stadtverwaltung mit dem unteren Szenario beschrieben und als weniger wahrscheinlicher Entwicklungspfad bewertet. Die aktuellen Migrationsströme aus dem Ausland deuten auf eine auch zukünftig hohe Wanderungsdynamik mit Wanderungsgewinnen hin.
Die Planungsprognose der Landeshauptstadt München beschreibt den u.E. wahrscheinlichsten Entwicklungspfad, auf den sich die Stadt aus heutiger Sicht planerisch einstellen muss. Die Ergebnisse der Planungsprognose 2023 bis 2040 zeigen ein Bevölkerungswachstum von durchschnittlich 0,73 Prozent pro Jahr. Die Zahl der Einwohner*innen mit Hauptwohnsitz wird voraussichtlich 2032 die 1,7-Millionengrenze überschreiten und 2040 bei 1,812 Millionen liegen. Dies entspricht einem Bevölkerungswachstum von Ende 2022 bis Ende 2040 um gut +223.000 Personen bzw. +14,1 Prozent.
Die Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung unterscheidet sich hinsichtlich Methodik und Datenbasis von der Bevölkerungsprognose der Stadtverwaltung. Als übergeordnete Vorausberechnung hat die Prognose vom Landesamt den Fokus auf der Bereitstellung einer vergleichbaren Informationsbasis für ganz Bayern und eignet sich als Trendaussage für Gesamtbetrachtungen.Das Bayerische Landesamt für Statistik betont in der Veröffentlichung seiner Bevölkerungsvorausberechnung, dass die konkrete Anwendung und Beurteilung der Daten dem Nutzer überlassen bliebe. Es erkennt an, dass spezifische Einflussfaktoren auf die Bevölkerungsentwicklung vor Ort besser bekannt wären.
Siehe hierzu auch die Beantwortung der Anfrage der ÖDP/München Liste „Wie hoch ist die Einwohnerzahl Münchens und wie stark wächst sie?“ vom 15.3.2022, Frage 4 (Anfrage Nr. 20-26/F 00441 von der Fraktion ÖDP/ MÜNCHEN LISTE vom 15.3.2022, siehe https://risi.muenchen.de/risi/dokument/v/7229969).
Frage 5:
Wieso wird nichts dagegen unternommen, dass das Statistische Landesamt aus Sicht der Stadtverwaltung München unbrauchbare Zahlen liefert?
Antwort:
Auf der Ebene der Landesämter basiert die Ermittlung der Einwohnerzahlen auf einer bundeseinheitlichen Methode. Es handelt sich um eine Fortschreibung der letzten allgemeinen Zählung der Bevölkerung auf Basis der Bewegungsfälle. Die vom Statistischen Landesamt veröffentlichten amtlichen Einwohnerzahlen sind Grundlage für allgemeine Planungsaufgaben mit Fokus auf überregionale Betrachtungen sowie Grundlage für die Ausführung zahlreicher Bundes- und Landesgesetze wie Finanzzuweisungen oder die Einteilung der Wahlkreise. Sie berücksichtigen nur die Hauptwohnsitzbevölkerung und haben als unterste verfügbare Datenebene die Gemeinde.
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung sieht die von ihr selbst erstellten Bevölkerungsprognosen als zentrale Grundlage für die Stadtentwicklungs- und Infrastrukturplanung an. Die Verwendung der kommunalen Einwohnerstatistik des Statistischen Amtes ist zwingend notwendig, da nur diese auch detaillierte und teilräumliche Zahlen liefern und damit Grundlage für die kommunale Praxis und Planung sind. Die Einwohnerdaten der Kommunen werden als Abzug aus dem Melderegister erhoben. Die Prognosen des Statistischen Landesamts könnten von der Landeshauptstadt München also schon deshalb nicht verwendet werden, da für die Infrastrukturplanung kleinräumigere Prognosen auf der Ebene von Vierteln, Schulsprengeln und KITA-Planungsbereichen erforderlich sind. Siehe dazu auch die Bekanntgabe des Demografieberichts 2 im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung vom 5.7.2023 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09847, siehe https://risi.muenchen.de/risi/sitzungsvorlage/detail/7748793).
Frage 6:
Erklärt sich der Oberbürgermeister bereit, sich mit dem Freistaat Bayern auf die Erstellung einer gemeinsamen Statistik zu einigen und wenn nicht, warum nicht?
Antwort:
Die kommunale Einwohnerstatistik als Abzug aus dem Melderegister verfügt, wie oben ausgeführt, über detaillierte und kleinräumige Daten für die kommunale Praxis und Planung. Die amtliche Statistik als Fortschreibung der Bewegungsfälle setzt hingegen ihren Fokus auf eine bundeseinheitliche vergleichende Erhebungsmethode auf Gemeindeebene. Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen bzw. Zielsetzungen haben beide Statistiken ihre Berechtigung.
Auch die Bevölkerungsprognosen der Landesämter und der Kommunen basieren entsprechend unterschiedlicher Anforderungen bzw. Zielsetzungen auf einer unterschiedlichen Methodik und auf einer unterschiedlichen Datengrundlage.
Aus den oben ausgeführten Gründen sind daher zwei Prognosen mit dem oben dargestellten unterschiedlichen Fokus und der oben dargestellten unterschiedlichen Datengrundlage erforderlich.