München macht sich stark gegen Kriminalisierung der Seenotrettung!
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 27.11.2023
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
In Ihrem Dringlichkeitsantrag vom 27.11.2023 fordern Sie, dass sich der Oberbürgermeister bei der Bundesregierung, dem Deutschen Städtetag sowie beim Bundesinnenministerium und bei allen am Gesetzgebungsprozess beteiligten Akteur*innen gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung und für eine Rücknahme der geplanten Ausweitung des § 96 AufenthG stark macht.
In der Begründung Ihres Antrages verweisen Sie zunächst auf eine Formulierungshilfe des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für einen Änderungsantrag im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung. Die dabei geplanten Änderungen zum Straftatbestand des § 96 AufenthG führen nach Ihrer Lesart zur Schaffung einer rechtlichen Grundlage, welche humanitäre Arbeit weiter einschränkt, indem Helfen in einer existenziellen Notlage strafbar gemacht werden soll.
Dabei stellen Sie auch auf ein darauf gerichtetes Positionspapier mehrerer namhafter Menschenrechts- und Seenotrettungsorganisationen sowie Wohlfahrtsverbände ab (vgl. https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2023_11_21_Gemeinsames-Stellungnahme-SAR-Kriminalisierung.pdf).
Schließlich weisen Sie darauf hin, dass sich die Landeshauptstadt München 2019 einstimmig dafür entschieden hat, dem Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ beizutreten und ein Sicherer Hafen für aus Seenot gerettete Geflüchtete zu werden.
Die Dringlichkeit ergäbe sich aus der Befassung mit dem Gesetzesentwurf im Deutschen Bundestag gegen Ende der Woche.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Stadtrat ist für die Erledigung von Angelegenheiten zuständig, für die nicht der Oberbürgermeister zuständig ist. Dem Oberbürgermeister obliegt die Besorgung der laufenden Angelegenheiten, die für die Stadt keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichenVerpflichtungen erwarten lassen, § 22 Abs. 1 GeschO und Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 GO. Gegenstand Ihres Antrages ist eine laufende Angelegenheit im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist nicht möglich.
Nach entsprechender Empfehlung durch die Rechtsabteilung des Direktoriums wurde die Dringlichkeit in vorstehender Angelegenheit gemäß § 60 Abs. 6 GeschO nicht zuerkannt (vgl. Wortprotokoll über die 41. Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates der Landeshauptstadt München vom 29.11.2023).
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
In der Begründung Ihres Dringlichkeitsantrags gehen Sie davon aus, dass die in der Formulierungshilfe des Bundesministeriums des Innern und für Heimat festgehaltenen Vorschläge zur Änderung des § 96 AufenthG zu einer Kriminalisierung der (internationalen) Seenotrettung führen werden.
Hinsichtlich § 96 AufenthG handelt es sich um einen Straftatbestand, der im Aufenthaltsgesetz verortet ist, aber primär in die Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz der Staats-anwaltschaften und Strafgerichte fällt.
Im Falle einer Seenotrettung und Übergabe an die Behörden des Ausschiffungshafens sind die Personen formal nicht eingereist, sodass eine beabsichtigte Umgehung der Einreisekontrolle nicht vorliegt und folglich für einen Straftatbestand nach §§ 96, 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bereits kein Raum ist. Dies ist auch einer Antwort eines Parlamentarischen Staatssekretärs des federführenden Ministeriums auf eine Anfrage einer Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke zu entnehmen (vgl. BT-Drs. 20/9462).
In der Drucksache heißt es auf Seite 22:
„Zunächst ist klarzustellen, dass die Beihilfe oder Anstiftung zur Einreise ohne erforderliches Visum, soweit diese wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern begangen wird, bereits nach der jetzigen Rechtslage bei Schleusungen in das Bundesgebiet gemäß § 96 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) strafbar ist. Die Strafbarkeit von Schleusungen in die EU (§ 96 Absatz 4 AufenthG) orientierte sich auch bislang schon an den Straftatbeständen für Schleusungen in das Bundesgebiet, jedoch mit einigen Strafbarkeitslücken. Durch die vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachten Änderungen wird die Strafbarkeit von Schleusungen in die EU stärker an die Strafbarkeit vonSchleusungen in das Bundesgebiet angenähert. Dies betrifft auch Fälle von Schleusungen in die EU, die denen des § 96 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b AufenthG entsprechen.
Die Rechtsauffassung, dass Seenotrettung damit kriminalisiert wird, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
Vielmehr besteht im Fall von Seenotlagen die Pflicht zur Hilfeleistung. Kapitäne auf deutschen Schiffen können sich bei Nichtbeachtung dieser Pflicht gemäß § 323c des Strafgesetzbuchs strafbar machen. Im Fall einer Seenotrettung sind nach einer Übergabe an die Behörden des Ausschiffungshafens die Personen formal nicht eingereist, sodass eine beabsichtigte Umgehung der Einreisekontrolle nicht vorliegt.“
Nach unserem Dafürhalten kommt dazu, dass es in Bezug auf die Seenotrettung bereits an einer rechtswidrigen Tat im Sinne des § 96 AufenthG fehlen dürfte. Die Betroffenen können sich zudem im Fall von Seenotlagen auf einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB bzw. speziellere Entschuldigungsgründe im Seerecht berufen.
Eine Einschränkung der humanitären Arbeit und Kriminalisierung der Seenotrettung ist daher nach unserer Auffassung, aber auch nach Auffassung des zuständigen Ministeriums mit der geplanten Gesetzesänderung nicht verbunden.
Zudem geht aus einem der Ausländerbehörde zuletzt übermittelten Rundschreiben des Deutschen Städtetages vom 21.12.2023 (Az.: 32.46.00 D) hervor, dass im aktuellen Gesetzesentwurf zum Rückführungsverbesserungsgesetz nun gesetzlich klargestellt werden soll, dass Seenotrettung auch in Zukunft nicht Gegenstand rechtlicher Ahndung wird.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.